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junge Welt, Mittwoch, 3. Juli 1996, Nr. 153, Seite 4, inland

>> Hurra - der war's!

> Die verfolgende Unschuld: Nach der Verhaftung Safwan Eids hatte sich die Presse von FAZ bis taz in Freisprüchen für den deutschen Mob geübt - und in Anklagen gegen ausländische Kritiker - »Ich fühle mich erleichtert, daß kein Deutscher die schreckliche Tat von Lübeck begangen hat. Die unzähligen Vorverurteilungen von Politikern und Demonstranten, von deutschen und von ausländischen Medien haben schon genug Schaden angerichtet, Kollektivschuld ausgesprochen und Kollektivscham verlangt.«

(Editorial von Chefredakteur Helmut Markwort unter der Schlagzeile »Ich fühle mich erleichtert« in Focus, 29. Januar 1996)

»Und für noch gefährlicher halte ich die linken Populisten von der PDS.«
(Alfred Grosser im Interview zum Brandanschlag in Lübeck, unter der Überschrift »Brand war gefundenes Fressen« in Focus, 29. Januar 1996)

»Was die freundlichen Nachbarn zur Lübecker Brandkatastrophe über uns auskübeln, war wahrlich von schlechten Eltern.«
(Erich Böhme, Moderator von »Talk im Turm«, in: Hamburger Morgenpost, 29. Januar 1996)

»Wir unterließen es allerdings - wie fast alle Medien - auch nur die Möglichkeit zu erwägen, daß der Anschlag Resultat einer Auseinandersetzung zwischen Gruppen von Asylsuchenden sein könnte. ... Sicher drückt sich in dieser Einseitigkeit der Berichterstattung noch etwas vom Mythos des "guten Ausländers" aus ...«
(Christian Semler, tageszeitung, 23. Januar 1996)

»...einflußreiche Leute des öffentlichen Lebens in Deutschland wie draußen, die sich als Beschützer des Rechtsstaates geben, lassen ihn beiseite, wenn ihnen etwas als eine Gelegenheit vorkommt, Deutschland den Nazi-Vorwurf anzukleben.«
(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. Januar 1996)

»Schmerz und Trauer sind für die Betroffenen plötzlich noch schwerer auszuhalten als zuvor. Sie fühlen sich um ihre Wut betrogen, um ihr Recht gebracht, den ungeheuren seelischen Druck wenigstens teilweise im Zorn auf rassistische deutsche Gewalttäter abzureagieren.«
(Der Spiegel, 29. Januar 1996)

»Da wurde lediglich aufgrund vorläufiger Festnahmen fast automatisch des Bild des häßlichen Deutschen beschworen, gar in den Flammen eine neonazistische Antwort auf die zu Herzen gehende Rede von Israels Präsident Ezer Weizman im Bundestag ausgemacht.«
(Rheinische Post, 22. Januar 1996)

»Eine alte Regel hat sich in Lübeck bestätigt: Vorschneller Verdacht, voreilige Urteile gar, die mancher wie unter einem Pawlowschen Reflex formuliert, sind von Übel. Nüchternheit ist besser als Hysterie. Wut taugt nicht ohne Wissen. Bereits das verzweifelte Mädchen von Halle, das sich ihr Hakenkreuz selbst einritzte, oder die Potsdamerin, die von "rechten" Jugendlichen aus der Straßenbahn geworfen worden sein wollte, hatten Medien, Politik und Öffentlichkeit daran erinnert, wohin Reflexe ohne Recherche führen können.«
(Neues Deutschland, 22. Januar 1996)

»Die Überlebenden der Feuerhölle von Lübeck stehen unter einem erneuten Schock. Es war doch kein fremdenfeindlicher Anschlag von außen. Die Mörder hatten mit ihren Opfern unter einem Dach gewohnt.«
(Südwest-Presse Ulm, 22. Januar 1996)

»Auch ohne völlige Aufklärung über die Abläufe und Hintergründe ist es bedrückend genug, einen Vorgang zu bewerten, der in den vergangenen Tagen zugleich einen vorauseilenden Journalismus gezeigt hat, bei dem noch mitten in der Recherche abschließende Wertungen gewagt wurden unter leichtfertiger Mißachtung des Gebots der Vorsicht.«
(Frankfurter Rundschau, 22. Januar 1996)

"Dürfen wir nun erleichtert sein, weil es kein deutscher Brandstifter war, sondern - allem Anschein nach - ein Ausländer, ein Mitbewohner gar? Ja und nein. Ja, weil sich der furchtbare 'Anfangsverdacht' gegen vier junge Männer nicht erhärtet hat, weil kein blinder Ausländerhaß Ursache der Katastrophe war. Weil Deutschland nicht ein weiteres Mal am Pranger steht."
(Aachener Volkszeitung, 22. Januar 1996)

»Obwohl sich nun herausstellt, daß der Brand nicht durch einen Anschlag, sondern nach Streitigkeiten zwischen Ausländern ausgebrochen ist, wäre es fatal, sich nun selbstgefällig zurückzulehnen. Das Problem an sich ist nicht damit gelöst, daß es diesmal keine Rechtsextremen waren.
(Presseplan Bonn, Deutscher Zeitungsdienst, 22. Januar 1996)

»Einer Vielzahl politischer und publizistischer Stimmungsmacher hierzulande sind mit den Flammen im Asylwohnheim offenbar rechtsstaatliche Gepflogenheiten abhanden gekommen. Nicht nur im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wurde der Brand, der so viele unschuldige Menschen das Leben kostete, sensationslüstern und undifferenziert als neonazistischer Exzeß hingestellt und kommentiert. Wo blieb die journalistische Sorgfaltspflicht, wo die nüchterne Distanz? Schlimmer trieben es lediglich jene Polit-Agitateure, die ungeniert Bonn für "das rassistische und faschistische Massaker" verantwortlich machten. Bestürzend auch, wenn Lübecks Bürgermeister gar zu zivilem Ungehorsam gegen die Abschiebung sämtlicher Asylbewerber aufrief.«
(Rhein-Zeitung, 22. Januar 1996)

»Eine solche Tat läßt sich nicht erklären, weder mit Streß noch mit südländischer Hitzigkeit. Und was die Sache politisch macht: Der Täter schadete dem deutschen Ansehen im Ausland.«
(Schweriner Volkszeitung, 22. Januar 1996)

»Viele Bundesbürger fühlen sich erleichtert, daß nicht deutsche Extremisten den Brandanschlag von Lübeck verübt haben.«
(Münchner Merkur, 22. Januar 1996)

»Es gibt keinen Anlaß, sich erleichtert zurückzulehnen oder jetzt gar aufzutrumpfen, daß der Täter vermutlich selbst ein Ausländer war. Denn noch übersteigen die verbliebenen Fragen zum Geständnis und zum angeblichen Tathergang menschliches Vorstellungsvermögen. Warum hat der Libanese erst den Brand gelegt, sich dann vom Dach retten lassen und selbst noch lange bei der dramatischen Bergung seiner Mitbewohner mitgeholfen, um dann einem Sanitäter zu gestehen: "Wir waren es"?«
(Hannoversche Allgemeine Zeitung, 22. Januar 1996)

»... immer das gleiche: der nächtliche Lärm, die ungeputzte Gemeinschaftsküche und die verdreckten Klos. Regelmäßig gab es kleinere Reibereien. Zwischen Kulturen, zwischen den Etagen, zwischen den Familien und zwischen den Generationen. Des öfteren wurden die Sozialarbeiter zu Schlichtern, zum Beispiel bei handfesten Krächen afrikanischer Ehepaare oder dem Gezänk der Kinder um die Schaukel.«
(Die Zeit, 26. Januar 1996)

»Tagelang lasen sich die taz-Reportagen aus Lübeck und die Kommentare zu den Ereignissen, als operierten wir abgekoppelt von der Nachrichtenlage. Statt einer Reportage über die Differenzen unter den Heimbewohnern (Geht es da um Eifersucht, um Rassismus, um religiöse Differenzen zwischen Muslimen und Anhängern animistischer Religionen?) hieß unser Thema "Wir sind alle Lübecker" und beschäftigte sich mit der Frage, wie in Zukunft Brandanschläge verhindert werden können - obwohl doch längst widerlegt war, daß es sich um einen externen Anschlag gehandelt hat.

(...) Hängt es, wie Konrad Adam in der FAZ vermutet, noch immer damit zusammen, daß wir "ein Volk der Täter sind", das es nicht erwarten könne, "noch einmal getreten zu werden?"

(...) Oder wie sonst ist es zu erklären, daß ein Bürgermeister sagen kann: "Ich will diesen Staat nicht". Diesen Staat, der hier ja wohl nicht gezündelt hat (selbst wenn es Nazis gewesen wären), sondern eben halbwegs brauchbare Unterkünfte zur Verfügung stellte, der nun fieberhaft nach neuen Lösungen sucht und von dem Herr Bouteiller übrigens doch wohl ein Teil ist.«
(Mariam Niroumand in der tageszeitung, 24. Januar 1996)