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junge Welt, Montag, 29. Januar 1996, Nr. 24, Seite 4, inland

>> »Kein Einwanderungsland«

> Innenminister Kanther macht Stimmung gegen Flüchtlinge

Die Gefahr von Brandanschlägen auf Flüchtlinge will Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) durch Beseitigung der potentiellen Opfer bannen. Als Reaktion auf den Lübecker Bürgermeister Michael Bouteiller, der nach dem Großbrand im Lübecker Wohnheim dazu aufgefordert hatte, abgelehnte Asylsuchende notfalls zu verstecken, warnte Kanther vor einem weiteren »Zustrom von Ausländern« und verlangte eine konsequente Durchsetzung der Asylgesetzgebung. »Wir müssen klarstellen, daß Deutschland kein Einwanderungsland ist und auch nicht werden soll«, betonte er.

Auch Bürgerkriegsflüchtlinge könne Deutschland nur notfalls und auf Zeit aufnehmen. Daß die Zeit für die bosnischen Flüchtlinge abgelaufen ist, hatten die Innenminister auf ihrer Sitzung am Freitag klargestellt, auf der sie, entgegen den Versprechungen Kanthers gegenüber dem UN-Flüchtlingskommissariat eine Woche zuvor in Genf, einen Stufenplan zur Zurückschiebung ab dem 1. Juli 1996 verabschiedet hatten. Zusätzlich betonte Kanther, der vereinbarte Stufenplan gelte nicht für abgelehnte Asylsuchende aus den Kriegsgebieten. Flüchtlinge, die sich einer Rückkehr durch das Stellen eines Asylantrages widersetzten, mißbrauchten ihr »Gastrecht«.

Dagegen erklärte die Menschenrechtsorganisation amnesty international, für einzelne Bosnien-Flüchtlinge gebe es nach wie vor die Gefahr, Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu werden. Auch Kerstin Müller, Fraktionssprecherin der Bündnisgrünen im Bundestag, verurteilte den IMK-Beschluß. Die Ausweisung nach einem starren Phasenplan widerspreche dem Friedensvertrag von Dayton, der eine freiwillige Rückkehr vorsehe.

Die Vertreterin des UNHCR in Deutschland, Judith Kumin, nannte die IMK-Entscheidung hingegen eine »gute Grundlage« für die Rückkehr der aus dem Kriegsgebiet Geflohenen. Doch auch sie betonte, daß die freiwillige Rückkehr Vorrang vor Abschiebungen haben müsse.

Elke Spanner