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Frankfurter Rundschau, 10.4.1997

RÜCKSCHLAG FÜR ANKLAGE IM PROZESS UM DEN LÜBECKER BRANDANSCHLAG

Gericht läßt Tonbandaufnahmen mit Gesprächen des Angeklagten nicht als Beweise zu / Gutachter stützt Verteidigung

Von Ingrid Müller-Münch

Im Prozeß um den Brandanschlag von Lübeck werden Tonbänder mit Privatgesprächen, die der angeklagte Libanese Safwan E. im Besucher- Raum des Lübecker Untersuchungsgefängnisses mit Zweien seiner Brüder und seinem Vater geführt hat, nicht verwertet werden. Diesen Beschluß verkündete am Mittwoch, dem 50. Verhandlungstag, die 2. große Strafkammer des Landgerichts.

Lübeck, 9.4. In ihrer Begründung für die Entscheidung, die Tonbänder nicht zuzulassen, kritisierte die Kammer heftig die unmittelbar nach dem Brand in einem Lübecker Asylbewerberheim vom 18.1.1996 erteilte Genehmigung des Amtsgerichts für derartige Abhörmaßnahmen. Für die Staatsanwaltschaft, die Safwan E. die Schuld am Tod von zehn Menschen gibt, bedeutet der Kammerbeschluß eine weitere Niederlage in der zunehmend bröckelnden Anklage. Ihrer Einschätzung nach könnten die sechs aufgenommenen Gespräche zwischen dem Angeklagten und seinen Angehörigen als eine Art Geständnis ausgelegt werden. Das Gericht dagegen begründete ausführlich, weshalb es die Tonband- aufnahmen für eine "gesetzwidrige Ermittlungstätigkeit" hält, bei der in die Grundrechte des Angeklagten eingegriffen worden sei. Es sei nicht mit der Menschenwürde eines Untersuchungshäftlings vereinbar, wenn er nicht einmal im Besucherraum einer Haftanstalt, der ihm als einziger zur Pflege privater Verbindungen nach außen hin zur Verfügung steht, staatsrechtlich in Ruhe gelassen werde. Die Kammer stellte den Besucherraum einer JVA damit auf die gleiche Stufe wie eine Privatwohnung.

Wenig später wartete ein Gutachter mit einer weiteren Niederlage für die Anklage auf: Der unter anderem zum körperlichen Zustand des Angeklagten wenige Tage nach der Tat gehörte Lübecker Rechtsmediziner Prof. Manfred Oehmichen hatte bei der Untersuchung E's nichts gefunden, was auf eine ihm von der Anklage unterstellte Manipulation mit Feuer hätte hindeuten können. Vielmehr habe lediglich der Rücken des Angeklagten Einwirkungen von Hitze gezeigt, die er sich jedoch möglicherweise während seines Aufenthaltes auf dem als Zuflucht dienenden Dach des brennenden Hauses zugezogen haben könnte.

Ausführlich beschäftigte sich der Sachverständige mit der einzigen Leiche jener Nacht, bei der die Todesursache nach wie vor ungeklärt ist: dem im Vorraum des Hauses Hafenstr. 52 ohne jegliche Rußeinatmung gefundenen Afrikaner Sylvio Amoussou. Das Rätsel um den Tod des 27jährigen hatte seit Prozeßbeginn zu Spekulationen geführt. In mehreren Publikationen wurde seit kurzem wiederholt über eine mögliche Verbindung Amousous zum Lübecker Rotlichtmilieu und seine Freundschaft mit einer als V-Frau der Polizei arbeitenden Prostituierten berichtet.
Die Aussage eines Zeugen, Amousous Leiche sei mit einem Draht umwickelt gewesen, hatte die These der Verteidigung gestützt, daß Außenstehende den Brand gelegt hätten. Dem Rechtsmediziner Oehmichen zufolge war dieser mysteriöse Draht jedoch lediglich locker auf dem extrem verkohlten Leichnam gefunden worden. Es habe keinerlei Hinweise darauf gegeben, daß Sylvio Amoussou damit gefesselt worden sei. Zwar habe die Obduktion nichts ergeben, was auf einen gewaltsamen Tod Amousous hindeuten könnte, durch die massive Veränderung des Körpers infolge der Verbrennungen sei die Befunderhebung jedoch erheblich eingeschränkt gewesen, so daß Gewalteinwirkung auch nicht ausgeschlossen werden könne. Oehmichen selbst hält es für am wahrscheinlichsten, daß Amoussou an einem Hitzeschock oder einer Hitzestarre gestorben ist. Die Befragung des Sachverständigen durch die Prozeßbeteiligten ist für kommenden Montag angesetzt.


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