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Berliner Zeitung vom 23.07.1998

Datum: 23.07.1998,
Ressort: Politik
Autor:

(nicht benannt)

BGH verhandelt über Lübecker Asylheimbrand
Bundesanwaltschaft beantragt Bestätigung des Freispruchs für den Libanesen Safwan Eid

KARLSRUHE, 22.Juli.
Im Revisionsverfahren zum Lübecker Brandprozeß entscheidet der Bundesgerichtshof (BGH) voraussichtlich an diesem Freitag, ob der Freispruch des Angeklagten Safwan Eid rechtens war.
Nebenkläger forderten am Mittwoch vor dem BGH eine Rücknahme der Entscheidung des Lübecker Landgerichts.
In der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe sagte Wolfgang Clausen, Anwalt einer von der Brandkatastrophe besonders betroffenen libanesischen Familie, das Lübecker Gericht habe den Inhalt abgehörter Gespräche während der Untersuchungshaft von Eid nicht verwertet.
Nebenklage von Schuld überzeugtEid war am 20.Januar 1996 festgenommen worden, zwei Tage nach dem Brand, nachdem die Polizei vier zunächst tatverdächtige Mecklenburger wieder freigelassen hatte.
Der 22jährige war am 30.Juni vergangenen Jahres nach einem aufsehenerregenden Prozeß aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden.
Ihm war vorgeworfen worden, den verheerenden Brand in einem Lübecker Asylbewerberheim gelegt zu haben, bei dem im Januar 1996 zehn Menschen getötet und 38 verletzt worden waren.
Nach Auffassung der Bundesanwaltschaft hätte der libanesische Asylbewerber auch bei der Verwertung der abgehörten Gespräche freigesprochen werden müssen.
Sie beantragte am Mittwoch ebenso wie die Verteidigung Eids, die Revision zurückzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft und die Mehrheit der Nebenkläger hatten im Lübecker Prozeß Freispruch beantragt.
In Karlsruhe waren am Mittwoch für die Nebenkläger zwei Mitglieder der insgesamt zwölfköpfigen libanesischen Familie El-Omari erschienen.
Die Familie hatte bei dem Brand ihren 17jährigen Sohn verloren.
Sie stützen sich auf vier abgehörte Gespräche, die Safwan Eid im Januar und Februar 1996 in einem Besucherraum der Lübecker Haftanstalt mit Angehörigen geführt hatte.
Das Landgericht Lübeck hatte die auf richterlicher Anordnung beruhenden Abhörprotokolle nicht verwendet, weil die Maßnahme Grundrechte des noch als unschuldig geltenden Untersuchungshäftlings Eid verletzt habe.
Anwalt Clausen zitierte aus dem Abhörprotokoll, dessen Übersetzung strittig ist, Eids Äußerung: "Ich habe meine Fehler erkannt.
Ich weiß, was ich in dem Gebäude gemacht habe.
Gott ist verzeihend und gnädig."Sein Bruder habe gesagt: "Stell dich als Unschuldiger dar.
Es gibt keine Beweise."Zusammen mit dem umstrittenen Geständnis von Safwan Eid gegenüber einem Rettungssanitäter könnte sich daraus eine Verurteilung ergeben, sagte Clausen.
Dem Sanitäter soll Eid in der Brandnacht die Tat mit den Worten "Wir waren s" gestanden und anschließend den Hergang geschildert haben.
Eid sagte dagegen im Prozeß aus, er habe gesagt "Die waren s".
Damit habe er Neonazis gemeint.
Nach Auffassung der Bundesanwaltschaft genügen dagegen die Protokolle nicht als Beweis für Safwan Eids Schuld. Höre man die vollständigen Gespräche im Zusammenhang, dann seien die Aussagen unklar, sagte Bundesanwalt Gerhard Altvater.
Selbst Eids Hinweis auf eigene Fehler sei nicht aussagekräftig, weil er an anderer Stelle des Gesprächs seine Täterschaft leugne.
Es sei "ausgeschlossen, daß das Landgericht den Angeklagten auf der Grundlage derartig schwacher Beweise verurteilt", sagte Altvater.
Bei der Verwertung der Protokolle geht es auch um die Frage, ob der Besucherraum als Wohnung anzusehen ist, die grundrechtlich geschützt war.
Der große Lauschangriff war damals noch nicht zulässig.
Senatsvorsitzender Klaus Kutzer betonte, daß der BGH das Lübecker Urteil nur auf Rechtsfehler zu prüfen habe: "Hier geht es nicht darum, sachlich zu klären, was passiert ist."Die Anwältin Gabriele Heinecke, die Eid im Lübecker Prozeß vertreten hatte, wiederholte am Rande der Verhandlung ihre Angriffe auf die Lübecker Staatsanwaltschaft.
Diese habe die vier Mecklenburger trotz dringenden Tatverdachts laufenlassen.
Das umstrittene Geständnis des 20jährigen Maik Wotenow im "Spiegel" spielt vor dem BGH keine Rolle. (dpa, AFP)

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