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Datum: 16.09.1996, Berliner Zeitung
Ressort: Nachrichten
Autor: Bo Adam
Ein Sanitäter ist der Trumpf der Anklage
Der Libanese Safwan Eid soll den Brand in einem Asylbewerberheim gelegt haben

Ist es denkbar, daß ein psychisch normaler Jugendlicher das Haus mit Benzin anzündet, in dem auch seine gesamte vielköpfige Familie wohnt, mit der er harmonisch zusammenlebt? Ist es denkbar, daß sich derselbe Jugendliche nach dem Zündeln in das obere Stockwerk begibt, wo er bleibt, bis die auflodernden Flammen auch ihm selbst den Weg in die Freiheit versperren - weshalb er erst als letztes Opfer über eine Feuerwehrleiter vom Dach des brennenden Hauses gerettet wird? Mit diesen Fragen muß sich das Lübecker Landgericht ab heute befassen. Die Anklage meint: Ja, eine solche Tat ist möglich. Sie hält den Libanesen Safwan Eid für schuldig, am 18.Januar 1996 vorsätzlich, aus Rache nach einem Streit, den Brand in der Hafenstraße 52 von Lübeck gelegt zu haben. Damals starben zehn Menschen, vier von ihnen Kinder. Viele verletzten sich schwer, als sie aus den Fenstern sprangen, darunter Angehörige von Eid. Eckstein in der Theorie der Staatsanwälte ist die Aussage eines Sanitäters, der in der Brandnacht die Betroffenen betreute. Ihm gegenüber, so der Sanitäter, habe Safwan Eid den folgenschweren Satz gesagt: "Wir waren es."Überdies soll der junge Libanese erzählt haben, wie der Brand entstand: Nach einem Streit hätten "wir" Benzin gegen eine Tür geschüttet und angezündet. Das Benzin sei dann brennend die Treppe heruntergelaufen."Täterwissen" nennen die Staatsanwälte dies. Es ist bisher der Trumpf der Anklage. Unmittelbare Ohrenzeugen gibt es für das Gespräch nicht. Erhärtet werden die Aussagen jedoch zumindest indirekt durch andere Zeugen, denen der Sanitäter von dem Geständnis berichtete. Mit dem "Täterwissen", hält die Verteidigung dagegen, steht es aber nicht zum besten. Denn die angeblichen Bekenntnisse Eids passen einfach nicht zum Brandgutachten der Polizei. Von dem in der Anklage angenommenen Brandherd sind es zwölf Meter bis zur Treppe. Das brennende Benzin hätte dabei "bergauf" fließen müssen, denn der Treppenansatz in dem alten Haus liegt 13 Zentimeter höher als der hintere Flur. Einerseits sprechen die Ermittler von angewandten "Brandbeschleunigern" (Benzin), andererseits aber von einem möglichen, langsamen Schwelbrand.

Schließlich läßt sich der vom Sanitäter erwähnte "Streit", der den Brandanschlag ausgelöst haben soll, nicht rekonstruieren. Jede abfällige Bemerkung, die die Heimbewohner mal über ihre jeweiligen Nachbarn gesagt haben, wird in der Anklageschrift dokumentiert. Als Beweis für Spannungen zwischen den beiden Gruppen der Schwarzafrikaner und der Araber. Aber konkret fanden die Ermittler nichts Schlüssiges.

Statt dessen spekuliert die Anklageschrift, es könnte ein Eifersuchtsdrama um eine liberianische Frau im Heim gewesen sein. Das Problem dabei: Die Liberianerin, die sich beim Fenstersturz mit ihren beiden Kindern einen Knöchel schwer verletzte - die also allen Grund hätte, wütend zu sein -, erklärte bereits, Safwan Eid habe das Feuer nicht gelegt, der sei viel zu weichherzig. Auch die anderen Schwarzafrikaner lehnten es bis jetzt ab, den Libanesen zu belasten, trotz der angeblich großen Animositäten gegen die Araber. Wo aber könnte sonst ein Beweggrund für die Tat zu finden sein? Diese Frage stellte sich das Lübecker Gericht bereits, als es im Juli über die Haftverlängerung für den jetzt Angeklagten verhandelte. Die Richter ließen Safwan Eid damals erst einmal frei, da "ein plausibles Motiv" aus der Anklageschrift nicht ersichtlich wäre. Inzwischen schob die Anklage ein neues Motiv nach: Eid habe das Asylbewerberheim womöglich angezündet, damit die Familie in ein anderes Haus umziehen konnte. Bis weit in den Oktober hinein soll das Verfahren erst einmal geführt werden. Pessimisten rechnen mit einem Jahr Prozeßdauer.

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