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An das Langericht
Lübeck

18.11.96

In der Strafsache
gegen
Safwan Eid

wird zur Vernehmung der Zeugin und Nebenklägerin Assia El Omari folgende Erklärung der Verteidigung gemäß § 267 StPO abgegeben:

Auf die Angaben der Zeugin Assia El Omari können tatsächliche Feststellungen zum Nachteil unseres Mandanten nicht gestützt werden.

Ein Vergleich der von der Zeugin in der Hauptverhandlung gemachten Aussage mit den im Rahmen der polizeilichen Vernehmungen gemachten Angaben ergibt in zahlreichen Punkten gravierende Widersprüche und ein gegenüber dem bisherigen Vorbringen teilweise völlig neues Vorbringen.

Die sichtlich unter schwerem psychischen Druck stehende Zeugin hat in der Hauptverhandlung ein Bild vom Zusammenleben in dem Haus Hafenstraße 52 und von der Brandnacht gemalt, das sich mit ihren bisherigen Bekundungen nicht vereinbaren läßt;

Hat die Zeugin bisher angegeben, sie habe in der Brandnacht tief und fest geschlafen, will sie jetzt nur noch einen leichten Schlaf gehabt haben; ist bisher der Rauch eindeutig aus dem Treppenhaus in die Wohnung gezogen, soll er nun in Höhe der Dusche über dem heißen Boden hervorgekommen sein; hat sie damals einen Mann mit „gelben’ Haaren auf Höhe des hölzernen Vorbaus stehen sehen, rutscht dieser nun zu der zur Fa. Brüggen gelegenen Hausecke; hat die Zeugin am 23. Januar noch bekundet, daß Safwan Eid als letzter aus dem Haus verbracht wurde, will sie dies jetzt nicht mehr erinnern; hat sie damals noch von der Hilfsbereitschaft Safwan Eids berichtet, der für die El Omaris Angehörige benachrichtigte, wird jede Lippenbewegung am Telefon jetzt zu einem Mißtrauen erweckenden Akt; hat man sich nach Erinnerung der Zeugin im Januar 96 im Haus geholfen, will Frau El Omari dies gerade in Bezug auf die Familie Eid jetzt nicht mehr erinnern; hat die Zeugin noch im Januar angegeben, sie habe Safwan Eid im Bus aus den Augen verloren, behauptet sie jetzt, sie habe „alles beobachtet“, habe Safwan Eid die ganze Zeit gesehen und „die anderen auch“; hatte sie noch bei ihrer Aussage am 4.7.96 erklärt, Safwan Eid sei „wie wir alle“ mit Ruß verschmutzt, bekundet sle nun, ihre Tochter habe solche Spuren jedenfalls nicht im Gesicht und Safwan Eid den meisten Ruß im Gesicht gehabt, hat sie am 23. Januar nicht von Stimmen in der Brandnacht vor oder im Haus berichtet, bekundet sie am 18 4.1996 Schreie bzw. Laute vor dem Haus in der Hafenstraße gehört zu haben. In der Hauptverhandlung wird dies zum lauten Streit in afrikanischer Sprache in der unter ihr gelegenen Wohnung; hat für sie das kleine Fenster im Vorbau bisher nie eine Rolle gespielt, so ist es für sie jetzt von überragender Bedeutung, daß dieses Fenster in der Brandnacht zu war; hat sie noch am 4. Juli 1996 - als sie sich zwei Tage nach der Haftentlassung Safwan Eids zur Staatsanwaltschaft begab - angegeben, sie sei über diese Tatsache erschrocken, stellt sie dies in der Hauptverhandlung in Abrede und gibt statt dessen an, ihr Gewissen habe sie zu diesem Gang veranlaßt.

Die Erklärung für diese krassen Widersprüche läßt die seelische Not erahnen, in der sich die Zeugin befindet. Die Zeugin hat angegeben, nachdem sie ihren Sohn Rabia gesehen habe, habe sie sich erinnern müssen. Sie habe sich Mühe gegeben, sich zu erinnern und wenn alle lögen, müsse sie reden, daß die Wahrheit zutage trete. Die Zeugin scheint überzeugt, daß außer ihr niemand die Wahrheit sagt.

Die Zeugin El Omari ist schwer gezeichnet vom Schmerz um den Tod ihres Sohnes Rabia, der sich vermischt zu haben scheint mit dem Schmerz um den Verlust eines gefunden geglaubten Täters. Sie hat angegeben, sie gebe keinem Menschen mehr die Möglichkeit, Einfluß auf sie zu nehmen, sie sei mißtrauisch. Sie bricht selbst Freundschaften wie die zur Familie Alias ab, um sich die bedauernswerte Eindimensionalität ihres Denkens zu bewahren und nicht in Frage stellen zu lassen.

Es hat auch den Anschein, als habe sich die Zeugin der suggestiven Wirkung der Festnahme von Safwan Eid und der damit verbundenen Berichterstattung nicht entziehen können, die in der Folge bei der Zeugin augenscheinlich zu dem festen Glauben führte, mit der Festnahme von Safwan Eid habe man den Täter gefunden.

Die Verteidigung kann und will Frau El Omari keine Vorwürfe machen. Es drängt sich aber der Eindruck auf, daß die Zeugin aufgrund ihrer psychischen Befindlichkeit wegen des nachvollziehbaren Schmerzes um den Tod ihres Sohnes nicht mehr in der Lage ist, reale Wahrnehmungen von den in vielen Monaten der Trauer verzerrt entstandenen Bildern zu unterscheiden.

Heinecke Klawitter
Rechtsanwältin Rechtsanwältin