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Sun Dec 11 09:42:27 2005
 

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Zwischen Realitätsflucht und Paranoia

linke und kommunikation
Linkes Kommunikationsverhalten ist geprägt von Verschwörungstheorien oder grenzenlosem Leichtsinn. Fakten zu dem Thema sind schwer zu finden, da sich Ermittlungsbehörden diesbezüglich nicht gern in die Karten schauen lassen – wir probieren es trotzdem.

41.000 Telefonanschlüsse wurden 2004 bundesweit nachweislich von den Bullen kontinuierlich abgehört, andere Zahlen sprechen von 2,5 Millionen Menschen und 30 Millionen Telefonaten 1.

Das die Überwachung auch tatsächlich Sinn macht und deshalb Datenschutzbeauftragte nicht gern von den Kontrollinstanzen angehört werden, zeigt ein Gutachten des Max-Planck-Instituts von 2003, welches die Wirksamkeit der Telefonüberwachung analysiert hat. So betrage die Anklagequote 58 Prozent. Davon seien sogar in 94 Prozent der Fälle Verurteilungen ausgesprochen worden. Also sind die Ergebnisse durch Telefonüberwachungen juristisch höchst relevant 2.


Vorbeugender Lauschangriff
Im April 2005 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass eine Rundumüberwachung mit der ein Persönlichkeitsprofil konstruierbar ist, generell unzulässig ist. Mehrere Fahndungsmaßnahmen gleichzeitig wie z.B. der „Große Lauschangriff“ (Wanzen in der Wohnung, Telefonüberwachung, GPS-Sender im Auto) sind hingegen akzeptabel und müssten für alle verschiedenen Dienststellen gleichzeitig zugänglich gemacht werden 3. Der „Große Lauschangriff“ wurde seit seiner Einführung im Jahr 2000 allerdings erst 120 mal eingesetzt, da er technisch sehr aufwendig ist und die „normale“ Telekommunikationsüberwachung vergleichbar gute Ermittlungsergebnisse wie Standort des Handys, Internetanschluss- und Gesprächsüberwachung liefert 4. Im Juli 2005 erklärte das Bundesverfassungsgericht ebenfalls, dass die Praxis der „vorbeugenden Telefonüberwachung“ nicht rechtmäßig sei 5.

Ein Staatsrechtler meint dazu: „Das Grundgesetz lügt; und das Bundesverfassungsgericht hat nichts zu sagen. (...) Wir warten, um in Grundrechte einzugreifen, nicht auf einen Verdacht hin; es genügt der Vor-Verdacht; und wir greifen nicht nur auf den zu, der verdächtig ist, sondern auch auf den, der verdächtig werden könnte.“6. Also sind meist nicht nur die Personen von Telefonüberwachung betroffen, die irgendeiner Straftat verdächtigt werden sondern auch jene, die mit ihnen Kontakt haben. Dabei ist alles ist vom Ermessen der Ermittlungsbehörden abhängig.


Berliner Methoden ohne politische Kontrolle
2004 wurde im Unterausschusses Datenschutz und Informationsfreiheit im Berliner Abgeordnetenhaus der Antrag der FDP „Keine uferlose Telefonüberwachung“ abgelehnt, wobei selbst die Justiz Senatorin Schubert sich den sprunghaften Anstieg bei Telefonüberwachungen durch die Berliner Polizei nicht erklären konnte. Ein ähnlicher Antrag vom Fraktionsführer der Grünen Ratzmann, der polizeiliche Fahndung mittels „stummer SMS“ ohne richterlichen Beschluss für Berlin untersagen wollte wurde ebenfalls mit großer Mehrheit abgelehnt. Ferner waren sich alle Senatsmitglieder einig, dass es keine genauen Zahlen und Studien diesbezüglich gibt 7. Überwachungsmaßnahmen sind also Sache der Ermittlungsbehörden und unterliegen scheinbar keiner politischen Kontrolle.


Stumme SMS – Ortung ohne Richterlichen Beschluss
Handys wählen sich in kontinuierlichen Abständen beim Netz an, um zu zeigen wo sie grade sind und ob sie an sind. Diese Daten werden zum Gebrauch durch den Netzanbieter gesammelt und seit dem neuen Kommunikationsgesetz unterschiedlich lang (meist sechs Monate lang) gespeichert.

„Stumme-SMS“ sind Kurzmitteilungen, welche die angeschriebenen Geräte nicht als normale Text-Nachrichten registrieren und deren Empfang sie dem Nutzer nicht wie üblich im Display melden. So erzeugt die Polizei Verbindungsdaten beim Mobilfunkprovider, die dieser wiederum laut Gesetz unverzüglich zum Zwecke der Standortbestimmung auslesen und der Polizei zur Verfügung stellen muss, da es sein könnte, dass die überwachte Person Kontakt mit einem eventuellen Mittäter aufgenommen hat, um sich abzusprechen. Also ist es den Bullen durch diese technische Finesse jederzeit möglich den ungefähren Standort eines Handys zu ermitteln (genau auf etwa 200m), auch ohne einen richterlichen Beschluss für eine Telefonüberwachung.

Nach dem „Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG)“ können Polizeibeamte bei „Gefahr im Verzug“ auch ohne richterlichen Beschluss längerfristig observieren und technische Mittel zu Hilfe nehmen, wenn Straftaten von „erheblicher Bedeutung, die auf Grund ihrer Begehungsweise, ihrer Dauer oder Schwere geeignet sind, den Rechtsfrieden besonders zu stören“ in Vorbereitung oder Ausführung sind bzw. die Beamten davon ausgehen, dass dies der Fall ist (8). Diese Gummiklausel eröffnet der Polizei einen Beurteilungsspielraum, der bewusst so schwammig gehalten ist, um den langsamen Weg über ein Gericht umgehen zu können, und den Ermittlern freie Hand zu lassen. Doch selbst diese Gesetzeslage wird von den Beamten in der Praxis oft noch weiter ausgedehnt, wenn z.B. eine „Gefahr im Verzug“ konstruiert wird oder die Betroffenen sich aufgrund massiver Einschüchterungen nicht gegen ungesetzliches Vorgehen zur Wehr setzen können. Auch wenn ein Gericht, der Überwachung zustimmt, tut es dies rein formal aufgrund der Informationen der Bullen.

Grundsätzlich sollte mensch gegen jeden Eingriff in die Privatsphäre, egal welche gesetzliche Grundlagen bestehen (mittlerweile ändert sich das ja ständig) juristisch Einspruch erheben und die Rechtswidrigkeit von einem Gericht prüfen lassen. Das Geld in solche Verfahren ist gut angelegt, da sie der ganzen Linken nutzen können 9.


Big LKA is watching you?
Was haben die eigentlich für Mittel, schließlich können nicht 1000 LKAler rund um die Uhr 4 Millionen Leute in Berlin abhören? Auf jeden Fall nicht zeitgleich. Die Telefongesellschaften leiten die angeforderten Anschlüsse automatisch zu den Landeskriminalämtern um. Dort werden die Gespräche dann zentral gesammelt und mitgeschnitten und nur bei Bedarf oder bei bestimmten Schlüsselwörtern irgendwann ausgewertet. Die Größenordnung lässt sich nur vermuten: 2003 waren mehrere LKA Beamte und ein Dolmetscher wegen Bestechlichkeit usw. vor Gericht. Der Dolmetscher hatte dem LKA im Jahr 1998 knapp 70 neue Computer für die Auswertung von Telefonüberwachungen gesponsert und im Gegenzug Aufträge erhalten Telefongespräche zu übersetzen 10. Sieben Jahre später dürfte es sich um ein Vielfaches an Technik handeln. Die Datenmengen an sich sind also nicht das Problem. Wenn du also nicht sicher bist, ob die Bullen irgendwelche Überwachungsmaßnahmen gegen dich fahren, dann geh erst mal prinzipiell davon aus.


Praxis im politischen Milieu
Immer häufiger beschlagnahmen Bullen Handys, auch bei Lappalien, um Daten über die Szene zu sammeln und um euch in eurer Arbeit zu schwächen. Auch hier gilt wie sonst auch: Immer gegen alles Widerspruch einlegen und keine Deals wie z.B. „gib uns die PIN Nummer und du darfst deinen Anwalt anrufen“. Wenn ihr in eine Kontrolle oder in eine andere brenzlige Situation kommt schaltet sofort euer Telefon aus. Wenn klar ist, dass ihr festgenommen werdet, solltet ihr - falls ihr das für sinnvoll haltet - die SIM Karte unbrauchbar machen, da es in letzter Zeit keine Festnahme mehr ohne Beschlagnahme des Handys gab. So oder so müsst ihr euch nach der Festnahme ne neue Telefonnummer besorgen, da eure Nummer ab jetzt in sämtlichen Akten und Suchlisten beim LKA auftaucht, egal ob die Bullen die PIN geknackt haben oder nicht (merkt mensch übrigens daran, dass ihr ne neue PIN von ihnen bei der Rückgabe bekommt). Bevor es dazu komm ist es natürlich hilfreich Anruflisten, SMS usw. öfters aus dem Handy zu löschen.

Immer wieder gibt es Gerüchte über das mögliche Abhören von eingeschalteten Handys. Technisch und juristisch ist das für die Bullen ziemlich schwierig und wird sehr selten eingesetzt, da ein derartiger Eingriff in die Grundrechte einer guten Begründung bedarf. Der Standort des Handys ist, wie oben beschrieben, für die Cops einfach abzufragen und reicht ihnen als Indiz oft aus. Wer sich also nicht sicher ist und keinen Bock hat ein Risiko einzugehen, sollte öfters das Handy ausschalten und – zumindest bei neueren Handys – den Akku entfernen wenns mal interessant wird.


Computer- schnick- schnack
Cops nehmen immer öfter Computer bei Hausdurchsuchungen mit, auch wenn die Straftat nichts damit zu tun hat. Egal ob die PCs nun mit Passwort versehen sind oder alles offen rum liegt werden sie immer einen Grund finden diese mitzunehmen – verhandeln hat also keinen Sinn (meist fragen sie nach dem Passwort mit der Drohung sonst die Kiste mitzunehmen). Computer sind zwar nett und können ein wichtiges Arbeitsmittel sein, sie sind aber jederzeit ersetzbar und das Bedürfnis sie zu behalten darf nicht über dem Sicherheitsbedürfnis der Linken stehen. Also scheiß auf den Rechner. Wer weiß, dass der heimische Computer jederzeit beschlagnahmt werden kann, muss das in seiner alltäglichen Nutzung einplanen. Speichert eure wichtigen Daten, Uni-Kram, Arbeit, Bilder vom Geburtstag öfters mal auf CD und packt sie irgendwo sicher weg. Kümmert euch um die Sicherheit eurer Daten.br>
Wer Angst wegen Raubkopien von Videos, CDs, Programmen usw. hat: wenn sich Cops für so was interessieren haben sie nicht viel gegen dich in der Hand und diese Verfahren werden in den meisten Fällen eingestellt, da es trotz anders lautender Panikwerbung, gesellschaftlich akzeptiert ist und dementsprechend nur wenig geahndet wird.br>
Egal welchen Internetanbieter ihr benutzt, ob ihr nun DSL Kunden seid oder euch über ein Modem analog bei verschiedenen Providern einwählt: eure Nutzerdaten bzw. euer Anschluss sind dem Provider jederzeit bekannt, werden mindestens sechs Monate gespeichert und werden ohne euch zu benachrichtigen den Cops mitgeteilt. Die Identifizierung funktioniert über die sog. IP. Also können die Bullen jederzeit raus finden wann ihr auf welcher Webseite wart, E-Mails abgerufen habt usw. Andersherum, wenn die Bullen z.B. wissen wollen wer alles eine Webseite besucht, gehen sie den Weg über den Server, auf der die Seite gespeichert ist. Wenn dieser in Deutschland steht, müssen die Verbindungen auch min. sechs Monate gespeichert werden. Das einzige Mittel dagegen ist anonym im Internet zu surfen, auch wenn mensch erstmal nicht weiß wofür das noch gut sein kann 11.


Fazit - Klappe halten
Nichts ist sicher, und so wie es ist bleibt es nicht. Generell sollte es vermieden werden konkrete Angaben am Telefon, in unverschlüsselten e-mails usw. zu machen. Also keine Namen, keine Adressen, Kontodaten, Passwörter, Strukturen oder Aktionen unverschlüsselt über digitale Kommunikationswege senden oder auf dem heimischen Computer lagern. Eine undichte Stelle und das ganze macht keinen Sinn. Deshalb, lieber mal persönlich treffen, ist ja eh viel netter.br>
(1) Heute im Bundestag 06.04.2005
(2) http://www.iuscrim.mpg.de/verlag/online/Band_115.pdf
(3) Bundesverfassungsgericht 12.04.2005 - 2 BvR 581/01
(4) „Es gibt so etwas wie eine Digitalisierung unserer Grundrechte. Je mehr unserer Alltagsbeschäftigungen über Internet über Telekommunikation über Chipkarten oder ähnliches laufen, desto größer wird die Gefahr, dass eine Rundumüberwachung stattfindet.“ Tilo Weichert, Unabhängiges Datenschutzzentrum Schleswig-Holstein
(5) Budesverfassungsgericht 27.07.2005 - 1 BvR 668/04
(6) „Ein Grundrecht ohne Boden“ Süddeutsche Zeitung 16.03.2005
(7) Drs 15/1679 und Drs 15/1834 aus Wahlperiode 15
(8) www.datenschutz-berlin.de/infomat/asog/inhasog.htm
(9) Dabei helfen der Ermittlungsausschuss Berlin (030-69 22 222) oder die Rote Hilfe gern
(10) „Die ominöse Leihgabe von 70 Computern“ TAZ 01.07.2003
(11) www.anon.inf.tu-dresden.de oder www.linke-buecher.de/anleitung-zur-anonymitaet.htm



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