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Sun Dec 11 09:42:21 2005
 

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„Warum schmeißt du Steine, wenn du für den Frieden bist, du Vogel?“

soligruppe "sponti-demo"
Als Reaktion auf die brutalen Hausdurchsuchungen bei 15 Berliner AntifaschistInnen am 6. Juli 2005 wurde für den darauf folgenden Abend zu einer spontanen Soli-Demo mobilisiert, die die Polizeiübergriffe thematisieren sollte.


What‘s going on?
Gegen 22 Uhr sammelten sich einige linke Jugendliche um ihre Solidarität mit den betroffenen AntifaschistInnen zu bekunden. Die bereits am Versammlungsort anwesenden Polizeikräfte forderten eine Anmeldung der Demo, die aus verschiedenen Gründen nicht zustande kam. Daraufhin löste sich die Versammlung auf.

Später am Abend fand in Friedrichshain ebenfalls eine spontane Demonstration statt, die sich gegen Repression und Naziterror richtete. Als die Demo in die Boxhagener Straße einbog, war ein lautes Klirren zu vernehmen. Dieses rührte von einer eingeschlagenen Scheibe der Sparkassenfiliale in der Boxhagener Straße her.

Weniger als zwei Minuten später bog aus entgegen gesetzter Richtung ein relativ großes Polizeiaufgebot in die Boxhagener Straße ein. Ohne zu zögern wurden alle linksalternativ gekleideten Personen, die sich in der Straße befanden, festgesetzt und in einem Hauseingang nacheinander mit einer Videokamera abgefilmt. Eine Person wurde bei der Festnahme durch Tonfaschläge am Kopf verletzt und mit einer Platzwunde in ein Krankenhaus eingeliefert. Nach ca. dreistündiger Wartezeit im Regen wurden alle Betroffenen zum Staatsschutz in die Gefangenensammelstelle am Tempelhofer Damm gebracht und nacheinander verhört und erkennungsdienstlich behandelt. Wie sich aus späterer Akteneinsicht durch einen Anwalt herausstellte, ließen sich mehrere Personen beim Verhör so unter Druck setzen, dass sie sich selber und andere Betroffene durch teilweise falsche Aussagen belasteten. Die Beamten verweigerten allen AntifaschistInnen die Telefonate und benachrichtigten, entgegen ihrer Pflicht, nicht die Eltern der festgenommenen Minderjährigen. Ebenfalls beschlagnahmte die Polizei 16 von 18 Mobiltelefonen, mit der Begründung, sie würden als Beweismittel benötigt werden. Teilweise drängten die Beamten vor allem Jüngere dazu, ihre Handy-Pincodes anzugeben. Gegen 19 Uhr des Folgetages wurden die letzten Festgenommenen freigelassen.


Never trust the Polizeiticker and Springer-Press!
Beim studieren der Regenbogenpresse des folgenden Tages bekam Mensch den Eindruck, in Friedrichshain hätten am Abend zuvor bürgerkriegsähnliche Zustände geherrscht. Laut Berliner Zeitung lieferten sich 30 linksradikale Personen mit 50 Polizisten „Rangeleien“, die bis in den frühen Morgen andauerten.

In fast allen Presse-Artikeln wurden die 18 Festgenommen kollektiv für schuldig befunden, die Fenster der Sparkasse eingeworfen zu haben. So bildete beispielsweise der „Berliner Kurier“ das Bild eines festgenommen Punks ab mit der Überschrift: „Warum schmeißt du Steine, wenn du für den Frieden bist, du Vogel?“. Außerdem wurde in der B.Z. sein Gesicht nicht richtig unkenntlich gemacht und im Internet war das besagte Bild auch ohne Zensurbalken über den Augen zu sehen. Interessant war es auch zu sehen, dass Polizei und ein Fotograf der Springer-Presse genau zeitgleich eintrafen. Zufall?

Die B.Z. stellte auf jeden Fall unter Beweis, dass auch ihr Antisexismus sehr am Herzen liegt. So wurde beispielsweise ein weiterer am Boden gefesselter Punk zu einer „…jungen Punkerin“ zwangs-gegendert. Gut so! Smash Gender-Illusions! Der O-Ton der Unterstellungen durch die B.Z. las sich wie folgt: „Eine junge Punkerin liegt gefesselt am Boden. Sie hatte vorher mit Steinen geworfen“. Die Bild kommentierte ihre farbenfrohen Bilder wie folgt: „Der Irokesen-Punk [...] mit lila Haaren hat gerade einen dummen Fehler gemacht. Erst demonstrierte er gegen Gewalt. Dann schmeißt er Steine...“. Wenn derlei geballter Nonsens nicht so traurig währe, ließen sich die Presse-Artikel gut und gerne auch als Satire-Geschichte lesen.


And now? - Verhörsituation
Nach dem Aufenthalt in der Gefangenensammelstelle am Tempelhofer Damm kam für viele das böse Erwachen. Unter Polizeidruck hatten die meisten Betroffenen vollkommen widersprüchliche Aussagen gemacht, womit sie sich selber und andere Festgenommene augenscheinlich massiv belastet haben.


Was bleibt
Trotz des unmöglichen Endes der Spontan-Demo war es wichtig sich mit den durchsuchten und kriminalisierten AntifaschistInnen zu solidarisieren. Das Vorgehen der Polizei hat erneut deutlich gemacht, dass es einen gezielten Umgang ihrerseits mit Linken gibt, auf den die meisten jüngeren Festgenommenen nicht so recht vorbereitet waren. Besonders bei ihnen wandten sie ausgefeilte Verhörmethoden an, um von ihnen Namen, Strukturen und so weiter zu bekommen. Dabei machten sie sich gezielt die Ängste der Betroffenen um Ausbildung, Schule und Familie zu Nutze.

Hier besteht offensichtlich noch sehr viel Aufklärungsbedarf, da, obwohl die meisten den Satz: „Keine Aussage bei der Polizei“ mit Sicherheit schon mal gehört hatten, trotzdem 16 von 18 Personen eine Aussage gemacht haben. Denn jedeR sollte sich über die Folgen, die eineN erwarten, bewusst sein, wenn mensch an einer politischen Aktion teilnimmt.

Vielleicht ist es an der Zeit, neue Methoden zur Vermittlung von Rechten und Pflichten bei der Polizei, insbesondere die Aussageverweigerung und insbesondere bei Jugendlichen, zu entwickeln. Mehr Infos zur Aussageverweigerung findet Ihr in dieser Broschüre ab Seite 30. [bzw. im Netz hier]



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