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Wed Dec  4 17:37:56 1996
 

Medizinische Versorgung


Sanitäter auf Bahnsteig 3/4


Bei der seit über 20 Jahren öffentlich beschworenen Gefährlichkeit der RAF und dem auf jedem Fahndungsplakat zu findenden Hinweis: "Vorsicht! Täter macht rücksichtslos von der Schußwaffe Gebrauch", ist es völlig unverständlich, daß die eigene Gefahrenanalyse des BKA in Bad Kleinen ignoriert wurde: "Im Bahnhofsbereich Bad Kleinen war kein Notarzt vorgesehen."1 Auch in in der näheren Umgebung wurde trotz nicht auszuschließendem Schußwechsel kein Arzt in Bereitschaft gehalten. Anwesend war während des gesamten Einsatzes nur ein Rettungssanitäter der GSG 9.
Dieser Rettungssanitäter begann wenige Minuten nach Ende des Schußwechsels, den verletzten GSG 9-Beamten Newrzella medizinisch zu versorgen. Einige Zeit später traf der Notarztwagen des Krankenhauses Wismar ein. Die Besatzung bestand aus: einem Notarzt, einem Rettungssanitäter und einer Krankenschwester. Alle drei wurden angewiesen, sich um Newrzella zu kümmern, was sie auch taten. Sie fanden den Verletzten bereits mit einem Brustverband vor.
Als der Rettungssanitäter sich um Wolfgang Grams kümmern wollte, wurde er auf dem Weg zu den Gleisen von einer zivil gekleideten Person mit den Worten: Der da hat nichts, kümmert euch um den daran gehindert, worauf der Rettungssanitäter wieder zu Newrzella zurückkehrte.
Auch ein weiterer Notarzt und ein Rettungssanitäter, die wenig später mit einem Hubschrauber des Lufttransportgeschwader 63 ankamen, wurden wiederum zu Newrzella geschickt. Zu diesem Zeitpunkt kümmerten sich bereits fünf Personen des medizinischen Notarztpersonals um ihn, ein Tropf war bereits gelegt.
Beim Eintreffen der Notärztebesatzung des nächsten Rettungshubschraubers der BGS-Staffel lag Wolfgang Grams schon seit mindestens 25 Minuten schwerverletzt ohne jegliche medizinische Notversorgung auf den Gleisen, und das trotz der Anwesenheit von zwei Ärzten, einer Krankenschwester und drei Rettungssanitätern.
Das zuletzt eingetroffene Rettungs-Team war lediglich beauftragt worden, nach Bad Kleinen zu fliegen. Der Grund des Einsatzes war ihnen nicht bekannt. Auch die anderen Flugrettungsteams hatten nur äußerst knappe Vorinformationen bekommen: Entweder wurde ihnen erst nach mehreren Frequenzwechseln überhaupt der Zielort bekanntgegeben oder der Hubschrauberpilot war zwar informiert, aber die Ärzte erfuhren nichts über den Grund des Einsatzes. Erst nach dem Start wurde ihnen bekannt gegeben, daß Gegenstand des Einsatzes die Versorgung von Schußverletzungen bei mehreren Personen sei. Die Teams wurden bis zur Ankunft auf dem Bahnsteig nicht über die Schwere der Verletzungen informiert. Das Beatmungsgerät aus dem Hubschrauber brachten sie deshalb erst nicht mit auf den Bahnsteig. Ein von den Notärzten für Wolfgang Grams angefordertes Beatmungsgerät mußte später eigens noch geholt werden, wurde dann allerdings zuerst Newrzella zur Verfügung gestellt. 2

Zweifellos führte bei dem Polizeieinsatz in Bad Kleinen sowohl die offiziell angeordnete Nachrichtensperre als auch das Verhalten der Polizeibeamten vor Ort zur Behinderung der medizinischen Notversorgung des schwerletzten Wolfgang Grams. 25 Minuten lang wurde die medizinische Erstversorgung von Wolfgang Grams unterlassen.




  1. Zwischenbericht..., S. 115
  2. Die Rechtfertigung der Bundesregierung: "In der Öffentlichkeit ist der Vorwurf erhoben worden, bei dem Einsatz in Bad Kleinen sei die ärztliche Versorgung der verletzten und später verstorbenen Personen unzureichen gewesen. In diesem Zusammenhang wurde die Forderung erhoben, daß bei entsprechenden Einsätzen stets ein Notarzt anwesend sein solle.(...) Zur Verminderung des Risikos soll künftig bei Einsätzen, bei denen dies ohne Gefährdung des Einsatzzieles möglich ist, zusätzlich die Einbeziehung eines zivilen Rettungsdienstes, gegebenenfalls auch eines Notarztes angeordnet werden.(...) allerdings (wäre, d. V.) das Leben von Grams und PK Newrzella angesichts der Schwere der Verletzungen auch durch eine sofortige ärztliche Behandlung nicht zu retten gewesen." Abschlußbericht..., S.41