nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Wed Dec  4 17:37:43 1996
 

Vorwort

ID-Archiv im Internationalen Institut für Sozialgeschichte/Amsterdam



Die Ereignisse um Bad Kleinen und der Tod von Wolfgang Grams am 27. Juni 1993 können sicherlich als einer der größten Polizei- und Geheimdienstskandale in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet werden.

Über ein Jahr danach erscheint nun dieses Buch. Nach wie vor ist dem Recht der Öffentlichkeit auf lückenlose Aufklärung des Todes von Wolfgang Grams nicht Genüge getan. Weder von staatlicher noch von unabhängiger Seite wurde dies geleistet. Das vorliegende Buch soll zur Aufklärung beitragen und stellt unter den gegebenen Umständen gleichzeitig Gegenöffentlichkeit her. Zwar haben sich in der Zeit unmittelbar nach den Ereignissen breite Teile der Medien um Aufklärung bemüht, sei es aufgrund journalistischer Sorgfaltspflicht oder Sensationsgier - nachdem staatlicherseits die Sache aber als aufgeklärt und erledigt dargestellt wurde, blieb von der kritischen Öffentlichkeit nicht mehr viel übrig. Der Ausspruch des Schweriner Oberstaatsanwalts Schwarz bei der Pressekonferenz zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen zwei GSG-9-Beamte im Januar 1994 wurde wörtlich genommen: »Es ist wirklich nichts mehr drin in der Sache - glauben Sie¹s oder glauben Sie¹s nicht.«
Der Abschlußbericht der Bundesregierung behauptet, daß Wolfgang Grams Selbstmord begangen habe. Bei näherer Betrachtung wird aber lediglich das Interesse deutlich, die Angelegenheit für erledigt zu erklären, das vorliegende Buch macht jedoch deutlich, daß entgegen der offiziellen Version im Abschlußbericht nicht von Selbstmord ausgegangen werden kann.

Die dokumentierten Fakten und Widersprüche erfordern zwingend Konsequenzen. Zunächst muß als unmittelbare juristische Konsequenz die Wiederaufnahme der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Schwerin aufgrund der Beschwerde der Anwälte der Eltern von Wolfgang Grams erfolgen. Des weiteren ist der Haftbefehl gegen Birgit Hogefeld wegen Mordes und sechsfachen Mordversuchs in Bad Kleinen aufzuheben und das Verfahren einzustellen.
Der offensichtlich politische Hintergrund dieses Verfahrens, die ungenügende Unterrichtung der zuständigen Parlamentsgremien nach Bad Kleinen und schließlich die Rücktritte und Versetzungen von Politikern und Beamten machen deutlich, daß auch politische Konsequenzen gezogen werden müssen. Die GSG 9 und alle entsprechenden polizeilichen Sondereinheiten sind aufzulösen. Für die politisch Verantwortlichen müssen die Ereignisse in und nach Bad Kleinen politische und juristische Konsequenzen haben.
Darüber hinaus muß das in diesem Zusammenhang deutlich gewordene staatliche Verhalten auch Folgen haben bezüglich anderer Polizeieinsätze mit Todesfolge und anderer »Selbstmorde«. Auch die Vorgänge in Stammheim und Stadelheim 1976 und 1977 sind bis heute nicht lückenlos aufgeklärt.

Wir hoffen, daß das vorliegende Buch in diesem Sinne etwas bewirken kann.


September 1994