nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Sun Jun 10 18:51:08 2001
 

Inhaltsverzeichnis Inhalt Robert Kurz: Mit Volldampf in den Aufwärts

Voherige Seite 1. Rationalisierung 3. Tertiarisierung Nächste Seite

2. Globalisierung

Dieses Stichwort steht für die Globalisierung der Märkte und die Herstellung eines unmittelbaren Weltkapitals. Diese Entwicklung ist ebenfalls neu, sie beruht auf den neuen Produktivkräften der Mikroelektronik, welche es ermöglichen, sich per Satellitenkommunikation und neuen Steuerungs- und Kommunikationspotentialen weltweit die Märkte zu suchen. Das sind nicht nur Märkte im Sinne bisheriger Außenbeziehungen, von Import-Export zwischen den in sich kohärenten Nationalökonomien. Diese neuen Potentiale ermöglichen es, den kapitalistischen Produktionsprozeß quer zu den bisherigen Nationalökonomien verlaufen zu lassen; die bisherige nationalökonomische Kohärenz wird aufgesprengt. Ich möchte das anhand eines einfachen kleinen Beispiels erläutern, welches man für die zentralen industriellen und Dienstleistungssektoren hochrechnen kann. Ein Schriftsteller aus Ost-Berlin hat mir von einer kleinen Kultur- oder Theaterzeitschrift erzählt, welche von der Treuhandanstalt wie üblich abgewickelt werden sollte, weil sie, mit einem AbonnentInnenstamm von ein paar tausend Leuten, nicht rentabel zu sein schien. Nun fand sich ein englischer Verleger dafür, und zwar für denselben AbonnentInnenstamm. Sein Rentabilitätsrezept sah folgendermaßen aus: Er ließ die Zeitschrift in Singapur drucken und über die Karibik ausliefern, weil dort die Postgebühren so billig sind. Das heißt, es ist nach wie vor eine deutsche Kulturzeitschrift für einen kleinen ostdeutschen AbonnentInnenstamm, wird aber von einem englischen Verleger in Singapur gedruckt und über die Karibik ausgeliefert, und das lohnt sich auch noch.

Jetzt kann man sich vorstellen, wie sich das erst bei den Automobil- und den Elektronikteilezulieferern usw. lohnt. Und genau das findet statt. In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren hat sich der Welthandel stärker ausgedehnt, als die Produktion angestiegen ist. Ein auf den ersten Bick verblüffendes Phänomen, das sich genau durch diese Globalisierung erklären läßt. Denn sehr vieles, was rein formal als Export und Import irgendwelcher Nationen erscheint, ist in Wirklichkeit längst Teil einer internationalen Arbeitsteilung in der Produktion selber. Das bedeutet, daß diese internationalisierte Produktion über den nationalökonomischen Rahmen hinauswächst. Das zeigt sich auch auf dem Sektor der Finanzmärkte, die Nationalbanken haben schon längst keine Kontrolle über ihr eigenes Geld mehr, welches in bankmäßig exterritorialen Zonen der Welt herumvagabundiert. So werden zum Beispiel D-Mark-, Dollar-, Franken-, Yen-Kredite vergeben, die überhaupt nicht unter Kontrolle der jeweiligen Notenbanken stehen, also Geldschöpfungsprozesse außerhalb der bisherigen Kontrollmechanismen darstellen. Das läßt sich auch noch weiter illustrieren: Ende 1994 hat zum Beispiel das Paradeunternehmen der deutschen Geldinstitute, die Deutsche Bank, ihren Investmentbankingsektor ostentativ nach London verlegt. Es gab ein großes Geschrei, sogar die Deutsche Bundesbank hat von einer illoyalen Haltung gesprochen. Hier stellt sich die Frage, worauf sich dieser Loyalitätsbegriff eigentlich bezieht, er bezieht sich wohl oder übel auf die alte Nationalökonomie.

Der Teil der Linken, der immer noch in alten Imperialismuskategorien denkt und davon ausgeht, daß hier noch eine nationale Kohärenz besteht, daß das Weltmarktmanagement, die politische Klasse oder jedenfalls die Führungsmannschaften noch eine gemeinsame Strategie hätten à la Erster Weltkrieg, ist auf dem Holzweg. Das ist ein Anachronismus geworden, jedoch auf eine ungute Weise: Der kapitalistische Prozeß selber wächst blind über die nationalökonomischen Grenzen hinaus. So verschärft sich mit der Internationalisierung der Arbeitsmärkte die Krise der Arbeitsgesellschaft. Die Internationalisierung ist aber nur dem Kapital möglich: Das kann dorthin gehen, wo die Arbeitskraft am billigsten ist, und kann seine Zelte auch sehr schnell wieder abbrechen - wie es zum Beispiel bei der deutschen Textilindustrie der Fall ist. Die produktiven Arbeitsplätze wurden alle nach Südostasien oder nach Südeuropa ausgelagert, und jetzt hat man die Rationalisierungsstufe erreicht, bei der es sich lohnt, die Produktion wieder zurückzuverlagern. Jetzt kommen aber nicht die Arbeitsplätze zurück, sondern die inzwischen hochautomatisierte Produktion.

Diese Prozesse gehen ständig weiter, es gibt hier keine Sicherheit mehr. Das Management versucht, mittels »global outsourcing« alles dorthin zu verlagern, wo es von den Märkten, den Krediten, der Arbeitskraft, den Steuern und was es alles an Rentabilitätsgesichtspunkten noch gibt, wo es in der Welt am günstigsten ist. So wird die nationalökonomische Loyalität, auch gegenüber den sozialen Prozessen, aufgekündigt.

Es gibt Leute, die versuchen das mit dem Begriff der Einebnung zu erklären, welche die bisherige nationalökonomische Aufteilung in reiche und arme Länder aufhebt. Die Erste, Zweite und Dritte Welt existieren zwar noch als eine Art Schattenriß, im großen und ganzen wird diese Aufteilung aber allmählich eingeebnet, die Erste und die Dritte Welt schließlich ist überall. In Gelsenkirchen liegt die Dritte Welt gleich neben der Ersten Welt, Bulgarien und Indien verfügen über konkurrenzfähige Softwareproduzenten, Brasilien exportiert erfolgreich Düsenjäger und chemische Produkte - ganz zu schweigen von Südostasien -, gleich nebenan jedoch fängt der Slum an. Also eine Welt nach dem Prinzip der »Selbstähnlichkeit«, wie man es schon fast ironisch mit dem Prinzip der Chaostheorie definieren könnte. Die Mikrostrukturen entsprechen der Makrostruktur, es gibt in jeder Stadt, jedem Stadtteil, jedem Land, bald in jeder Weltregion sogenannte Produktivitätsinseln, die immer noch für den Weltmarkt produzieren können, und daneben die Verslumung. Das ist natürlich eine Momentaufnahme, der Krisenprozeß geht auch dann noch weiter.



Voherige Seite 1. Rationalisierung 3. Tertiarisierung Nächste Seite

Inhaltsverzeichnis Inhalt Robert Kurz: Mit Volldampf in den Aufwärts

Kontakt: nadir@mail.nadir.org