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Die Krise und die Globalisierung der Wirtschaft

Wenn von der Krise die Rede ist, dann denken die Leute meist nur an eine temporär begrenzte ökonomische Flaute in den Industrieländern des Nordens. Es ist nicht in ihrem Bewußtsein, daß die kapitalistische Wirtschaft seit ihren Anfängen dauernd irgendwelche Gebiete der Welt in solche Krisen stürzte, daß die Krise und die damit verbundenen Prozesse der Verarmung den »Untergrund« des kapitalistischen Akkumulationsmodells darstellen.

Unser System benötigt dauernd Kolonien, um zu funktionieren: die fremden Völker, die Frauen und die Natur - das, was nicht offiziell zur Wirtschaft zählt, bildet den »Untergrund« des gesellschaftlichen Systems, in dem Gewalt und nicht ein Vertragsverhältnis herrscht.

Die Krisen sind lediglich exportiert und externalisiert worden, und zwar in die Kolonien. Diese gehören genauso zum Kapitalismus wie die Lohnarbeit in den reichen Zentren, in denen akkumuliert wird. Das bedeutet auch, daß dieses Wirtschaftssystem, das heute beschönigend Marktwirtschaft genannt wird, immer schon ein Weltsystem war und ist.5.6 Ohne die Ausbeutung der Kolonien wäre der Kapitalismus nicht entstanden und hätte sich nicht erhalten. Daran hat auch die sogenannte Entkolonisierung, die Erreichung der politischen Unabhängigkeit der meisten Länder des Südens, nichts geändert. Unsere These ist, daß dieses Wirtschaftssystem nicht ohne fortgesetzte ursprüngliche Akkumulation existieren könnte, d.h. praktisch nicht ohne Kolonien, interne und externe, wo nicht vor allem die freie Lohnarbeit ausgebeutet wird, sondern die Nicht-Lohnarbeit, und wo nicht nur Vertrags- sondern auch Gewaltverhältnisse den Mehrwert erpressen, abgesehen von den billigen Rohstoffen, die diesen Ländern häufig geraubt werden. Diese Gebiete befinden sich also schon seit langem in einem Zustand der Krise.

Dennoch: Wenn wir jetzt von der Krise im Zusammenhang mit der Globalisierung der Wirtschaft reden, dann ist damit eine weitere Phase in diesem historischen Prozeß der Kapitalakkumulation gemeint, nämlich die Verlagerung ganzer arbeitsintensiver Produktionsbereiche wie z.B. die Herstellung von Textilien und Kleidung, Elektronik, Spielwaren, Schuhe u.a. in Billiglohnländer des Südens, vor allem nach Südostasien und nach Mexiko. Dort wurden sogenannte freie Produktionszonen oder Weltmarktfabriken errichtet, in welchen meist junge, unverheiratete Frauen oft unter Zwangsverhältnissen Waren für den Weltmarkt herstellen. Diese Phase begann Anfang der siebziger Jahre und wurde auch als Neue Internationale Arbeitsteilung (NIAT) bezeichnet.5.7

Diese NIAT war eine Strategie der Multinationalen Konzerne (MNKs) zur Senkung der Lohnkosten und der Bekämpfung der Krise in der Wirtschaft, die teils durch den Ölschock, teils durch hohe Lohnforderungen der Gewerkschaften verursacht wurde.

Die Lösung war eine Restrukturierung der Weltwirtschaft durch die Schaffung von exportorientierten Industrieenklaven in den Billiglohnländern, in denen westliche und japanische Firmen produzieren und die Löhne um ein Vielfaches niedriger waren als in den Industrieländern. Das Kapital entdeckte die Frauen in Südkorea, auf den Philippinen, in Mexiko, Tunesien - später in Sri Lanka, Bangladesh, Indien und Malaysia als optimale Arbeitskräfte. Vor allem junge, unverheiratete Frauen wurden rekrutiert. Bis zu 80 Prozent der Arbeitskräfte in diesen Weltmarktfabriken waren und sind Frauen. Sie brachten alle Hausfrauenfähigkeiten mit, die für die Textil- und Elektronikindustrie gebraucht wurden, waren »docile« (gefügig), hatten »nimble fingers« (geschickte Finger)5.8 und konnten gefeuert werden, wenn sie heirateten. Sie sahen als Hausfrauen ihre Lohnarbeit nur als eine temporäre an. Außerdem verlangen die MNKs von den Regierungen dieser Länder bestimmte Konzessionen wie die Lockerung von Arbeitsgesetzen, in vielen Fällen das Verbot von Gewerkschaften, Steuererlaß bis zu 15 Jahren, eine Lockerung der Umweltauflagen, kostenlose Lieferung der nötigen Infrastruktur, Verbot von Streiks usw.

Das war das Erfolgsrezept solcher Länder wie beispielsweise Südkorea. Heute hat sich dieses Produktionsmodell auf den ganzen Raum der eingangs aufgeführten Billiglohnländer ausgedehnt.

Die Konzerne waren vor allem an einer Senkung ihrer Lohnkosten interessiert. 1987 waren die durchschnittlichen Lohnkosten pro Stunde im herstellenden Gewerbe in verschiedenen Ländern wie folgt:5.9

Mexiko
$0,97

Brasilien
$1,10

Südkorea
$1,43

Japan
$9,92

Schweden
$10,57

USA
$10,82

Deutschland
$13,16



Die deutschen Arbeiter waren bisher die teuersten der Welt. Das hat sich auch bis heute nicht geändert. Nach einer Studie von Woodall waren 1994 die durchschnittlichen Lohnkosten pro Stunde in:5.10

Deutschland
$ 25,00

USA
$ 16,00

Polen
$ 1,40

Mexiko
$ 2,40

Indien
$ 0,50

China
$ 0,50

Indonesien
$ 0,50



Kein Wunder, daß Minister Rexrodt einen Billiglohnsektor nach dem Muster der »Dritten Welt« in Deutschland errichten will.

Die Integration der Drittweltländer in den Weltmarkt beschränkte sich jedoch in dieser Phase der Restrukturierung nicht nur auf die Industrie, sondern erfaßte auch die Landwirtschaft. Es war die Hochkonjunktur der »Grünen Revolution«, die vor allem durch die Chemie-, Saatgut- und Lebensmittelmultis gefördert wurde.

Millionen von Menschen wurden von ihrem Land vertrieben, der Boden ausgelaugt und versalzen, die Wasservorräte aufgebraucht und die Artenvielfalt vernichtet. Viele Kleinbauern verloren ihre Existenzgrundlage und fanden auch keine Arbeit in den Städten. Die »Grüne Revolution«, die mit der Versprechung propagiert wurde, den Hunger zu beseitigen, entpuppte sich als permanente Krise, als Gewalt gegen die Natur und die Menschen.5.11

Den verarmten und verelendeten Menschen, die in die Städte flohen, blieb nichts als die Arbeit im informellen Sektor, in dem wiederum vor allem Frauen, in Heimarbeit oder sogenannten Sweatshops, für einen Hungerlohn Waren für den internationalen Markt herstellten: Handarbeiten, Krimskrams, Lebensmittelkonserven, Kleidung. Viele Frauen waren gezwungen, sich zu prostituieren, um zu überleben.5.12

Für die meisten Länder der »Dritten Welt«, die sich auf die Strategie der exportorientierten und kreditgesteuerten Industrialisierung/Modernisierung eingelassen hatten, endete dies mit einer Dauerkrise, mit Verschuldung und dem Diktat des Internationalen Währungsfonds (IWF) und seinen Strukturanpassungsprogrammen.



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