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Die Robert-Lembke-Sparschweinfrage

Wer weiß, vielleicht fing ja alles schon 1971 an, als Ulrike Meinhof als Voraussetzung revolutionärer Praxis »politische Identität« einklagte, und zwar als »permanente Integration von individuellem Charakter und politischer Motivation«. Bekanntlich wollte man damals das »Konzept Stadtguerilla« in der Praxis auf seine Tauglichkeit hin überprüfen. Nachdem alle RAF-Mitglieder der ersten Stunde hinter Gittern saßen, hätte die Einsicht nahegelegen, daß die »permanente Integration von individuellem Charakter und politischer Motivation« nicht ausreicht, um den Sturz der Verhältnisse zu bewerkstelligen. Aber wie es eben mit der Identität so ist, man mochte nicht von ihr lassen, weswegen der bewaffnete Kampf weitergeführt wurde.

Immer häufiger geisterte im Jargon der RAF die »politische Identität« herum, und in den Kampagnen zu den Haftbedingungen der Gefangenen wurde sie zum tragenden Leitmotiv. In diesen Kampagnen wurde die »Zerstörung der politischen Identität« der Gefangenen angeprangert und daraus ein Argument für ihren Sonderstatus als »Kombattanten« gemäß der Genfer Kriegskonvention gebastelt. Weil aber niemand im Ernst davon ausgehen konnte, daß die BRD freiwillig eingestehen würde, der Unrechtsstaat zu sein, für den die RAF ihn hielt, kam hinter der Anklage etwas ganz anderes zum Vorschein: die Forderung nach Erhalt der »politischen Identität«. Man verlangte also vom Staat, daß er sich zum Sozialarbeiter wandle und die Bemühungen der RAF, ihn abzuschaffen, honoriere, d.h. man trat an die Gefängnisverwaltung mit dem Ansinnen heran, im Anstaltsvollzug doch bitte die Voraussetzungen revolutionärer Praxis zu erfüllen und den Gefangenen freie Persönlichkeitsentfaltung zuzugestehen. Dieses Mißverständnis führte schließlich dazu, daß aus dem beabsichtigten Umsturz der Verhältnisse ein Kampf um politische Identität wurde, der so erbittert geführt wurde, weil Identität als Selbstverwirklichung bekanntlich keine Konzessionen zuläßt und jedes Zugeständnis bereits als Verrat an der Sache gedeutet wurde. Kein Wunder also, daß der bewaffnete Kampf länger dauerte als etwa das Dritte Reich.

Aber auch die sich undogmatisch nennende Linke in Frankfurt sorgte sich um ihre einzige und unverwechselbare Identität. Damals gab es noch die normale, d.h. die deformierte und fremdbestimmte Identität, weshalb es die eigene erst noch zu finden oder, wie man damals auch gerne sagte, zu erfinden galt. Mitte der siebziger Jahre grübelte der damalige Spontichef Cohn-Bendit ausführlich darüber nach, wer oder was er eigentlich sei: »Unsere Identität ist das Ergebnis vielfältiger Erfahrungen, ganz besonders aber der Lebensumstände unserer Kindheit. In der Zelle der Familie sind keimhaft alle sozialen Ungerechtigkeiten bereits vorhanden, außerdem wird die Bildung unserer Identität durch viele äußere Einflüsse mitbestimmt: die Gesellschaft zwingt mir eine männliche Rolle auf - ich bin ein Junge, später ein Mann [da hilft nur Geschlechtsumwandlung, A.d.V.] -, die Rolle des deutschen Juden, die eines mehr oder weniger hübschen Rotschopfes. Solchen Bedingungen kann ich mich nicht entziehen, sie beeinflussen ständig meine Beziehungen zu anderen Menschen. Um meinen Platz im gesellschaftlichen Leben zu bestimmen, muß ich lernen, meine Identität zu entziffern, denn die widersprüchlichen Erscheinungen der modernen Gesellschaft haben sich in der Widersprüchlichkeit vieler Züge meiner Persönlichkeitsstruktur niedergeschlagen« (Der große Basar).

Die Identität war also vom Kapitalismus ganz schön bedroht und wurde auch noch verfälscht, weshalb es die Pflicht des Revolutionärs war, seine »Wer bin ich«-Probleme auf den Wohngemeinschaftstisch zu legen und um die Authentizität seiner Identität zu ringen, aber niemand fand das damals komisch.

Hingegen schien es jeder normal zu finden, daß man sich das Ding aus dem »großen Bazar«, also aus einem Selbstbedienungsladen im Baukastenset, holen wollte. Heute, wo man weiß, was aus der linksradikalen Geschichte geworden ist, liest sich das autobiographische Brüten Cohn-Bendits wie ein zwar verquastes aber freimütiges Bekenntnis, wie eine Bestätigung dessen, was die Linke schon immer wollte, einen »Platz im gesellschaftlichen Leben«, auch bekannt unter dem späteren Motto »Wie schaffe ich mir meinen eigenen Arbeitsplatz«.

Wie jede Therapie, die zum Ziel hat, dem Patienten bestimmte unerwünschte Verhaltensweisen und Vorstellungen abzugewöhnen, lassen sich auch die oppositionellen Bestrebungen der Linken als großangelegte selbsttherapeutische Maßnahmen begreifen.

Während aber in der Inkubationszeit unter Identität Charakter, mitunter auch Charakterlosigkeit, oder selbstquälerische Ungewißheit verstanden werden konnte, diente Identität in der Folgezeit zur Therapierung der Sinnkrise des linksliberalen Mittelstandes. Anfang der achtziger Jahre machte die Friedensbewegung aus der Identität als individuelles Problem eine Angelegenheit von nationaler Bedeutung und übersetzte Robert Lembkes Sparschweinfrage in die Bedrohung des deutschen Kollektivs. Die von den atomaren Supermächten ausgehende fiktive Gefahr reichte aus, um aus ratlosen Individuen einen neuen Volksgemeinschaftsverband zusammenzuschweißen.

Wahn und patriotische Gesinnung

Die Medien waren begeistert und die Öffentlichkeit schwer beeindruckt. In der Ornamentalisierung der Massen, wie sie die Friedensbewegung zustande gebracht hatte, kam ein neues patriotisches Wir-Gefühl zum Ausdruck, an das sich anknüpfen ließ, wenn später auch die Regierung mal der Ansicht sein würde, Nation und Vaterland wären bedroht und müßten verteidigt werden. Damals aber stand die Regierung unter schwerem Beschuß. Theologieprofessor Gollwitzer warf ihr vor, »die Interessen unseres Volkes« verraten zu haben, weil sie den Nachrüstungsbeschluß gebilligt hatte. »Kein Deutscher«, schrieb Gollwitzer im Sommer 1981 dem Spiegel, »kann diese bedingungslose Unterwerfung der Interessen unseres Volkes unter fremde Interessen, diese Auslieferung der Verfügung über die Existenz unseres Volkes an eine fremde Regierung hinnehmen.« Die Deutschen, unser Volk, Spielball fremder Mächte, der Ausverkauf staatlicher Souveränität, die Selbstkolonialisierung unseres Staates, das waren die Stichworte, die nationalistische Rhetorik, mit der die Führer der Friedensbewegung die Vernichtungsängste ihrer Anhänger befeuerten und die daran erinnerte, daß die Friedensbewegung in der Tradition patriotischer Bewegungen steht und daß sie sich auch für einen Krieg begeistern kann, wenn das nationale Interesse es verlangt.

Ein guter Freund von Gollwitzer, Rudi Dutschke, hatte sich schon 1977/78 überlegt, wie »Die Deutschen und der Sozialismus« zusammenpassen könnten, und konstatierte in der »nationalen« bzw. der »deutschen Frage« eine allseitige »Vernebelung«. »Ohne Annäherung der beiden deutschen Staaten«, so schrieb der frühe Wiedervereinigungstheoretiker, »wird die Zurückgewinnung der Identität und Geschichte schier unmöglich werden«. Die »kapitalistische Amerikanisierung« hatte schon vorher dafür gesorgt, daß der »Auflösungsprozeß der geschichtlichen und nationalen Identität bruchlos vor sich« gegangen war. Diese in der linken Debatte virulent gewordene nationale Identität als Frage der Souveränität des deutschen Staates stieß auf heftiges Liebeswerben bei den Rechten, wie z.B. bei Henning Eichberg, dem besonders der Antiamerikanismus und die Souveränitätsforderung Dutschkes gefiel, weshalb er mit ihm diese Probleme gemeinsam erforschte.

Zum gern gesehenen Gastautor bei linken Zeitschriften wurde Eichberg mit Erkenntnissen wie der, daß das Jahr 1945 nichts anderes als »die Fremdherrschaft gebracht« habe. »Nationale Identität gegen Entfremdung« hieß der neue Konsens, auf dem Linke und Rechte zusammenfanden. »Die Linke und die nationale Frage« lautete 1981 der Titel einer Publikation von Peter Brandt und Herbert Ammon, die sich um »die Bewahrung der kulturellen Einheit der Nation« bemühten und bei der »kulturellen Identität der Deutschen« glänzende Augen bekamen. Mit der Wiedervereinigung und der wiedererlangten Souveränität, so spekulierten die Autoren im Gleichklang mit einer Grünen-Initiative »Linke Deutschlanddiskussion«, würde schließlich auch die Ausländerfeindlichkeit gebannt. Dummerweise kriegte von diesem Argument niemand was mit, denn als es soweit war, scherte sich keiner um den frommen Wunsch, der sowieso nur dazu da war, um den Wiedervereinigungsgedanken schmackhaft zu machen. Aber schon damals und ohne die neun Jahre später erfolgte geschichtliche Widerlegung bemühen zu müssen, war das Argument ausgesprochen blödsinnig, aber nicht blödsinnig genug, um nicht bis in die Gegenwart Nachahmer zu finden, die wie Alfred Mechtersheimer wahrscheinlich noch im Rentenalter verbissen nach den Identitäten in der »Friedensmacht Deutschland« fahnden und die Nation für ein »Grundbedürfnis« halten, so wie Wasser und Brot, was nicht umsonst darauf hindeutet, daß sich Nation nur unter Androhung von Strafe genießen läßt und daß es sich bei ihr um sowas ähnliches wie Knast oder Gefangenenlager handeln muß, womit Mechtersheimer wiederum gar nicht so unrecht hätte.

In dieser Schar nationaler Denker und Grübler fehlte 1981 natürlich einer mit Sicherheit nicht: Martin Walser. Mit obsessiver Zermürbungstaktik quälte er seine Leser mit seinem gescheiterten »Identifikationsprozeß« und seinen »Zugehörigkeitsempfindungen« gegenüber dem geteilten Deutschland. Walser konnte sich zwischen DDR und BRD nicht so recht entscheiden, dabei wollte er doch nur »mein Deutschsein auch ein bißchen positiv werden lassen«. Bitte schön, könnte man sagen, und seine national angehauchten Tagträumereien als individuelle Marotte abtun. Diese individuelle Marotte hatte jedoch Methode. Der ehemalige Frankfurter Sponti und Theoretiker der Zeitschrift Autonomie Thomas Schmid tat zur gleichen Zeit trotzig kund: »aber ich will auch mein Deutschsein nicht länger vergessen, überspielen ... Ich bin diesem Deutschland nicht nur verhaftet, ich liebe es auch. Und ich will hier eine Linke, die ... deutsch ist.« Bundespräsident Heinemann erwiderte noch auf die Frage »Lieben Sie Deutschland?«: »Ich liebe meine Frau« und bewies damit, daß Common sense als schlichte Vernunft und politische Zurechnungsfähigkeit kein Privileg der Linken mehr ist. Denn auch Iring Fetscher kommentiert Schmids Liebeserklärung an das Vaterland als »ein legitimes Bedürfnis nach ''nationaler Identität''. Wenn dieses Bedürfnis nicht befriedigt wird, kann es, wie jeder verdrängte Wunsch, zu irrationaler Gewalt anwachsen und Schaden stiften ... Vor allem darf die Suche nach der nationalen Identität nicht den Nationalisten der äußersten Rechten überlassen bleiben.« Diese nationalen Sirenenklänge ertönten in dem von Habermas herausgegebenen Stichworte zur »Geistigen Situation der Zeit«, aus dem sich über alle politischen Fraktionen hinweg ganze Generationen von Schriftstellern und Intellektuellen bedienen konnten, wenn ihnen vaterländisch zumute wurde.



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