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Die kulturelle Propagandaschlacht in Sarajevo

Im April '93 besuchte André Glucksmann für 24 Stunden Sarajevo und hielt dort eine Pressekonferenz ab. Der Jet-Set-Philosoph erklärte dem anwesenden Publikum, daß »Kriege im Fernsehen gewonnen oder verloren werden«, womit er vermutlich zu verstehen geben wollte, daß es keinen besseren als ihn gebe, um diesen Krieg zu gewinnen. Auch wenn sich IŠzetbegovi´c über die Verstärkung aus der Pariser Hautevolee gefreut haben dürfte, die Botschaft war kalter Kaffee; er hatte schon lange vorher die PR-Agentur Ruder Finn damit beauftragt, seine Interessen in den Medien wahrzunehmen. Die von Glucksmann übernommene »individuelle Verantwortung« nicht nur in diesem Konflikt richtet sich seit neuestem gegen »moralisches Aids«, das er für eine der Hauptkrankheiten der westlichen Zivilisation hält.

»Saurierhafte, reptilienähnliche Gleichgültigkeit« heißt die Krankheit bei Juan Goytisolo, der im Schützenpanzer nach Sarajevo gefahren ist. In seinen Notizen aus Sarajevo wechseln verklärende Hymnen auf das »geliebte Wesen« Sarajevo mit Beschreibungen bestialischer Folter, die so genüßlich ansonsten nur von Bild dargereicht werden, abgedruckt wurden die Notizen jedoch in der Frankfurter Rundschau. Vorne im Buch ist ein Photo des Autors mit schußsicherer Kampfweste in den Ruinen der Nationalbibliothek abgebildet, ein Motiv, wie man es von Kriegsveteranen oder Safarijägern kennt. Von der gleichen Qualität sind seine Kommentare: Während der Westen im Sumpf der Friedensverhandlungen steckengeblieben ist, hat sich das »moralische Empfinden in Sarajevo geläutert und gebessert«. Die Reise hat sich gelohnt, Goytisolo erhielt für seine Notizen den Nelly Sachs-Preis.

Wer sonstwie verhindert war und gerade keine Zeit hatte, Sarajevo mit seiner Anwesenheit zu ehren, ließ sich entschuldigen und teilte der Presse mit, daß er sein Herz in Sarajevo verloren oder noch einen Koffer dort stehen hat. Salman Rushdie erklärte sich zum »geistigen Einwohner« Sarajevos und Umberto Ecos Herzenswunsch ist es, »Bürger von Sarajevo« zu werden. Sarajevo wurde auch zum Schicksalsort Maria von Welsers. In einer Bundeswehrmaschine nach Sarajevo lernte sie im Cockpit ihren neuen Mann kennen, einen Piloten und Oberstleutnant. Die Moderatorin des ZDF-Magazins »Mona Lisa« hatte als eine der ersten die Massenvergewaltigungen in Jugoslawien, als Opfer »fast ausschließlich« muslimische Frauen und als Täter serbische Männer entdeckt. Für ihre Reportage über »die fast toten Frauen«, der anschließend das Buch zum Film folgte, wurde sie dann zur »Frau des Jahres 1993« gekürt. Kein Wunder, daß Sarajevo bei dieser Ausbeute für Maria von Welser zum Hit wurde: Einen Mann gefunden, journalistischen Ruhm geerntet und zur Frau des Jahres ernannt.

Anfang November '93 fand das erste Internationale Filmfestival in Sarajevo statt. Empört schrieben die Organisatoren nach Genf: »Kultur ist, wie Nahrung und Medikamente, ein elementares Bedürfnis der Menschen«, weil die Hilfsorganistion der UNO in ihren Maschinen wichtigeres zu transportieren hatten als Vanessa Redgrave und Volker Schlöndorff. Im März '94 präsentierten die Filmemacher der Gruppe SAGA, »bestehend aus vierzig bis sechzig verschiedenen Ethnien entstammenden MitarbeiterInnen« (taz), in Frankfurt und Berlin ihre Arbeiten. »Wir leben in Sarajevo in einem Konzentrationslager, auf das man Bomben wirft ... Wir sind umzingelt von einer Kraft, die dreimal so groß ist wie die um Stalingrad«, begründeten die Filmemacher von SAGA ihre »historische Mission«, die hauptsächlich darin besteht, auf die Straße zu gehen und die Kamera auf alles zu halten, was sich bewegt. Selbst der Zeit blieb nicht verborgen, daß die »reine Dokumentation« immer auch ein Ziel verfolgt: »Die SAGA-Videos verzichten keineswegs auf ästhetische Überhöhung. Von Ruinenromantik bis zum Pop-Videoclip produziert der Krieg in Sarajevo seinen eigenen Kitsch, seinen Stil, seine Moden.« Finanziert wird die Gruppe von einem der reichsten Männer der Welt, dem New Yorker Börsenspekulanten George Soros, der sich die Destabilisierung kommunistisch verdächtigter Wirtschaftssysteme und die Unabhängigkeitsbestrebungen der Muslime und der Makedonier Millionenbeträge und Riesenkredite kosten läßt.

Aus der Dokumentar-Produktion von SAGA stammt u.a. der Film »Bekenntnis eines Ungeheuers«, gemeint ist Borislav Herak, ein zum Tode verurteilter serbischer Freischärler. John Burns von der New York Times erhielt für ein Interview mit Herak den Pulitzer-Preis, später jedoch stellte sich heraus, daß Herak kein besonders glaubwürdiger Zeuge war. »Bozo [ein Dolmetscher], der bei mehreren Interviews mit Herak zugegen war und diesen beobachtete, sagt es so: Der ist verrückt, der erzählt, was du von ihm hören willst, und will bei jedem Interview noch besser, das heißt noch blutiger sein« (Martin Lettmayer, in Weltwoche 10/94). Herak war auch Interviewpartner von Bernard-Henry Lévy und einer deutschen Produktion von Didi Danquart und Johann Feindt mit dem Titel »Wundbrand«, der auf den Filmfestspielen 1994 in Berlin uraufgeführt und später von arte ausgestrahlt wurde.

Die Krönung der kulturellen Propagandaschlacht in Sarajevo war der Auftritt der Weltprominenz Zubin Mehta, José Carreras, Raimondi und anderen, die am 20. Juni 1994 in der Nationalbibliothek Sarajevos ein »Mozart-Requiem« gaben. Die Kultur hielt Hof, allerdings unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Nur der Präsident und ein General mit seinem Gefolge kamen in den Genuß der Aufführung, denn das »Mozart-Requiem« wurde einzig zu dem Zweck gegeben, die Übertragungsrechte zu verkaufen. Der Erlös aus dem Verkauf sollte an das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge gehen, aber ob »die edle Spende« die Flüchtlinge aus Bosnien oder Ruanda je erreichen würde, daran hatte die sogar FAZ ihre Zweifel, und sie spottete: »Bitte keine ernsthaften Zwischenfälle, die nur die Produktion stören würden.« Nachdem es seit dem Waffenstillstand vom Februar '94 ruhiger in Sarajevo geworden war und die Einwohner sogar in der Miljaka baden konnten, gab es jetzt wieder einen Grund, aus der Stadt zu berichten. Prompt wurden die Heckenschützen wieder aktiv, und man sah in den Tagesthemen die bekannten Bilder von rennenden Leuten, als ob sie eigens von einem Reporterteam dazu aufgefordert worden wären.

Nur das in kultureller Schönheit erstrahlende Sarajevo hat diesen Kitzel zu bieten, weshalb Tempo (6/94) eine Antwort auf die brennende Frage suchte »Was macht Sarajevo wieder lebenswert?« Auf einem im Heft abgedruckten Stadtplan Sarajevos erfährt man dann mit den entsprechenden Abbildungen, »wo man tanzt, küßt und stirbt« und daß es in Sarajevo die schönsten Frauen Europas gibt. Was will der Mensch mehr. Wer würde sich dagegen nach Mostar verirren, das viel schlechter dran ist als Sarajevo? Niemand, denn dort gibt es keine Kunstszene und keine scharfen Discotheken. Kein Wunder, daß viele Einwohner des kulturgeplagten Sarajevos den Rummel mit zwei Worten kommentieren: »Fucking culture«.



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