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Inhaltsverzeichnis Inhalt Der Intellektuelle als Kriegshetzer - Humanität Aufwärts

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Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben

Die Frage ist, wen die Intellektuellen mit der Beschwörung der Geschichte überzeugen wollen, können sie doch nicht ernsthaft davon ausgehen, daß ihnen irgendjemand glaubt, der noch einigermaßen bei Verstand ist. Fast sieht es so aus, als ob es sich um die Selbstversicherung der eigenen Bedeutung handelt, der man sich nur durch heftiges Klappern und Rasseln versichern zu können glaubt, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen. Kein Konfliktlösungsvorschlag scheint hirnverbrannt genug zu sein, um sich damit nicht wieder in Erinnerung zu rufen. Pierre Bourdieu beispielsweise plädiert für eine »Internationale der Intellektuellen«, »um in Jugoslawien, Haiti und Algerien, im Iran und in der Türkei eingreifen zu können« (taz vom 20.11.1993).

Nicht bloß militant, sondern regelrecht durchgeknallt gebärdet sich Cohn-Bendit, wenn er in einem Kommentar der taz vom 20.4.94 schreibt: »Als erstes wird dann von der Nato Pale bombardiert. ... Die Bombardierung von Pale würde sicherlich schreckliche Folgen haben. Aber ich glaube nicht, daß die Verblendung in der serbischen Bevölkerung und in der serbischen Armee einer solchen Entschlossenheit standhalten würde.«

Wolfgang Pohrts Artikel über den jugoslawischen Bürgerkrieg wurden im Berliner Tagesspiegel als »Irrsinn« bezeichnet, weil Pohrt etwas analysierte, »was keiner sieht - eine internationale Hetzkampagne gegen Serbien«. Als der Tagesspiegel-Autor seine maßlose Erregung zu Papier brachte, gab es bereits eine seit Monaten sich hinziehende öffentliche Debatte über die einseitige Medienberichterstattung, und nur sechs Wochen vorher war in der taz und anderen Tageszeitungen, wie dem Zürcher Tages-Anzeiger, ein »Aufruf an die Regierungen Europas und die UN« erschienen, in dem das Ultimatum für Sarajevo als Erfolg gewertet wurde: »Wir verlangen, daß im gesamten Krisengebiet des früheren Jugoslawien die Sanktionen dahin verschärft werden, daß alle Angriffsmittel vernichtet bzw. der UN übergeben werden müssen. Wird diese Forderung innerhalb eines auf wenige Tage befristeten Ultimatums nicht erfüllt, müssen durch Luftangriffe die Angriffsmittel - unter möglichster Schonung von Menschenleben - zerstört werden.« Die Unterzeichner dieses Aufrufs verzichteten zwar darauf, die Schuldigen beim Namen zu nennen, dennoch ließen sie keinen Zweifel daran, wer mit »den Aggressoren« gemeint war.

Spätestens seit diesem Aufruf wurde der gelegentlich erhobene Einwand hinfällig, nur wenige Intellektuelle würden doch für eine Intervention in Jugoslawien eintreten. Nicht mehr nur Cohn-Bendit, Peter Schneider, Finkielkraut, Lévy und Freimut Duve verhalten sich wie Dr. Seltsam. Unterzeichnet haben den Aufruf u.a. diejenigen, für die sich Finkielkraut den schönen Begriff »humanitäre Elite« hat einfallen lassen: Wolf Biermann, Pascal Bruckner, Ignaz Bubis, Jürgen Fuchs, André Glucksmann, Juan Goytisolo, Günter Grass, Klaus Hartung, Claus Leggewie, Adam Michnik, Heiner Müller, Octavio Paz, Karl Popper, Salman Rushdie, Stefan Schwarz, Jorge Semprún, Susan Sontag, Simon Wiesenthal, Peter Zadek, Tilman Zülch.

Auch Henryk Broder gehört seit einiger Zeit zu dieser erlesenen Schar, die aus humanitären Erwägungen ein bißchen morden lassen möchte, und man fragt sich, warum er eigentlich nicht mitunterzeichnet hat. Vielleicht, weil er schon vorher seinen eigenen Aufruf verfaßt hatte, in dem er zur Bereitschaft aufforderte, den »Menschen in Sarajevo ... wirklich zu helfen«, was sehr ehrenwert ist, aber nicht gerade von großer Kompetenz zeugt. Wenn jemand mit so wenig Ahnung, was in Jugoslawien eigentlich passiert, nach einer militärischen Intervention ruft, dann kann nur vorsätzliche Dummheit im Spiel sein. Und wenn jemand sich so blind und vertrauensselig auf das verläßt, was im Fernsehen gezeigt wird, dann weiß man, wie wenig man in der Bundesrepublik benötigt, um als kritischer Geist zu gelten.

Bombardiert Pale, bombardiert die Serben, aber »Irrsinn« ist es, die Interventionsforderungen und Vernichtungsphantasien, früher Eigenschaften rechter Militärs, zu kritisieren. Humanismus, Menschenrechte, Zivilisation und die »europäische Idee« müssen zur Rechtfertigung der Barbarei herhalten, die auch dann eine ist, wenn die Intellektuellen Bomben nur »unter möglichster Schonung von Menschenleben« werfen wollen. Diese Glücksversprechen einer »humanitären Epoche« (Finkielkraut) sind aus der Geschichte bekannt, sie waren in der Regel die Vorboten der größten Massaker und von Kriegen, die besonders heftig und verbissen geführt wurden, wenn sie von ideologischem Fanatismus beherrscht waren. Ideologie aber geht immer aufs Ganze. Auch die Verwirklichung der Rassenideologie sollte dem Dritten Reich zu tausendjährigem Glück verhelfen.

Weder in ihrem Eifer noch in ihrer Wortwahl unterscheiden sich die westlichen Intellektuellen von Fanatikern. Und sonst? Gut sei es, »die Werte, die ja unsere sind, zu verteidigen«, sagte Lévy, und Cohn-Bendit teilte dem Spiegel 1/94 mit: »Ich bin davon überzeugt, daß der europäische Gedanke eine der letzten Utopien ist, wofür sich zu kämpfen lohnt.« Diese Werte der abendländischen Zivilisation und der »europäischen Idee«, für die sich die Intellektuellen schlagen wollen, heißen Humanität und Menschenrechte. Menschenrechte lassen sich nicht dadurch verwirklichen, indem man in einem Bürgerkrieg eine nationalistisch orientierte Kriegspartei unterstützt und sei es auch die unterlegene. Sie zu unterstützen heißt im besten Falle, daß sie überlegen wird, wodurch eine Umkehrung der Verhältnisse erreicht wird und das Spiel von neuem beginnen kann. Die von den Intellektuellen herbeigesehnte Einmischung bedeutet die Fortsetzung der »Schlachtbank« (Hegel), die Europa sowohl geographisch als auch historisch immer gewesen ist, also das Gegenteil der Menschenrechte, für die sie eintreten und die immer mehr einem Euthanasieprogramm ähneln.



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