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Auch im Alltag gegen Rassismus kämpfen

Gespräch mit einer Hamburger Fantifa-Gruppe


In Hamburg existieren mehrere Fantifa-Gruppen. Mit einer, die sich erst 1992 gegründet hat, führten wir dieses Gespräch. Für die Hamburger Fantifas bedeutet es nicht mehr als eine »Momentaufnahme«, von deren Abdruck sie sich erhoffen, Frauen und Mädchen zu erreichen, die sich in »gemischten« Gruppen nicht wiederfinden und in der Fantifa vielleicht eine Möglichkeit sehen, sich politisch eigenständig zu organisieren.

Erzählt doch einfach mal, wann, wie und warum ihr eure Gruppe gegründet habt.

Beate: Wir haben uns im Herbst 1992 gegründet, das war kurz nach Rostock.

Petra: Die meisten von uns hatten aber vorher schon in »gemischten« Antifa-Zusammenhängen oder in Flüchtlingsgruppen mitgearbeitet. Meiner Meinung nach hat es keinen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Rostocker Pogrom gegeben ...

Beate: Ja, vielleicht ist das bei den einzelnen auch unterschiedlich. Also, bei mir waren die Ereignisse von Rostock ausschlaggebend. Vorher hatte ich in Richtung Antifa-Arbeit nicht mehr allzuviel gemacht.

Was habt ihr denn vorher gemacht, und warum habt ihr euch dann als Frauen-Antifa organisiert?

Petra: Also, das ist bei allen unterschiedlich gewesen.

Renate: Aber bei fast allen war es so, daß in den »gemischten« Gruppen, in denen sie vorher gearbeitet haben, sich ziemlich starke Hierarchien herausgebildet hatten. Oft war es so, daß die Männer agiert haben, die Themen vorgaben, und daß sie allein für kritische Nachfragen schon kein Verständnis hatten. Wenn ich in Frauengruppen was gemacht habe, war das viel einfacher; man konnte auf einer viel besseren Ebene diskutieren und seine Vorstellungen entwickeln.

Claudia: Die Arbeit in »gemischten« Gruppen orientiert sich häufig an irgendwelchen Leistungsmaßstäben, die oft von Männern vorgegeben werden. Du hast dann die Wahl, an den vorgegebenen Sachen mitzumachen, oder du läßt es eben bleiben, aber dann hast du in der Gruppe auch nicht viel zu suchen und kannst es eigentlich gleich bleiben lassen. Und andere Themen, mit denen ich mich als Frau anders auseinandergesetzt habe, fallen dort kaum ins Gewicht. Es wird meistens nicht offen gesagt, aber die Unterteilung in Haupt- und Nebenwiderspruch, wichtig und unwichtig, scheint es da immer noch zu geben.

Du hast gerade von Leistungsdruck geredet ...?

Claudia: Ja, Leistungsdruck, durch den mögliche Entwicklungen genommen werden.

Und wie vermeidet ihr den unter euch? Oder ist das eine blödsinnige Frage?

Petra: Blödsinnig ist sie wahrscheinlich nicht, aber irgendwie haben wir den nicht. Das ist uns gleich bei unseren ersten Treffen aufgefallen, daß sich keine mehr lächerlich vorkam, weil sie eine Frage gestellt hat, die ihr selbst saudoof vorkam, die sie woanders nicht gestellt hätte, weil knallrot werden und ...

Beate: Ich finde es schwer, das kurz zu beantworten, weil das schon ausführlich beantwortet werden müßte, warum viele Frauen nicht mehr mit Männern in einer Gruppe zusammenarbeiten wollen.

Renate: In den »gemischten« Gruppen gab es immer so ein Macker- und auch Mackerinnenverhalten. Einzelne haben sich die ganzen Sachen, die es so zu tun gab, gekrallt und durchgezogen, so daß du irgendwann gar nicht mehr hinterherkommen konntest und rausgefallen bist. Bei uns, und auch in anderen Frauenzusammenhängen, ist es eher so, daß immer mal andere etwas übernehmen, einzelne etwas einbringen und auch mal mehr machen, sich das dann aber wieder ändert und sich die Frauen abwechseln. Das halte ich für ziemlich wichtig, weil so hat jede die gleiche Verantwortung für die Politik der Gruppe.

Beate: Mir geht es nicht darum, jetzt nur zu gucken, was da alles schiefgelaufen ist, oder jetzt zu sagen: Uh, ich will keine »gemischte« Gruppe mehr, weil das Scheiße war und das Scheiße war.
Wir waren einfach so und so viele Frauen, und wir wollen jetzt einfach ausprobieren, ob wir so vielleicht nicht besser zusammenarbeiten können. Uns geht es vor allem darum, für alles, was wir tun, unsere eigenen Maßstäbe zu setzen. Wir wollen uns als Frauen nicht mehr länger an irgendwelchen Ansprüchen orientieren, die uns von außen, von einer »gemischten« Szene, vorgegeben werden.

Was meint ihr mit »irgendwelchen Ansprüchen einer ''gemischten'' Szene«, auf die ihr keine Lust mehr hattet, einzugehen?

Renate: Damit ist zum Beispiel auch diese »Feuerwehrpolitik« gemeint, also, irgendwo brennt es, oder irgendwas soll los sein, und dann müssen eben alle hinrennen. Ziemlich oft fühlst du dich dazu gedrängt, bei Aktionen mitzumachen, denen du in dem Moment vielleicht gar nicht gewachsen bist. Also immer »wichtig-wichtig-Handschuhe-anziehen-und-los«, und bloß nicht drüber nachdenken, was da eigentlich warum gerade passieren soll ...

Ist das eine generelle Kritik an »Militanz«? Oder an der Art und Weise, was unter Militanz von bestimmten, ihr sagt »gemischten«, Gruppen verstanden wird?

Renate: Also, für uns ist es so, daß wir meinen, es sollte nicht darum gehen, wer am besten Kampfsport kann; das kann nicht das einzige Kriterium für eine militante linke Politik sein. Militant zu sein, heißt auf allen möglichen Ebenen, eben auch im Alltag, zum Beispiel gegen Rassismus zu kämpfen. Direkte Konfrontation ist nur eine von vielen Möglichkeiten, etwas zu verändern. Manchmal kannst du auch mit einer öffentlichen Aktion viel bewirken.

Beate: Was nicht heißen soll, daß es nicht Situationen gibt, in denen spontan gehandelt werden muß. Dabei ist es uns aber wichtig, die Grenzen, die jede von uns hat, einzuhalten. Daß du über Ängste offen reden kannst, macht einen Teil unseres guten Gefühls in der Gruppe aus.

Welche Konsequenzen hatte diese Kritik für eure Politik?

Claudia: Wichtig war für uns, erstmal zu sehen, wie wir uns eigene Kriterien und Standpunkte erarbeiten können, uns dafür Zeit zu nehmen und eben nicht in allen aktuellen Diskussionen mitzumischen.

Renate: Um da voranzukommen, mußten wir uns erstmal auch theoretisch mit den anstehenden Fragen auseinandersetzen. Dabei haben wir in der Gruppe möglichst Texte von feministischen Frauen diskutiert, mit dem thematischen Schwerpunkt auf Rassismus und Nationalismus.

Beate: Wir streben eine andere Form von Antifa-Arbeit an. Uns geht es halt nicht nur darum, sich nur mit Faschogruppen auseinanderzusetzen, über die Recherche-Arbeit zu machen. Wir fassen Antifa-Arbeit viel weiter, gegen die viel alltäglicheren Formen rassistischer und nationalistischer Politik. Wir wollen nicht nur gegen offen auftretende Faschos was machen, sondern eben auch gegen den Alltags-Rassismus der sogenannten Normalbevölkerung, und das hat dann eben auch unsere theoretischen Diskussionen bestimmt.

Gibt es andere Fantifa-Gruppen, auf die ihr euch stärker bezieht, die bereits eine Praxis entwickelt haben, die dem, was ihr wollt, in etwa nahe kommt? Oder agiert ihr da auch in stärkerer Abgrenzung zu anderen Fantifa-Gruppen?

Petra: Na, in Abgrenzung schon mal auf jeden Fall nicht. Und stärker dadrauf beziehen ...? Also, es ist schon so, daß, wenn einzelne Gruppen einen Aktionsvorschlag machen, sich die anderen daran beteiligen, oder zumindest mehrere andere Gruppen.

Renate: Vielleicht wäre es wichtig, hier zu erwähnen, daß es unter den Fantifa-Gruppen eine Vernetzung mit regelmäßigen Treffen gibt. Hier werden auch Vorschläge für anstehende Aktionen gemacht und darüber diskutiert, ob sich beteiligt wird oder nicht.

Arbeitet ihr auch mit »gemischten« Zusammenhängen zusammen? Oder arbeitet ihr generell nicht mehr mit Männern zusammen?

Petra: Bei uns läuft das eher zweischienig: Also, es gibt Sachen, die wir ausschließlich mit Frauen zusammen und andere, die wir in »gemischten« Zusammenhängen machen können.

Renate: Deshalb sind wir auch nicht unbedingt repräsentativ für die bundesweiten Fantifa-Gruppen. Es gibt Fantifas, bei denen das ganz anders ist.

Wie anders?

Petra: Die sich ausschließlich auf Frauen und Lesben beziehen. Die auch mit den »gemischten« Zusammenhängen nichts mehr zu tun haben.

Und warum ist das bei euch nicht so?

Petra: Erstmal lebe ich hier in der Szene, ich lebe mit Männern und Frauen zusammen, ich würde das für mich als merkwürdige Trennung ansehen, wenn ich politisch nur was mit Frauen machen würde, obwohl ich in meinem Alltag mit Männern zu tun habe. Das würde für mich nicht hinhauen, zumindest im Momemt nicht.

Beate: Einerseits haben wir viel Kritik an der »Szene«, andererseits gibt es aber auch Strukturen, die für uns nützlich sein können. Und wenn es halt von »gemischten« Gruppen Aktionen gibt, die wir gut finden, dann ist es ja auch sinnvoll mitzumachen. Ich halte es schon für richtig, eigene Strukturen mit anderen Frauengruppen aufzubauen und trotzdem nicht die ganzen bereits vorhandenen außer acht zu lassen.

Claudia: Einige von uns wollen auch inhaltlich noch was mit »gemischten« Gruppen zusammen machen.

Was heißt denn »eigene Strukturen aufbauen«?

Beate: Eigene Vernetzungstreffen haben, eigene Telefonketten, einfach, daß du halt selbst Bezugsgruppen hast, und das nur unter Frauen.

Das geht also eher in Richtung Austausch mit schon bestehenden Gruppen?

Beate: Ja, das habe ich gemeint, aber um dadurch auch nach außen treten zu können, damit auch noch andere dazukommen können. Ich weiß jetzt nicht, ob ich deine Frage richtig verstanden habe, aber im Moment geht es um einen Austausch mit anderen vorhandenen Gruppen.

Du hast vorhin von der Kritik an »der Szene« gesprochen und hast das relativ weit gefaßt ...

Renate: Unsere Kritik richtet sich ja dagegen, daß die autonome Szene und auch die Antifa-Bewegung doch so ziemlich im eigenen Saft schmort. Das drückt sich auch durch die Art, wie Aktionen oft durchgeführt werden, aus. Zum Teil ist es ja notwendig, daß Politik wegen der staatlichen Repression auch konspirativ ablaufen muß, aber vieles könnte doch öffentlicher passieren. Wir haben Lust darauf, und das gerade in den Frauen-Antifa-Zusammenhängen, daß da eben auch spektakuläre und mobilisierende Aktionen gemacht werden. Insgesamt fällt es der Szene viel zu schwer, offensiver in die Öffentlichkeit zu treten.

Beate: Es war auch so, daß wir keine Lust mehr hatten, ständig dieses Schema zu haben, auf Demos zu gehen, um irgenwas zu blockieren, sondern daß wir uns auch mal was überlegen, was uns auch Spaß machen kann. Allein das Element Spaß bei politischer Arbeit ist den meisten doch relativ fremd. Wir hatten zum Beispiel die Idee, so ein »unsichtbares Theater« zu machen, um damit zu versuchen, unsere Inhalte in einer alltäglichen Situation zu vermitteln.

Was versteht ihr unter »unsichtbarem Theater«?

Beate: Das ist, wenn du in einer ganz alltäglichen Situation, z.B. in einem Supermarkt, halt eine Diskussion, einen Streit vom Zaun brichst, dir das vorher überlegt hast. Wenn du also vor Bananen aus Südafrika stehst, und die eine steht da und will welche kaufen, und die andere kommt wie zufällig daher und verwickelt dich in eine Diskussion und es entspinnt sich eine Kontroverse über Südafrika. Halt mit der Zielrichtung, daß andere in dem Supermarkt das mitkriegen und sich eine allgemeine Debatte entwickelt. Also, über einen einfachen simulierten Streit ein politisches Thema anreißen und reintragen.

Claudia: Solche Aktionsformen werden doch immer noch von vielen Polit-Leuten belächelt. So nach dem Motto: Das sind doch irgendwelche Kultursachen ... Sobald etwas nicht in die traditionellen Schemata paßt, kommt die Frage, was das mit Politik zu tun hätte. Demos und Flugblätter verteilen sind okay, aber daß du mit solchen Aktionsformen wie dem »unsichtbaren Theater« vielleicht mal mehr erreichen kannst, das kommt den meisten erst gar nicht in den Sinn.

Es gibt ja aus Berlin das Papier »Ich bin doch kein Kampagnenheinz«, was sich genauer ... Kennt ihr das?

Alle: Nein.

Das hat weniger mit Antifa-Zusammenhängen zu tun, sondern da wird, allgemein bezogen auf autonome Organisierung, das bemängelt, was auch ihr kritisiert. Daß also immer hinterhergelaufen wird, daß Nazis immer hinterhergelaufen wird, von den Autonomen wie den Antifas. Und wenn es irgendein besonderes Ereignis gibt, dann entsteht wieder eine Organisierung, mal so zwischendurch wie NOlympics in Berlin, aber wenn nichts ist, dann ist auch nichts. Dann fahren alle auf's Land und lassen den lieben Gott einen guten Mann sein. Das habt ihr doch vorhin kritisiert und als »Schmoren-im-eigenen-Saft« bezeichnet?

Beate: Ich glaube, bei einigen Antifas liegt ein Problem darin, daß Antifa-Politik nur als »antifaschistisch« verstanden wurde und nicht auch als »antirassistisch« und »antisexistisch« und alle Aktionen daran orientiert waren, was du gegen Faschos machst. In dem Moment, wo du auch gegen den alltäglichen Rassismus vorgehen willst, mußt du ja schon zu ganz anderen Aktionsformen schreiten. Du kannst ja nicht irgendeinen alten Menschen verprügeln, weil er einen doofen Spruch gebracht hat. Bei Leuten, die diese Probleme sehen, hat sich natürlich auch der Faschismusbegriff verändert.
Sehr viel Kraft und Zeit hat auch immer die Verteidigung der eigenen Orte und Zentren aufgefressen und auch zu einer permanenten Selbstbeschäftigung geführt. So stand oftmals das Gefühl, bedroht zu sein, im Vordergrund, und auf das, was außerhalb der Szene-Welt passierte, wurde eben nur reagiert.

Kommen wir nochmal auf den Ausgangspunkt des Gespräches zurück, auf die Gründung eurer Gruppe, zumindest zeitlich, nach Rostock. Habt ihr euch eigentlich mit der alten DDR, dem Anschluß und der daraus resultierenden Veränderung der innenpolitischen Lage in der alten BRD detaillierter beschäftigt?

Beate: So direkt eigentlich nicht.

Renate: Wenn, dann haben wir das eher in anderen Zusammenhängen diskutiert.

Und habt ihr Kontakte zu Frauen oder anderen Antifas in der DDR?

Renate: Nein.

Ist das Zufall, oder habt ihr dafür Gründe?

Petra: Die Niederlande oder Dänemark sind von Hamburg aus auch nicht viel weiter weg. Ich könnte mir auch die Frage stellen, warum ich in diese Richtung nicht mehr Kontakte habe.

Beate: Ein Grund ist auch, daß wir als Gruppe noch nicht so lange existieren und erstmal ziemlich damit beschäftigt waren, zu anderen Frauen-Zusammenhängen in Hamburg Kontakte aufzubauen. Wir waren bisher auch nicht auf den bundesweiten Treffen. Solange wir vor Ort keine vernünftige Organisierung hatten, wußten wir nicht, was wir auf solchen Treffen sollten.

Habt ihr über über eine bundesweite Organisierung, etwa in der BO, geredet?

Petra: Nein.

Renate: Ich glaube, für uns steht auch erstmal die bundesweite Organisierung der Frauen-Antifa im Vordergrund.

Petra: Allerdings bin ich auch bei einer bundesweiten Organisierung dafür, zweischienig zu fahren, also einerseits nur mit Frauen und andererseits zusammen mit »gemischten« Gruppen. Aber so weit sind wir noch gar nicht.



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