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Inhaltsverzeichnis Inhalt Antifa - Diskussionen und Tips Aufwärts

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Frauen sind nicht weniger rassistisch ...

Gespräch mit einer Fantifa-Gruppe aus Kassel


In den letzten Jahren haben sich eine ganze Reihe von Frauen und Lesben in Fantifa-Gruppen zusammengeschlossen. Sie zogen hiermit die Konsequenz aus einer weitgehenden Ausblendung von sexistischer Unterdrückung in der Theorie und Praxis vieler, zumeist männlich dominierter, Antifa-Gruppen. Oftmals arbeiten Fantifa-Gruppen aber punktuell weiterhin mit den »gemischten« Antifa-Gruppen zusammen. Die von uns befragte Kasseler Fantifa-Gruppe möchte keineswegs als repräsentative Vertreterin anderer Fantifa-Gruppen verstanden werden. Gerade was die Zusammenarbeit mit »gemischten« Gruppen anbetrifft, gibt es innerhalb der Fantifa bundesweit unterschiedliche Auffassungen.

Seit wann gibt es eure Fantifa-Gruppe in Kassel?

Miriam: Wir haben uns im Januar 1990 gegründet. Wir trafen uns bei einer Veranstaltungsreihe hier im Frauenforum. Dabei ging es um Frauen und Faschismus, also auch, welche Rolle Frauen im historischen Faschismus hatten. Bundesweit lief zu dieser Zeit gerade eine erste Organisierung von Frauen in Fantifa-Zusammenhängen, und wir hatten ein starkes Interesse, den Komplex Frauen und Neofaschismus weiter zu bearbeiten.
Unsere Zusammensetzung ist sehr unterschiedlich. Einige haben vorher mit Männern in anderen Gruppen zusammengearbeitet, also in »gemischten« Antifa-Zusammenhängen, oder kamen aus anderen Frauengruppen oder waren zuvor ganz einfach nicht politisch organisiert.
Zusammengefunden haben wir, wie gesagt, über diese Veranstaltungsreihe zu Frauen und Faschismus. Inhaltlich ging es uns darum, zu thematisieren, daß auch Frauen in faschistischen Organisationen tätig sind, also Täterinnen sind, wie auch darum, daß gerade auch Frauen und Lesben Opfer von faschistischen Umtrieben sind. Aus diesen Diskussionen hat sich die Fantifa in Kassel dann entwickelt.

Ulla: Also, ich kam zum Beispiel nicht direkt aus Antifa-Zusammenhängen dazu. Ich war zuvor in einer »gemischten« Gruppe, die zu den politischen Gefangenen gearbeitet hat. Die Arbeit in dieser Gruppe ist auch persönlich sehr gut gelaufen, aber es war natürlich schon ein sehr eingrenzendes Thema. Und als ich dann angesprochen wurde, bei der Fantifa mitzumachen, fand ich das total gut. Der persönliche Draht spielt bei so Entscheidungen natürlich immer eine große Rolle, und Antifa-Arbeit im Zusammenhang mit einer Frauengruppe leuchtete mir ein.

Bettina: Bei mir war es so, daß ich die ganzen Jahre vorher schon Antifa-Arbeit gemacht habe, seit der Schulzeit schon, und auch die ganze Zeit schon parallel dazu Frauenarbeit. Für mich waren das die zwei Bereiche, die mir immer schon am wichtigsten waren, die aber normalerweise von getrennten Szenen bearbeitet werden. Ich habe immer nach einer Organisierung gesucht, bei der sich das verknüpfen läßt, und deswegen kam das für mich mit der Fantifa auch keineswegs zufällig.

Welche »Frauenarbeit« meinst du?

Bettina: Damit meine ich Politik in Gruppen der autonomen Frauenbewegung, also zum Paragraphen 218 oder zur Gen- und Reprotechnik, aber auch in »sozialen Bereichen« wie den Frauenhäusern, das ganze autonome Spektrum halt der Aktivitäten in den 80er Jahren.

Gab es irgendwelche gravierende Vorfälle, die euch veranlaßt haben, euch nicht, oder nicht mehr direkt, über »gemischte« Antifa-Strukuren zu organisieren?

Miriam: Also, es gab wirklich eine Vielfalt von Entwicklungsgründen, und jetzt darauf rumzureiten, was unterscheidet uns von den »gemischten« Gruppen, fände ich verkürzt. Ich habe zum Beispiel früher im Frauenhaus mitgemacht, und ich hatte, außer persönlich, keinen Kontakt zur autonomen Szene. Also, für mich gab es den Konflikt mit »gemischten« Gruppen schon gar nicht, weil ich einfach in keiner vorher drin war.

Bettina: Aber was für Frauen, die vorher schon autonome Antifa-Arbeit gemacht haben, bestimmt eine Rolle gespielt hat, war diese langjährige Erfahrung, daß frauenspezifische Themen in »gemischten« Gruppen immer nur einen gewissen Raum einnehmen konnten. Das wird dann irgendwann nervig, wenn das allein durch die Zusammensetzung schon immer feststeht.

Ulla: Vielleicht ist jetzt noch wichtig zu sagen, daß wir aber nach wie vor verschiedene Sachen mit »gemischten« Antifa-Gruppen zusammen machen. Also, wir ziehen jetzt nicht einfach nur unser eigenes Ding durch ...

Also, ihr nehmt getrennt von »gemischten« Antifa-Gruppen eine eigenständige Positionsbildung vor, tauscht euch aber schon weiterhin mit denen aus und entscheidet bei Aktionen von Fall zu Fall, mit wem ihr wann und wie was zusammen machen wollt, ist das so einigermaßen richtig interpretiert?

Anette: Es ist schon so, daß einige von uns auch noch zusätzlich in »gemischten« Gruppen mitmachen. Also, ein beständiger Kontakt und Austausch ist schon da.

Ulla: Kassel ist ja auch schon 'ne ziemlich kleine Stadt. Und die Szene ist insgesamt auch ziemlich klein, und da kennen sich halt viele. Und das macht natürlich eine Trennung sehr schwer.

Bettina: Das macht es nicht nur schwer, sondern erleichtert auch einiges. Von unserer politischen Position her würde ich das schon eher so definieren, daß wir uns halt als ein Teil von zwei Szenen empfinden, also einerseits zur Frauen- und Lesbenszene gehören und andererseits Bestandteil der »gemischten« Antifa-Szene sind. Wir gehen auch zu den allgemeinen Antifa-Plenen, allein schon weil Antifa für die Frauen- und Lesbenszene hier ein Nebenthema ist. Von unserem Selbstverständnis gehören wir in beide Strukturen rein.

In Kassel existieren also mehrere Antifa-Gruppen?

Bettina: Ja.

Seid ihr denn hier in der Stadt mit offen auftretenden Neonazis unmittelbar konfrontiert? Und wie ist die Situation im Umland?

Anette: Also, im Umland mehr als in der Stadt selbst. Die Neonazis ziehen nicht in Horden durch die Stadt. Aber vereinzelt treten Glatzen auf. So wurde neulich ein Punk tagsüber von zwei Glatzen mit einer Eisenstange bedroht. In letzter Zeit tauchen auch vermehrt rechte Flugblätter und FAP-Aufkleber auf.

Ulla: Faschisten, die im Hintergrund arbeiten, gibt's hier auch, beispielsweise das Thule-Seminar.

Bettina: Ja, die haben ihren Sitz hier. Das Thule-Seminar ist eine der Ideologiefabriken der Neuen Rechten. Auch die Gesellschaft für freie Publizistik (GfP) oder andere solcher Vereine (wie die DKEG) machen schon öfter hier Veranstaltungen. Aber oft ist das so, daß wir das erst hinterher mitkriegen, und offen faschistisch auftretende Gangs sind hier nicht an der Tagesordnung.

Wenn ihr das erst hinterher mitkriegt, heißt das, so was wie Recherche-Arbeit wird hier nicht gemacht?

Anette: Doch.

Bettina: Einige wenige machen das schon, also, wenn es Anhaltspunkte gibt, wird natürlich recherchiert. Von unserer Gruppe aus haben wir aber in letzter Zeit darauf wenig Zeit verwendet.

Und worauf habt ihr mehr Zeit verwendet, was waren eure Arbeitsschwerpunkte?

Anette: Wir haben uns ziemlich intensiv mit dem Thema Mädchen/Frauen und Rechtsextremismus beschäftigt. Wir haben dazu zwei Jahre lang diskutiert und Material gesammelt und dann einen Reader mit den brauchbaren Texten, die wir gefunden haben, veröffentlicht.

Ulla: Den Reader haben wir gemacht, nachdem wir bei Veranstaltungen gemerkt haben, daß ein großes Interesse besteht, aber es gar nicht so viel Arbeit ist, sich diese Texte zusammenzusuchen.

Bettina: Inhaltlich ging es uns darum, daß wir gemerkt hatten, daß die populären Erklärungsmuster für den Neofaschismus sich überhaupt nicht auf Mädchen und Frauen anwenden lassen. Es gibt ja so ein weitverbreitetes Schema, mit dem behauptet wird, daß es durch eine fortschreitende Modernisierung und Individualisierung in der Gesellschaft zu einer zunehmenden Orientierungslosigkeit und Verunsicherung bei vielen Menschen käme, die als Gegenreaktion zu einem aggressiven und rassistischen Gewaltweg führt. Ob dieser Ansatz überhaupt etwas erklärt, sei mal dahingestellt. Für Frauen erklärt er gar nichts, weil sonst müßten, was Perspektivlosigkeit, schlechtere Arbeitsmarktsituation usw. angeht, gerade die Frauen jetzt reihenweise loslegen und die Menschen zusammenschlagen und abmurksen. Das ist aber nicht so. Der Prozentsatz von Frauen, die sich an neonazistischen Angriffen beteiligt haben, liegt bislang bei etwa vier Prozent. So sind zumindestens die offiziellen Zahlen in den Straftatstatistiken des Verfassungsschutzberichts.
Wir haben daraus aber jetzt nicht den Schluß gezogen, wie einige andere, daß Frauen weniger rassistisch und faschistisch seien, von wegen Frauen seien von Natur aus irgendwie netter und friedfertiger oder so. Statt dessen haben wir uns gefragt, ob es für Frauen andere Motivationen gibt, faschistisch draufzukommen, und ob es für Frauen nicht auch andere Formen gibt, rechtsextreme Einstellungen auszuagieren, als für Männer. Die Arbeiten von Birgit Rommelspacher haben uns da ziemlich weitergeholfen. Also, wir gehen halt schon davon aus, daß viele Frauen für ihren Rassismus andere Ausdrucksformen wählen, was es nicht besser als bei Männern macht. Freilich müssen wir etwas über das hinausschauen, was von männlicher Seite normalerweise als Politik definiert wird. Also zu gucken, wo sind die Räume, die in der Gesellschaft üblicherweise den Frauen zugewiesen werden, und wie drückt sich da eine rassistische Einstellung aus. Und natürlich, für uns spielt es eine Rolle, wie wir dagegen arbeiten können.

Anette: Also, ein praktischer Ansatz war dann, mit Mädchen an einer Schule zu diskutieren. Während einer Woche gegen AusländerInnenfeindlichkeit haben wir in einer Arbeitsgruppe darüber geredet, wie das neofaschistische Frauenbild halt so ausschaut.

Miriam: Ja, das war aber nur ein kleiner Teil. Es ging auch darum, rauszuhören, was sie selber für Erfahrungen mit rechten Jugendlichen haben. Und da kam schon einiges über so spezifische Rollenverhalten heraus, also, in was für geschlechtstypische Festlegungen Mädchen gegenüber männlichen Jugendlichen oft gedrängt werden. Aber das hat mehr mit der Struktur der gesamten Gesellschaft zu tun als mit Neofaschismus. Viele Mädchen wachsen so auf, daß sie sich auf die Männer fixieren und sich ihre Orientierung bei den Männern holen, die sie gerade toll finden, in die sie verknallt sind. Wer verhindern will, daß Mädchen rechts draufkommen, muß genau da eingreifen und dies knacken.

Also ist eine Konsequenz aus eurer theoretischen Beschäftigung, jetzt mehr auf Jugendarbeit mit Mädchen zu setzen, stärker in deren Alltagssituationen hineinzuwirken, und so eine tradierte Politik wie mit einer Demo durch die Stadt zu ziehen, ist für euch eher zweitrangig ...?

Bettina: Nein. Beides. Hier in Kassel ging es in letzter Zeit oft gegen die Republikaner, die hier mit 5,4 Prozent der Stimmen im Rathaus sitzen.

Clara: Dann gab es die Demo gegen die Wahl von Lewandowski von der CDU zum Oberbürgermeister. Der hat viele rechte Sprüche gegen AusländerInnen, BettlerInnen und Junkies losgelassen. Der hat mit seinem Gefasel den Zusammenhang von Kriminalität und AusländerInnen hergestellt, also im Grunde die ganzen REP-Themen bedient.

Anette: Diese Demo ist zum gößten Teil von MigrantInnen organisiert worden, wir hatten vor dieser Demo auch schon zu Gruppen »ausländischer« Frauen in der Stadt Kontakt. Also, bei solchen Sachen oder wenn es Anschläge gibt, wie in Solingen oder Mölln, läuft das immer so in einer Art Bündnis.

Habt ihr euch auswärts in diesem Zusammenhang in letzter Zeit an was beteiligt?

Bettina: Nein, wir haben, wenn was anstand, das hier gemacht. Also, so fahrfreudig sind wir nicht, nicht mehr.

Warum nicht mehr?

Clara: Das ist einfach ziemlich kräfteverschleißend, überall hinzufahren. Aber es ist schon so, daß einige von uns nach Rostock oder zur Bundestagsblockade nach Bonn gefahren sind. Wir müssen halt jeweils für uns schauen, was für jede einzelne leistbar ist, und manchmal sind für uns lokale Aktionen auch sinnvoller.

Bettina: Daß wir nicht einfach blind überall hinrennen, ist auch ein Grund für die Stabilität und Kontinuität unserer Gruppe. Wir orientieren uns an unseren eigenen Kapazitäten und vermeiden damit diesen permanenten Druck zur Selbstüberforderung. Für uns ist das sehr produktiv, und manchmal gibt es Sachen, die wir gut finden, an denen wir halt trotzdem nicht teilnehmen können, und punktum.

Wie ist eure Arbeit vor Ort eingebunden, gibt es Zentren, öffentliche Orte, über die ihr euch organisiert?

Anette: Es gibt das Frauenzentrum, wo wir uns treffen, mit verschiedenen Diskussionsräumen, Frauendisco usw. Dann gibt es noch das Autonome Zentrum, wo die offeneren Sachen laufen. Also die allgemein zugänglichen Veranstaltungen oder einmal in der Woche das Antifa-Café. Wir nehmen, wie gesagt, als Gruppe an den allgemeinen Plenen teil und machen halt sonst so unsere Sachen, Flugis verteilen, Veranstaltungen usw.

Miriam: Seit wir den Reader gemacht haben, kriegen wir auch ab und zu Einladungen, da und dort zu sprechen.

Werdet ihr vorwiegend von anderen Fantifa-Gruppen angesprochen, oder wer lädt euch ein?

Miriam: Das sind vorwiegend andere, Schulen ...

Bettina: Oder ein alternativer Arbeitskreis oder das Frauenforum, die halt an dem Thema Frauen und Faschismus interessiert sind. Das war halt der theoretische Schwerpunkt unserer Arbeit, was jetzt nicht heißt, daß wir sonst nichts machen würden. Wir unterschreiben ja nicht alles, was wir tun, wenn wir uns z.B. bei einer Demo oder Aktion gegen Faschos einklinken, dann steht da nicht immer unten auf dem Flugblatt Fantifa mit drauf. Manchmal ist es ja, aus naheliegenden Gründen, klüger, anonym zu bleiben, und manchmal, wenn die ganze Szene an was dranhängt, spielt die Namensnennung auch keine besondere Rolle mehr.

Habt ihr denn in letzter Zeit Schwierigkeiten mit den staatlichen Repressionsapparaten gehabt?

Bettina: Wir speziell nicht. Aber es gibt ein Problem in der Region. Das war, als die Faschos für ihren alljährlichen Heß-Aufmarsch nach Wunsiedel mobilisierten. Da gab es ein Aufeinandertreffen von Antifas hier im Umkreis und Nazis. Dabei wurde der Führer der faschistischen Sauerländer Aktionsfront sehr heftig, ich glaube lebensgefährlich, verletzt. Danach gab es unter Antifas viele Festnahmen, wobei jetzt noch unklar ist, ob das noch weitere Kreise ziehen wird.

Gab es denn unter euch eine Diskussion, inwieweit ihr solche Aktionen für sinnvoll haltet?

Bettina: Von unseren eigenen, selbstbestimmten Aktionsformen her ist das erstmal nicht unsere Linie. Also, es ist schon klar, wenn jetzt Alarm ist, Faschos wollen ein Flüchtlingsheim überfallen oder so, dann gehen wir, soweit irgend möglich, hin. Aber jetzt ganz gezielt die körperliche Konfrontation mit Nazis zu suchen, ist weniger unser Ding. Wie wir das bewerten, wenn andere das machen, ist allerdings eine andere Sache, also, das heißt nicht, das wir das immer schlecht finden. Manchmal kannst du dir die Situation nicht aussuchen. Aber wenn du die Möglichkeit hast, dir selber überlegen zu können, wie du die Faschos angehen kannst, suchen wir doch nach anderen Möglichkeiten.

Und wenn sie wie in Wunsiedel oder Fulda aufmarschieren?

Bettina: Ich erzähle jetzt mal eine Geschichte, die vielleicht verständlich macht, warum ich auf so was wenig Lust habe.
Als die Urne von Michael Kühnen in Kassel beigesetzt wurde, kamen natürlich viele Faschos. (Später ist die Urne ja dann geklaut und vernichtet worden.) Von der Antifa ist auch überregional mobilisiert worden, und es gab ziemliche Keilereien. Das wäre ja an und für sich nicht schlecht gewesen, aber es war ziemlich chaotisch. Und es sind Sachen passiert, die vielen Leuten hier nicht gepaßt haben. Ohne gemeinsame Absprache sind halt die schnellsten und lautesten draufgegangen, und alle anderen sind dringehangen. Es gab nur die Möglichkeit, mit drin zu hängen oder sich in einer Scheißsituation zu entsolidarisieren, was auch unmöglich ist.
Bei lokalen Kasseler Demonstrationen kann so etwas normalerweise nicht passieren, da kann ich die Situation in etwa einschätzen und weiß, was wohl laufen wird. Bei einer Antifa-Bundesmobilisierung ist das oft unberechenbar, und auf eine Auseinandersetzung mit Leuten in der eigenen Demo, die außer Zusaufen und Draufschlagen nichts im Kopf haben, darauf habe ich keine Lust mehr.

Aber man muß doch auf Bundesebene weiter aktionsfähig sein, auch wenn es dabei Situationen geben kann, wo man sich die Wahl der Mittel nicht mehr aussuchen kann. Das würde doch sonst heißen, den Nazis die Straße zu überlassen, bzw. wenn sich die Bullen einmal nicht dazwischenschieben, hast du doch gar keine andere Möglichkeit, als zu drastischen Mittel zu greifen. Das Problem ist doch nicht so einfach aus der Welt zu schaffen.

Bettina: Ich will auch aktionsfähig sein, wenn ich ungewollt in so eine Situation komme, aber ich muß sie nicht suchen, wenn ich sie eigentlich ziemlich schrecklich finde und weiß, daß ich da so furchtbar viel nicht ausrichten kann. Wenn sich einige dem eher gewappnet fühlen, sich entsprechend darauf vorbereiten, sollen sie es tun, aber nicht vergessen, daß es da auf einer Demo auch noch andere Menschen gibt. Mein Schwerpunkt ist das nun mal nicht.
Gerade bei der Antifa-Arbeit ist es notwendig, ganz verschiedene Formen zu wählen und zu akzeptieren. Bei den Neuen Rechten gab es in den letzten 15 Jahren eine Intellektualisierungswelle, der du nicht allein mit Aktionen auf der Straße beikommst. Die sind heute viel etablierter, geben sich nicht mehr als die schlagenden Nazi-Hohlköpfe und können mit ihren Positionen viel breiter über die Massenmedien in die allgemeine Bewußtseinsbildung eingreifen. Und dem muß auch was entgegengesetzt werden. Also, es reicht nicht, nur den Faschos auf der Straße auf's Maul zu hauen, und es reicht leider auch nicht, nur theoretische Arbeit zu machen. Und ich kann mir schon ein bißchen aussuchen, wo ich für mich meinen eigenen Schwerpunkt setze, genauso wie ich eine Position zu Antifa-Aktionen finden kann, ohne an allem selbst unmittelbar beteiligt gewesen zu sein. Also, das, was hier in der Region am Wunsiedel-Tag geschehen ist, war ein Grenzfall, der diskutiert werden muß. Also, ich finde es nicht richtig, Tote in Kauf zu nehmen. Aber das müssen wir als Fantifa erst selbst noch diskutieren.

Ulla: Neben diesen allgemeinen Kriterien, also, wo die Grenze bei militantem Vorgehen liegt, gibt es noch den Punkt mit der eigenen Ohnmacht bei gewissen Aktionen. Antifa-Gruppen, in denen Männer das Sagen haben, vermitteln oft den Eindruck, als hätten sie kein Problem mit so direkten Aktionen, keinen Schiß usw. obwohl ich weiß, daß das nicht stimmt. Und dann komme ich daher, und ich habe einfach Angst vor bestimmten Sachen, egal, was es nun ist, auch wenn ich zu einer Demo fahre, das kostet oft viel Überwindung und Energie. Da muß ich nicht erst einem Fascho direkt gegenüberstehen, da reicht mir schon ein ganz normales Arschgesicht oder irgendein Bulle. In unserer Fantifa-Gruppe kann ich darüber, wieviel ich mir persönlich zutraue, offen reden, und deswegen sind gerade Fragen über Militanz ohne die Männer für mich erstmal viel besser zu diskutieren.

Anette: Von den »gemischten« Antifa-Zusammenhängen wird doch auch kaum thematisiert, warum z.B. so wenig Frauen nachts alleine rumrennen können. Daß Frauen in dieser Gesellschaft allgemein schon in so eine Ohnmachtsrolle gedrängt werden, das wird doch kaum gesehen. Und da kann ich auch nicht einfach losrennen und Vergewaltiger suchen gehen, das können schließlich ziemlich viele sein, und ich kann ja wohl nicht alle vorher finden und plattmachen.
Bei der Antifa gibt es diesen Mythos, man müsse ständig bereit sein, ständig was machen. Gut, wenn ich weiß, da sitzt einer, okay, aber das allein löst noch nicht das Problem. Frauen generell, und »ausländische« Frauen, schwarze Frauen noch viel mehr, sind sehr alltäglich mit einer strukturellen, patriarchalen Gewalt konfrontiert.

Bettina: Auch bevor wir Antifa-Arbeit gemacht haben, haben wir uns damit rumschlagen müssen. Das ist jetzt nichts spezifisch Neues für uns, und entsprechend der jeweiligen Befindlichkeit gehe ich jetzt damit um. Wenn ich als Frau z.B. gut drauf bin, dann gehe ich auch mal alleine einen riskanten Weg, ein andermal kann es sein, daß ich nachts daheim bleibe oder mir ein Taxi nehme, oder ich sehe zu, daß ich in Begleitung bin. Bei Konfrontationen mit den Faschos machen wir das auch nicht viel anders. Wenn wir die Wahl haben, überlegen wir halt, ob wir uns eine Auseinandersetzung zutrauen oder eben nicht.

Miriam: Um in diesem Zusammenhang vielleicht noch einmal auf die Kühnen-Demo in Kassel zurückzukommen: Ein Problem war, daß wenige mit ihrem Vorpreschen die ganze Demo in eine brenzlige Situation, mit Wasserwerfern und so, brachten. Aber vorher gab es schon aus dem Antifa-Block unheimlich viele bescheuerte Sprüche in Richtung Faschos und Bullen wie »schwule Sau«, »dumme Fotze« etc. Also absolut schwulen- und frauenfeindliche Sprüche; und die gleichen Typen waren nachher auch dabei, als die Situation eskalierte. Also, solche Männer, mit denen will ich nicht zusammen auf eine Demo gehen noch sonst irgendwas.

Clara: Ich weiß von einigen Frauen, die nach dieser Geschichte nichts mehr mit den »gemischten« politischen Zusammenhängen zu tun haben wollten. Für mich war das genauso, ich hab mich erstmal von allem zurückgezogen.

Worauf führt ihr denn solche Entwicklungen zurück? Anscheinend habt ihr ja mit so üblen Erscheinungen auch nicht unbedingt gerechnet?

Bettina: Woran das liegt? Also, ich denke, es gab so was wie einen Zusammenbruch von überregionalen autonomen Strukturen, die in den 80er Jahren so einigermaßen funktioniert haben, gerade was die Antifa betrifft. Früher hatte ich auf militanten Demos ein sicheres Gefühl. Auch wenn es immer mal Panikaktionen gab, waren die Demos in Blöcken organisiert, und ich konnte relativ sicher sein, daß Absprachen eingehalten wurden. Heute habe ich das Gefühl, daß die Eigenverantwortung nachgelassen hat, und auch wenn das blöd klingt, daß es ein Disziplinproblem gibt, mit der Sauferei und dem Wenig-aufeinander-Achten. Auf der anderen Seite reagiere ich aber total allergisch auf diese Vorschläge von Antifa (M) & Co, also, etwas überspitzt ausgedrückt, alles bundesweit straff durchzuorganisieren, am besten in Reih und Glied mit Ausweis und Fahne ... Ein Problem ist sicherlich, daß viele Erfahrungen und Diskussionen, die in den 80ern mit militanten Aktionen gemacht wurden, von den älteren AktivistInnen nicht weitervermittelt wurden und halt viele jetzt einfach weggeblieben sind oder andere halt auf so Organisationsideen wie Antifa (M) kommen. Das liegt alles ziemlich im argen.
Allgemeine Gründe spielen dabei sicherlich auch eine Rolle. Die gesellschaftliche Situation hat sich in den letzten Jahren ziemlich verändert, und die Jüngeren erfahren wahrscheinlich eine völlig andere Sozialisation als die, die heute um die 30 sind. Der Zusammenbruch der Sowjetunion, der Anschluß der DDR und die Verschiebung der Gesellschaft nach rechts und die allgemeine Vereinzelung gehen ja auch an der Linken nicht spurlos vorbei ...

Könnt ihr diese allgemeinen gesellschaftlichen Veränderungen mit ihren Auswirkungen für autonome Antifa-Politik noch etwas präzisieren? Inwiefern werden Jugendliche heute anders sozialisiert bzw. politisiert als in den 80er Jahren?

Miriam: Die die Zeit nach '68 noch ein bißchen mitgekriegt haben, Anti-Atomkraft- oder Friedensbewegung, die haben noch andere Formen und Möglichkeiten der Politik erlebt. Natürlich auch den Frust, als dann nichts geklappt hat. Also, mit der Friedensbewegung haben wir nichts verhindert. Aber trotzdem war es so eine Form der Kultur mit großer Ausstrahlung, an der sich oppositionelle Jugendliche erstmal orientieren konnten. Man hat sich zusammengesetzt, um die Pershings zu verhindern, ob das nun geklappt hat oder nicht. Und danach kam für viele ein Loch, das zu Vereinzelung und Einzelaktionen führte.

Meintest du eben Friedensbewegung oder autonome Antikriegsbewegung?

Miriam: Antikriegsbewegung gab es in den 50ern.

Die nationalistische und pazifistische Friedensbewegung wurde doch sehr zwiespältig betrachtet, und die autonome Organisierung stand links davon und hat sich nie mit den allgemein apokalyptischen Vorstellungen der Friedensbewegung vereinbaren lassen. Das waren zwei getrennte Spektren, die mit unterschiedlichen Zielen auf die Straße gingen.

Miriam: Ich meine die Friedensbewegung, da sie meiner Meinung nach für das Gros der Jugendlichen eher das gewesen war, was sie beeinflußt hat.

Bettina: Das Loch kam aber nicht für alle. Also, im Antifa-Bereich war das so: Nach der Abgrenzung der autonomen Antifa von der KB-orientierten Antifa-Politik war es schon klar, daß es um linksradikale Politik geht und nicht um irgendein Blümchen-Heiteitei wie bei den Friedensbewegten. Es ging auch nicht mehr so ausschließlich wie noch bei den kommunistischen Gruppen um Antikapitalismus, sondern der Gedanke nach einer emanzipatorischen Selbstorganisation war ein ganz wichtiger Punkt. Der Gedanke einer spontan möglichen, autonomen Selbstorganisierung ist auch bis heute ganz gut weitergetragen worden. Aber obwohl eine gewisse Handlungsfähigkeit bewahrt wurde, ist auf der anderen Seite so ein politisches Umfeld weggebrochen. Also, die Orte, wo alle möglichen Leute zusammengekommen sind, ob sie nun organisiert waren oder nicht, und sich über alles mögliche unterhielten, wo du verschiedene Ansichten und auch verschiedene linke Traditionen kennengelernt hast, von denen du Sachen übernehmen oder dich dagegen abgrenzen konntest, das existiert heute weniger, glaube ich.
Für mich war zum Beispiel die Auseinandersetzung aus einem Lebenszusammenhang heraus oder mit denen, die schon länger linksradikale Politik in Antifa-Strukturen machten, oder mit älteren Frauenzusammenhängen, einmal sehr wichtig. Heute scheint mir der Austausch zwischen den verschiedenen Szenen weniger zu funktionieren; und obwohl die Antifa viel mehr Thema als früher ist, hat sich die Qualität der Arbeit inhaltlich und strukturell nicht unbedingt verbessert. Was nicht heißt, daß es »früher« nur toll war. Zum Beispiel taten sich die Antifas in den 80ern sehr schwer mit der Patriarchatsdiskussion.

Von dem Versuch verschiedener Antifa-Gruppen, mit einer bundesweiten Organisierung in der AA/B0 aus dem Dilemma herauszukommen, davon haltet ihr gar nichts? Beteiligt ihr euch überhaupt an dieser Diskussion?

Bettina: Nein. Der erste Punkt ist schon mal, daß sie die Fantifas erst gar nicht eingeladen hatten. Dann hatten wir hier zur BO auch inhaltlich diskutiert, und dabei kam eine relativ einheitliche Position heraus, daß wir gewisse Anteile an der BO, diese straffe Organisationsrichtung, ablehnen. Wir sind für eine bundesweite Organisierung, aber nicht unter diesen Vorzeichen. Dazu kommt noch, daß für uns eine bundesweite Fantifa-Organisierung erstmal Vorrang hat.

Was haltet ihr von der Losung der Göttinger Antifa (M), die ja eine wichtige Kraft in der AA/BO ist: »Antifaschismus auf antiimperialistischer Grundlage«?

Bettina: Wir machen Antifa-Arbeit auf antipatriarchaler Basis, und da gehört der Antiimperialismus selbstredend mit dazu. Aber ich würde sagen, daß wir unter Antiimperialismus was anderes verstehen, als so in den einschlägigen Broschüren zu lesen ist. Das scheint doch eine sehr verkürzte Kapitalismuskritik zu sein, antipatriarchale Aspekte sind kaum eingebunden, also, das ist nicht unsere Linie.

Wenn ihr euch bundesweit stärker auf Fantifa-Gruppen bezieht, würde es mich interessieren, ob ihr denn zu vergleichbaren Gruppen im Gebiet der ehemaligen DDR Kontakte habt oder, wenn es dort keine Fantifas gibt, dann zu »gemischten« Gruppen? Kassel liegt ja ziemlich nahe an der alten Grenze ...

Clara: Wir haben weder zu Antifa- noch zu Fantifa-Gruppen im Osten Kontakt, obwohl ich schon denke, daß es da auch Fantifas gibt. Wir sollten uns vielleicht in nächster Zeit mal darum kümmern ...

Habt ihr euch mit dem Anschluß der DDR an die BRD beschäftigt, oder war das für euch kein Thema?

Miriam: Kaum.

Bettina: Komisch, nicht? Aber das war irgendwie kein Thema.

Also, das hat eure Arbeit in den letzten drei Jahren gar nicht beeinflußt, das hat euch überhaupt nicht tangiert?

Clara: Natürlich haben wir darüber schon mal geredet, aber unsere Fantifa-Arbeit hat das kaum beeinflußt, daß das jetzt ein Schwerpunkt der Auseinandersetzung geworden wäre, oder so.

Bettina: Bei Einzelpunkten taucht das immer mal auf. Zum Beispiel wenn wir über die soziale Verschärfung oder die Verschiebung nach rechts in der BRD diskutieren, oder die Verschärfung beim 218, da spielt der Kontext der Vereinigung schon eine Rolle. Aber es ist jetzt nicht so, daß dies der Aufhänger für unsere Politik geworden wäre.

Ulla: Daß die DDR für uns so ein weißer Fleck auf der Landkarte ist, ist uns schon aufgefallen. In unserem Reader sind ja auch keine Texte von Frauen aus der ehemaligen DDR drin, einfach weil wir keine für uns brauchbaren gefunden haben. Wir hatten aber auch nicht so gezielt danach geguckt. Und natürlich tangiert mich dieser ganze Vereinigungskram. Ich empfinde das als Bestätigung der herrschenden Politik in der BRD, so daß was vorher hier schon beschissen war, sich jetzt nochmal verstärkt hat. Und das ist mir logischerweise nicht egal.

Gibt es jetzt noch etwas, was wir vergessen haben, was ihr jetzt am Ende dieses Gespräches noch gerne loswerden möchtet?

Bettina: Ich möchte noch einmal betonen, daß das, was wir erzählt haben, nicht heißen soll, daß jede Fantifa-Arbeit so aussieht oder so aussehen sollte wie die unsere. Gerade zur Frage der direkten Konfrontation wird es von anderen Gruppen sicherlich auch andere Positionen geben. Auch zur Frage einer Zusammenarbeit mit »gemischten« Gruppen. Wir sprechen ausschließlich für unsere Gruppe und nicht als Repräsentantinnen bundesweiter Zusammenhänge.
An einem bundesweiten Selbstverständnis wird ja erst noch gearbeitet, und dazu kann vielleicht ein solches Gespräch etwas beitragen, mehr nicht.



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