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Sun Nov  7 16:09:23 1999
 

Aktion gegen das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Dortmund (September 87)

Soziale Revolution gegen imperialistische Flüchtlingspolitik

Nachts, zwei Uhr. Eine Gruppe Berber, Nichtseßhafter, Sozialhilfeempfänger und Arbeitssuchende für eine schnelle Mark finden sich vor dem Gebäude des Schnelldienstes des Dortmunder Arbeitsamtes ein. Mit lautem Hallo und einigen Pullen Bier gegen die Kälte und Langeweile wird der Morgen erwartet. Viele kennen sich, denn die Prozedur wiederholt sich Nacht für Nacht. Sie kommen nicht freiwillig.

Das Programm, das sie herzwingt, bekannt als Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger ist die Knute der Sozialverwaltung, ihre Klientel zu disziplinieren, und sie führt gleichzeitig den verschiedensten Unternehmen frei disponible Arbeitskraft zur billigsten Vernutzung zu.

Das System funktioniert so: wenn es auf der Schelle Arbeit gibt und sei es auch nur für einen Tag gibt es keine Sozialhilfe; wer keine Arbeit bekommt, braucht unbedingt den Amtsstempel, mit dem die Bereitschaft dokumentiert wird, am staatlichen Sklavenmarkt teilzunehmen. Denn ohne Stempel keine Sozialhilfe.

Szenenwechsel: ein paar Stunden später, dasselbe Gebäude, eine Tür weiter: hier ist die Außenstelle des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Zirndorf.

Diejenigen, die zur Arbeit gezwungen werden, sind längst weg. Nun finden sich die ein, denen von Amts wegen für Jahre jegliche Arbeit verboten wird: Flüchtlinge, Immigranten, AsylantragstellerInnen.

Hier wird im ersten Anlauf festgestellt, was vom Staat als politischer Asylgrund akzeptiert wird, was nicht. Sogenannte Entscheider, bundesrepublikweit 140 an der Zahl, befinden nach diesem Verhör über die Anerkennung, 70.000 Verhöre in einem Jahr. Inzwischen werden 90 % abgelehnt. Und Ablehnungsgründe gibt es viele. Wer aus beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen flieht, wer gar eine Strafverfolgung befürchtet, ist sofort aus dem Rennen. Desertation oder Kriegsdienstverweigerung (Iran), Folter und Totschlag (Türkei), sogar Völkermord (Tamilen) sind schon lange kein Asylgrund mehr, weil diese Formen der Behandlung von Menschen zum normalen, traditionellen und nicht außergewöhnlichen Instrumentarium der jeweils herrschenden Klasse gehören.

Hektographierte Zettel als Ablehnungsbescheide mit Standardbegründungen erleichtern das Geschäft, es ist der alltägliche zynische Umgang mit der Macht, die über Menschenleben entscheidet.

Den Zurückgestoßenen bleibt der mühsame, erniedrigende und erfolglose Weg über die Verwaltungsgerichte, um dort die Rückfahrkarte und den Abschiebeknast verpaßt zu bekommen.

Die Zufälligkeit, mit der in Dortmund zwei Ausformungen derselben Sozialpolitik örtlich zusammengeführt wurden, versinnbildlicht den repressiven Charakter des Sozialverwaltungssystems: Sonderbehandlung von Minderheiten mit dem Ziel der Kontrolle und der Selektion, mit der Intention rassistisch vermittelte Klassenspaltung zu schaffen und der stillschweigenden Akzeptanz der Auspressung in ungarantierten Arbeitsverhältnissen.

Wo im letzten Sommer noch aus Zeltstädten und überquellenden Sammellagern dem deutschen Stammwähler die Asylantenflut den sicheren Heimatboden wegzuspülen drohte, wo des Volkes Stimmung mobilisiert wurde, um in alter Tradition Fremdenhaß zu säen, wird heute die Einkreisung der hier verbleibenden Flüchtlinge organisiert.

Hatten noch Maßnahmen wie Grenzschließung, Einschränkung der Bewegungsfreiheit und die Kasernierung Gegenkräfte mobilisiert, scheint das Thema Asyl nur noch als billiges Profilierungsgequatsche zu den Menschenrechten zu taugen. Die Torturen und die Leideswege der Flüchtlinge der drei Kontinente sind immer noch die gleichen geblieben.

Die Einkreisungspolitik zielt darauf ab, die restlichen Flüchtlinge aus dem Land zu treiben, indem ihnen die Lebensgrundlagen entzogen werden. Die geplante Herausnahme aus dem Bundessozialhilfegesetz und die Schaffung eines Sondergesetzes, das nur noch Gelder bewilligen soll, die dem Lebensstandard in den Heimatländern entsprechen sollen, hungert die Menschen aus.

Die Anerkennungsquote wird systematisch runtergeschraubt. Daß die Flüchtlinge auf diese Weise dem illegalen Arbeitsmarkt zugeführt werden, gehört zum Repertoire kapitalistischer Ausbeutungsmethoden. Einige Branchen setzen zunehmend auf die Vernutzung illegaler Arbeitskraft aus dem Flüchtlingsmilieu.

Im Zusammenhang mit der Leiharbeit und dem staatlichen Zwangsarbeitssystem wird deutlich, daß der Anteil der ungarantierten Arbeit wächst. Gegen diesen Klassenkrieg von Oben müssen die Angriffslinien gegen das System liegen, um die Kampagen gegen die imperialistische Flüchtlingspolitik auszuweiten zum Kampf gegen die repressive Sozialpolitik und ihren Vermittlungsagenturen.

Unser Angriff auf beide Orte stellt eine Verbindung her, die die Ausweitung der Kampagne thematisiert. Dabei wissen wir natürlich, daß unsere Aktion die Politik der Spaltung und Desorientierung durch die Herrschenden nicht aufhebt und die rassistische Klassenstruktur nicht überwindet. Sie gibt eine Möglichkeit für zukünftige Konfliktlinien an.

Die verbrannten Akten in der Dortmunder Außenstelle des Zirndorfer Amtes sollen den Flüchtlingen eine Atempause verschaffen und ein Beitrag dazu sein, das faktische Aufenthaltsrecht durchzusetzen.

Anschläge gegen das Verwaltungsgericht Düsseldorf und das Oberverwaltungsgericht Münster (1989)

Soziale Revolution gegen imperialistische Flüchtlingspolitik

Sie machen sich nicht selbst die Hände schmutzig. Sie beteiligen sich nicht selbst an Folterungen, Vergewaltigungen oder Hinrichtungen, etwa von kurdischen oder tamilischen Frauen und Männern.

Dennoch ihre Arbeit ist ein blutiges Geschäft.

Sie sind ein kleines, aber wirksames Rad im internationalen Klassenkrieg gegen die Armen der drei Kontinente. Ihre Waffe ist das Asylrecht. Ihr Schutz die Anonymität des Justizapparates: die Richter an den Asylkammern der westdeutschen Verwaltungsgerichte.

Wenn überhaupt was über die rassistischen Praktiken der Gerichte bekannt wird, sind es die ganz spektakulären Fälle etwa der Tod eines Schwarzen aus Sierra Leone, der, nachdem er von der 18. Kammer des Düsseldorfer Verwaltungsgerichts ausgesondert worden war, in seiner Heimat von seinen Verfolgern ermordet wurde der Täter: Richter Fix.

Die Geschwindigkeit und Präzision, mit der dieser Richter an der Horrorkammer abschlägige Urteile gegen Flüchtlinge fällt, hat in Deutschland Tradition. Der zynische Kommentar seines Dienstherrn: der Tod des Schwarzafrikaners seit letztlich ein schicksalhaftes Geschehen.

Der alltägliche Horror, die Normalität ist die Aussonderung der Flüchtlinge aus dem Trikont die Verweigerung ihres Existenzrechts.

Der weitaus größte Teil der weltweit zwangsmobilisierten Flüchtlinge sind Frauen. Die meisten von denen, die es trotz Abschottung der Metropolen überhaupt schaffen herzukommen, sind Männer. Es ist angesichts des 5jährigen Arbeitsverbotes, Bewegungsverbotes, dem Leben in Lagern, der ständigen Unsicherheit ein zweifelhaftes Privileg aber immerhin noch besser als die Lebensbedingungen der Frauen und Kinder, die in den Flüchtlingslagern der Armutszonen der Welt täglich um ihr Überleben kämpfen müssen wie z. B. die kurdischen Flüchtlinge in der Türkei, die vor den deutschen Giftgasgranaten27 aus dem Irak fliehen mußten.

Die Flüchtlingsfrauen28, die sich hier nicht als Prostituierte in Bordellen wiederfinden oder als Ehefrauen verkauft werden, sondern ihr Recht auf Leben in Form von Asyl einklagen, haben ganz schlechte Karten: sexistische Gewalt ist vor den Gerichten in der BRD kein Fluchtgrund trotz Folter und Vergewaltigung an Frauen aus dem Widerstand oder von sozialen Minderheiten.

Wird Folter an politischen Gefangenen z.B. aus der Türkei von den Gerichten hier nur als normale Verfolgungsmaßnahme im Staatsschutzinteresse bezeichnet, so charakterisiert das Oberverwaltungsgericht Münster in einer Grundsatzentscheidung sexistische Gewalt gegen Frauen als allgemeine Verfolgungsnahme, die nicht gegen Frauen als Geschlecht gerichtet sei. In diesem konkreten Fall entschied dieses Gericht gegen eine Frau aus Sri Lanka, weil eine Vergewaltigung als ganz normale Erscheinung in Bürgerkriegssituationen kein individuell einklagbares Recht auf Asyl begründen würde.

Wenn Flüchtlingsfrauen überhaupt ein Aufenthaltsrecht zugebilligt wird, dann als Ehefrau eines anerkannten Mannes.

Es ist die Verachtung gegenüber Frauen, die ihnen hier wie dort als Sexismus gegenübertritt. Der Angriff auf die weibliche Identität ist aber auch die Angst der Herrschenden vor dem zunehmenden weltweiten Widerstand von Frauen dem Widerstand der Besitzlosen, der alle Machtverhältnisse zum Einsturz zu bringen droht.

Wir haben heute am Oberverwaltungsgericht Münster und im Verwaltungsgericht Düsseldorf Sprengsätze gezündet, weil alle, die sich an der Aussonderung und Kontrolle von Flüchtlingen beteiligen, wissen sollen, daß auch sie die Solidarität der Unterdrückten treffen kann.

Wir haben inzwischen gelernt, daß die imperialistische Flüchtlingspolitik nicht geschlechtsneutral ist. Wenn Männer in der Metropole den Kampf gegen institutionalisierte Formen männlicher Macht aufnehmen, dann nicht unter dem Vorzeichen einer angeblichen Gleichheit. Das wäre nichts anderes, als der Ansatz zu einer neuen Dimension des Betrugs.

Denn als Metropolenmänner sind wir selbst Teil des Problems, Profiteure der sexistischen und rassistischen Machtstrukturen. Deshalb ist unser Kampf für die Aufhebung aller Gewaltverhältnisse mit Sicherheit erstmal ein widersprüchlicher Prozeß. Der Bezug auf den weltweiten Widerstand von Frauen und Farbigen muß aber praktisch werden und hier die institutionalisierten Formen des Rassismus und Sexismus angreifen Solidarität ist ein Kampfbegriff.

Wir knüpfen heute an unsere Kampagne gegen die imperialistische Flüchtlingspolitik an, die wir begonnen hatten, als im Sommer 86 die rassistische Mobilisierung gegen Flüchtlinge als Hetzkampagne gegen Wirtschaftsflüchtlinge und Überfremdung einsetzte. Ergebnis dieser wohlinszenierten Staatskampagne waren die verschärften Lebensbedingungen für Flüchtlinge und die dichten Grenzen. Die rassistische Ausländerpolitik hier ist Teil einer globalen Bevölkerungs- und Sozialpolitik gegen die arm gemachten Massen der 3 Kontinente. Sie richtet sich gegen ihren Versuch, ihr Recht auf Leben und Existenz hier in den imperialistischen Zentren zurückzufordern. Sie ist aber auch Teil der Sozialpolitik hier zur Neuzusammensetzung der Klasse. Die rassistisch vermittelte Klassenspaltung und der Sexismus sind die einzigen ideologischen Kampfmittel der Herrschenden zur Ablenkung von den sozialen Folgen der kapitalistischen Umstrukturierung, dem Angriff auf den Soziallohn, der Entgarantierung der Arbeitsverhältnisse, den miesen Jobs zu Niedriglohnbedingungen, dem Arbeitszwang für Sozi-Empfänger, die Aussonderung der Alten und Kranken.

Die Propagierung der Kleinfamilie, die Kampagne der Rechten gegen den 218, die Einführung der neuen Reproduktionstechniken sind Teil des Angriffs auf die Identität von Frauen, die sich auch hier zunehmend patriarchalen Strukturen verweigern und widersetzen.

Die Bevölkerungs- und Sozialpolitik ist von ihrem Charakter her sozialdarwinistisch.29 Das Prinzip der Auslese und Ausmerze wird schon daran deutlich, wie die Verschärfung des Ausländerrechts und die Durchsetzung der Gen- und Reproduktionstechnologien propagiert werden. So sind in der Begründung für ein europäisches Forschungsprojekt Prädikative Medizin offen eugenische Kriterien benannt worden. Im ersten Entwurf für ein neues Ausländerrecht wurden nationalistisch-völkische Kriterien in den Gesetzestext wiedereingeführt. Dieser Entwurf verdeutlicht nur die Essenz der Ausländerpolitik: die Abschottung der Herrenmenschen vor den unnützen Essern, den Farbigen des Trikonts und gleichzeitig ihre Verwertung als Arbeitsvölker. Nach den Plänen für das neue Ausländerrecht wird es für die schon aus der Zeit vor dem Anwerbestop 1973 hier arbeitenden ImmigrantInnen minimale Verbesserungen geben, für alle anderen gibt es keinen gesicherten Aufenthalt. Die Bestimmungen sind so vage gehalten, daß die Ausländerbehörden, je nach den Erfordernissen des Arbeitsmarktes und politischem Wohlverhalten, befristete Arbeitserlaubnisse erteilen können. Die de-facto-Flüchtlinge sollen konsequent abgeschoben werden.

Die Aufnahme von hunderttausenden von Flüchtlingen aus Osteuropa steht zur restriktiven Ausländerpolitik nicht im Gegensatz: die Aussiedler werden zum begehrten Objekt zur Sicherung der Niedriglohnpolitik, analog der Adenauerschen Flüchtlings- und Vertriebenenpolitik in der Nachkriegszeit. Sie werden aber auch selbst zum Objekt des Rassismus in der Gesellschaft.

Die Tatsache, daß an den Grenzen der BRD heute ein NSDAP-Mitgliedsbuch mehr gilt, als die Folterspuren am Körper einer Farbigen, weist auf eine Kontinuität europäischer Großraumpolitik seit dem Nationalsozialismus hin.

So ist die Vereinheitlichung der Flüchtlingspolitik zum Schmiermittel zur Durchsetzung der Vereinigten Staaten von Europa geworden, des Europa der Bullen und Bonzen, im Interesse der Multis. Gegenstand vieler Konferenzen und Verträge im Vorfeld des europäischen Binnenmarktes, wie TREVI30 und Schengener Abkommen31, waren immer die Vereinheitlichung der Sicherheitsapparate und die Ausländerpolitik. Es geht dabei um nicht weniger, als den Entwurf einer modernisierten Innen- und Sozialpolitik im europäischen Großraum. Dabei sind die einheitlichen Mechanismen zur Zwangsmobilisierung der Arbeitskräfte aus den angrenzenden Armuts- und Aufstandsregionen des Nahen Ostens (einschließlich der Türkei) und Nordafrikas von besonderer Bedeutung.

Wir hatten unsere Kampagne gegen die imperialistische Flüchtlingspolitik im Herbst 86 als Vorschlag an die gesamte autonome und sozialrevolutionäre Linke in der BRD formuliert.

Wir gehen nach wie vor davon aus, daß Antiimperialismus in der Metropole nur konkret werden kann, wenn er sich auf gesellschaftliche Konflikte hier bezieht und sich ins Verhältnis setzt zu einem möglichen Klassensubjekt in der Metropole und gleichzeitig zu den Kämpfen der Massen in den drei Kontinenten. In diesem Zusammenhang sehen wir auch unsere Aktionen gegen transnationale Konzerne hier zur Unterstützung des Befreiungskampfes im südlichen Afrika.

Auch wenn unser Vorschlag nicht massenhaft praktisch aufgegriffen wurde, so waren die Auseinandersetzungen um die Kampagne gegen das Treffen des internationalen Mordkartells in Berlin32 ein wichtiger Schritt zur Entwicklung eines antiimperialistischen Bewußtseins der Linken.

Daß der Feind aber nicht schläft, ist schon nach den Schüssen an der Startbahn33 deutlich geworden. Die Schüsse waren nur der Auftakt einer Verfolgungswelle, mit der der Staat versucht, all die politischen Ansätze der letzten Jahre und die Entwicklung des militanten Widerstandes seit Anfang der 80er einzudämmen. Durch den permanenten Belagerungszustand, die Ausweitung der Anti-Terror-Gesetze, den verstärkten Einsatz geheimdienstlicher Mittel, ist die radikale Linke seitdem auf sich selbst zurückgeworfen.

Die Repression wird aber nicht im Protest gegen die Repression selbst gebrochen, sondern durch die Verankerung sozialrevolutionärer Politik.

Die politische Entwicklung in diesem Land, insbesondere die Wahlerfolge neofaschistischer Gruppen34, haben uns darin bestätigt, daß antiimperialistische Politik in der Metropole nur dann eine Perspektive hat, wenn sie gleichzeitig auch eine Antwort ist auf soziale Fragen: Das Herz des Staates ist das Bewußtsein der Unterdrückten Revolution ist ohne den Kampf um die Köpfe der Menschen nicht denkbar.

Wir hatten nie die Illusion, daß Teile der proletarischen Jugend, der Frauen, der Arbeitslosen oder anderer Teile der Gesellschaft rasch gemeinsame Interessen mit Flüchtlingen und ImmigrantInnen entwickeln würden, dafür greift der Sexismus und der Rassismus nur zu gut. Antiimperialismus muß aber genau dort angesiedelt sein und diesen Knoten durchschlagen.

Den Befreiungskampf der Frauen und Farbigen in den drei Kontinenten aufgreifen

den antiimperialistischen Kampf im Herz der Bestie führen!

Erklärung zum Anschlag auf das Ausländeramt Böblingen (August 91)

Morgens hörst du die Nachrichten Bundesinnenminister Schäuble schlägt vor, daß die west- und osteuropäischen Länder eine abgestimmte und umfassende Abwehrstrategie gegen die Einreise von Flüchtlingen entwickeln sollen.

Du gehst beim Bäcker vorbei. Im Laden hörst du, wie die Verkäuferin zur Kundin sagt Da muß man aufpassen, die klauen doch immer. Sie meint einen Mann mit schwarzer Hautfarbe, der vor dem Ladenregal steht.

Mittags schlägst du die Zeitung auf und liest die Überschrift: Brandanschlag auf Flüchtlingswohnheim. Einige BewohnerInnen wurden mit Rauchverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert.

Du fährst in die Stadt. Unterwegs triffst du eine kurdische Genossin. Sie erzählt dir, daß ihre vor einer Woche abgeschobene Freundin in der Türkei festgenommen wurde. Sie haben sie mehrere Tage gefoltert. Abends gehst du in deine Szene-Kneipe. Dort hängt ein Plakat:Internationales Fest für Völkerverständigung mit ausländischem Essen und afrikanischer Trommelmusik.

Das ist sicherlich nur ein Ausschnitt von dem, was wir täglich hören, lesen und sehen. Beispiele für den alltäglichen Rassismus und Vernichtungswillen, dem die hier lebenden Flüchtlinge und ImmigrantInnen permanent ausgesetzt sind. Situationen, die auch bei uns Wut und Haß gegen die dafür Verantwortlichen hervorrufen.

Doch durch unsere politische Arbeit wissen wir, daß Betroffenheit alleine keine ausreichende Grundlage für kontinuierliches politisches Handeln ist. Denn erst das Analysieren der Herrschaftsverhältnisse, daß z.B. Rassismus ein integraler Bestandteil der imperialistischen Ausbeutung ist und daß diese durch die rassistische Sozialisation jeder und jedes einzelnen gesellschaftlich abgesichert wird, macht es uns möglich, Ansatzpunkte für einen revolutionären Widerstand zu finden. Hinzu kommt, daß Betroffenheit allein dazu führen kann, in Flüchtlingen und Immigrant/inn/en nur die Opfer zu sehen, anstatt auch ihren tagtäglichen Widerstand gegen die hier bestehenden Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse wahrzunehmen.

Es ist notwendig, daß wir unsere rassistische Sichtweise ablegen und unseren Blickwinkel erweitern: Ob in überfüllten Sammellagern oder auf Dörfern in der Ex-DDR, ob auf Ämtern oder auf der Straße überall kämpfen sie gegen ihre Diskriminierung und für ein menschenwürdiges Leben. Sie organisieren sich und machen Demonstrationen, Besetzungen, Hungerstreiks und andere Protestaktionen.

ÜE

Herrschaftsabsicherung auf unterster Ebene

Die Ausländerbehörde spielt für Flüchtlinge und Immigrant/inn/en eine zentrale Rolle. Permanent sind sie mit dem institutionalisierten Rassismus dieser Behörde konfrontiert.

Auf der Grundlage des Ausländergesetzes und anderer Sondergesetze wird hier über Aufenthaltsstatus, Arbeitserlaubnis oder Ausweisung entschieden. Neben diesem in Gesetze gegossenen Rassismus treffen Flüchtlinge und Immigrant/inn/en auf den Rassismus der Schreibtischtäter/innen und müssen sich gegen deren Willkür, Schikanen und Erniedrigungen zur Wehr setzen. Die Beamt/inn/en spielen in vielen Fällen ihre Macht aus, z.B. wenn sie Flüchtlingen die notwendige Erlaubnis zum Besuch von Familienangehörigen in einem anderen Landkreis verwehren. Immer bleibt Flüchtlingen und Immigrant/inn/en das Gefühl, hier nicht erwünscht zu sein, den herrschenden Normen in den Metropolen nicht zu entsprechen, weil sie bestimmte Kriterien nicht erfüllen sei es die richtige Hautfarbe oder das richtige Geschlecht, sei es ausreichender Wohnraum oder die angepaßte politische Überzeugung, sei es die falsche Kultur oder Religion, sei es die unbrauchbare Arbeitskraft oder die Herkunft aus dem Trikont. Die Mechanismen zur Absicherung der imperialistischen, rassistischen, patriarchalen Herrschaft greifen auf unterster Eben

Die Beamt/inn/en selektieren Flüchtlinge und Immigrant/inn/en nach deren Verwertbarkeit. Die Beamt/inn/en kontrollieren deren Alltag und politische Aktivitäten. Die Beamt/inn/en leiten die Abschiebung ein, wenn Flüchtlinge und Immigrant/inn/en nicht oder nicht mehr verwertbar sind. Auch einzelne, sozial eingestellte Beamt/inn/en ändern nichts an der Tatsache, daß sie Handlanger/innen der imperialistischen Migrationspolitik sind.

ÜE

Das Unrecht ist nicht anonym. Es hat einen Namen und eine Adresse (Brecht)

Zum Beispiel das Ausländeramt in der Steinbeisstraße in Böblingen. Am 22.8.91 haben wir bei diesem Amt einen Sprengsatz gezündet.

Mit der Einführung des neuen Ausländergesetzes am 1.1.91 eröffneten die Herrschenden in der BRD eine neue Etappe gegen die Menschen aus Nicht-EG-Ländern. Es ist die Grundlage für die am 3. Mai auf der Innenministerkonferenz beschlossene Abschiebung von De-Facto-Flüchtlingen. Über 50.000 Menschen, die bisher wegen der besonderen Lage im Heimatland aus humanitären Gründen in der BRD geduldet wurden, sollen jetzt wieder der Verfolgung und Vernichtung ausgesetzt werden. Gegen die angekündigten Massenabschiebungen regte sich überwiegend aus dem humanistisch-christlichen Spektrum Protest, der dazu beigetragen hat, daß es am 15. Juli zu einer erneuten Innenministerkonferenz kam. Die Herrschenden änderten die Modalitäten der Abschiebungen und einigten sich auf eine Salami-Taktik. Der bisher praktizierte generelle Abschiebstopp für Flüchtlinge aus bestimmten Ländern wurde beseitigt. Flüchtlinge sollen, je nach Herkunftsland, zeitlich versetzt abgeschoben werden. Daß diese Politik jetzt nur noch die ab dem 1.1.89 eingereisten De-Facto-Flüchtlinge betreffen soll, ändert nichts am Zynismus der BRD, Menschen überhaupt in Krisen- und Kriegsgebiete abzuschieben. Diese aktuelle Regelung entspricht voll und ganz den bürokratischen und organisatorischen Möglichkeiten der Abschiebebehörden. Wir sehen dahinter das Ziel, das reformistische und christliche Spektrum zu beruhigen und den gemeinsamen solidarischen Widerstand der Betroffenen zu spalten und isolieren. Den von Abschiebung bedrohten De-Facto-Flüchtlingen bleibt nur noch die Möglichkeit der Einzelfallprüfung. Etliche wissen, daß dieser Weg aussichtslos ist und reisen statt dessen freiwillig aus, bzw. versuchen, illegal in ein anderes Land zu kommen.

ÜE

Krieg gegen die Immigrant/inn/en und Flüchtlinge Abschottung und Selektion

Innerhalb der EG wird es für Flüchtlinge und Immigrant/inn/en schon vor dem Inkrafttreten des Schengener Abkommens zunehmend schwerer, sicher zu leben. So will z.B. Frankreich rigoros gegen legale und illegale Flüchtlinge vorgehen und über 70.000 von ihnen abschieben. Ein französischer Regierungssprecher nennt diese Politik gegen die illegalen Immigrant/inn/en konsequenterweise Krieg.

Es ist ein Krieg in Italien, der mit brutalster Härte gegen albanische Flüchtlinge geführt wird. Die italienischen Behörden schrecken nicht davor zurück, tausende von Menschen im Stadion von Bari zu internieren, um sie dann zu deportieren. Durch die absichtlich ungenügende Versorgung mit Lebensmitteln, die miserable ärztliche Betreuung und den Einsatz von Waffen, haben sie Verletzte und Tote in Kauf genommen.

Es ist ein Krieg, der Flüchtlinge oft schon umbringt, wenn sie z.B. aus dem Maghreb unter lebensgefährlichen Bedingungen übers Meer nach Spanien fliehen müssen. An den Grenzlinien zwischen Nord und Süd wird der Krieg bald die Form des Krieges der USA annehmen, die schon jahrelang am Rio Grande auf die Immigrant/inn/en aus dem Süden schießen.

Inzwischen ist überall in den Metropolenstaaten offensichtlich, wie dieser Spezialkrieg aussieht und sich entwickeln wird. Die bürgerlichen Medien verbreiten im Sinn der Herrschenden das Schreckensszenario von einer Flüchtlingsflut, als ob nicht bekannt wäre, daß die Mehrheit der Migrant/inn/en (80 % davon sind Frauen und Kinder) innerhalb des Trikonts selbst flüchten. Nur ein geringer Teil der Menschen, die auf der Flucht sind, kommen bis nach Europa. Genauso bekannt ist, daß die imperialistische, patriarchale und rassistische Ausbeutungspolitik der Metropolenländer zur massiven Zerstörung der Subsistenzwirtschaft im Trikont beiträgt. Das ist eine der Hauptursachen für die weltweite Migrationsbewegung.

Die Folgen dieser Zerstörung treffen Frauen und Männer unterschiedlich. Frauen haben im Gegensatz zu Männern weit weniger die Möglichkeit zu Lohnarbeit in weiter entfernten Ländern oder anderen Kontinenten. Sie sind weniger mobil, weil sie die Versorgung der Familie leisten müssen. Wenn sie flüchten, flüchten sie zumeist in Nachbarregionen oder in angrenzende Länder, vegetieren in Flüchtlingslagern dahin oder versuchen ihr nacktes Überleben in den Großstadtslums zu organisieren. Bestenfalls werden die jüngsten und gesündesten von ihnen in den Weltmarktfabriken vernutzt. Vielen Frauen bleibt nichts anderes übrig, als sich als Prostituierte über Wasser zu halten. Nicht selten müssen sie sich an weiße Sextouristen verkaufen.

Erst in den letzten Jahren kommen aus bestimmten Trikontländern und Osteuropa mehr Frauen als früher in die reichen Metropolen. Hier erwartet sie eine patriarchale Gesetzgebung, die sie zum rechtlosen Anhängels der (Ehe-)Männer macht und ein sexistisches Klima, das sie zwingt, sich und ihren Körper für die rassistisch-sexistischen Interessen weißer Männer zu prostituieren. Die Frauen haben auch in den Metropolen die Aufgabe, ihre Männer zu reproduzieren. Frauenspezifische Fluchtgründe werden im Asylverfahren nicht anerkannt. Als Ehefrauen erhalten sie kein eigenständiges, gesichertes Aufenthaltsrecht.

Nur wenige Frauen und Männer haben das oft zweifelhafte Glück, den Weg in den reichen Norden zu schaffen. Sie sind die sinnlich erfahrbare Rückwirkung der Folgen der imperialistischen Ausplünderung, der ökologischen Zerstörung und der dadurch entstehenden Kriege und Befreiungskämpfe.

Dazu schreiben Immmigrant/inn/en: Heute, wo fast 20 Millionen ImmigrantInnen in den europäischen Staaten leben, kann niemand mehr die Realität verdrängen, daß aus der Armut eine Völkerwanderung stattfindet: zu dem Reichtum.

Ursachen für diese Völkerwanderung sind 500jährige Kolonialgeschichte, neue kolonialistische und gegenwärtige Export- und Kriegswirtschaft. Aufgrund dieser jahrhundertelangen kolonialistischen und imperialistischen Ausbeutungspolitik herrscht im größten Teil der Welt Hunger und Armut. Und aufgrund dieser Politik sind die in den Metropolen lebenden Menschen privilegiert und leben im Wohlstand. Deshalb sind die Menschen, die aus der Armut zu dem Reichtum immigrieren, berechtigt, hierzubleiben. Egal, aus welchem Grund sie da sind. Diese Migration ist als eine Art Kriegsführung zu verstehen. Gegenüber den Armutsverursachern und als eine Art Manöver, um vorzuzeigen, daß sie berechtigterweise Anspruch auf die jahrhundertelang geraubten Güter geltend machen werden. (aus: radikal 142)

Diese alte neue Weltordnung, die jetzt gegenüber den Flüchtlingen und Immigrant/inn/en die letzten Masken fallen läßt, zeigt offenkundig für jede/n, die und der es sehen will, wie der imperialistische Weg als globales Modell faktisch funktioniert. Der Status quo kann in den reichen, relativ befriedeten Metropolen nur abgesichert werden, wenn 3/4 der Welt abgehängt werden. Systematische Verelendung und Vernichtung sind das Prinzip. Daß hierbei inzwischen etliche Länder und halbe Kontinente als Ausschuß betrachtet und abgeschrieben werden, juckt die wenigsten Metropolenbürger/innen.

In Europa setzt die BRD-Politik den Maßstab für den Abwehrkrieg, den andere europäische Staaten übernehmen müssen. Die Herrschenden bereiten sich darauf vor: rechtlich, politisch, ideologisch, militärisch. Sie werden sich die menschlichen Rosinen sprich: (aus-)gebildete, leicht integrierbare Menschen aus dem Trikont und zukünftig auch aus der Sowjetunion und Osteuropa herauspicken und den Rest sofern nicht kurzfristig verwertbar abschieben.

Reuter von Daimler-Benz und Geißler von der CDU sind sich gegenüber der deutschen und europäischen Rechten einig: Einwanderung im richtigen Maß ist die Zukunftsparole. Welches Maß das ist, können wir uns denken. Flüchtlinge und Immigrant/inn/en sind dann kein Problem, wenn sie sich kontrolliert für die Absicherung des beutemachenden Lebensstils einsetzen lassen. Ob als billige, nicht aufmuckende Hamburgerproduzent/inn/en bei MacDonalds ob als tschechoslowakische oder polnische Saisonarbeiter/inn/en in Bauwesen, Landwirtschaft oder Gastronomie, ob als zwangsarbeitende Flüchtlinge für 2,50 DM die Stunde im bayrischen Wald, ob als erotisch-exotische Prostituierte und/oder Hausfrauen oder ob sie als Unterhaltungskünstler/innen den öden deutschen Alltag bereichern, so sind sie willkommen.

Der Selektionskatalog ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Abschottungs- und Abschiebepolitik. Europaweit werden Flüchtlinge und Immigrant/inn/en aussortiert, gezielt eingesetzt, geschlechtsspezifisch vernutzt, ausgetauscht und kontrolliert. Es ist wichtig, daß ihre potentielle Verwertbarkeit schnell genug herausgefunden werden kann die europäischen Selektionsexpert/inn/en stehen schon bereit.

Wer aussortiert wird wie z.B. die Roma gelangt in Zukunft kaum wieder in die reichen europäischen Metropolenländer. Roma sind immer die letzten, die hier gebraucht werden und erwünscht sind, und sie sind immer die ersten, die abgeschoben werden.

So funktioniert neben dem Sexismus ein sich multikulturell gebender, aber knallhart kalkulierender Rassismus als Herrschaftsinstrument.

ÜE

Die Hilflosigkeit der Linken

Immigrant/inn/en und Flüchtlinge, die hierher kommen, handeln im Sinne der Wiederaneignung ihrer Lebenschancen, ihrer Gesundheit und ihrer Würde. Das ist den Herrschenden im Gegensatz zur metropolitanen Linken -längst klar. Dazu schreiben die Immigrant/inn/en Aber leider kann der größte Teil der antiimperialistisch und antikapitalistisch gesinnten Linken in diesem Land diesen antiimperialistischen Ansatz nicht verstehen. Dieser Migrationsprozeß, der aus der Vertreibung und Entwurzelung von Millionen resultiert, der auch als Rache der Enterbten und als Kampfansage gegen das Kapital verstanden werden soll, läßt die deutsche Linke in Hilflosigkeit und Lähmung fallen. (aus

radikal Nr. 142)

Wenn sich die Linke nur über die Abschiebeseite der Migrationspolitik entrüstet und die Seite der selektiven Verwertung in ihrem postmodernen Lebensstil ausblendet, trägt sie damit ihren Teil zur Zementierung der globalen Ausbeutungsverhältnisse bei. Der Gewinn, der immer noch abfällt, korrumpiert und vernebelt den Blick gegenüber den patriarchalen, rassistischen und imperialistischen Interessen. Er läßt den Protest gegen Abschiebungen als Krokodilstränen daherkullern und lähmt die Entwicklung eigener radikaler Handlungsansätze.

ÜE

Was tun? Was tun!

Die Entscheidung, der herrschenden imperialistischen Flüchtlingspolitik Widerstand entgegenzusetzen, ist eine praktische Konsequenz aus unserem antiimperialistischen Verständnis. Denn die Solidarität endet nicht bei der Unterstützung von Befreiungsbewegungen, sondern zeigt sich auch in unserer praktischen Solidarität mit den Flüchtlingen und Immigrant/inn/en hier. Sie findet ihren notwendigen Ausdruck im Angriff auf die Verantwortlichen für die Ausländergesetze, auf die Schreibtischtäter/inn/en, Abschiebeschweine und Gesetzesvollstrecker/innen mit weißen Kragen.

Antiimperialismus hat zwar immer eine wesentliche Rolle in linker Theorie und Praxis gespielt, aber die patriarchalen und rassistischen Grundlagen der weltweiten Ausbeutungsverhältnisse sind erst in den letzten Jahren ansatzweise Bestandteil im linksradikalen Spektrum geworden.

Wir kämpfen für eine herrschaftsfreie Gesellschaft. Dazu müssen wir die verschiedenen Unterdrückungformen und die gesellschaftlichen Widersprüche benennen, die wir abschaffen wollen. Mit Freiheit verbinden wir die Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen weltweit und das Ende aller patriarchalen und rassistischen Gewaltverhältnisse.

Wir werden hier als weißer Zusammenhang für antirassistische Lebensvorstellungen kämpfen und das in einer eigenständigen Auseinandersetzung und politischen Praxis umsetzen. Dabei gibt es für uns nach wie vor mehr Fragen als fertige Antworten. Unser Ausgangspunkt unser politisches Ziel und unsere politische (Alltags-)Praxis müssen sich deshalb immer wieder der Diskussion stellen und hinterfragen lassen. Unsere Glaubwürdigkeit ergibt sich nicht nur aus Schreibtischanalysen, sondern entscheidend auch aus unserer Praxis.

Wir solidarisieren uns mit Flüchtlingen und Immmigrant/inn/en und beziehen dabei Position. Fehler und Widersprüche werden sich immer wieder herausstellen.

Wir kämpfen nicht stellvertretend für Flüchtlinge und Immigrant/inn/en, doch wir haben die Hoffnung, daß wir perspektivisch eine politische Kraft entwickeln, gemeinsam mit ihnen genauso wie mit anderen gesellschaftlichen Gruppen.

Eigenständige Organisierung und Praxis sehen wir als Basis für diese Perspektive. Wie die Zusammenarbeit aussehen kann, ob in Bündnissen oder in gemischten Zusammenhängen, wird sich zeigen. Für uns stellt sich die Frage, was wir dazu beitragen können und welche Voraussetzungen wir von unserer Seite aus schaffen müssen. Als weiße Linke und als weiße Feministinnen profitieren wir von rassistischer Unterdrückung und wissen, daß es nicht ausreicht, die Vorteile, die uns dieses System bietet, zurückzuweisen und so zu tun, als ob wir uns einfach auf die andere Seite stellen könnten. Als weiße Männer und Frauen müssen wir uns bewußt machen, daß wir in einer langen Geschichte von kolonialistischer und imperialistischer Ausplünderung der Welt und dem vielfältigen Widerstand der Menschen dagegen stehen.

Wir sehen die schwierige, aber unumgängliche Aufgabe, dieses historische Erbe genau aus unserer Situation als metropolitane Linke aufzuarbeiten und uns kritisch anzueignen.

Es ist ein theoretischer und praktischer Prozeß, der nicht individuell, glatt und platt gelingen kann, sondern mit Menschen aus dem antiimperialistischen Widerstand, mit Flüchtlingen und Immigrant/inn/en allmählich erarbeitet werden muß. So kann internationale Solidarität lebendig werden und indem sie praktisch wird, können wir sie gegen die Verantwortlichen für die imperialistische Zerstörung richten, ohne unsere metropolitane Geschichte zu verleugnen.

Aus diesem internationalistischen Verständnis heraus verstehen und erleben wir die Abschaffung rassistischer Spaltungs-, Ausbeutungs- und Herrschaftsmechanismen als Teil unserer eigenen Befreiung und als Teil der Befreiung von sämtlichen Machtstrukturen. Es wird ein langer widerspruchsvoller Weg sein, zu dem es keine Alternative gibt.

Es geht darum, die alltägliche Gewöhnung an rassistische und sexistische Übergriffe zu durchbrechen, uns zu sensibilisieren und schlagkräftig zu werden auf allen politischen Ebenen. Das bedeutet auch, die ausländerbehördliche Praxis vor Ort aus dem Schatten der Anonymität zu reißen, die Orte des rassistischen Alltags, der vielen Flüchtlingen und Immigrant/inn/en gerade dort begegnet, ans Licht zu bringen und anzugreifen. Die Arbeit der Abschiebeschweine muß be- und verhindert werden, wo es uns möglich ist. Wir wissen, daß sich im Moment nur wenige Menschen hier in den Metropolen mit Flüchtlingen und Immigrant/inn/en solidarisieren.

Doch unser Kampf hat zum Ziel, genau diese Solidariät zu entwickeln, um damit den Herrschenden ihre Spaltungs- und Ausbeutungswerkzeuge zu entreißen.


aus: Die Fruechte des Zorns
Texte und Materialien zur Geschichte der Revolutionaeren Zellen und der Roten Zora
ID-Archiv im IISG/ Amsterdam (Hg.)
ISBN: 3-89408-023-X
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