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5 Hochzeit in San Romedio



Wann habt ihr geheiratet?

Am ersten August '69 um halb sechs morgens, auf dem Platz vor der Wallfahrtskirche von San Romedio. Ein traumhafter Ort in einem verlorenen Tal in den Trentiner Bergen. Margherita und ich wollten bei Sonnenaufgang in den Wäldern unserer geliebten Berge heiraten. Die Hochzeit zelebrierte ein sehr lustiger und sympathischer Mönch, den wir während des '68er-Aufruhrs kennengelernt hatten. Die Zeremonie wurde auf dem Kirchplatz abgehalten, nach einem Ritus, der angewandt wird, wenn eine der beiden Personen nicht katholisch ist. Wir hatten uns dafür entschieden, um die Eltern von Margherita nicht zu enttäuschen. Sie waren praktizierende Katholiken, während ich, auch wenn ich mich mit keiner Religion identifizierte, aus einem waldensisch-protestantischen Umfeld stammte.



Hattest du Margheritas Eltern zuvor schon einmal gesehen?

Ich war an dem Tag, bevor wir heirateten, offiziell bei ihnen zu Besuch gewesen. Die Mutter kannte ich bereits. Sie war seit geraumer Zeit die Komplizin unserer heimlichen Liebe. Doch den Vater, der in keinster Weise die Trennung Margheritas von der Familie akzeptieren wollte, hatte ich zuvor nie gesehen.

Ich trat also in die Wohnung und sagte zu ihm: »Morgen früh bei Sonnenaufgang heiraten wir; wir würden uns freuen, wenn Sie auch dabei wären.« Er war bestürzt. Ich glaube, für ihn brach eine Welt zusammen. Es dauerte eine Weile, bis er sich gefaßt hatte und mir förmliche Fragen stellte: »Was arbeiten Sie? Wieviel verdienen Sie? Wie wollen Sie meine Tochter ernähren?« Ich ließ es mürrisch und diplomatisch zugleich über mich ergehen. Jedenfalls beschloß er, an der Trauung teilzunehmen.

Meiner Mutter, die in London arbeitete, riet ich von einer derart langen Reise ab und versprach, daß wir sie bald besuchen kämen.



Herr Cagol mußte also um vier Uhr morgens aufstehen und zusehen, wie ihm seine Tochter weggenommen wird?

Ich erinnere mich daran, daß er am Abend des Hochzeitstages, als Margherita ihn später aus Mailand anrief, sie sogleich fragte: »Habt ihr gegessen? Meiner Meinung nach ist der, den du da geheiratet hast, nicht imstande, dich zu ernähren.« Eine rhetorische Frage, die er im Laufe der nächsten Jahre bei jedem Anruf wiederholte.

Als Margherita starb, war er schon lange an Krebs erkrankt. Die Familie versuchte, ihm die Nachricht zu verheimlichen. Irgendwie erfuhr er es aber doch, woraufhin er nach wenigen Tagen verstarb.



Am Abend eures Hochzeitstages seid ihr in Mailand gewesen. Wolltet ihr nicht nach London zu deiner Mutter reisen?

So war es geplant. Wir setzten uns frisch verheiratet in den gelben Fiat 500 von Margherita, luden Zelt und Gitarre ein und fuhren los. Margherita spielte richtig professionell und wurde als drittbeste klassische Gitarristin Italiens gehandelt. Sie spielte vor allem alte spanische Musik und hatte viele Konzerte gegeben, sogar im Ausland. Von ihrer Gitarre hatte sie sich nicht trennen können.

Unser Plan war folgender: In Mailand besprechen wir uns mit den Leuten vom CUB Pirelli, dann fahren wir für einige Wochen in die Berge und dann nach London, um meine Mutter zu besuchen. Im November kommen wir zurück nach Mailand und beginnen mit der »politischen Arbeit«.

Am Ende eines schwülen Nachmittags gingen wir zu Pirelli. Unser Freund Raffaello und andere Arbeiter hatten ein Fest organisiert, da sie von unserer Hochzeit erfahren hatten. Wir aßen, tranken, und irgendwann sagte ich: »Gut, morgen fahren wir, und wir sehen uns Ende November wieder...« Alle schauten mich fassungslos an, als hätte ich gerade wer weiß was für eine Schweinerei gesagt. »Nein«, antworteten sie, »du hast nichts begriffen. Hier kann in zwei Monaten alles mögliche passieren, die Tage sind gezählt. Anfang September, wenn die Fabrik wieder aufmacht, stehen ganz harte Auseinandersetzungen an. Wir müssen uns dem neuen Arbeitsvertrag widersetzen, neben tausend anderen Dingen. Wenn ihr an den Kämpfen teilhaben wollt, müßt ihr viel eher zurückkehren.« Margherita, die damals durch ihre Doktorarbeit die Situation in den Fabriken sehr gut kannte, gab ihnen recht.

Wir verabschiedeten uns mit dem Versprechen, daß wir nicht lange auf uns warten lassen würden.

Margherita und ich machten eine wunderschöne Tour in die Berge meiner Kindheit, ins Pellice-Tal. Wir hatten Glück und sahen Mäusebussarde, sehr seltene weiße Schneehühner und sogar einen majestätischen Adler, der um den Gipfel des Monte Granero segelte, gegenüber des Monviso. Da sie sehr gerne ans Meer wollte, fuhren wir dann weiter nach Süden, in Richtung Tremiti-Inseln. Auf der Insel San Dòmino bauten wir unser Zelt in der Nähe des Strandes auf, gingen baden und legten uns schlafen. Aber ich konnte kein Auge schließen. Es lag wohl an der Hitze, daran, daß ich das Meeresklima nicht vertrug, und am Zirpen der Zikaden. Ich blieb die ganze Nacht wach und saß übernervös draußen vor dem Zelt. Als Margherita aufwachte, sagte ich ihr, daß wir meinetwegen auch nach Mailand zurückfahren könnten.

Sie platzte vor Lachen, sprang ins Wasser, und kurze Zeit später stiegen wir wieder in den 500er. Noch am gleichen Abend saßen wir an der Piazza Castello, wo wir mit einem Frucht-Milchshake den Beginn unseres neuen Lebens feierten. Es war der 15. August.

Zu meiner Mutter nach London fuhren wir nicht mehr. Sie war sehr sauer und kam wohl endgültig zu der Überzeugung, daß ich ein unabänderlich hartherziger Sohn sei.



Habt ihr euch jemals überlegt, ob ihr ein Kind haben wollt?

Ja, sowohl Margherita wie auch ich wünschten uns das sehr. Wir haben es nicht nur geplant, sondern auch getan. Margherita wurde kurz nach unserer Rückkehr nach Mailand schwanger. Wir waren glücklich und überlegten schon, wie wir unser Leben als zukünftige Eltern mit unseren politischen Verpflichtungen in Einklang bringen sollten, was uns damals noch nicht unmöglich schien.

Im sechsten Monat hatte Margherita einen Unfall. Sie fuhr sehr gerne Motorrad. Eines Tages fuhr sie auf einer Straße in Mailand durch ein Schlagloch, das einen heftigen Rückschlag verursachte. Sie verlor das Kind im Krankenhaus. Das war eine sehr schmerzliche, nicht leicht zu überwindende Situation.



Habt ihr es nie wieder versucht?

Die Ereignisse überstürzten sich, und so war es nicht mehr möglich. Ein Jahr später waren wir schon halb im Untergrund und am Anfang einer harten Auseinandersetzung. Für uns blieb es ein wichtiges persönliches Problem, über das wir oft redeten. Es schien uns aber ein zu großes Wagnis bei dem Leben, das wir mittlerweile führten, ein Kind zu bekommen.



Hat denn bei den Roten Brigaden keine eurer Genossinnen Kinder bekommen können?

In den folgenden Jahren blieb das Thema Kinder sehr präsent, und es wurde viel darüber diskutiert. Es hat auch Abtreibungen gegeben, die sehr schmerzlich waren.

Mir ist aber nicht bekannt, daß eine der Illegalen während ihrer Mitgliedschaft in den BR Kinder bekommen hätte. Ich erinnere mich, daß die Genossin eines Leiters der ersten Mailänder Kolonne ‘73 schwanger wurde und uns mitteilte, sie wolle nicht auf das Kind verzichten. Das Paar bat uns darum, die Organisation verlassen zu dürfen. Wir diskutierten das Problem und beschlossen, da die beiden der Polizei völlig unbekannt waren, daß die »Rückkehr zur Normalität« für sie möglich sei.

Sie bekamen das Kind und leben glücklich und zufrieden, zumindest hoffe ich das.



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