haftbedingungen

2. auszuege aus den untersuchungen joergen pauli jensens und john mcguffins


bericht von joergen pauli jensen (psychologe, daenemark):

die soziale und sensorische deprivation (sd) als "unblutige" tortur. "schon am tage nach ihrer verhaftung wurde ulrike meinhof unter extremen isolationsbedingungen im sogenannten toten trakt in der justizvollzugsanstalt (jva) koeln- ossendorf gefangen gehalten. diese erste periode in extremer isolation (es folgten weitere) dauerte 237 tage. was bedeutet dies fuer die psychische und physische verfassung eines menschen ?

form und wirkung der isolationstortur stehen in einem direkten zusammenhang:die form besteht aus extremer isolierung von sozialem kontakt und verhinderung unterschiedlicher sinneseindruecke, die notwendige bedingung sind fuer das funktionieren des menschlichen organismus. es handelt sich sozusagen um eine aushungerung des menschlichen kontaktbeduerfnisses und von sinneswahrnehmung, d. h. menschlicher kommunikation, dadurch, dass der gefangene in eine "camera silens" gebracht wird, einen schalltoten raum (oder einen raum, der mit einem staendig gleichlauten summen erfuellt ist), den tag ueber dunkel (oder auch weiss gestrichen mit eingeschalteter neonbeleuchtung bei tag und nacht), mit geringen bewegungsmoeglichkeiten (kleine zelle) und sauerstoffmangel. aus experimental- psychologischen untersuchungen und aus - viel zu viel - praktischer erfahrung weiss man mit gewissheit, dass solche bedingungen in kuerzester frist menschen psychisch und physisch zerruetten und zerstoeren koennen. psychisch tritt eine allmaehliche zerstoerung der sogenannten vegetativen funktionen ein (krankhafte veraenderungen bezueglich des schlaf- , hunger- , durst- und urinierbeduerfnisses, wie auch kopfschmerzen, gewichtsverlust u. a. ). hinsichtlich der psychischen verfassung entsteht emotionale instabilitaet (unverhaeltnismaessige und ploetzliche angst, freude und wut).

psychisch- erkennungsmaessig entstehen in kurzer zeit unter anderem zeitliche und raeumliche desorientierung, konzentrationsschwierigkeiten, gedankenflucht und schlechtes erinnerungsvermoegen, sprech- und verstaendnisdefizite (man versteht in zunehmendem masse das gesagte weniger und drueckt sich unzusammenhaengender aus), halluzinationen etc. . . . llerdings greift dieses problem nicht immer:viele personen koennen trotz grober isolationstortur ihren "persoenlichkeitskern" bewahren, z. b. in form politischer ueberzeugung.

kann man von tortur sprechen ?

meiner meinung nach - die auch von vielen anderen geteilt wird - kann diese frage nur mit einem "unbedingten ja" beantwortet werden. soziale und sensorische deprivation muss - neben anderen bekannten formen von folter - als tortur definiert werden, als tortur, die im widerspruch steht zu allen menschenrechtserklaerungen und - konventionen.

die sogenannte "neue" tortur hinterlaesst indessen keine spuren, egal, ob es sich um elektrotortur oder soziale und sensorische deprivation oder andere "unblutige" torturformen handelt.

in der beurteilung der behandlung von ira- gefangenen durch die englaender in nord- irland kommt amnesty international (ai) in einem memorandum zu folgender feststellung:

"es ist klar, dass die absicht und wirkung solcher techniken eine desorientierung und zerstoerung mentaler funktionen mit hilfe von sd sind . . . weil wir gegen die beabsichtigte destruktion der menschlichen faehigkeit, das eigene bewusstsein zu kontrollieren, sind, haben wir in unserem katalog ueber moralische verbrechen besonderen wert auf die techniken gelegt, die die absicht oder wirkung haben, eine dysfunktion oder zerstoerung der mentalen prozesse eines menschen hervorzurufen. dies ist ein ebenso eklatanter uebergriff auf die immanente wuerde des menschen wie die techniken der traditionellen physischen tortur. " (2)

wir sind zu dem resultat gekommen, dass ulrike meinhof der "unblutigen" torturmethode ausgesetzt worden ist, die man "soziale und sensorische deprivation" nennt. wir sind ausgegangen von dem "fall" ulrike meinhof, aber haben mehrmals hervorgehoben, dass dies kein isolierter einzelfall ist, sondern ein fall mit weitergehenden perspektiven, die uns stark beunruhigen. eine solche weitergehende perspektive ist, dass gefangene, die beschuldigt werden, staatsfeindliche aktivitaeten auszuueben, oder eventuell nur sympathien dafuer haben, in mehreren laendern in westeuropa einer behandlung unterworfen sind, die im widerspruch zu menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen prinzipien, denen sich zumindest in ihren offiziellen verlautbarungen alle staaten westeuropas verpflichtet zu sein vorgaben.

im zusammenhang insbesondere mit solchen gefangenen zeichnet sich allgemein ein muster ab, das folgendermassen gekennzeichnet ist:

a) isolationstortur (wie wir sie hier beschrieben haben).

b) besondere behinderung und einschraenkung der verteidigung, auf die jeder angeklagte ein verfassungsmaessiges recht hat.

c) verzerrungen, verschweigen und offene luegen und verleumdungen in massenmedien und stellungnahmen von politikern . . . "


bericht von john mcguffin, mitglied der iuk:

"einige anmerkungen ueber die anwesenheit der techniken der sensorischen deprivation in westdeutschlands gefaengnissen, mit partiellem bezug zu dem tod von ulrike meinhof.

die isolierung und die technik der sd wird von den justizvollzugsorganen eingesetzt, um angst oder paranoia hervorzurufen . . . verhalten zu aendern . . . in all diesen faellen ist die anwendung unmenschlich, degradierend, grausam und barbarisch und verstoesst gegen die internationale menschenrechtskonvention.

erstmals wurde die breite oeffentlichkeit von der anwendung der sd- techniken bei "befragungen" oder folterungen anfang der 70er jahre informiert (obwohl staatlich finanzierte forschung dies in den vorhergehenden 20 jahren laengst herausgefunden hatten). es handelte sich um 14 iren, die im august und oktober 1971 intensiven folterungen durch sd- techniken an einem geheimen ort in nordirland ausgesetzt waren.

sechs jahre spaeter wurde die britische regierung oeffentlich vor dem europaeischen gerichtshof in strassburg angeklagt, der bestaetigte, dass derartige anwendungen von sd- techniken folter sind. in england stellten wir fest, dass sonder- abteilungen in gefaengnissen eingerichtet wurden, waehrend in den usa, teilweise in marion, illinois, jacaville und butner in north carolina neue "verhaltenszentren" in den gefaengnissen eingerichtet werden. diese schliessen sd- techniken mit drogenexperimenten und "verhaltensforschung" a la skinner (*) mit ein.

bedingungen in westdeutschlands gefaengnissen:

einige der experimentellen arbeiten, die in brd- gefaengnissen hinsichtlich der sd- techniken angewandt werden, sind ein resultat der klinischen verhaltensforschung an der universitaet hamburg- eppendorf. waehrend dieser forschungsarbeit, geleitet von j. gross, wurd die "camera silens" entwickelt, und diese wird nunmehr in brd- gefaengnissen angewandt. darunter fallen die gefaengnisse in hannover, koeln- ossendorf, hamburg- fuhlsbuettel, hamburg- holstenglacis, berlin- tegel, berlin- lehrter strasse, bruchsal, essen, straubing, werl, butzbach, schwalmstadt, bremen- oslebshausen, mannheim und frankfurt- preungesheim.

die dritte konferenz der europaeischen gruppe zum studium der devianz (**) und sozialen kontrolle in amsterdam 1975 bestaetigte, dass zusaetzlich zu den ca. 80 gefangenen aus der raf einige hundert gefangene (von behoerden als unruhestifter eingeschaetzt) in den ca. 250 isolationszellen sitzen (angefuegt werden muss, dass diese zahlen von 1975 sind. 3 jahre spaeter deutet alles darauf hin, dass diese praktiken ausgedehnt wurden).

seit 1972 werden in den gefaengnissen der bundesrepublik deutschland an politischen gefangenen spezielle methoden praktiziert, die einschliessen:

- systematische trennung von anderen gefangenen, d. h. ausschluss von allen gemeinschaftsveranstaltungen, vom gewoehnlichen gefaengnisleben, das verbot der kommunikation mit anderen gefangenen, jeder versuch, die verbote zu ignorieren, wird mit bunkerarrest bestraft.

- spezielle gitter werden vor den zellenfenstern angebracht, die die sicht nach aussen unmoeglich machen.

- lediglich 1 stunde hofgang allein in handfesseln.

- verbot jeglichen besuchs und briefverkehrs, ausgenommen verwandte.

- alle besuche werden ueberwacht von der politischen polizei, die die gesamte unterhaltung aufzeichnet und diese, sofern evident, im folgenden prozess verwendet.

- totale zensur von buechern und zeitschriften. (3)

ist die anwendung sensorischer deprivation (sd) in gefaengnissen der bundesrepublik deutschland folter ?

18 richter des europaeischen gerichtshofs fuer menschenrechte, einschliesslich eines westdeutschen richters, befanden grossbritannien der folter schuldig (februar 1977). nach fuenf jahren der luegen und ausweichmanoever haben diese richter festgestellt, dass die sensorische deprivation, die durch grossbritannien 1971 in nordirland angewendet worden ist, folter ist.

meiner meinung nach ist die behandlung in brd- gefaengnissen mittels sd folter. "

anmerkungen:

(1) aus der verfuegung des anstaltsleiters von wittlich vom 26. 3. 73

(2) memorandum von ai, zitiert nach jenssen

(3) vgl. verfuegung des anstaltsleiters der jva wittlich vom 26. maerz 1973 und verfuegungen des vorsitzenden des 5. strafsenats beim olg stuttgart vom 8. maerz 1978, die gefangenen juergen tauras, siegfried haag, roland mayer, norbert kroecher u. a. betreffend.

(*) anm. d. ue. :skinner, amerikanischer psychologe, entwickelte massgeblich de sogenannten programmierten unterricht. das verfahren behauptet zwar, ein "lernen nach einsicht" zu gestatten, verwendet jedoch auch verfahren des konditionierens, d. h. ein system von belohnung bzw. bestrafung fuer verschiedene taetigkeiten, um ein lernziel zu erreichen (vgl. pawlows hundeexperimente).

(**) anm. d. ue. :devianz bedeutet ein von einer (gesetzten) norm abweichendes verhalten.

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