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»Nach der Landshut-Entführung glaubten wir an Austausch«

Ihr habt geglaubt, die 80 Leute sind nicht wirklich in Gefahr?

(17.09.77), 15.16k

Wir haben gedacht, daß sie sehr, sehr wahrscheinlich ausgetauscht werden. Wir sind aber auch dabei von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Die Aktion ist anders gelaufen, als sie geplant war. Die Entführung sollte im Südjemen enden. Dort wäre die GSG 9 niemals an die Maschine herangekommen, ohne sich gleich mit dem ganzen Land und dem Ostblock anzulegen. Die Bundesregierung hätte verhandeln müssen.

Wieso ist es in Aden schiefgegangen?

So wie ich die Verhältnisse in Aden kannte, war für mich klar, daß die DDR oder die Sowjetunion dafür gesorgt haben, daß die Maschine nicht dort bleiben konnte. Diese Entscheidung ist nicht in Aden allein getroffen worden. Die hatten ein ganz anderes Verhältnis zu den Palästinensern, hätten sie niemals nach Somalia geschickt.

Hattet ihr von den Palästinensern so sichere Zusagen, daß ihr die Möglichkeit von achtzig toten Urlaubern gar nicht in Betracht gezogen habt? Habt ihr euch nicht gefragt, was machen wir als politische Gruppe, wenn wegen der Aktion achtzig Urlauber umgebracht werden?

Wir haben auf die Erfahrung gebaut, daß die Palästinenser bei Flugzeugentführungen immer verantwortungsbewußt gehandelt haben. Hätten wir die Aktion zu Ende gedacht, hätten wir ihr nicht zustimmen können. Aber wir haben tatsächlich nur an den guten Fall, die politische Lösung, gedacht.

War das eine einhellige Meinung?

Ja, das war unsere gemeinsame Einschätzung. Wir dachten dabei auch an die fast gleichzeitig erfolgreich durchgeführte Entführung eines japanischen Flugzeugs durch die japanische Rote Armee. Und dann hat sich hier ja auch nichts bewegt. Damit meine ich nicht nur den großen Krisenstab, die Bundesregierung, sondern irgendwelche anderen Initiativen, moralischen Instanzen oder sonstige linke Gruppen haben sich ja auch nicht zu Wort gemeldet. Wir haben Deutschland nur noch aus der Sicht der »Verdammten dieser Erde« gesehen.

Hättet ihr es an euch herangelassen, wenn eine kritische Öffentlichkeit euch genau zu diesem Zeitpunkt aufgefordert hätte: Laßt jetzt Schleyer laufen, rettet die Landshut-Geiseln?

Damals gab es ja vor allem diese zwanghaften Distanzierungen. Wenn es als eine unabhängige linke Position gekommen wäre, schon. Wir wurden aber nicht in die Pflicht genommen.

Habt ihr denn damals geglaubt, daß es Unterstützung für die Forderung nach einer Freilassung der Gefangenen geben würde?

Eigentlich schon. Wir hatten natürlich nicht mit der Nachrichtensperre gerechnet. Das war eine Situation, in der wir plötzlich eng auf uns begrenzt waren. Wir haben den Bezug nicht mehr gesehen.

Habt ihr ihn vermißt?

Was heißt vermißt? Wir waren davon ausgegangen, daß sich nach der Entführung auch noch andere bemerkbar machen könnten. Unsere Planung war allerdings nicht darauf angelegt.

Mit wieviel Leuten habt ihr eigentlich diskutiert. Wurden die Entscheidungen von zwei, drei Leuten gefällt, oder haben alle diskutiert, die an der Entführung beteiligt waren?

(18.09.77), 14.98k

Es gab Situationen in denen nicht alle präsent waren. Es kamen Leute mit unterschiedlichen Erfahrungen zusammen, aber alle wurden nach Möglichkeit an den Entscheidungen beteiligt. Ich kenne niemanden, der sich damals beschwert hat, daß er politisch nicht einbezogen war.

Hätte euch eine Reaktion aus der Linken denn noch erreicht?

Das war nicht der Punkt. Die Aktion sollte in ein paar Tagen entschieden sein. In dieser Situation ist es unmöglich, öffentlich zu diskutieren. Danach war es auch schwierig: Wenn wir ein Papier für die Linke verfaßt hätten, wäre das doch gar nicht angekommen. Hätte jemand so ein Papier gehabt und es nicht gleich zur Polizei getragen, der wäre sofort im Knast gelandet.

Es gab doch die Möglichkeit, über die französische Zeitung Liberation zu kommunizieren.

Vielleicht. Ich bin mir nicht so sicher, ob in dieser Situation eine offene Debatte mit der Linken möglich gewesen wäre. Fakt ist, es gab weder von uns noch von der Linken solche Versuche. Die Geschichte ist wie sie ist, und wir müssen sie erst einmal annehmen und die Verantwortung übernehmen. Ich muß zu meiner Schande sagen, daß ich mir auch erst viel später, während meines Prozesses, als ich anfing, meine eigene Geschichte unter einem anderem Blickwinkel zu begreifen, überlegt habe, daß wir viel stärker hätten deutlich machen müssen, warum wir ausgerechnet Schleyer gefangengenommen haben. Wir hätten Forderungen stellen müssen, die in eine ganz andere Richtung zielten. Es wäre naheliegend gewesen zu fordern, daß Daimler-Benz die Archive über den Einsatz von Zwangsarbeitern öffnet, daß der Konzern Entschädigungen für Zwangsarbeiter zahlt. Wir hätten sagen können, bei der Frage der Gefangenen gibt es nur noch tödliche Konfrontation, aber auf einem anderen Terrain kommen wir jetzt auf das zurück, worum es uns eigentlich inhaltlich geht. Aus einer solchen Position wäre es dann vielleicht auch möglich gewesen, ein anderes Ende, für Schleyer eine menschlichere Lösung zu finden.

Habt ihr in der Gruppe darüber geredet?

Wir haben, wenn überhaupt, dann nur innerhalb der Konsequenz dieser Aktion darüber geredet. Im Nachhinein muß ich sagen, wir haben nichts versucht, um die vermeintliche Zwangsläufigkeit zu durchbrechen. Aber damals war niemand bereit, ein Eingeständnis zu machen. Das hätte bedeutet, daß wir vieles, was wir später wohl gesehen haben, vorweggenommen hätten. Wir hätten sagen müssen, der bewaffnete Kampf, so wie er gelaufen ist, geht nicht.

Für euch war schon vor Beginn der Geschichte klar, wenn die Gefangenen nicht rauskommen, wird Schleyer erschossen?

(19.09.77), 11.29k

Ja, das ist auch das, was in den Kommuniqués drinsteht ...

Es ist aber doch eine Sache, was man in Kommuniqués ankündigt, und eine andere, was dann wirklich passiert.

Wir haben uns ja auch anders verhalten. Wir sind sogar während der Aktion von einer anderen Gruppe kritisiert worden, daß wir nicht die Aktion beendet haben, indem wir Schleyer erschießen. Sie haben gesagt, dadurch, daß wir das hinauszögern und auf die Verschleppungstaktik des Krisenstabes eingehen, machen wir es anderen unmöglich, bei späteren Gefangenenbefreiungen noch ernstgenommen zu werden.

Es gab aber doch eine Zäsur, einen Punkt, an dem die Spirale der wechselseitigen Drohungen beendet war. Das war nach dem 18. Oktober. Die Maschine in Mogadischu war gestürmt, die Geiseln befreit, drei Palästinenser erschossen, und die Gefangenen in Stammheim waren tot. Warum konntet ihr da nicht aussteigen, warum habt ihr Schleyer nicht nach Hause geschickt?

Das hätte aus unserer damaligen Sicht bedeutet, daß wir die Politik des Krisenstabes bestätigen und legitimieren. Eine Freilassung ohne politische Gegenleistung wäre nicht als eine menschliche Geste verstanden worden, sondern als Eingeständnis der Niederlage, als voller Erfolg für den Krisenstab, nach dem Motto: Härte zahlt sich aus. Aus heutiger Sicht sehe ich auch unsere verpaßten Chancen, die politischen Interventionsmöglichkeiten, die auch Schleyer den Weg nach Hause hätten ebnen können.

Hattet ihr euch dazu etwas überlegt, gab es Kompromißlinien, z.B. weniger Gefangene werden freigelassen, Hafterleichterungen, die Anerkennung, daß es sich um politische Gefangene handelt?



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