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BVerfG zum Kontaktsperregesetz

Das Gesetz zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz vom 30. September 1977 (BGBl. I S. 1877) - sogenanntes Kontaktsperregesetz - ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

Beschluß des Zweiten Senats vom 1. August 1978 - BvR 1013, 1019, 1034/77 -

... 1. Die angegriffenen Maßnahmen richten sich nicht gegen die beschwerdeführenden Anwälte, sondern gegen ihre Mandanten, deren Kontakt zu Mitgefangenen und zur Außenwelt vorübergehend unterbrochen werden sollte ...
Ob eine unter dem Gesichtspunkt des Art. 12 GG verfassungsrechtlich erhebliche Beeinträchtigung der Rechtsposition des Verteidigers in Fällen der vorliegenden Art denkbar ist, bedarf hier indessen keiner Entscheidung; denn das Vorbringen der beschwerdeführenden Anwälte läßt bereits hinreichende Angaben darüber vermissen, inwiefern die angegriffenen Maßnahmen ihre Tätigkeit als Verteidiger überhaupt verhindert haben sollen. Wie das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 4. Oktober 1977 ... entschieden hat, sind Verteidigerbesuche bei inhaftierten Mandanten nach §148 StPO nur zu Zwecken der Verteidigung zulässig ... Rügt dieser im Wege der Verfassungsbeschwerde, die gegen seinen Mandanten verhängte zeitweilige Kontaktsperre verletze ihn - den Verteidiger - in seinem Grundrecht der freien Berufsausübung, so genügt zur Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht die pauschale Behauptung, die Tätigkeit, an deren Ausübung er gehindert worden sei, habe Verteidigungszwecken dienen sollen. Vielmehr bedarf es konkreter Angaben darüber, um welche Art von Verteidigungstätigkeit es sich handeln sollte und - soweit dies den Beschwerdeführer nicht ausnahmsweise zur Preisgabe wesentlicher Teile seiner Verteidigungskonzeption zwingt - weshalb sie gerade zu dem in Frage stehenden Zeitpunkt erforderlich gewesen wäre ...
3. a) Das Grundgesetz verwehrt dem Staat nicht schlechthin, verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter auf Kosten anderer Güter, deren Bestand ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgt ist, zu bewahren, mag es sich bei solchen Rechtsgütern um Grundrechte oder andere, verfassungsrechtlichen Schutz genießende Belange handeln. Diese Abwägung ist verfassungsrechtlich unausweichlich, wenn sonst die staatlichen Organe die ihnen nach dem Grundgesetz und der verfassungsmäßigen Ordnung obliegenden Aufgaben nicht mehr sachgerecht wahrnehmen können. Dabei ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts davon auszugehen, daß die verfassungsmäßige Ordnung ein Sinnganzes bildet, ein Widerstreit zwischen verfassungsrechtlich geschützten Belangen mithin nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems zu lösen ist ... In diesem Rahmen können auch uneinschränkbare Grundrechte Begrenzungen erfahren ...; denn schlechthin schrankenlose Rechte kann eine wertgebundene Ordnung nicht anerkennen ...
Eine zum Schutz von Leib, Leben oder Freiheit unerläßliche, zeitweilige Beschränkung des Beschuldigten in der Ausübung seiner gesetzlichen Verfahrensrechte, aus der ihm kein erheblicher bleibender Nachteil erwächst, verstößt deshalb auch nicht gegen das Gebot fairer Verfahrensführung. Damit verbundene unvermeidbare Verfahrensverzögerungen laufen dem Beschleunigungsgebot nicht zuwider. Auch im Bereich des Grundrechts aus Art.6 Abs.1 GG kann eine Güterabwägung der vorbezeichneten Art Beschränkungen rechtfertigen ...
a)aa) Das Gesetz zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz ermächtigt die staatlichen Organe, zum Schutz einer gefährdeten Person in Grundrechte solcher Gefangener einzugreifen, die zwar in der Regel die Gefahr nicht unmittelbar verursacht haben, von denen aber nach den vorliegenden Erkenntnissen eine gefahrerhöhende Einflußnahme auf die Ereignisse außerhalb der Haftanstalten zu befürchten ist. Dem zu begegnen, ist die Verhängung einer - absoluten - Kontaktsperre, also die Unterbrechung jedweder Verbindung der betreffenden Gefangenen untereinander und mit der Außenwelt, geeignet. Daß es auch erforderlich war, den staatlichen Behörden die gesetzlichen Mittel zur Anordnung und Durchführung einer solchen Maßnahme in die Hand zu geben, zeigen die Ereignisse im Entführungsfall Dr. Schleyer mit exemplarischer Deutlichkeit. Der Senat verweist insoweit auf die Ausführungen des Bundesministers der Justiz in dessen Antragsschrift vom 4./11. Oktober 1977, die - über den konkreten Fall hinaus - die Notwendigkeit einer solchen Regelung überzeugend aufzeigen. Solange die Gefahr besteht, daß bestimmte Gefangene, die Kreisen des organisierten Terrorismus zugerechnet werden, die verfassungsfeindlichen Zielvorstellungen ihrer Organisation aus den Haftanstalten heraus verwirklichen, zu diesem Zweck den Informationsfluß zu ihren noch in Freiheit befindlichen Gesinnungsgenossen aufrechtzuerhalten und unter den tatsächlichen Voraussetzungen des §31 Satz1 EGGVG die Geschehnisse außerhalb der Anstalten zum Nachteil der gefährdeten Person zu beeinflussen suchen, toleriert die Verfassung im Interesse der Selbsterhaltung des Staates und der Erfüllung der ihm obliegenden Aufgabe, Leben, Gesundheit und Freiheit seiner Bürger zu schützen, das Instrument der Kontaktsperre ...
c) Die nach dem Gesetz zulässigen Maßnahmen belasten die betroffenen Gefangenen nicht übermäßig.

(Quelle: Nr. 9)


aus: Ausgewählte Dokumente der Zeitgeschichte: Bundesrepublik Deutschland (BRD) - Rote Armee Fraktion (RAF), GNN Verlagsgesellschaft Politische Berichte, 1. Auflage Köln Oktober 1987

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