nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Tue Oct  7 23:10:45 1997
 

Gesetzesfreie Bewältigung aktueller Ernstfälle

Prof. Josef Isensee auf dem Symposium der Siemens-Stiftung: Das Jahr 1977 lieferte in der Entführung Schleyers und in der Abhöraffäre Traube zwei Lehrstücke dafür, daß sich der Ernstfall der Republik in ein noch so fein geknüpftes Gesetzesnetz nicht einfangen läßt ... Im realen Effekt jedenfalls haben die Verfassungsorgane mit ihrer Reaktion den Polizeirechtsfall als Ernstfall der Republik akzeptiert und den Störern den Kombattantenstatus, den sie sich anmaßten, zugebilligt ... In beiden Ereignissen, im echten Ernstfall und im vermeintlichen Ernstfall, flammte das archaische Notrecht des Staates auf. In der Grenzlage der totalen Herausforderung zerriß die Staatsgewalt das verfeinerte, effizienzhemmende Geflecht der Legalität - unter Berufung auf die Legitimität.
(Und die Lösung des Konflikts zwischen Legalität und Legitimität sollte eine preußische Generalklausel sein, nämlich:)
eine rechtsstaatliche Vereinigung von Zukunftsoffenheit und Rechtssicherheit, von Elastizität staatsrechtlicher Gefahrenabwehr und grundrechtssichernder Staatsbegrenzung. (Quelle: Nr. 15)

Bundeskanzler Schmidt im Bundestag am 15.6.78:
Ich glaube, daß wir bis an die Grenzen des Rechtsstaats gegangen sind. Der Hinweis auf die Inanspruchnahme des §34 des Strafgesetzbuchs mag hier heute morgen ausreichen. Die Juristen unter Ihnen wissen, daß wir da bis an die Grenzen gegangen sind. Aber wir haben sie nicht übertreten.
Wir haben sogar in der Gesetzgebung - wenn ich nun gegenüber dem exekutiven Handeln ein anderes Feld betreten darf - mit dem Kontaktsperregesetz ein rechtsstaatliches Risiko in Kauf genommen, das Gott sei Dank durch das Bundesverfassungsgericht anschließend gerechtfertigt worden ist. (Quelle: Nr. 6, S. 7770)

Bundeskanzler Schmidt im "Spiegel"-Interview am 15.1.79: ... Ich war auch bereit, den Kopf hinzuhalten für Mogadischu. Ich kann nur nachträglich den deutschen Juristen danken, daß sie das alles nicht verfassungsrechtlich untersucht haben. Man kann nicht alles regeln wollen.
Spiegel: Wir bleiben dabei, daß Verfassungsbruch Verfassungsbruch bleibt.
Schmidt: Ich auch! Aber Sie wollen mir nicht erzählen, daß es in der Schweiz oder in England oder in den Vereinigten Staaten von Amerika keinen Geheimdienst gäbe. Ich will gar nicht von den Militär- und kommunistischen Diktaturen reden. Es ist deutscher Unfug zu glauben, ein so angreifbarer, verletzbarer Staat wie der deutsche könne ohne seine geheimen Dienste auskommen. Das kann er nicht. Worauf es ankommt, ist, daß ... es Menschen gibt, die aufpassen, daß der Staat sich im Gebrauch solcher Instrumente zurückhält; daß Freiheitsrechte nicht beschädigt werden ...
Ihre Freiheitsrechte sind doch nicht abgebaut worden. Meine auch nicht. Rechte sind vorübergehend eingeschränkt worden für Leute, die wegen Mordverdachtes in Untersuchungshaft saßen und ihren Prozeß abwarteten oder die wegen Mordes schon verurteilt waren ...


aus: Ausgewählte Dokumente der Zeitgeschichte: Bundesrepublik Deutschland (BRD) - Rote Armee Fraktion (RAF), GNN Verlagsgesellschaft Politische Berichte, 1. Auflage Köln Oktober 1987

[ Chronologie | Inhaltsverzeichnis | Vorwort | Impressum ]