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Tue Oct  7 23:10:45 1997
 

Strafantrag gegen NRW-Justizminister Posser

gestellt durch den Verteidiger U. Meinhofs, Prof. Dr. Preuss, am 27.6.1973

In der Zeit von Anfang November 1971 bis Mitte Januar 1972 sowie vom 15. April bis 15. Juni 1972 wurde meine Mandantin Frau Astrid Proll, in der Zeit vom 16.6.1972 bis 9.2.1973 meine Mandantin Frau Ulrike Meinhof in der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf in dem als "Frauenpsychiatrie" bezeichneten Trakt dieser Anstalt verwahrt.
Der Trakt ist ein einstöckiger, am Rande des Anstaltskomplexes gelegener Flügel, der im Innern sechs Zellen enthält und zu dem ein Hof gehört, der erheblich kleiner ist als die zu den übrigen Gefängnisflügeln gehörenden Höfe, in denen die Gefangenen ihre Freistunde verbringen. Während der genannten Zeiträume der Verwahrung von Frau Proll und Frau Meinhof in diesem Flügel war kein weiterer Raum dieses Trakts belegt. Bemerkenswert an diesem Flügel ist die Tatsache, daß in ihm, im Gegensatz zu allen anderen Anstaltsflügeln, die bis zu 30 Zellen haben, nur eine sehr kleine Zahl von Zellen enthalten ist ...
Die völlige Isolierung des Trakts in Verbindung mit seiner Leere bewirkten eine spezifische Form akustischer Isolation meiner Mandantinnen, wie sie als Schocktherapie gegenüber psychiatrischen Patienten durchaus angewendet zu werden pflegt. Offenbar handelt es sich hier um die "camera silens" der Justizvollzugsanstalt; der Arzt der Anstalt, Herr Dr. Goette, erklärte dann auch in seiner Vernehmung im Mahler-Prozeß vor dem Kammergericht Berlin in Hinblick auf diesen Trakt, es handele sich hierbei um die "stille Abteilung" der Anstalt.
Zu der räumlichen und akustischen Isolation dieses gesamten Trakts trat hinzu, daß die Zellen meiner Mandantinnen sowie die gesamte Zimmereinrichtung - mit Ausnahme der Zellentür - vollständig in weißer Farbe geölt waren; daß sich das Zellenfenster zunächst gar nicht, später nur einen winzigen Spalt öffnen ließ und mit einem feinmaschigen Fliegengitterdraht verhängt war; daß die in der Zelle befindliche weiße Neon-Beleuchtung nachts bei Frau Meinhof nicht ausgeschaltet wurde; schließlich, daß die Zelle von Frau Meinhof in den Wintermonaten permanent unterkühlt war.
In dieser akustischen und visuellen Isolation hatten meine Mandantinnen lediglich den für die Essensversorgung unabdingbaren minimalen akustischen und sozialen Kontakt mit den Vollzugsbeamtinnen. Sie lebten praktisch 24 Stunden lang ohne unterscheidbare Umwelt. So war es beispielsweise meinen Mandantinnen sogar verboten, Plakate, Bilder, Tabellen o.ä. an die fahl-weißen Wände zu hängen.

(Quelle: Nr. 8, S. 87ff)


aus: Ausgewählte Dokumente der Zeitgeschichte: Bundesrepublik Deutschland (BRD) - Rote Armee Fraktion (RAF), GNN Verlagsgesellschaft Politische Berichte, 1. Auflage Köln Oktober 1987

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