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Tue Oct 14 13:03:39 1997
 

Vorwort

Im Januar 1972 schlossen wir uns zur Bewegung 2.Juni zusammen. Das war ein Datum, welches alle noch miteinander verband, Studenten wie Jungproleten. Alle wußten was der 2. Juni bedeutete. Eine andere Überlegung war dabei für uns genauso wichtig Dieses Datum wird immer darauf hinweisen, daß sie zuerst geschossen haben! Das ist bis zum heutigen Tag so. Jedesmal wenn jemand etwas zur Bewegung 2. Juni sagt, wird auch erwähnt, daß am 2. Juni '67 Benno Ohnesorg von den Bullen erschossen wurde. Soweit zum Namen. (Ralf Reinders/Ronald Fritzsch)

Am 27.2.1975 entführte ein Kommando der Bewegung 2.Juni mitten im Berliner Wahlkampf den Spitzen-Kandidaten der CDU, Peter Lorenz. Im Austausch mit Lorenz gelingt es ihnen, fünf Inhaftierte der militanten Linken, sowie zwei nach dem Tod von Holger Meins inhaftierte Demonstranten, zu befreien. Es war die spektakulärste Tat der Bewegung 2. Juni und zugleich auch schon der letzte geglückte Gefangenenaustausch der Guerilla.

Wenige Monate nach der Lorenz-Entführung nimmt die Polizei Ralf Reinders und Ronald Fritzsch in Berlin fest. Ralf Reinders lebte zu dieser Zeit schon fast 5 Jahre im Untergrund, Ronald Fritzsch agierte bis kurz vor seiner Verhaftung legal, also als bis dahin unerkanntes Mitglied der Bewegung 2. Juni. Wegen ihrer Beteiligung an der Entführung des CDU-Spitzenpolitikers wurden Ralf Reinders und Ronald Fritzsch zu 13 Jahren Haft verurteilt. Ronald Fritzsch wird schließlich nach fast 14 1/2 Jahren 1989, Ralf Reinders nach 15 Jahren 1990 aus der JVA Berlin-Moabit entlassen. Die beiden reden relativ frei von ihrer Politisierung und den illegalen Aktionen. Nach all den Jahren im Knast tun sie das mit einer erstaunlichen Leichtigkeit. Und sie stellen dabei vieles richtig, was prominente 2. Juni-Aussteiger wie Bommi Baumann in ihrer Bekenntnisliteratur seit den 70er Jahren so ausgestreut haben.
Die Bewegung 2. Juni ist in Westberlin aus einer sich in der zweiten Hälfte der 60er Jahre politisierenden Subkultur heraus entstanden. Ralf Reinders und Ronald Fritzsch erzählen in diesem Buch von der Erstürmung der Waldbühne beim Rolling Stones-Konzert, den Haschrebellen, der revolutionären Aufbruchstimmung, der Zusammenarbeit und den Auseinandersetzungen mit der etwa zeitgleich entehenden Roten Armee Fraktion (RAF); der Skepsis, mit der die RAF den lumpenproletarischen Hippies vom 2. Juni begegnete, und warum sie dann bald auch als die populistische Fraktion der Guerilla denunziert wurden, eine Beschimpfung, die sie auch heute noch schmunzelnd als Auszeichnung begreifen.
Der Populismus der Bewegung 2. Juni zielte immer darauf für Freund und Feind einigermaßen berechenbar zu bleiben und unnötige Opfer auf beiden Seiten zu vermeiden. Unter allen Umständen sollte vermieden werden, daß sich die sogenannte einfache Bevölkerung vom 2. Juni bedroht fühlt, oder sich durch Guerilla-Aktionen die Reihen des Gegners fester schließen. So wurde die Bewegung 2. Juni zum Schrecken der Berliner Banken, ohne sich auch nur einen Schußwechsel mit der Polizei liefern zu müssen. Bei den Banküberfällen verteilten die Kommandos dann auch mal Süßigkeiten an die verdatterten Kunden, um symbolisch zu demonstrieren, daß sich die Aktion nicht gegen sie richtete.
Nun sollte aber nicht vergessen werden, daß bei aller Absicht, auch Guerilla-Aktionen der Bewegung 2. Juni mißlangen. So starb der Bootsbauer Erwin Belitz, als er eine Bombe des 2. Juni fand und diese ausgerechnet in einen Schraubstock spannte, um sie dann mit Hammer und Meißel zu bearbeiten. Der Berliner Kammergerichtspräsident Günther von Drenkmann wurde bei einem mißglückten Entführungsversuch erschossen. Bei den Terroristen-Jagden der 70er Jahre wurden einige Mitglieder der Bewegung 2. Juni wie Georg von Rauch, Thomas Weißbecker oder Werner Sauber von Polizisten erschossen.
Ungeachtet der Polarisierung im Laufe der Auseinandersetzungen in den 70er Jahren, versuchte die Bewegung 2.Juni sich und ihren antiautoritären Zielen treu zu bleiben. So verstand man sich weiterhin eher als bewaffneter Arm der Linken, denn als revolutionäre Avantgarde. Es ging darum, eine in der legalen militanten Linken verankerte Gegenmacht aufzubauen, die vermeintliche Allmacht des Staates an beispielhaften Punkten zu brechen. Und nicht dem Glauben aufzusitzen, wie es Ralf Reinders und Ronald Fritzsch an einer Stelle in diesem Band formulieren, mit fünf Leuten Revolution machen zu können.
Es versteht sich von selbst, daß Ansichten, wie sie Ralf Reinders und Ronald Fritzsch in den hier versammelten Beiträgen äußern, nicht stellvertretend für sämtliche der ehemals Beteiligten stehen. Die unterschiedlichen Positionen werden in den Gesprächen deutlich. Ralf Reinders und Ronald Fritzsch arbeiten zur Zeit zusammen mit ein paar Freundinnen und Freunden in Berlin an einer umfangreicheren Geschichte zur Bewegung 2. Juni, sofern sie nicht gerade gezwungen sind, Lohnarbeit zu verrichten.

Edition ID-Archiv


aus: Die Bewegung 2.Juni
Gespräche über Haschrebellen, Lorentz-Entführung und Knast
Edition ID-Archiv
ISBN: 3-89408-052-3
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