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Wed Sep 25 23:26:14 1996
 

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Die Phase 1988/89 (Nr.134 - Nr.139)
Mit der Nr.134 (zwei Jahre nach der Nr.132) wurde eine neue Runde der radi eingeläutet. Die Voraussetzungen schienen weitaus erfolgversprechender.
Jene, die von der alten Gruppe übriggeblieben waren, hatten zwei weitere Jahre politische Geschichte auf dem Buckel - die Neuen, die dazugestoßen waren oder in der Folgezeit noch dazu stießen, waren ebenfalls überwiegend GenossInnen, wo die radi nicht das erste politische Projekt war. Zudem war ein Prozeß in Gang gekommen, in dem sich die Zentrierung auf die Stadt Berlin langsam auflöste.
Mit diesen Änderungen im Gepäck machten wir uns auf, endlich ein regelmäßiges Erscheinen zu gewährleisten. Dabei wurde schnell klar, daß die bundesweite Verteilstruktur noch so ungewohnt war, daß die Kräfte sich weitaus stärker darauf konzentrieren mußten als auf die Erstellung der einzelnen radikal-Ausgaben.
Trotzdem sollten eigentlich alle Beiträge von allen beteiligten Gruppen gesichtet und diskutiert werden. Ein wichtiger Bestandteil war die Fortführung der internen Zeitungsdiskussion, die in der Nr.133 mit den Beiträgen und Diskussionen über das radi-Info begonnen wurde.
Dabei kam es schon während der Nr.134 zu einem handfesten Krach zwischen zwei Redaktionsgruppen. Anlaß war ein Diskussionsbeitrag, den die Männer der einen Gruppe verfaßt und an ihr Papier zur Zeitungsdiskussion angehängt hatten. Unter dem Titel "Es rappelt in der Kiste" wird das männliche (Nicht-)Selbstverständnis des Patriarchats von männlicher Seite kritisiert und eingefordert, daß die Männer aus den Gruppen eigene Diskussionen führen müßten.
"Obwohl in den letzten zwei bis drei Jahren die von Frauen immer wieder initiierte Debatte zur patriarchalen Struktur innerhalb der radikalen Linken langsam an Boden gewinnt, d.h. an Vergewaltigungen endlich nicht mehr nur in der autonomen Frauenbewegung diskutiert wird, sehen wir den grundsätzlichen (Zu)stand immer noch weitestgehend unverändert.Die einen (Männer) sehen Diskussionen um das Patriarchat im Kampf als Behinderung an, ständig mit ihrer eigenen Rolle konfrontiert zu sein. Schlimmstenfalls kommt der Vorwurf der Spaltung, begründet über Erfahrungen mit Frauen - die von ihrem Selbstverständnis her mit Typen gar nichts mehr zu tun haben wollen und die dementsprechend kompromißlos vorgehen. Die anderen (Männer) kapitulieren vor der Komplexität des Patriarchats, stellen die Erfahrungen der Kollektive entgegen, wollen also keine Pauschalurteile über Männer hören und sind ermüdet, weil keine Praxis den Diskussionen folgt. Vor diesem Hintergrund finden wir es wichtig, daß innerhalb dieser Zeitung die anti-patriarchale Debatte von Männern fortgesetzt wird, weitergehend die Gründung von Männergruppen und ein Standpunkt zu Vergewaltigung."
In einem Beitrag "Wo seid ihr Genossen" antwortet ein Mann der anderen Gruppe in einer persönlichen Antwort direkt dahinter:
"In dem Papier steht formal nichts Schlechtes drin. Jeder Satz hat eine Aussage, die je nachdem wie mann es betrachtet, richtig ist. Aber mir geht es weniger darum, was ihr sagt, als das, was ihr weglasst. Also um die Einseitigkeit der Sicht und wie ihr es fertigbringt, die gesellschaftlichen Verhältnisse und euch selber als Subjekte darin in einen Topf zu werfen. Das ist der zweite Knackpunkt. Ihr habt gelöst, wie und wo die Machtform Patriarchat in der Gesellschaft zu finden ist, aber wo befindet ihr euch selber darin?... Ihr nehmt die Schablone und legt sie den einen Männern an, die mit funktionalem Kampf im Kopf Frauen der Spaltung bezichtigen. Und die anderen, die ermüdet vor der Komplexität des Patriarchats kapitulieren. Mich müsst ihr in die zweite Kategorie reinpulen, denn ich kapituliere vor eurer komplexen Abstraktheit des Begriffs."
Männliche Versuche, in die radi eine Anti-Patriarchats-Diskussion einzubringen, waren nach dieser Auseinandersetzung erst mal für fünf Jahre verschwunden. Dann formulierte eine Gruppe von Männern das Vorhaben, in der kommenden radikal-Ausgabe einige Seiten zu einem Männerblock zusammenzustellen. Eine andere Gruppe antwortete darauf:
"Männer sollten sich zuerst dort, wo sie im Alltag leben und sich bewegen, kritisch reflektieren, anstatt die Diskussionen dazu in einem eigenen Block zu kanalisieren. Nichts gegen die Inhalte, aber es ist doch nicht nötig, sie unter einer festen Blocküberschrift (welcher progressive und selbstkritische Überlegungen darstellen soll) anzuordnen. Wir finden den Block überflüssig."
Es muß dazu erklärt werden, daß es seinerzeit ein festgeklopftes und beschlossens Konzept zur Entschärfung des Konfliktes gab, daß alle Gruppen "autonom" beschließen können, was sie in die Zeitung nehmen wollen, eine Regelung, die diese Gruppe, die sich hier äußert, stark befürwortet hatte.
Dennoch wird ausgerechnet dieser Block negativ bewertet, es wird mit Unterstellungen gearbeitet, sich aber nicht die Mühe gemacht, die Kritik bzw. Abwehr näher zu begründen.
Die Argumentationslinie, daß sich Typen "zuerst" mal kritisch selbst hinterfragen sollten, ist mehr als banale Binsenweisheit zu bezeichnen. Wenn eine Gruppe vorschlägt zu einem Thema etwas zu machen, ist davon auszugehen, daß sie sich bereits drüber bis zu einem gewissen Grade auseinandergesetzt hat, ansonsten würde sie es ja nicht vorschlagen. Innerhalb der radi blieb damit die Thematisierung von Patriarchat ausschließlich den Frauen vorbehalten. Hier endete die Fortschrittlichkeit einer radikal im uralten Abwehrmuster. Wie der Block schließlich ausgesehen hätte, war nicht mehr in Erfahrung zu bringen, die Betreffenden stiegen im Verlauf des Konfliktes vorher aus dem Projekt radikal aus.
Zurück zur Nr.134: Die technischen und strukturellen Erfordernisse führten dazu, daß die inhaltliche Diskussion der nächsten Ausgaben in den Hintergrund gedrängt wurde.
Einzelne Gruppen planten und erstellten "ihre" Seiten, die Beiträge wurden aber nicht untereinander diskutiert. Phasenweise wurde sich zwar ausgetauscht, aber auch hier dominierten immer die technischen Diskussionen und strukturellen Überlegungen. Was in die radi kommen soll, wurde meistens hinten angehängt.
Wie gesagt, die technische Dominanz lag zu einem großen Anteil daran, daß sich die Vernetzung noch nicht eingespielt hatte. Vieles mußte ausprobiert, verworfen, wieder hervorgeholt, mit kleinen Veränderungen wiederholt usw. werden. Nicht zufällig stand beim Interview von 89 mit dem ID-Archiv genau dieser strukturelle Teil der Arbeit der radikal im Vordergrund.
Orientierungspunkt war die Regelmäßigkeit, einigerrmaßen Erfahrung und Routine dadrin zu gewinnen und sich nicht von kleinen unvorhergesehenen "Nebensächlichkeiten" aus der Bahn werfen zu lassen. Nebenbei wurden ganze Pläne von Neustrukturierungen erdacht, aufgrund von Erfahrungen überarbeitet, kritisiert, ausgewertet und neu umgesetzt. Jede Panne in dieser Zeit beflügelte letztlich zu neuen Überlegungen, wie künftig dieses oder jenes Problem anders angegangen werden könnte.
Ein Jahr verging wie im Flug - und weil der Platz im Buch begrenzt ist -, machen wir nun einen großen Sprung (und löschen damit kurzerhand so einiges, was wir bereits geschrieben hatten. Was ne Chaos-Planung!) und lassen uns nach der Nr.139 im O-Ton eines Flugis vom März 1990 eine Bilanz der Zeit bis dahin ziehen.
Das Flugi druckte die Interim in der Nummer 95 vom 22.3.90 ab.
3.1990 abdruckte:


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