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oder stirb!
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Die Theorie des Mischens

Ein Inventar der Amsterdamer freien Radiotechniken

Seit Ende 1979 besteht in Amsterdam eine ausgebreitete Kultur der freien Radios. Diese Piratensender arbeiten aus besetzen Häusern, verstehen sich als anti-kommerziell und werden von den Autoritäten mit Widerwillen toleriert. Sie operieren in den Spielräumen der BesetzerInnenbewegung. Ab und zu wird ein Sender ausgehoben, aber genau so einfach kehrt er wieder zurück.
Ausgehend von ihrer Anteilnahme in der BesetzerInnen- und autonomen Bewegung, gingen die Radio's Mitte der 80ziger Jahre einen eigenen Weg, und begonnen, mit dem Medium selbst, zu experimentieren. Die Radiokultur entwickelte sich weiter, nachdem die Besetzerbewegung von der städtischen Bühne verschwand. Das resultierte aus einer Tradition, die einen eigenen Klang hervorbrachte und mehr ist, als die Addition von ethnischen und experimentellen Musikströmungen. Die Entwicklung führte nach zahllosen Fusionen, Auflösungen, Namensänderungen und Abspaltungen in die Richtung der legalen lokalen Radios, und es blieben letztendlich drei unabhängige Stationen übrig. Die kleinste ist das Aktionsradio De Vrije Keijzer , das ausschließlich politische Information verbreitet. Es ist der Sender mit dem längsten Atem. Es war das Radio Vrije Keijzer, das gegen Ende 1979 begann, aus dem bedrohten und besetzten Haus De Grote Keijzer zu senden zum Symbol der Unbeugsamkeit wurde. Nachdem es jahrelang als Versammlungsort für diverse (Nachbarschafts-) Radiogruppen fungierte, gab es 1983 eine Spaltung und Radio Keijzer spezialisierte sich auf Polit- Aktionsnachrichten. Zehn Jahre später hat es lediglich eine Sendung in der Woche und wird durch eine Gruppe von vier oder fünf Menschen am Leben gehalten, die mit der autonomen und BesetzerInnen-Bewegung sympathisieren.

Radio 100 sendet sieben Tage in der Woche, von mittags 5 Uhr bis tief in die Nacht und umfaßt die gesamte Skala afrikanischer und industrieller Musik bis zu Doowop, House und Reggae. Obwohl die Polizei im Mai 1991 eine große Razzia bei Radio 100 durchführte, bei der alle Platten und Geräte beschlagnahmt und 15 Menschen verhaftet wurden, wird der noch immer illegale Sender von vielen als eine etablierte Institution angesehen, die nicht offen ist für neue Ideen und den Experimenten den Rücken gekehrt hat. Die Punk- und Hardcore Station Radio Dood ist der Vorläufer von Radio Patapoe , eine junge und wilde Schwester von Radio 100 , die mit ihren 100 verschiedenen Sendungen inzwischen zu einer wahrlich multikulturellen Untergrundinstitution ausgewachsen ist. Nachdem es jahrelang nahezu unbekannt gewesen war, wuchs Radio Patapoe seit Anfang der 90iger Jahre und wußte mehr und mehr den Underground an sich zu binden.
Radio Vrije Keijzer, Radio 100 und Radio Patapoe sind Assoziationen von ProgrammmacherInnen, die jeweils ihre eigene Sendestunde haben. Es gibt keine zentrale Redaktion oder Direktion. Das Sagen haben die MacherInnen. Die Abneigung gegen Versammlungen ist groß und chronisch. Das Gros der MitarbeiterInnen kennt sich kaum, oder gar nicht. Finanziell tragen sich die Radios durch einen eigenen Vertrieb, Benefizkonzerten und den Einnahmen aus selbstgeführten Kneipen. Die meisten der MitarbeiterInnen bekommen ihr Geld vom Arbeitsamt, so daß es keinen Druck gibt, arbeiten gehen zu müssen. Wer für Geld arbeiten will, kann zu einer kommerziellen Station gehen.

Der Informationsgehalt ist auffallend niedrig. Es kommt nahezu kein Papier zur Vorlage. Die Reportagen und Features sind die großen Ausnahmen. Die Energie sitzt im live -Aspekt, den launischen Charakteren der RadiomacherInnen und ihrer Leidenschaft zur Musik, nicht in den professionellen Geräten, oder journalistischen Arbeiten. Außer den selbstgebauten FM-Sendern gebraucht man herkömmliche Konsumentenelektronik. Im Gegensatz zu Fernsehen oder Video braucht das Radio fast nichts zu kosten. Man arbeitet gemäß der Spielregel: Sie haben alles Geld, aber keine Zeit. Wir haben alle Zeit, aber kein Geld. Dies alles machte es möglich, sorglos mit Geräuschen zu experimentieren.
Neben den unabhängigen Labeln, der kosmopolitischen Musik, den Hörspielen und Programmen mit zufälligen Gästen, sind die Mischprogramme der typische Klang der Amsterdamer Stationen. Sie vertreten niemand und nichts. Die Mischer schaffen eigene Geräuschuniversa, die sich sowohl in der Länge, als auch Breite unendlich weit ausdehnen. Sie schwimmen in einem See freier Zeit. Allein die Essenz ihrer Mischung braucht Zeit. So werden natürlich keine industriellen Fast-FoodProdukte erstellt. Wird die Mischung doch dem Zeitdiktat unterworfen, dann verändert sie sich in ein live-scratch oder rap, und muß ohne das Glamour eines Künstlers auskommen. Ihre liveperformance im Piratenstudio hat bisweilen geniale Züge. Urplötzlich entsteht ein Meisterwerk, das sodann im Äther verschwindet. Der sorglose Umgang mit dem copy-right ist eine nicht unwesentliche Voraussetzung ihrer Arbeit. Das Wühlen im Weltmedien-Archiv steht auf gefährlichem Fuß mit dem Rechtsstaat. Aber den wissen die Freien Radios vor der Tür zu lassen.

Im Gegensatz zum Zeitgeist, der alles aufsaugt, um aus dem Musikarsenal einen Trend zu destillieren, wählt das Mix eine maximale Blendenöffnung. Jedes Geräusch, jede Musikströmung kann als Material dienen. Die Mixtur ist kein spezielles Genre, das einer kleinen Gruppe von Liebhabern dient. Es ist eine Expedition ins Innerste des Radios. Die Vorliebe fürs Mischen gibt den Weg der alternativen Medien, die noch eine Lücke im bestehenden Angebot ausfüllen, zu den souveränen Medien vor, die sich von der potentiellen Zuhörerschaft befreit haben. Sie sehen sich nicht als Teil des Angebots der bürgerlichen (Gegen)-Öffentlichkeit und behandeln diese nur mit Geringschätzung. Was andere aussenden, ist nicht mehr als Material. Aktualität ist eine Quelle unter vielen anderen. Souveräne Medien sind ein Auswuchs der Emanzipation von den Medien und lassen das Kommunikationsmodell hinter sich. Vendex von Radio Patapoe: »Ich glaube an den zufälligen Hörer, das bin ich selber auch. Patapoe hat kein Publikum, das mit der Wahrheit befriedigt werden muß. Wir tun niemals so, als ob wir die Wahrheit gepachtet hätten. Patapoe ist keine Plattform oder Zufluchtsort, es steht für sich selbst.«

Die Amsterdamer soundblenders sehen sich selbst nicht als Teil einer Technoavantgarde. Das Getue mit teuren Spielzeugen um der Form Willen, wird als elitär empfunden. Der Einsatz ist keine Verjüngungskur der Kunst, vielmehr Ätherbeschmutzung, die die Überproduktion der normalen Medien gebraucht. Anders als der Modenarr, der sich gerne der herrschenden Klasse oder Unterwelt anbiedert und dessen exzentrische Dekadenz eine Frage von Identität wird, widmet der Souverän seine kunstvolle lyrische Dichtung all dem Gültigen, das als Mantel, die Kleidung unseres medialen Raumes bestimmt.
Samba, Soul oder Schlager werden nicht aufgewärmt, um als neuester Kult ins kollektive Gedächtnis einzugehen, das sich gerne auffrischen läßt. Hier wird keine Audiogeschichte betrieben, die beinahe ausgestorbene Musikstile bequatscht, um in die Popgeschichte einzugehen. Das zusammengeraffte Material wird allein nach seinem Entfremdungsvermögen untersucht. Der Abfall geht mit auf die Reise und wird wie dem Fremdling, mit dem man unterwegs die Zeit totschlägt, respektiert. Dieses Verfahren ist kein Gewaltakt. Es geht hier nicht um die Austreibung eines Dämons, der in den Medien haust. Mit dem Mix müssen wir eine unermeßliche Leere durchschreiten, bis wir zu neuen Erkenntnissen gelangen.
Souveräne Medien sind sowohl Hard- als auch Software, durch und durch hybrid. Alt und neu, populär und obskur, trivial und leidenschaftlich, alles verschmilzt zu einem verblüffenden Totalmix. Es sind die Meister des Mischens, die ausrangierte Recorder an high-tech Samplers anschließen und eine zusammengeschnittene Rede von Busch mit einem Sprachkurs, Hundegebell und Tanzorchester spicken.

Der ironische Mediengebrauch kennt kein subkulturelles Äquivalent, weder auf der Straße, noch in der Kneipe. Souveräne Medien bauen an einem parallelen Universum, das den klassischen Raum der Metropole nicht weiter kreuzt. Die Lumpensammler bewegen sich unauffällig durch die offizielle Realität der Einkaufszentren, Flohmärkte und Müllwagen. Gleichsam dem otaku'isch europäischen Stil, [Otaku = Japanische Computerkids, die ihre sozialen Kontakte via Computer und zu Hause realisieren] nicht länger durch die lesbare Stadt wandelnd, halten sie sich in einem neuen Raum auf, wo sich das imaginäre Stückgut des 21. Jahrhunderts schichtet.
Mit der Geschwindigkeit eines Augenaufschlages, werden die Kulturträger, die jemals im Ramsch landeten, nach ihrer Eigenartigkeit beurteilt, und in Kinos, Videotheken, Second -hand Plattenläden und Antiquariaten zu einem eigenen Programm zusammengestellt.
Mixers sind die Leichenfledderer und Parasiten der audiovisuellen Gesellschaft. Die Wiederverwendung geschieht nicht aus ökonomischen Überlegungen, sondern entspringt einer Obsession für Aufnahmen, die der Echtzeit entgehen. Hammondorgeln, Tiergeräusche, Witze, Non Stop Hits a Gogo, Ansprachen von John Kennedy, niederländische Cowboy-Musik.
Arjan: »Ich kaufe fast nie neue Platten. Ich finde sie auf der Straße, hinter Geschäften, oder kriege sie von Menschen, die sie ansonsten wegwerfen würden. Ich kaufe keine LP über drei Gulden, mache selber Musik und bekomme Demotapes. Du bist eigentlich ein Archäologe oder Archivar. Du findest Cassettenrecorder auf der Straße, selbst Telefonanrufbeantworter mit Cassette, und es wird nicht mehr lange dauern, dann findest du selbst CD-Spieler.«
Bei den freien Radios ist die Technik kein Werkzeug, sondern Spielzeug, mit dem stürmisch gebastelt wird. Wiewohl die offiziellen Medien stets mehr über die Medien berichten, wird die eigene Apparatur nicht sichtbar, oder hörbar gemacht. Die Technik ist in diesen Kreisen ein hinderlicher Faktor, der überwunden werden muß. Der Glaube der digitalen high-tech ist die Elimination jeder Störung und jeden Geräusches.
Vendex: »Wenn du ein Signal durch 40 km Kupferdraht laufen läßt, finde ich, muß du das hören können. Die teure Apparatur, die normale Radiostationen gebrauchen, liefert nur noch Stille. Die VU-Meter von echten Apparaten schlagen noch aus bei bis zu 50dB, während ein gewöhnliches Cassettendeck nur bis 20dB geht. Sie sind stiller als still. Die harten und sanften Geräusche werden noch voneinander getrennt. Warum sollst du ein Recht auf soviel Stille haben?« Medien werden nicht dadurch glaubwürdiger, indem sie ihre Arbeitsweise zeigen. »Ich finde es sehr gesund, an den uns verabreichten Bildern zu zweifeln. Das Vorzeigen des Kameramanns macht es auch nicht glaubhafter.«
Vendex ist stolz, daß es keine Medienaufmerksamkeit für Radio Patapoe gibt. »Wenn wir irgendwas sagen wollen, dann haben wir dafür unseren Sender. Wir verteilen keine Komplimente an andere Medien und brauchen selbst auch keine.« Der Slogan von Patapoe lautet: »Besser bestehen gegen eine junge Welt.« Anders als Radio 100, hüllt Patapoe sein Dasein und seine Ziele gerne in Geheimnisse. Das Manifest aus 1990 vermeldet nur, daß Patapoe aus »der zunehmenden Frage nach gesellschaftlichen Mängel« hervorgegangen ist. Anderswo lesen wir, daß »Patapoe Grenzen zieht, wo andere sie nicht vermuten. Dank unserem professionellen Monopol, hat sich etwas entwickelt, was niemand will.«
Patapoe nennt sich multirationell . Es will mehr sein, als nur multikulturell und Völkergemisch. »Die Begriffe sind unbefriedigend, denn sie gehen nicht weiter, als das Tolerieren von anderen. Und doch klappt es nicht, weil jeder sich selbst ausnimmt und die anderen für beschränkt hält. Die anderen haben nicht den gleichen Durchblick wie ich. Multirationalität richtet sich gegen diese Haltung und akzeptiert vielmehr verschiedene rationelle Konklusionen, die nebeneinander stehen können.«
Die Emanzipation der Hörerschaft wurde bisher am deutlichsten vom ehemaligen Radio Dood mit ihrem Credo » Hör zu, oder stirb« demonstriert.
Vendex: »Bei Dood wurde ins Mikrofon geschrien: Schalte dein Radio ab , Ich will, daß meine Stimme töten kann . Der bürgerliche Zuhörer mußte seine Hörgewohnheiten ablegen. Werf all deine Platten weg. Aber die Fernsehsklaven der einträchtigen Familienwohnungen und Couchgarnitur hörten sowieso nicht zu, da Punkmusik für nicht Eingeweihte schwer zu verkraften ist. Es war ein Augenzwinkern, denn die Punkers, die zuhörten, fühlten sich nicht angesprochen. Wenn gebrüllt wurde: Schalte nun das Radio aus , wurde es erst richtig lustig. Gerade als sie ihren Mund hielten, hast du dein Radio abgeschaltet. »Bist du das Publikum? Verkrümel dich!« Einige fanden das bescheuert. Der Luxus, Radio zu machen, sollte nicht mißbraucht werden. Aber es zeugt gerade von der richtigen Einstellung zum Medium, um zu sagen: »Wenn's dir nicht gefällt, schalte ab. Wir spielen hier unsere Musik, was du davon hältst ist mir egal. Unterdessen die schönsten Programmen zu machen, das war die Kunst.«
Bei Radio Dood hatte das Tohuwabohu Methode. Die MacherInnen, wie auch die vielen Gäste, die im Studio rumhingen, waren meistens bekifft und besoffen. Die Gleichgültigkeit, die Punk eigen ist, wurde auf das Medium selbst losgelassen. Keine Ehrfurcht vor der Technik, oder Scheu vor dem Verbreiten durch den Äther, die alternative Radios noch kennzeichnet.
Vendex: »Man spulte das Programm einfach ab. Du sahst es direkt ins Chaos laufen. Ich habe eine Aufnahme der Abgedroschenen Top 20 , die total abgelutschten Punk- und Hardcoreplatten aus 86, präsentiert von Pluimpje. Nach der fünften Nummer war keiner mehr im Studio. Bei der dritten Nummer wurde es Pluimpje so schlecht, daß er das Studio verließ und ein zufällig daherlaufender Passant die Top 20 beenden mußte. Andere Studios würden sich zu Tode ärgern, wenn jemand sich so davonmachen würde. Dieser Haufen entwurzelter Punks wird nie ein echtes Radio werden.«
Dood spielte sich konsequent im übersteuerten roten Bereich ab. Übermodulation und Herumpöbeln waren Teil der Moderation. Lärmendes Verschieben der Einrichtungsgegenstände, abgenutzte Mikrofone, Recorder, die Cassetten auffraßen, und eine schlecht funktionierende Vorabhöranlage, waren kein Manko, das verheimlicht werden mußte, sondern Eigenschaften des Endsignals.
Für Bart war Radio Dood »eine vage Periode in meinem Leben, an die ich mich nicht mehr genau erinnere - der Haschkonsum stieg in unbekannte Höhen.« Er spielte neuen hardcore. Bart erinnert sich noch gut, wie das Studio aussah: »Das erste war in einem alten Klo, eine Kabine von zwei mal drei Metern. Dort stand ein Holzofen, der undicht war. Du hattest die Wahl: entweder den Ofen anzünden und durch Kohlenmonoxid vergiftet zu werden, oder das Fenster gegenüber der Tür aufzumachen und vor Kälte zu erfrieren. Es war so eng, daß du deinen Arsch nicht bewegen konntest, oder du tratst gegen den Tisch, so daß sich die Platte überschlug. Später zogen wir in einen Raum mit Stühlen, wo du wenigstens sitzen, rumlaufen und nach draußen schauen konntest. Das wichtigste Studio war in einem Erdgeschoß untergebracht, über einem Keller, der permanent unter Wasser stand. Auf dem Boden lagen Türen und Teppiche, um es zu isolieren. Alles war schmutzig und vollgekritzelt. Wir hatten ein Mischpult mit zuwenig Kanälen, aber wohl mit Umschaltmöglichkeiten, wodurch permanent jemand, der nach einer Platte eine Cassette spielen wollte, den Schaltknopf vergaß, sodaß man nichts hörte, und derjenige nicht begriff, was los war. Es gab keine Heizung und das im Sauwinter '86 auf '87. Leute saßen bei minus fünfzehn Grad und machten ein Programm. Im Boden war ein Loch, sodaß du tiefunten den Eisklotz sehen konntest. Joint drehen ging nicht, sonst erfroren deine Finger.«
Das Machen von Hardcore-Programmen ist, angesichts der kurzen Nummern, eine harte Arbeit.
Vendex: »Wenn du nach dem Schema Platte-Quatschen-Platte arbeitest, um es interessant zu machen, wirst du verrückt. Also ist es besser direkt eine Kompilation zu machen und nach fünf Nummern wieder mit Das war Punk he! , Gut Pogo getanzt , Schmeiß nun deine Stühle aus dem Fenster zu kommen.«
Der selige Branco Puinbroek hatte ein schönes Format für sein hardcore-Programm gefunden. Sobald das Mikrofon an war, gab es eine enorme Rückkopplung, die überschrie er dann mit der nächsten Plattenankündigung und haute die Platte knallhart auf den Teller, voll im roten Frequenzbereich. Das ganze Programm glitt gewöhnlich ins Rote. Er war immer total stoned. Einer Anekdote zufolge, ist er einmal eingeschlafen. Eine halbe Stunde lang war die Schlußrille einer Platte zu hören, bis jemand ins Studio rannte und ihn weckte.«
Die Leistung von Radio Dood bestand darin, daß sie so gut wie kein anderer, ein Musikgenre vertieften. Bei Patapoe, dem Nachfolger von Dood, kommen diverse Musikströmungen zum Zug. Aber ihre Vorliebe gilt der schlechten Musik.
Vendex: »Wir hatten immer den Luxus, daß es mehrere alternative Radiostationen gab, die die allerneuesten Independent-Platten auflegten. Von mir aus kann die alternative Struktur am besten kaputtgehen. Das Wichtigste für uns, sind die Non Stop Hits a Gogo Platten von Frank Valdor, so wie James Last, auch ein Deutscher, der Potpourris in einem super kommerziellen Arrangement macht. Dabei ist ein Partypublikum aufgenommen. Die Nummer beginnt und endet mit Gejauchze. Die Musik ist überhaupt nicht so schlecht, wie sie sich anhört. Sie werden geschmäht, aber keiner hört natürlich zu. Es kann sehr gut das House von 1996 sein.« Wie beim Hardcore-Punk, geht es hier um Abschreckung: Jeder, der es hört, schaltet aus.
Radio Dood führte eine eigensinnige Medienkoppelung ein: das integrale Aussenden von Spielfilmen im Radio.
Vendex: »Um den Sender stabil zu halten, lief er 24 Stunden am Tag, obwohl nur vier Tage in der Woche gesendet wurde. Um die Nacht gut durchzubringen, ist es schön, einen Horrorfilm aufzulegen, weil sie so gruselig sind und die Geräusche so gut. Bilder find ich überflüssig. Es ist so aufgesetzt, daß die speziellen Effekte Augenwischerei sind. Die meisten Bilder sind Schwindel und überzeugen mich nicht. Eine Verschwendung, um die sogenannte Realität ins Bild zu bringen, das funktioniert doch nie. Man glaubt den Ohren, wohingegen man dem Bild mißtraut.«
Die Kraft, dem Film zu lauschen und dem Radio zuzuschauen, liegt in der Suggestion. » Evil Dead ist wegen des Tons, einer der besten Filme und der Texas Chainsaw Massacre -Film natürlich. Oder nehme so schlechte science-fiction Filme, in denen eine Frau die ganze Zeit hindurch schreit, wirklich ekelhaft. Oder der japanische Film Inframan , eine Kreuzung aus science-fiction und Kung-Fu-Action Film. Jedes vorkommende Monster macht ein eigenes Geräusch. Jede Bewegung von Inframan hat eine eigene Charakteristik. Deutsche TV-Filme, wie Derrick und Tatort , machen es genauso. Film und TV klingen natürlicher im Radio, sie sind weniger gekünstelt, als ein Hörspiel. Du kannst dir die Bilder dazu fantasieren, genauso wie beim Lesen eines Buches. Das wird noch durch allerlei Details verstärkt, die du hörst. Filme wissen das sehr raffiniert einzusetzen.«
Imponierendes Radio weckt Suggestionen.
Vendex: » Alle drei Minuten mußt du den Eindruck haben, das will ich hören. Gleich von Anfang an nehme ich mir etwas vor, aber es funktioniert wahrscheinlich nicht. Etwas, was du immer hören wolltest: Was denken nackte Frauen? Das Telefon klingelt: Hallo? tüttüt. Wurde nun angerufen, oder war es ein Geräusch aus einer Sendung vor drei Wochen? Ich will es subtil tun, mit tickenden Uhren, quietschenden Türen, Geräusche, die nicht wirklich da sind, aber die Sphäre bestimmen.«

Die Gruppe STORT, die neben Radio, auch Performances, Video und Musik produziert, machte bei Radio Dood das Programm Vox Christiana (das Plattenlabel vom Papst). Sie zeichneten für unkoordinierten Radioterror.
»Wir behaupteten Sachen, hinter denen wir nicht standen. Wir spielten für bekehrte Christen. Alles, was uns in die Hände, kam wurde verpulvert, zermalen und ausgetrocknet. Eine Orgie der Töne, herrlich, in ihnen zu baden. Im Rohzustand, oder bearbeitet. Das Schneiden, so wie wir es tun, ist eine Menge Arbeit: Für 2 Minuten Sendung brauchen wir 20 Minuten. Unsere Programme haben keine FeedbackMöglichkeit, aber wenn wir unsere Töne auf's Publikum loslassen, passiert natürlich einiges. Dann wird's rauh. Es ist sehr einfach, universelle Gefühle in Gelächter umzusetzen. Aber das Radio ist nicht so grob und schockt weniger; das Publikum ist nicht bei der Ausstrahlung und es kann nicht direkt reagieren. Die Leute wissen nicht, wo das Radio ist, also kriegen wir auch keine auf's Maul.«
STORT holt sein Material vor allem aus dem Fernsehen. »Wir isolieren den Text vom Bild. In den Fernsehnachrichten sitzt die Ideologie häufig im Text. Die Idee davon, was das Bild bedeutet, kommt dann mehr nach vorne. Wenn du TV hörst, ruft das sofort Bilder hervor. Das Fernsehen ist eine bessere Quelle, als das Radio, weil es Dinge häufig sehr einfach darstellt. Ein bekanntes Fragment schleppt einen ganzen Kontext mit sich. Einige Sendungen sind so schlecht, daß sie danach schreien, mißbraucht zu werden.«
Momentan macht STORT ein Nachtprogramm bei Radio 100. Eine der Quellen, auf die sie zurückgreifen, ist ihre eigene Musik, hergestellt auf Synthezisern, Samplern und Computern. Dunkle apokalyptische Töne und abwechselnd Doris Day und Frankie Laine.
»Uns geht es um den Kontrast im Verhältnis von einem Wort zum anderen. Beim Schneiden entsteht eine neue Geschichte. Aber es bleibt linear, weil wir nicht jedesmal hin- und herspulen. Ganzer Zufall wird es mit zwei Cassettendecks, die du mit dem Pausenknopf an- und ausschaltest. Der Hintergrund ist bei uns meistens schwer und dunkel. Das Endresultat des Mix ist nicht vorhersagbar. Die Qualität ist nicht garantiert. Wir halten nichts vom Recycling früherer Sendungen. Unser Lärm muß die Welt nicht verändern, aber ein Kommentar zu den Medien ist es schon. Jemand wie Busch erscheint häufig in den Medien, wir kommen ihm gewöhnlich oft entgegen und was er sagt, ist nicht gering. Wir haben keinen Respekt vor den Medien, das kannst du vielleicht Politik nennen.«
STORT möchte mit der industriell-kommerziellen Musik nichts zu tun haben. »Wir machen genau das Entgegengesetzte. Soundscaping und Tonlandschaften bieten den idealen Raum und lassen sich nicht auf ein Genre reduzieren.«
Die Geschichte des Mix ist schnell geschrieben: die dÈtournement-Techniken der Situationisten, musique concrete, die cut-up von Burroughs, John Cage...
STORT: »Natürlich sind wir Surrealisten. Selbst die Futuristen machten die gleichen Experimente. Sobald es den Cassettenrecorder gab, begann man, die Geräusche auseinander zu hacken. Die erste Montage-Platte ist aus 48, von Pierre Henri, den du sowohl der industriellen Musik, wie auch Etant DonnÈs zuordnen kannst. Wir pflegen, ähnlich wie die Surrealisten, die groteske Übertreibung. Mehr noch das Karnavaleske, das wir in unseren Orgien aufrufen. Die Avantgarden sind integraler Bestandteil der Kultur geworden, ein Brunnen, aus dem du ungehindert schöpfen kannst. Du mußt dich also nicht explizit auf diese Gruppen berufen, oder gar irgend etwas davon wissen.«
Die Amsterdamer Mixschule plaziert sich in der Tat unbewußt außerhalb des kunsthistorischen Diskurses, der vermutlich anmerken würde, daß längst alles ausprobiert sei.
STORT: »Wir versuchen, dem klassischen Modell der Postmoderne zu entkommen. Wir zitieren viel, sind aber nicht einig mit den Postmodernen und deren Kontext, in dem sie die Zitate plazieren. Wir haben kein fin-de-siËcle Gefühl, sind im Gegenteil sehr optimistisch, ohne prophetisch zu sein. Alles was auf uns niederkommt, wollen wir durch den Gebrauch kontrollieren. Wir wollen handelndes Subjekt sein. Du wirst kein Opfer der Medien, solange du sie gebrauchst. Darum schwelgen wir in den Medien, auf eine rabelaiske Manier. Die Signale sind für uns nicht immateriell, sondern taktil. Wir wälzen uns im Medienschlamm.«
Auch die eigene Geschichte bleibt unbekannt, um keinen Ballast mitzuschleppen. Der Großvater des Amsterdamer Mix, Radio Rabotnik, einer der Gründer von Radio 100, das mit Hilfe von Bändern Geräuschlandschaften entwarf, ist hinter dem Horizont der Götterdämmerung verschwunden.

Für Arjan von der O.K.Show ist das Mix kein Angriff aufs Publikum, wie es die Punks deklamierten. Ihm geht es um eine Sphäre: »Ich habe absolut keine Vorliebe für eine bestimmte Musik. Das einzige Kriterium ist, daß es mich berührt. Das Machen eines Programms bringt eine merkwürdige Erfahrung: vielleicht lauschen tausend Leute nach dir, vielleicht aber auch kein Schwein. Der Hörer wird ein abstrakter Begriff. Du bist selbst auch Zuhörer. Dann hörst du, ob alles stimmt. Wenn es mit mir gut geht, wird der Zuhörer das wohl merken.«
Die Kunst des Mix ist in der Philosophie der O.K.Show das geräuschlose Aufbrechen einer aufgebauten Atmosphäre.
Arjan: »Mein Mix besteht aus Musik, gesprochenen Worten und Hintergrundgeräuschen. Ich laufe immer mit meinem walkman herum, um irgendwas aufzunehmen. Oder du benutzt das Geräusch deines Vorgängers, das du dann von Hinten nach Vorne abspielst. Die letzte Rille einer LP kann sehr schön sein, wenn du sie fünf Minuten erklingen läßt. Ich sage nicht, daß du es begreifen mußt wie ich vom Hundertsten ins Tausendste komme. Das Radio muß dein Ohr massieren. Wie kitschig die Platte auch immer sein mag, es muß Gefühl darin sein. Die gültige Musik vergewaltige ich. Über Musik lege ich ein Gitarrensolo, oder eine grobe Geschichte. Du kannst keinen Kurs belegen, um zu lernen, wie Platten schön ineinander überfließen. Du tust es einfach und hast ein Ohr dafür, eine gute Atmosphäre zu kreieren. Bei Public Enemy hört man, daß sie ein Gefühl dafür haben, während es bei anderen Rap-Bands nicht läuft.«
Eine Technik, die die O.K.Show einsetzt, ist das Spielen mit der Geschwindigkeitskontrolle des Cassettenrecorders, das Drehen einer Platte mit den Fingern, oder das gleichzeitige Spielen einer Platte auf zwei Geräten mit einer kleinen Verzögerung.
Arjan: »Anfänglich zerschnitten wir Reklamebotschaften, den Wetterbericht und Nachrichten. Was bei mir zurückkehrte, waren die Geschichten von Onkel Bob , in denen die ganze Weltgeschichte zusammengemixt war: Jimi Hendrix, der während des zweiten Weltkrieges in den Niederlanden war, was gar nicht sein kann, aber was du so plausibel wie möglich machen willst.«
Eine Zeitlang arbeitete Arjan mit Miss Akira und Doktor Bildplatte. »Er nimmt mit seinem walkman Stimmen im Supermarkt auf. Was er gut findet, schreibt er dann mit einer Zeitmarkierung auf. Sein ganzes Zimmer ist voll damit.
Wenn er daraus eine Geschichte machen will, legt er sie schön der Reihenfolge nach hin, was natürlich sehr arbeitsintensiv ist. Die Hintergrundmusik legt er auf Band und setzt dazu die einzelnen Stimmfragmente. Mit Miss Akira machten wir spontane Theaterstüke: Deinen Verstand auf Null setzen, und dann alles von selbst ausflippen lassen.«
Nun macht Arjan auf Patapoe ein Nachtprogramm. »Das beginnt um 12 Uhr und kann drei bis vier Stunden dauern, meistens bin ich dann mit dem Abbauen bis fünf Uhr beschäftigt, und wünsche den Leuten dann gute Nacht, aber in musikalischen Termen. Ich drehe Psychedelica, lange Stücke bewußtseinserweiternder Musik aus den sechziger Jahren, gemixt mit psychedelischen Platten aus den dreißiger Jahren, wie Cab Calloway. Das mögen dann Hits gewesen sein, aber die sitzen sehr selten beieinander.«
Viele Techniken lernte Arjan bei DFM-Radio-Television, die jahrelang bei Radio 100 Live-Mixes machten und unter dem Namen ARTburo Performances aufführten. »DFM arbeitete sowohl mit dem normalen Radio, als auch unregelmäßig innerhalb von Radio 100. Sie fielen ins Studio ein, unterbrachen ein Programm, oder gingen direkt zum Sender, um dort die Ausstrahlung zu stören. DFM ging ab 12 Uhr die ganze Samstagnacht durch und präsentierte dann um 11 Uhr morgens im CafÈ eine Frühstücksshow. Für andere Diskjockey's war das sehr unwirklich.«
DFM kombinierte das Mix mit einem Showelement. Die Gruppenmitglieder nahmen fortdauernd andere Gestalten an. Wenn es langweilig wurde, ersann man sich einen neuen Nahmen und ein neues Konzept. Das gab mitunter die Sphäre wieder, in der die ganze Medienmafia tätig ist.
Chris von DFM: »Ein Rundfunkorchester durfte bei uns nicht fehlen. Es bestand aus einer Handvoll Cassetten. Fehlten Gäste? Kein Problem, es ist immer eine Anzahl Alter egos vorhanden. Radio ist das intimste aller Medien und dies gilt besonders während der Nachtstunden. Mit ein paar Freunden und einer angenehmen Atmosphäre kannst du so ein paar Stunden gestalten. Wenn dann noch die Hörer telefonisch reagieren, bekommst du ihre Interpretation, von dem, was du gemacht hast, zu hören. Die Reaktionen werden aufgenommen und auch wieder gesendet, aber geschnitten und gemixt, um den deformatorischen Aspekt zu erhalten.«
Deformation bedeutet nicht allein die Wiederverwendung von Fragmenten, die von anderen, oder einem selbst, gemacht wurden. Sie gibt auch an, inwieweit der Hörer von dem neu entstandenen Produkt mitgerissen wird. Erst wenn das passiert, ist derjenige deformiert. Für DFM ist Deformation keine Erneuerung der gängigen Information und Reformation. Sie sind gleichwertig.
Chris: »Während des Remix werden Teile von dem, was früher gemacht wurde, als Grund- und Teilstücke zur Deformation gebraucht. Diese werden aus allen Medien ausgegraben. Ein altes Programm kann das Basistape eines neuen Programms werden. Lese einen halben Artikel aus der Zeitung von letzter Woche vor, füge ein bißchen Reklame hinzu, gut rühren und ab geht der Zug!«
Vendex von Patapoe steht für ein sublimes Herangehen. »Vom Hörer wird bei DFM sehr viel Geduld erwartet. Kurze suggestive Hörspiele finde ich gegenwärtig besser, als den Geräuschbrei, wo du aus vier verschiedenen Quellen alles zusammenschmeißt. Aber die Mixer können unter drei Stunden nichts.« Er kam mit seinem Kollegen Dan Kerwell auf die Idee, Geräusche zu mixen, die keinen Rhythmus haben. »In der klassischen Musik gibt es keine Percussion, im Gegensatz zu dem meisten anderen Mixmaterial.« So begann das Café Bartok.
»Es wurde von den CafÈs aus dem Viertel um die Opera herum inspiriert, die eine yuppiemäßige Schickimicki-Atmosphäre ausstrahlen, und in denen sie klassische Hintergrundmusik spielen. Wir wußten und wissen noch immer nichts von klassischer Musik. Wir entdeckten herrliche Sachen, wie die 6. von Mahler, die gut zu Musorgski paßt. Wir konnten die Platten nicht mehr auseinanderhalten, es gleitete alles ineinander über. Oder Eric Satie auf 45 Touren, gekreuzt mit Chopin auf 45 Touren, was brillant klingt. Also kamen die Hörspiele über Komponisten von selbst. Wir bringen sie miteinander in Kontakt, vor allem die weniger bekannten. Händel, Grieg und Brahms sitzen 1822 in einem Dorf namens Grande Qualle, nahe bei ArËs, an einem Kneipentisch. Sie trinken viel, haben nie Geld und verkaufen ihre Werke unter sich. Wir gebrauchen schwere Worte, um der Geschichte Gewicht zu verleihen, wie z.B. Mutter, Brot, Stein und Tod. Und immer kommt Albert Schweizer zum Vorschein. Er holte die Gebrüder Telemann von Indonesien nach Wien, damit sie dort Musik studieren. Er ist Händler und hat ein Monopol an musikalischen Werken.«
Das falsche Abspielen von Symphonien ist grausig. CafÈ Bartok ist eine Parodie auf die klassischen Sender, die ihre Musik heilig gesprochen haben. Vendex: »Ein klassisches Fragment kann mit Punk beginnen, um die Hörer schrecklich frösteln zu lassen. Aber dann drehen sie das Radio ab. Es ist schöner, sie noch ein bißchen länger zu irritieren.«

Radio 100 (100 Mhz FM), Postfach 10096 in 1001 EB Amsterdam, tel. 020-6163421
Radio Patapoe (101.5 Mhz FM), Postfach 3369, 1001 AD Amsterdam.
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