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Wed Mar 12 09:32:54 1997
 

junge Welt, Mittwoch, 5. März 1997, Nr. 54, Seite 2, ansichten

>> Kann es in Lima eine friedliche Lösung geben?

> Lima am Montag: Gespannte Ruhe vor der besetzten Residenz des
> japanischen Botschafters. - Francesco Lucarelli ist Vize-
> Rektor an der Universität Neapel, Professor der
> Wirtschaftswissenschaften und Autor des Buches "Relampagos del
> Peru" (Blitze von Peru). Er gilt als bester nicht-peruanischer
> Kenner des südamerikanischen Staates. Ein Interview

F: Seit über zweieinhalb Monaten hält ein Kommando der Movimiento
Tupac Amaru (MRTA) die Residenz des japanischen Botschafters
in Lima besetzt. Welcher Weg sollte begangen werden, um die 
Krise zu beenden?

Man könnte das Problem lösen, indem die MRTA-Gefangenen, die
wegen politischer Delikte einsitzen, amnestiert würden. Im
Fall jener, die zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurden,
müßte überlegt werden, ob man nicht die Höchststrafe auf 20
Jahre begrenzt. Wie auch bei den italienischen Roten Brigaden
sollten sie die Möglichkeit bekommen, außerhalb der
Gefängnismauern zu arbeiten. Ich denke nicht, daß eine
Freilassung aller Inhaftierten, wie sie von der
MRTA gefordert wird, möglich ist. Aber ein vom Kongreß
ausgearbeitetes Spezialgesetz für eine Amnestie wäre denkbar.

F: Das ist die einzige Lösung?

Gut, die MRTA hat auch Themen angesprochen, die im
Zusammenhang mit der Lebensqualität der Peruaner, speziell der
extremen Armut, stehen. Und sie hat die Privatisierungen
thematisiert. Wenn es gelingt, daß wenigstens einige ihrer
Ziele wahrgenommen werden, könnte das die Eintrittskarte der
MRTA sein, um sich zur politischen Partei zu transformieren.
So wie dies auch Guerilla-Bewegungen in Guatemala und
Brasilien getan haben.

F: Ist denn die Besetzung die letzte Aktion der MRTA? Würde sie
sich auflösen, wenn man die Geiselkrise lösen würde?

Es geht auf jeden Fall um eine weitreichende Entscheidung.
Sollte die Besetzung blutig beendet werden, könnte die MRTA
weiter als subversive Bewegung agieren. Wenn die Befreiung der
Geisel friedlich über politische Verhandlungen erreicht werden
würde, könnte sie sich als demokratisches Projekt
präsentieren. Eine militärische Option würde lediglich die
Gewaltherrschaft in Peru fortsetzen.

F: Könnte das Kommando von Cerpa Cartolini, das jetzt in der
Residenz ist, nicht das letzte sein, das die MRTA aufzubieten
hat?

Nein, die Bewegung hat mehr Leute, als man denkt. Der Einfall
in die Botschafterresidenz ist eine militärische Aktion, die
mit anderen Bereichen verbunden war. Auch solchen, die der
Regierung nahestehen. Ich glaube, daß Präsident Fujimori über
die Aktion informiert war.

F: Informiert?

Ja, schließlich hat er vorher seine Anwesenheit (am Abend der
Besetzung auf dem Fest des japanischen Botschafters - d. Red)
bestätigt und ist im letzten Moment doch nicht gekommen.

F: Die Parteien haben es nicht geschafft, eine alternative 
Kraft gegen Fujimori zu entwickeln. Wie sehen sie aus dieser
Perspektive die Chancen, daß er wiedergewählt wird?

Ich denke nicht, daß er im Jahr 2000 wiedergewählt wird,
obwohl er als derjenige betrachtet wird, der Peru aus der
finanziellen Krise gerettet haben soll. Peru braucht jetzt
eine demokratische Regierungsoption der Oppositionsparteien.
Diese müssen einen gemeinsamen Kandidaten stellten.

F: Und wer könnte der gemeinsame Kandidat sein?

Beispielsweise der Botschafter Javier Perez de Cuillar. Vor
allem, wenn man in Betracht zieht, daß er Generalsekretär der
UNO war. Auch der Bürgermeister von Lima, Alberto Andrade
Carmona, wäre denkbar. Es ist wichtig, darauf zu achten, daß
es sich um eine Person handelt, die nicht an korrupten
Regierungen beteiligt war.

F: Welche Perspektiven sehen Sie für Perus Wirtschaft?

Derzeit hängt Peru vom Kapital der USA und Japans ab.
Allerdings muß man einräumen, daß die Geldanlagen Japans nicht
von Dauer sind. Deshalb muß Peru die Gruppe der Andenländer
konsolidieren helfen und den Mercosur im Auge behalten. Peru
ist zwar reich und hat viel Gold, doch die Kontrolle, die
entwickelte Länder auf die Dritte Welt ausüben, ist
gefährlich. Deshalb muß sich Peru wie alle
lateinamerikanischen Länder mit diesen zusammenschließen und
einen gemeinsamen Markt entwickeln. Gleichzeitig benötigt es
eine solide Währung gegenüber dem Dollar.

Interview: Rosa Reyna Pelaez, La Republica, Lima