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Sun Jan 26 20:37:55 1997
 

Die Wiederkehr der Tupac Amaru

Ernesto Herrera (*) über die neoliberale Konterrevolution
und den bewaffneten Kampf in Lateinamerika

Die Tupac Amaru (MRTA) in Peru ging aus der Fusion zwischen der 1960 von Luis de la Puende Uceda gegründeten Bewegung der revolutionären Linken (MIR) und der Revolutionären Sozialistischen Partei/ML (PSR/ ML) hervor, einer Abspaltung von der Revolutionären Sozialistischen Partei, die der General und Valazquez-Anhänger Leonidas Rodriguez gegründet hat. Ihre stärkste Entwicklung erlebte sie unter der QAPRA-Regierung von Alan Garcia (1985-1990). Ihre kühnsten Aktionen, darunter mehrere Gefängnisausbrüche, führte sie in den achtziger Jahren durch. Die MRTA stand von Anfang an in erbitterter Gegnerschaft zum Leuchtenden Pfad (Sendero Luminoso).

Unter den Bedingungen des Krieges und im Rahmen der Gewalttätigkeiten des letzten Jahrzehnts war die MRTA immer eine Organisation zweiten Ranges, obwohl sie größere taktische Flexibilität bewies als der Sendero. Sie hat versucht, zusammen mit kolumbianischen, ecuadorianischen, chilenischen und bolivianischen Organisationen ein Bataillon Amerika aufzubauen. Anders als der Sendero oder als die Revolutionären Bewaffneten Kräfte Kolumbiens (FARC) unterhält sie keine Beziehungen zum Drogenhandel.

Nach der Verhaftung ihres Gründers, Victor Polay Campos (Comandante Rolando), zog sie sich 1992 zurück. Einige unter den Aktiven akzeptierten das Kronzeugengesetz der Regierung Fujimori. In ihrem Hauptkampfgebiet, der Selva de San Martin im Nordosten, wurde von der Armee 1993 fast alles dem Erdboden gleichgemacht. Dasselbe passierte an der zweiten militärischen Front in der Region Junin. Am 15. Oktober 1993 wurde der Chilene Jaume Castio verhaftet, die angebliche Nummer drei der Organisation und einer ihrer militärischen Chefs. Die Pressestelle des Präsidentenamts konnte somit erklären, die MRTA sei geschlagen worden. Doch trotz strategischer und organisatorischer Schwächung hat die MRTA ihre Kräfte neu organisiert. Die spektakuläre Aktion vom 17. Dezember (die Besetzung der Residenz des japanischen Botschafters in Lima - d. Red.) ist Ausdruck dieses neuen Aufstiegs. Mit der Aktion will sie eine Generalamnestie und die Legalisierung der MRTA durchsetzen. Einige Kommentatoren haben dies einen kolumbianischen Ausweg genannt, in Nachahmung des Beispiels kolumbianischer Organisationen des bewaffneten Kampfes wie M-19, die Volksbefreiungsarmee oder die Strömung der sozialistischen Erneuerung (eine Abspaltung der ELN), die in den legalen, institutionellen Rahmen zurückgekehrt sind.

Die Strukturanpassungspläne, die der Internationale Währungsfonds und die Weltbank Ländern Lateinamerikas aufzwingen, haben Hunger, Elend und Arbeitslosigkeit geschaffen, gleichzeitig aber auch die Bedingungen für die Entwicklung einer rebellischen Volksbewegung gegen eine unerträgliche soziale Realität. Diese Rebellion wird von sozialen Gruppen getragen, die unter der kapitalistischen Modernisierung am meisten zu leiden haben: die indianische Bevölkerung, die landlosen Bauern, die Wohnungslosen in den Armenvierteln, die am Rande der Marktwirtschaft leben.

Anders als in den sechziger und siebziger Jahren, als die Kader der Guerilla aus den Kreisen der liberalen Berufe, der Studenten oder aus den klassenkämpferischen Teilen der Arbeiterbewegung kamen, setzt sich die aktive Basis der Aufstandsbewegungen am Ende dieses Jahrhunderts im wesentlichen aus den Verdammten dieser Erde zusammen, die weder über Arbeit noch über eine Wohnung verfügen. Das gilt für die EZLN, die FARC wie für die kolumbianische ELN. Peru bildet da keine Ausnahme.

Die neoliberale Umstrukturierung hat die Gewerkschaften zersplittert, die legale Linke ist nicht mehr als ein Ausstellungsstück. Somit rekrutieren die MRTA wie auch der Sendero unter den armen Bevölkerungsschichten der Städte (Arme, Arbeitslose, marginalisierte Jugendliche) und auf dem Lande (unter Bauern, die von ihrem Land vertreiben wurden, und unter ruinierten Kokabauern). Dieses geschieht in einer Gesellschaft, die unter der politischen Gewalt erstickte: Über 25 000 Tote gab es im Verlauf von acht Jahren. Ein großer Teil des Kommandos, das die Botschaft besetzt hält, setzt sich aus 16- bis 22jährigen Jungen und Mädchen zusammen, die jenseits von Ideologien und Programmen um ihre Würde kämpfen, in einem Land, in dem jedes Jahr 300 000 Jugendliche ohne Hoffnung auf den Arbeitsmarkt strömen.

Die revolutionären Kämpfe und die Guerilla bilden ein programmatisches und kulturelles politisches Erbe, das zahlreiche soziale Bewegungen in Lateinamerika entscheidend geprägt hat. Der Charakter ihrer Kämpfe wird bestimmt durch die Bedingungen der Ausgrenzung und der Gewalt, die der Reproduktion des Kapitals auf diesem Kontinent eigen sind. Das bestimmt die politische und soziale Entwicklung und auch die Forderungen und die Kampfmethoden. Wenn man das nicht versteht, läuft man Gefahr, eine sehr reduzierte Sichtweise zu entwickeln, wie viele Soziologen und linke Intellektuelle es tun, die meinen, der bewaffnete Kampf sei ein großer Irrweg (gar Ausdruck von Sektierertum), der wie in der Vergangenheit dazu verleite, die wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten der lateinamerikanischen Gesellschaft zu ignorieren. Damit erklärt sich ihrer Meinung nach die Niederlage der bewaffneten Bewegungen, deren Ziel es gewesen sei, viele Vietnams zu schaffen. Diese Interpretation ist völlig falsch.

Sieht man vom Vergangenen ab, ist unbestreitbar, daß die Aktionen der MRTA wie die der EZLN in Mexiko, die legendäre Kontinuität der Guerilla in Kolumbien, der jünste Auftritt der Patriotischen Front Manuel Rodriguez in Chile die Debatte neu eröffnet haben, und dies zu einem Zeitpunkt, da die Unterschrift unter das Friedensabkommen in Guatemala unter der Regie der Uno scheinbar den endgültigen Abschied von den Waffen besiegelte.

Ist die Phase, die mit der kubanischen Revolution eröffnet wurde, zu Ende gegangen? Jorge Castaneda, u. a. Autor von Die entwaffnete Utopie, meint, daß der bewaffnete Kampf in Lateinamerika als Mittel zur Eroberung der Macht und zur Transformation der Gesellschaft zu Ende ist, daß der Che ein Symbol, nicht ein militärischer Führer ist, dem es nachzuahmen gelte. Er fügt hinzu, daß die Revolution bei den Organisationen, die noch für den bewaffneten Kampf eintreten, nicht auf dem Programm steht. Ihr Programm kann als radikal gelten im Verhältnis zum Alptraum des freien Marktes, der die Region verwüstet, aber ihrer Substanz nach unterscheidet sich die Plattform der extremen Linken Lateinamerikas wenig von, sagen wir, der Allianz für den Fortschritt der Kennedy- Administration auf der Konferenz von Punta del Este vor 35 Jahren. In Wirklichkeit wäre es richtiger zu sagen, daß die Revolution nicht, wie in den sechziger Jahren, unmittelbar auf der Tagesordnung steht, selbst wenn sie für viele eine ewige Illusion bleibt. Das derzeitige Kräfteverhältnis erlaubt es nicht, eine Strategie des Kampfes um die Macht auf die Tagesordnung zu setzen.

Der Vergleich hinkt mehrfach. Die neoliberale Konterrevolution führt zu einem Maß an gesellschaftlicher Ungleichheit und Aufhebung der nationalen Souveränität, daß der Kampf für wirtschaftliche Reformen, soziale Bürgerrechte und nationale Unabhängigkeit einen antikapitalistischen Charakter erhält. Folglich kann heute ein gemäßigter, aber konsequenter Fortschrittlicher nur radikal sein. In gewisser Weise vereinfacht sich das Szenario: Auf der einen Seite stehen die großen Kapitalbesitzer und ihre postmodernen Ideologen, auf der anderen diejenigen, die ein Gefühl für Solidarität und Würde bewahren. (Alle Zitate von Joao Machado, führender Vertreter der brasilianischen PT, in der Zeitschrift Mas alla de lo posible vom November 1995).

Strategisch greift Castaneda das Argument vieler Demokraten und Poststalinisten auf, die reformerischen Umverteilungsziele könnten auf institutionellem Weg realisiert werden. Stimmt das auch für die Länder, in denen der gesetzliche Spielraum blockiert ist und die Kämpfe der Massen brutal niedergeschlagen werden oder wo, wie in Bolivien, jeder Streik mit Toten und Hunderten von Verhafteten endet? Gilt das auch für Länder, in denen der institutionelle Rahmen nur noch ein Schatten von Demokratie ist?

Muß man daran erinnern, daß in Mexiko und in Peru die Wahlen eine Farce sind, in Guatemala die Zahl der Nicht-Wähler über 60 Prozent liegt, im Verlauf der letzten Jahre in Kolumbien 30 000 Oppositionelle ermordet wurden und daß selbst in einem Land wie Brasilien, wo die Linke wichtige Positionen errungen hat und mehrere Städte regiert, die Bewegung der landlosen Bauern herrschaftliche Güter besetzen und zu den Waffen greifen muß, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen?

Es stimmt, daß die Mehrheit der historischen Guerillabewegungen (FSLN, FMLN, MLN/ Tupamaros) sich voll in das herrschende politische System integriert hat und daß ihr Programm und ihre Strategie sich von den Orientierungen der reformistischen Linken fast nicht unterscheidet. Doch die Erfahrungen, die politische und soziale Bewegungen heute mit dem bewaffneten Widerstand machen, werden sich nicht in nichts auflösen. Die Brutalität des neoliberalen Modells bietet keine Alternative: Es wird weiter Guevaristen hervorbringen. Menschen wie die in Peru werden nicht aufhören, für das Recht auf Würde zu kämpfen, nach dem Beispiel des Che.

(*) Ernesto Herrera ist Chefredakteur der Zeitschrift Mas alla in Montevideo, Uruguay.

Die Mübersetzung seines Beitrages besorgte Angela Klein von der Zeitschrift SoZ)