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Inhaltsverzeichnis Inhalt Das Jahr, in dem wir nirgendwo Aufwärts

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Warten in Kibamba


In Kibamba macht Che seinen ersten militärischen Vorschlag.


CHE: Hundert Mann in Gruppen von nicht mehr als zwanzig aufteilen und allen eine Grundausbildung in Infanterie, technischen Vorbereitungen (vor allem Ausheben von Schützengräben), Nachrichtenübertragung und Geländeerkundung geben, entsprechend den Möglichkeiten und den Mitteln vor Ort, ein Programm von vier bis fünf Wochen aufziehen und die Gruppen unter dem Kommando von M'bili in Aktion treten lassen. Danach alle wieder zur Basis zurückkehren lassen und diejenigen auswählen, die sich als geeignet erwiesen haben. Unterdessen hätte man schon die zweite Gruppe in der Ausbildung, und wenn die erste von der Front zurückgekehrt wäre, würde die nächste aufbrechen. Auf diese Weise könnte die notwendige Auswahl gleichzeitig mit der Ausbildung der Männer stattfinden. Ich erklärte ihnen noch einmal, daß wir aufgrund der Art und Weise der Rekrutierung davon ausgehen müßten, daß von hundert Mann lediglich zwanzig als geeignete Soldaten übrigbleiben würden, und von diesen höchstens zwei oder drei in Zukunft Führungsaufgaben übernehmen könnten, um eine bewaffnete Einheit ins Gefecht zu führen. Wie so oft im Verlauf dieses Krieges bekamen wir eine ausweichende Antwort. Man bat mich, den Vorschlag schriftlich abzufassen. So geschah es, aber niemals erfuhr ich vom weiteren Verbleib dieses Papiers. Wir bestanden weiterhin darauf, in die Berge zu marschieren und in der oberen Basis mit der Ausbildung zu beginnen. Wir rechneten mit einer Woche für die Ausstattung der Basis, um daraufhin die Arbeit in einem gewissen Rhythmus aufzunehmen, und warteten lediglich darauf, daß das einfache Problem des Ortswechsels gelöst würde. Doch wir konnten nicht abmarschieren, weil der Befehlshaber noch nicht eingetroffen war; es hieß abwarten, denn: »Wir befinden uns in wichtigen Besprechungen.«

Die Zeit vergeht, und Che ist irritiert. Eines Tages gibt er Moja/Dreke den Befehl, den in der Nähe gelegenen Berg von Luluaburg zu erkunden, wo eine permanente Basis eingerichtet werden sollte. Unter dem Vorwand, Marschübungen zu unternehmen, versuchten sie herauszufinden, was dort vor sich ging. Starr vor Kälte und völlig durchnäßt kehrten sie zurück, unterwegs waren sie Nebel und ständigem hartnäckigem Regen ausgesetzt gewesen.

CHE: Sie waren dabei, ein Haus zu bauen, für uns, wie sie sagten, und dies würde noch einige Tage dauern. Geduldig erklärte ich ihnen, daß wir dabei mitarbeiten wollten.

In diesen Tagen führt Che mehrere Gespräche mit Kiwe, in denen dieser ihm seine allesamt sehr negativen Eindrücke von den Revolutionsführern schildert; er berichtet von Olenga, der sich jedesmal selbst befördert, wenn er ein Dorf erobert hat, vom Präsidenten Gbenye, einer völlig dubiosen Gestalt.

CHE: Im Laufe dieser Tage entstand das Bild eines Gbenye, der eher dazu geeignet schien, eine Diebesbande anzuführen als eine revolutionäre Bewegung.

Kiwe erzählt dem Che seine Version von Gbenyes Beteiligung an der Gefangennahme und Inhaftierung von Gizenga, den Mordversuchen an Mitoudidi und über die Verbindungen zur Botschaft der Yankees in Kenia. Er spricht auch vom Obersten Pasacasa [dem Repräsentanten von Mulele], der bei einer Schägerei zwischen Genossen in Kairo ums Leben gekommen ist. Kiwe spricht auch schlecht von Gizenga, den er als linken Opportunisten beschreibt, der »alles über den legalen politischem Weg erreichen will«.

CHE: Und die Tage vergingen. Über den See kreuzten verschiedene Boten, die eine sagenhafte Fähigkeit besaßen, alle Nachrichten durcheinanderzubringen, oder Kämpfer auf Urlaub, die mit irgendeinem Passierschein nach Kigoma fuhren. Außerdem arbeitete ich in meiner Eigenschaft als Arzt (Epidemiologe), die mir, Äskulap möge mir verzeihen, das Recht gibt, nichts von Medizin zu verstehen, für einige Tage mit Kumi in der ambulanten Station, wo ich einige alarmierende Dinge beobachten mußte. In erster Linie die Vielzahl von Geschlechtskrankheiten, hervorgerufen zum Großteil durch Ansteckung in Kigoma. In diesem Moment beunruhigte mich weniger der hygienische Zustand der Bevölkerung oder der Prostituierten von Kigoma, aber sehr wohl, daß sie derart viele Männer anstecken konnten (...). Wer bezahlte diese Frauen? Mit welchem Geld? Wofür wurde das Geld der Revolution ausgegeben? Ebenfalls hatten wir gleich von Anfang an Gelegenheit, einigen Fällen von Alkoholvergiftung beizuwohnen, hervorgerufen durch den berühmten pombe. Der pombe ist ein Schnaps, der aus Maismehl und Maniok gebrannt wird; die Gärung ist zwar nur gering, aber destilliert kommt ein Schaps mit bedrohlichen Auswirkungen heraus, weniger seiner Stärke ist als der zahllosen Verunreinigungen wegen, die aufgrund der rudimentären Destillierungsmethoden zustandekamen.

Es gab Tage, an denen das Lager im pombe und seinen Folgeerscheinungen regelrecht versank: Schlägereien, verschiedenste Vergiftungen, Disziplinlosigkeiten usw.

Die ambulante Station begann bald auch von Bauern aus der Umgebung besucht zu werden, die durch Radio Bemba Nachricht über die Anwesenheit von Ärzten in der Gegend bekommen hatten. Unsere Ausstattung mit Medikamenten war ärmlich, aber zu unserer Rettung traf eine Sendung sowjetischer Medikamente ein, obwohl diese nicht für die Behandlung der Zivilbevölkerung vorgesehen waren, wie es gewöhnlich der Fall ist, sondern um die Bedürfnisse einer kriegsführenden Armee zu decken, aber selbst dafür wäre das Sortiment nicht ausreichend gewesen (...).

Ich nahm persönlich an der Ausgabe der sowjetischen Medikamente teil, bei der es wie auf einem Jahrmarkt zuging; jeder einzelne Vertreter der bewaffneten Gruppen kramte Zahlen hervor und führte Ereignisse und Gründe an, derentwegen er größere Mengen von Medikamenten benötigte; einige Male kam es zu heftigen Zusammenstößen, als ich verhindern wollte, daß bestimmte Medikamente und Spezialgeräte völlig nutzlos an die Fronten verschwinden. Man jonglierte mit sagenhaften Zahlen über die Truppenstärke, einer meldete tausend, der nächste zweitausend, und so fort. (...)

Die Sendungen mit Waffen und wichtiger Ausrüstung waren fortwährend unvollständig; Kanonen und Maschinengewehre, denen die Munitionsbatterie oder entscheidende Teile fehlten, andere Gewehre, die mit falscher Munition eintrafen, Minen ohne Zünder, all dies war beim Nachschub aus Kigoma selbstverständlich.


RIVALTA: Außer Kuba, der Sowjetunion und der tansanischen Regierung schickten auch die Chinesen Hilfe, vor allem in Form von Waffen, die Sowjets schickten eher Medikamente und Waffen, bei denen aber Teile fehlten.

Nach Ches Ansicht lag die Schuld für das Organisationsdesaster bei der kongolesischen Befreiungsarmee.

CHE: (...) am Strand lagen Nahrungs- und Waffenreserven herum, alles durcheinander in einem fröhlichen und brüderlichen Chaos. Mehrere Male versuchte ich zu erreichen, daß sie uns das Lager organisieren ließen. Ich riet ihnen vor allem dazu, einige Waffen und Munitionstypen wie die Bazooka-Granaten oder die Mörser von dort zu entfernen, aber es war praktisch unmöglich, auch nur das geringste zu organisieren.

Gerüchte über Gerüchte von der anderen Seite des Sees; man erwartet die Ankunft von Mitoudidi. Nachrichten von der Konferenz in Kairo treffen ein, vom dortigen Triumph der kongolesischen Revolutionäre. Kabila blieb noch eine Weile länger dort, um sicherzugehen, daß das Beschlossene auch umgesetzt würde, außerdem mußte er sich eine Zyste operativ entfernen lassen, was ihn noch länger zurückhielt.

CHE: Es mußte etwas geschehen, um eine absolute Tatenlosigkeit abzuwenden.

Man begann im Lager mit Unterricht in Französisch, Kisuaheli und allgemeiner Kultur.

CHE: Unsere Moral war weiterhin gut, aber allmählich setzte unter den Compañeros, die zusehen mußten, wie die Tage nutzlos verstrichen, das Murren ein; und über uns kreiste das Gespenst des Fiebers, das auf die eine oder andere Weise über uns alle herfiel, ob in Form von Malaria oder irgendeines anderen tropischen Fiebers. Mit Fiebermitteln ließ es nach, doch blieben Folgeerscheinungen wie allgemeines Unlustgefühl, Appetitlosigkeit, Schwäche, die das ihre dazu beitrugen, den aufkommenden Pessimismus der Truppe zu verstärken.

Während an den Fronten allgemeine Passivität herrscht, behandelten Che und Kumi Schußverletzte, die bei Spielereien und Saufgelagen verunglückt waren.

KUMI: Che sang Tangos. Ich war sehr überrascht. Er las viel: ausgewählte Werke von Martí, ausgewählte Werke von Karl Marx, die Marx-Biographie von Mehring (ich habe sie nach ihm ebenfalls gelesen), das Kapital. Außerdem las er die eintreffenden Zeitungen und Zeitschriften. Er hatte ein Französisch-Kisuaheli-Wörterbuch, das wie ein Notizblock aussah.

Seiner Einschätzung nach war es an der Zeit, sich mit irgendetwas zu beschäftigen, und so organisierte er die medizinische Betreuung, die das erste überhaupt war, das irgendwann funktionierte. Wir hielten Sprechstunden ab. Aber wie? Wo? Mit welchen Medikamenten? Aspirin, Chloroquin, fieberdämpfende Mittel. Mehr gab es nicht. Damals, in der Sierra, hatte ich nicht mal das.


ILANGA: Wir Kongolesen dachten, Dreke sei der Chef, doch ich bemerkte, daß alle vor Tatu den größten Respekt hatten, selbst Dreke beriet sich immer mit diesem Mann, der ein spröder Typ war, ohne autoritär zu sein.



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