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»Nicht besser als ein Stück Vieh«

»Am Ende der Erntezeit beobachtete man auf der ganzen Strecke zwischen den Plantagen und den indianischen Dörfern eine schmerzgeplagte Karawane von Kranken und Unbekleideten, die Körper voller Wunden von der übermäßigen Arbeit und den Heimsuchungen der tropischen Zone, ohne Schutz durch Kleidung, in vollem Leiden. Sie ließen die Plantagen hinter sich, aber nicht die Schulden, die sie für die nächste Ernte zur Rückkehr verpflichteten. Einige starben auf dem Weg, besiegt durch die Müdigkeit und Erschöpfung.« So schildert ein Zeitzeuge das traurige Bild des nicht enden wollenden Zugs der Arbeitskräfte, die nach der Kaffee-Ernte auf den Plantagen an der Pazifikküste zu Fuß über 200 Kilometer zurück in ihre Heimatdörfer im Hochland von Chiapas pilgerten. Das eiserne Regiment auf den Fincas war klar hierarchisch und ethnisch geregelt. »Sie waren die Patrones, wir waren die Arbeiter, für sie nicht besser als ein Stück Vieh«, erinnert sich ein Campesino. In Händen der Plantagenherren lag auch die Rechtsprechung. Gefängnisse gehörten auf fast allen Fincas, auch auf Liquidambar, zur Grundausstattung. Und was eine »Straftat« war, das bestimmte der Patrón selbst. Und nicht selten nahm er für sich auch das »Recht der ersten Nacht«, die Vergewaltigung der Töchter von Angestellten, in Anspruch. Vergangenheit und Gegenwart vermischen sich bei den Schilderungen der Campesinos.

Unter dem Patrón, dem Besitzer der Plantage, rangierte in der Hackordnung ein Administrador, der Verwalter. Er lebte mit seiner Familie in einem Haus auf der Plantage und besaß alle Vollmachten des Patróns, der oftmals ein bequemes Leben in der Stadt dem abgeschiedenen Leben auf der Plantage vorzog. Dem Verwalter gingen die Mayordomos als Gehilfen zur Hand, die den Arbeitsprozeß überwachten. Beide waren fast immer europäischer Herkunft und die Vertrauensmänner des Plantagenbesitzers. Untergeordnete Bürokräfte und Techniker vervollständigten die Chefetage auf den Plantagen. Das ganze Jahr über sorgten qualifizierte Arbeitskräfte für das Funktionieren der Maschinen und die Pflege der Kaffeebäume. Sie besaßen ein kleines Stück Land für den Anbau von Lebensmitteln zum Eigenbedarf, das ihnen auf den Fincas zugeteilt wurde. Während der Erntemonate von November bis März traf dann das Heer der indianischen Erntehelfer auf den Plantagen ein. Sie wurden von Caporales beim Pflücken überwacht und waren der rechtloseste Teil der Arbeiterschaft. Auch daran hat sich nichts geändert.

Da in der Kaffeeregion selbst nicht genug Arbeitskräfte lebten und sich nicht genug Freiwillige meldeten, wurden indianische ArbeiterInnen gewaltsam auf die Fincas deportiert. Dazu ließen sich die Großgrundbesitzer ein besonders perfides System einfallen. 1904 fuhr Plantagenbesitzer und Hobby-Großwildjäger Guillermo Kahle nach San Cristóbal, in das Zentrum des Hochlandes, um dort indianische Arbeitkräfte aus den zahlreichen umliegenden Dörfern anzuwerben. Nur kurze Zeit später wurden in San Cristóbal, Comitán und Motozintla Agenturen zur Rekrutierung von Erntehelfern eröffnet. Sogenannte Enganchadores oder Habilitadores übernahmen es, Wanderarbeiter für die Plantagen anzuwerben. Normalerweise baute der Enganchador dafür auf den Plätzen der Hochlanddörfer einen Tisch auf und stapelte einige Silberpesos übereinander. Die indianischen Dorfbewohner waren oftmals verschuldet, nicht zuletzt, weil ihnen der fruchtbarste Teil der Anbauflächen geraubt worden war. Daher benötigten sie Geld, um ein krankes Familienmitglied zu versorgen oder eine Beerdigung, eine Hochzeit oder ein traditionelles Fest ausrichten zu können. So blieb ihnen nichts anderes, als das Geld der Enganchadores anzunehmen. Damit waren sie »kontraktiert«. Doch manchmal wurden auch unfreiwillige Arbeitskräfte angeworben. Die Enganchadores bezahlten regelmäßig Lösegelder für Indios, die aus irgendeinem Grund ins Gefängnis gesperrt worden waren. So kamen diese zwar frei, mußten aber dafür auf den Plantagen das Lösegeld abarbeiten. In San Cristóbal genügte als Haftgrund für einen Indianer bereits, angetrunken auf der Straße angetroffen zu werden, nachts durch die Stadt zu laufen oder den Bürgersteig nicht zu verlassen, wenn ein weißer Stadtbewohner des Weges kam.

Gebräuchlich war auch, daß die Enganchadores Landarbeiter zu großen Trinkgelagen mit billigem Fusel einluden, um sie am nächsten Morgen eingesperrt zu halten und auf die Plantagen zu treiben. Einmal in den Fängen des Enganchadores, waren sie ihm auf Gedeih und Verderben ausgeliefert, denn sie hatten sich »verschuldet« und konnten die Schulden nur durch die Arbeit auf einer Finca wieder abbezahlen. Auch wurden die »Schulden« auf die Söhne und Töchter verstorbener Arbeiter vererbt.

Abbildung 4.3: Folke von Knoop mit Fotos seiner Ahnen auf Prusia
Folke von Knoop mit Fotos seiner Ahnen auf Prusia, 17.76k

In Fußmärschen von vierzig Kilometer pro Tag trieben die berittenen Anwerber und ihre bewaffneten Aufpasser die Karawanen der unglücklichen Gefangenen tagelang durch die Berge der Sierra Madre in Richtung Pazifik. Den Arbeitern wurden dabei Übernachtungskosten, Essen, Steuern, Pflichtimpfungen und tausend Kleinigkeiten in Rechnung gestellt, so daß sie sich jeden Tag weiter verschuldeten. Es gab kein Entrinnen. Die Kaffeebarone kauften dann den Enganchadores die Arbeitskräfte ab, wobei der Anwerber als Kaufpreis die »Schulden« der Verschleppten und einen Extrabonus für jeden kontraktierten Erntearbeiter berechnete.

Auch mit monatelanger zwölfstündiger Knochenarbeit war es den Erntearbeitern unmöglich, sich wieder freizukaufen. Dafür sorgte das System der Tienda de Raya, das die Arbeiter auf den Plantagen erwartete. Kost und Logis bestanden auf den Plantagen zwar nur aus einer Hungerration und einem beengten Holzverschlag, aber selbstverständlich waren sie keineswegs gratis. Denn zu verschenken hatten die Plantagenherren nichts. Umsonst war nur der Tod auf den Kaffeeplantagen, die Beerdigung mußten die Angehörigen allerdings schon wieder aus eigener Tasche bezahlen.

So verließen die Erntearbeiter nach einem Vierteljahr in der »Hölle der Berge« die Plantage mit »Schulden« beim Patrón. Dieser bezahlte ihnen einen Vorschuß, damit sie sich die Heimreise leisten konnten und noch etwas Geld übrigblieb, das sie zuhause für ihre notwendigsten Einkäufe verwendeten. Allerdings verpflichteten sie die »Schulden«, zur nächsten Ernte wieder zurückzukehren. Dafür sorgten im Notfall die Landpolizei oder vom Großgrundbesitzer angeheuerte Pistoleros.



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