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Inhaltsverzeichnis Inhalt Die Rebellion der Habenichtse Aufwärts

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Vorwort

Sommer 1995 im Gefängnis Cerro Hueco in Tuxtla Gutiérrez, der Hauptstadt des südmexikanischen Bundesstaates Chiapas. Es ist heiß. Hier und da gehen Gefangene gebeugt hin und her, auf der Suche nach etwas, womit sie sich die Zeit vertreiben könnten. Viele von ihnen sind Indígenas. Als Angehörige eines der 56indianischen Völker Mexikos erfüllen sie zwei der wichtigsten Voraussetzungen, um in Mexiko inhaftiert zu sein: Arm zu sein und für seine Rechte zu kämpfen.

Fragst du sie nach den Gründen ihrer Festnahme, so unterscheiden sich die Antworten kaum: Wir wurden von den Ländereien, die wir besetzt hatten, gewaltsam geräumt; wir wurden von den Guardias Blancas, den Weißen Garden, die unsere Dörfer terrorisieren, festgenommen. Wir wurden während einer Protestkundgebung, bei der wir gerechte Preise für unsere Produkte und die Freilassung der politischen Gefangenen forderten, verhaftet; weil wir Anhänger der Oppositionspartei (Partei der Demokratischen Revolution, PRD) sind und Probleme mit der Regierung haben; weil sie uns beschuldigen, Mitglieder der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) zu sein...

Die Erzählungen der Geschichten vermag weder Zorn noch Hitze zu verscheuchen, ist jedoch eine Möglichkeit, von der eigenen Tragödie abzulenken und vielleicht die gemeinsame Ursache von allem zu erkennen. So berichtet eine Gruppe von Gefangenen:

»Seit die Deutschen da sind, leben wir im Elend. Von dem bißchen Mais, Bohnen und auch Kaffee, das wir in unserer Kooperative anbauen, können wir nicht leben. Deshalb haben wir gegen die Familie Schimpf-Hudler rebelliert und die Kaffeeplantage Liquidambar besetzt. Dann haben sie uns verfolgen und einsperren lassen. Wie ist es möglich, daß wir zuwenig Land haben, um unsere Familien zu ernähren, und den Deutschen alles alleine gehört? 200 Haftbefehle haben sie gegen uns erlassen, in unserem Dorf patrouillieren Polizisten und Soldaten.«

DIE REBELLION DER HABENICHTSE erzählt von dieser Geschichte, die nur eine von vielen ist. Durch die Lektüre möge verständlich werden, daß die Campesinos und Indígenas zu einer Reise aufgebrochen sind, die keine Umkehr zuläßt, einer Reise zu einem Leben in Freiheit, Demokratie und Würde. Und vielleicht wird auch verständlich, warum die Worte und Taten der Campesinos und Indígenas offene Ohren und Unterstützung in allen Teilen der Welt gefunden haben. Seien es IndustriearbeiterInnen, Intellektuelle oder chiapanekische Indígenas, niemand kann stumm bleiben angesichts des Chaos, der Ungerechtigkeit und der unvorstellbaren Folgen, die das neoliberale System verursacht.

Der 1. Januar 1994, der zapatistische Aufstand in Chiapas hat Mexiko erschüttert. Die Bevölkerung begann, sich einer Realität zu widersetzen, die jahrzehntelang von den Sphären der Macht verschleiert wurde. Für die herrschende Klasse war Mexiko ein Land im Wartesaal der sogenannten Ersten Welt. Millionen Dollar wurden in Mexiko und jenseits der Grenzen vergeudet, um uns von der Wirksamkeit des Modells zu überzeugen. Als unwiderlegbaren Beweis ihres Erfolges präsentierten sie die Trophäe: Am 1. Januar 1994 trat die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexiko in Kraft. Da interessierte es nicht mehr, daß Millionen Mexikanerinnen und Mexikaner im Elend lebten, daß Hunderte von Oppositionellen umgebracht wurden, daß Ungerechtigkeit und soziale Ungleichheit herrschten. »Weder sehe ich sie noch höre ich sie«, erklärte der Präsident, als er zur Opposition befragt wurde. Nur die Erfüllung des von neoliberalen Strategen verkündeten Dogmas der Globalisierung zählte.

Seit dem 1. Januar 1994 sind nun Millionen von Indígenas weder zu überhören noch zu übersehen. Mit dem Ruf YA BASTA - ES REICHT! nahmen sie ihren Kampf für ein besseres Leben erneut auf. Dank des Aufstandes der Zapatistas treten die Campesinos und Indígenas verstärkt für ihre Rechte ein. Der Kampf für Land und Freiheit, der ewige Konflikt in Mexiko, spitzt sich zu. Tausende Hektar Land werden von ihren eigentlichen Besitzern zurückerobert. Und der Staat reagiert, wie jeder andere antidemokratische Staat der Welt, mit brutaler Gewalt, Festnahmen, Verfolgung, Folter und Mord.

Aus diesem Szenario treten die ProtagonistInnen dieses Buches hervor: Familien aus dem kleinen Dorf Nueva Palestina. Alle Bestandteile der Vergangenheit und Zukunft Mexikos spiegeln sich in der Geschichte dieser Menschen wider. Sie kämpfen gegen die gefräßigen Großgrundbesitzer, die ihnen ihr Land rauben und sie in Elend und Knechtschaft stoßen; einige wenige Pfennige für die Arbeiterinnen und Arbeiter - Tausende Dollars für die Kaffeebarone.

Von den Bergen in Chiapas bis zu den Luxuskaufhäusern in Berlin demonstriert der Weg des Kaffees aus Liquidambar in erstaunlicher Weise, warum das Echo des zapatistischen ¡YA BASTA! noch immer zu hören ist und bis an die verschiedenen Ecken der Welt vordringt.

Jorge Javier Elorriaga, Januar 1997

(Der Autor gehört zur Leitung der FZLN, einer zivilen der EZLN nahestehenden politischen Organisation. 1995/96 war er unter dem Vorwurf der EZLN-Mitgliedschaft im Gefängnis von Cerro Hueco/ Chiapas inhaftiert und dort Sprecher der politischen Gefangenen.)



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