Auf dem Vulkan

Soziale Bewegungen


Auf dem Vulkan

Der lange Weg

Das Land denen, die es bearbeiten!

Dörfer am Rande der Selva

Nueva Alemania in Chiapas


Antonio träumt, daß die Erde, die er bearbeitet, ihm gehöre. Daß sein Schweiß mit Gerechtigkeit und Wahrheit abgegolten werde. Daß es eine Schule gebe, um die Unwissenheit zu heilen, und Medizin, um den Tod zu erschrecken. Daß sich sein Haus erleuchte und sein Tisch fülle, sein Land frei sei und die Vernunft der Leute entscheide, wer regiere und regiert werde. Antonio träumt, er wäre in Frieden mit sich und der Welt. Er träumt, daß er kämpfen müsse für diesen Traum und daß es Tod geben muß, um Leben zu haben. Antonio träumt und erwacht. Jetzt weiß er, was zu tun ist, und er sieht seine Frau kniend das Feuer anfachen, hört seine Kinder weinen, sieht die Sonne im Osten grüßen und schleift lächelnd seine Machete. Ein Wind kommt auf und bringt alles durcheinander, Antonio steht auf und geht, um sich mit anderen zu treffen. Etwas sagt ihm, daß sein Wunsch der Wunsch vieler ist, und er wird sie suchen.

(aus: Chiapas: Der Südosten in zwei Winden, einem Sturm und einer Prophezeiung von Subcomandante Marcos)


Auf dem Vulkan

Antonio García de Léon

 

1982 brach im Norden von Chiapas der Vulkan Chichonal aus. Antonio García de León, Historiker, der zehn Jahre lang in Chiapas lebte und arbeitete, beendete 1985 mit dieser Prophezeiung sein zweibändiges Buch über die Geschichte der sozialen Bewegungen in Chiapas: Resistencia y Utopía.

 

Als plötzlich der Ausbruch erfolgte - so wird berichtet -, versank alles in Dunkelheit und die Luft war geschwängert von demselben Äther wie in den Tagen der Schöpfung. Die Vögel verstummten zum ersten Mal seit Jahrhunderten, die Rinder trieben halb verkohlt in den aufgewühlten Flüssen, die ihren Lauf geändert hatten. Eine dicke Schicht grauen Staubs bedeckte die Ziegel der Häuser, die Welt hatte die Farben verloren, und die, denen es nicht gelungen war zu fliehen, wurden auf den Äckern begraben, starr und besiegt an den Straßenrändern, oder vom Tod zum Verstummen gebracht, neben den Feuerstellen. Die greise Göttermutter war durch die Dörfer gelaufen und hatte die Ungläubigen gewarnt (es wird gesagt, daß sie auf einen großen Hügel stieg und sah, wie die Stadt vom Himmel heruntersank, "mit dem Glanz leuchtenden Jadegesteins, mit ihren Mauern, ihren 13 Toren und ihren 13 Herren des Berges, 13 Wächtern des Volkes", und daß die Ungerechten keinen Zutritt zu ihr haben würden). Aber am nächsten Tag waren die Insekten die ersten, die ihre Verstecke verließen und mit ihrem alltäglichen, hartnäckigen Ritual begannen, die zerstörten Kreisläufe des Universums wieder neu zu organisieren. Und es gab andere Tiere, die noch lebend auf den Baumstämmen, die das Getöse entwurzelt hatte, in dem Diluvium der schäumenden Flüsse dahintrieben.

Es war zu Beginn des Jahres 1982, als der Krater des Chichonal sich 20 Tage lang erbrach, Mondtage einer Dunkelheit, die die Ursprünge wieder neu erschuf, Millionen Tonnen von Sand, Asche und glühendem Gestein. Das ökologische Gleichgewicht war gestört, ein ganzer Landstrich wurde von einer grauen Ascheschicht bedeckt und einige Zoque-Dörfer von den ersten Lavaströmen verschlungen. Dem Ausbruch gingen wiederum prophetische Weissagungen voraus, und er geschah, um sich als weitere Ankündigung einzureihen in die Teile dieses immensen Kreuzworträtsels, der Landkarte dieses gemächlichen Krieges von Bewegungen, dieser scheinbar unbeweglichen Zeitenfolge, die nur mit der Elle von Jahrhunderten zu messen ist. Seine gewaltige Erschütterung (sein Gähnen von "Blitzen, ohrenbetäubenden Donnern, Erdbeben und starkem Hagelschlag"), die als Meilenstein in der Erinnerung zukünftiger Generationen bleiben wird, kündigte nur die Ungeduld der ursprünglichen und unterirdischen Kräfte an, die darauf drängten, erneut an die Oberfläche zu kommen...

(Übersezung: Ulrich Mercker)


Der lange Weg

Bauernbewegungen in Chiapas

Juan González Esponda/Elizabeth Pólito Barrios

Im Jahre 1824 entschieden die Bewohner von Chiapas durch einen Volksentscheid, sich in die Republik Mexiko einzugliedern. Während der drei vorangegangenen Jahrhunderte war Chiapas eine Provinz des Generalkapitanats Guatemala gewesen und damit die geopolitische Grenze gegenüber Neu-Spanien. Schon immer war es eine von den Regierungen in den Hauptstädten Guatemalas und Spaniens ziemlich vergessene Provinz.

Zwischen 1824 und 1860 entstand in Chiapas die Oligarchie der Großgrundbesitzer. Die Zäune um ihre Besitzungen wurden immer länger, weil sie die Ländereien der Kirche und der indianischen Gemeinden an sich rissen. Auf diese Weise wurden einige wenige Familien legal oder illegal zu Besitzern riesiger Territorien. Moreno, Castellanos, Domínguez, Utrilla, Robles, Corzo, Fernández, Marcías, Cal y Mayor, Moguel, Gutiérrez, Figueroa, Rovelo, Ruiz etc. wurden von Familien- zu Gebietsnamen, und es läßt sich ohne weiteres sagen, daß diese ânamhaften' Familien nicht nur in Chiapas lebten - es gehörte ihnen. Die Familien dominierten die Zentralregion (Centro), die Frailesca, das Grenzgebiet (Fronteriza), das Hochland (Los Altos), den Norden (El Norte) und einen Teil der Selva Lacandona.

Danach, in der Epoche von Porfirio Díaz (1876-1911), ließen sich in Chiapas ausländische Investoren aus England, Deutschland, Nordamerika, Spanien, Frankreich und anderen Ländern nieder. Diese Kapitalisten kauften Ländereien zusammen und gründeten Fincas, um Kaffee zu produzieren und die Kautschuk- und Holzbestände auszubeuten. Sie ließen sich vor allem im Soconusco, der Sierra Madre und El Norte nieder, also in hochgelegenen Gebieten, wo der Kaffeeanbau erfolgversprechend war. Auf riesigen Landflächen in der Selva Lacandona entstanden Unternehmen zur Kautschuk- und Holzgewinnung.

Auf diese Weise etablierte sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eine ökonomische Struktur, die jede einzelne der genannten Regionen bis heute prägt. Los Altos beispielsweise, das Hochland von Chiapas, wo mehrheitlich Tzotzil- und Tzeltal-Indígenas siedeln, oder das Grenzgebiet (Tojolabales) und die Sierra Madre waren bald nichts weiter als Herkunftsgebiete für die auf den Kaffeefincas des Soconusco und der Sierra Madre benötigten Arbeitskräfte.

Jahr für Jahr wurden Tausende von Indígenas auf menschenunwürdige Weise auf die Kaffeeplantagen gekarrt. Durchgeführt wurde das von Werbern, die als Bindeglied zwischen den indianischen Arbeitern und den Fincabesitzern fungierten und vornehmlich Mestizen aus San Cristóbal de las Casas waren.

 

Die Revolution bedroht - und festigt die Herrschaft der Großgrundbesitzer

1914 erreichte die Revolution auch Chiapas. Im September kam General Jesús Agustín Castro an der Spitze der 21. Division der Konstitutionalistischen Armee an, die dem bürgerlichen Flügel der Revolution angehörte. Die erste Maßnahme war, die Politiker ihrer Ämter zu entheben, die dem gestürzten Diktator Porfirio Díaz nahestanden. Castro und seine Männer übernahmen die Administration. Danach brachte er eine Reihe von Gesetzen auf den Weg, eines davon ist als "Gesetz zur Befreiung der mozos" bekannt geworden. Es ordnete die Abschaffung der Schuldknechtschaft an: "Es gibt keine Sklaven mehr im Staate Chiapas."

Für die Finqueros von Chiapas, vor allem die des Centro und der Frailesca, bedeutete dies den Entzug der wichtigsten Grundlage ihres ökonomischen und politischen Systems, und deshalb beschlossen sie, sich organisiert gegen diese fortschrittlichen Maßnahmen zu wehren, die drohten, ihre bisherige Lebensform zu beenden; es war, wie Antonio García de León sagt, als solle ihnen das Rückgrat gebrochen werden.

Im Dezember desselben Jahres erhoben sich die Finqueros mit Waffen gegen die "Verbrechen" der Carranza-Anhänger, um die "Souveränität" des chiapanekischen Staates und die Interessen der chiapanekischen Familie zu verteidigen. Sie gründeten die "Freie Brigade von Chiapas" und begannen einen Krieg im Guerilla-Stil: Überraschungsangriffe, kleine bewegliche Gruppen, Überfälle aus dem Hinterhalt, ständiges Umherziehen. Ihre genauen Ortskenntnisse waren für diese Taktik sehr hilfreich. Die Truppe der Finqueros ging unter dem Spitznamen Mapaches (eine Art Dachs, A.d.Ü.) in die Geschichte ein, weil sie wie diese Nagetiere vorgingen: Sie fielen nachts über die Maisfelder her, und am nächsten Tag war alles abgegrast.

Von 1914 bis 1920 kämpften die Mapaches mit der Waffe in der Hand wie ein Heer von Blinden gegen die Geschichte und gegen die Leute von Carranza. Nach dem Mord an Präsident Venustiano Carranza im Jahre 1920 einigten sie sich mit dem neuen Präsidenten Alvaro Obregón darauf, die Feindseligkeiten einzustellen und den Staat zu befrieden. Als Gegenleistung ernannte Alvaro Obregón den Führer der Mapaches, Tiburcio Fernández Ruiz, zum lokalen Oberbefehlshaber des Bundesheeres und zum Gouverneur von Chiapas von 1920 bis 1924. Natürlich wurden die Reformmaßnahmen der Carranza-Konstitutionalisten von der neuen Gutsbesitzer-Regierung ignoriert.

 

Agrarreform für die Besitzenden

Die verschiedenen Formen des Frondienstes blieben intakt. Um der Verpflichtung zur Landreform formell Genüge zu tun, erließ die Regierung von Tiburcio Fernández Ruiz ein neues Agrargesetz: Danach sollte jeder Grundbesitz über 8.000 ha zur Aufteilung in Frage kommen, wenn seine Besitzer ihn nicht entsprechend den Anordnungen des neuen Gesetzes innerhalb von sechs Monaten aufteilten. Aus dem ersten Artikel des Gesetzes ging hervor, daß die Obergrenze von 8.000 ha für den Besitz einzelner Personen galt. Die Konsequenz dieser Regelung war, daß der Grundbesitz extrem aufgesplittet und selbst Säuglinge als Eigentümer des "Landüberschusses" ihrer Eltern eingesetzt wurden. Auf diese Weise blieben die Latifundien erhalten. Eine tatsächliche Verteilung des Landes und sozio-ökonomische Reformen wurden so im Gegensatz zu anderen Landesteilen Mexikos in Chiapas verhindert. Deshalb ist die Landfrage eines der drängendsten Probleme der chiapanekischen Gesellschaft geworden.

 

Die Selva Lacandona als Überdruckventil

Zwischen 1940 und 1960 wurden in ganz Mexiko vor allem staatseigene Flächen und ausgehend vom Zentrum des Landes auch bewaldete Gebiete neu verteilt. In Chiapas bedeutete dies den Beginn der Besiedlung der Selva Lacandona, die bis dahin die Wüste der Lacandonen genannt worden war, weil sie kaum bewohnt war. Vor allem Campesinos aus den Staaten Guerrero, Morelos, Michoacán, Veracruz und Chihuahua wurden in die Lacandona geschickt, die von der Regierung die Zuteilung von Land als Privatbesitz verlangten (statt der kollektiven Eigentumsform des ejido). Die Selva Lacandona diente also als Ventil für den Druck der Landfrage, und wieder blieben die Ländereien der Grundbesitzer auf diese Weise verschont. Tausende chiapanekischer Indígenas - Choles, Tzotziles und Tzeltales - zogen in den Regenwald, ließen sich nieder und bauten Mais und Bohnen für ihre Subsistenz an. In ihren Herkunftsgebieten gab es entweder kein kommunales Land mehr zu verteilen, oder es befand sich in der Hand von Grundbesitzern, die Macht und Einfluß in der Regierung hatten.

In der Selva gerieten sie bald mit den privaten Viehzüchtern aneinander, deren Weiden ständig wuchsen und sich auf das Land ausbreiteten, das von ihnen dem Urwald abgetrotzt worden war.

Währenddessen blieb auch im Zentrum, in der Frailesca, im Norden und im Soconusco die Struktur des Großgrundbesitzes unangetastet. Es waren dementsprechend auch diese Regionen, in denen sich Anfang der 70er Jahre unabhängige Organisationen der Bauern, Indígenas und Mestizen zu entwickeln begannen. Befördert wurde dieser Prozeß durch die Wirtschafts- und Agrarkrise, die ganz Mexiko ergriff, und durch die Modernisierungsmaßnahmen in Chiapas.

Spätestens seit Mitte der 60er Jahre durchlief die chiapanekische Wirtschaft einen Modernisierungsprozeß, der durch drei Faktoren gekennzeichnet werden kann. Der erste ist die Errichtung großer Wasserkraftwerke. Malpaso, La Angostura, Chicoasén und Peñitas wurden am Rio Grijalba gebaut und überschwemmten mehr als 100.000 ha bestes Ackerland. Die chiapanekischen Wasserkraftwerke produzieren heute 55 % der gesamten hydroelektrischen Energie Mexikos.

Der zweite Faktor ist die Erdölförderung, die 1972 in den Gemeindegebieten von Reforma, Juárez und Pichucalco begann und seit kurzem auch in der Selva Lacandona nahe Palenque und Ocosingo betrieben wird. Der dritte Faktor schließlich ist die Modernisierung von Landwirtschaft und Viehzucht.

Diese drei Elemente zusammen haben die halbfeudalen Beziehungsgeflechte aufzulösen begonnen, lokale Machtstrukturen desartikuliert und Raum zur Entstehung neuer politischer und ökonomischer Machtgruppen geschaffen.

Auslösend für diese ökonomische Umorientierung und die Modernisierung des Agrarsektors waren verschiedene Krisenerscheinungen wie der Preisverfall für Kaffee 1974 und 1990 und für Baumwolle, infolgedessen der Anbau auf Soja umgestellt wurde. Die allgemeine Krise der mexikanischen Wirtschaft seit Beginn der 70er Jahre wirkte negativ auf die nationale Nahrungsmittelproduktion, und seither werden verstärkt Mais und Bohnen, die grundlegenden Lebensmittel Mexikos, importiert.

 

Die ungleiche Landverteilung bleibt bestehen

Die Agrarstruktur in Chiapas ist davon geprägt, daß der private Sektor den größten Anteil der Gesamtfläche und die besten Böden besitzt und die Viehzüchter eine hegemoniale Stellung einnehmen, weswegen sie auch die Hauptakteure in den chiapanekischen Landkonflikten sind.

Die offiziellen Statistiken registrierten 1960 rund 3.290.000 ha Land in Privatbesitz, während ejidos und Gemeindeland zusammen nur 750.000 Hektar umfaßten. Aus dem Agrar-Zensus im Jahr 1970 ging hervor, daß die Gesamtsumme von ejido- und Gemeindeland um 95.032 Hektar gewachsen war, während der Privatsektor keine Veränderungen verzeichnete. Die Konzentration des Landes in der Hand einiger weniger Gutsbesitzer- und Viehzüchterfamilien blieb jedoch das Charakteristikum der chiapanekischen Agrarstruktur. 1960 zum Beispiel besaßen nur 44 Familien zusammen mehr als eine Million Hektar, das bedeutet durchschnittlich 23.000 ha pro Familie. Mit dieser hohen Landkonzentration einher geht die spärliche Technisierung der Agrarproduktion und die Ausbreitung der extensiven Viehzucht, deren Profite mehr von der verfügbaren Fläche abhängen als von nennenswerten Kapitalinvestitionen.

In den 60er und teilweise auch den 70er Jahren änderte sich nichts an dieser Struktur. Der Flächenanteil der privaten Grundbesitzer wuchs sogar noch, wobei es v.a. um neue Weideflächen ging, was den Konflikt um Zugang zu neuem Land zwischen Viehzüchtern und Campesinos weiter verschärfte.

Eine Untersuchung zur Landfrage in Chiapas sagt über den Entstehungshintergrund der Campesino-Bewegung in den 70er Jahren: "Von 1970 an vereinnahmt die kapitalistische Produktion neue Flächen für neue Ausbeutungsformen: für die Erdölförderung, den Bau von Wasserkraftwerken, die Ausdehnung der Viehzucht, die Entwicklung von Tourismusgebieten, die Erweiterung der urbanen Zentren. In der Konsequenz werden Tausende von Campesino-Familien aus ihrer bisherigen Reproduktions- und Produktionsweise verdrängt, ohne in andere integriert zu werden. Das bedeutet, die Menschen können nicht Bauern bleiben, aber auch nicht Arbeiter werden. Das erhöhte den Druck in der Landfrage und verschärfte die Klassengegensätze in der Gesellschaft, was in der Entstehung und Radikalisierung der Campesino-Bewegung zum Ausdruck kam."

 

Die unabhängige Campesino-Bewegung formiert sich

Zunächst konzentrierte sich diese Bewegung auf die Forderung nach Landverteilung. Seit 1974 wuchs die Landfläche in Händen von Campesinos, Indígenas und Mestizen auf 3.130.892 ha, und die Zahl der ejidos und der kommunalen Landbesitzes stieg von 948 im Jahr 1960 auf 1.714 nach Angaben von 1988. Diese Zahlen dokumentieren zweifellos materielle Siege der Campesino-Bewegung. Ebenso unzweifelhaft ist die politische und ideologische Entwicklung der Bauernbewegung, die heute kämpft, um Demokratie zu erobern und selbst über ihre Zukunft zu entscheiden.

Der Kampf der chiapanekischen Campesinos gewinnt gerade in dem Moment größere Kraft, als die nationale Campesino-Bewegung abzuebben beginnt, die zwischen 1970 und 76 schwerpunktmäßig in großen landwirtschaftlichen Betrieben Auseinandersetzungen führte.

In der neuen Etappe ab 1976 entwickelt sich vor allem der Widerstand von Subsistenzbauern, deren Lebens- und Produktionsalltag von Kazikentum und Großgrundbesitz bestimmt, von aggressiver Ausweitung der extensiven Viehzucht bedroht wird und sich in einem sozialen und politischen Ambiente täglicher Gewalt abspielt.

Die Entwicklung der chiapanekischen Bauernbewegung kann in vier Phasen eingeteilt werden:

Die erste Phase dauerte von 1974 bis 1977 und bestand aus zwei Strömungen: Die erste begann mit dem Indígena-Kongreß im Oktober 1974 in San Cristóbal de las Casas, der unter der formellen Schirmherrschaft der chiapanekischen Regierung von der Diözese San Cristóbal organisiert wurde. Der Kongreß brachte eindrucksvoll das Leid und die Unzufriedenheit der Tzotziles, Choles, Tzeltales und Tojolabales zum Ausdruck und war ein wichtiger Impuls für neue Zusammenschlüsse. Die zweite Strömung entwickelte sich parallel und unabhängig und brachte andere Organisations- und Kampfformen hervor. Die bekanntesten Beispiele sind die kommunale Bewegung von Venustiano Carranza, der Aufstand der Tzotziles in San Andrés Larráinzar und San Juan Chamula, und schließlich die Bewegung der Mestizen-Bauern in der Region Frailesca, vor allem in Villa Flores, die sich nach Chiapa de Corzo, Tzimol und Socoltenango ausbreitete und aus der 1976 die "Alianza Campesina 10 de Abril" entstand.

Diese erste Phase der Campesino-Bewegung war durch vermehrte Landbesetzungen in ganz Chiapas gekennzeichnet und durch die gewaltsame Reaktion des Staates und der Finqueros selbst. Die Bundesarmee, die Polizei und die Weißen Garden - die paramilitärischen Banden der Finqueros vertrieben, verhafteten und verfolgten die Land fordernden Campesinos.

Die zweite Phase umfaßte die Jahre 1978/79 und enthielt als neue Elemente die Ankunft linker politischer Gruppen in Chiapas, die Einfluß in der jungen Campesino-Bewegung gewannen, und die Ausweitung der Bewegung - geographisch auf andere Regionen des Staates, politisch auf umfassendere Forderungen. Bei den linken Organisationen handelte es sich um "Línea Proletaria" und die CIOAC, "Unabhängige Zentrale der Landarbeiter und Campesinos" (Central Independiente de Obreros Agricolas y Campesinos).

"Línea Proletaria" gewann Einfluß auf den Organisationsprozeß der Campesinos in der Selva Lacandona, im Norden (Simojovel, Huitiupán, Sabanilla, Tila) und in der Sierra Madre. In diesen Regionen orientierten sie die Proteste auf die Forderung nach Land und gaben Impulse zur Gründung autonomer Produktions-Zusammenschlüsse. In letzterem stimmten sie mit der offiziellen Agrarpolitik des damaligen Präsidenten López Portillo überein.

Die politische Arbeit dieser Organisation zielte auf die Schaffung politischer und wirtschaftlicher Instanzen der Campesinos, auf die Verbesserung der Produktionsbedingungen ihrer Mitglieder.

Die CIOAC richtete ihre Arbeit zunächst vor allem auf die gewerkschaftliche Organisierung der quasi-leibeigenen Landarbeiter der Viehzucht-Betriebe und Kaffeeplantagen in Simojovel, Huitiupán und El Bosque (Region Norte). Am 26. Oktober 1980 gründete sie die Landarbeiter-Gewerkschaft "Miguel de la Cruz" und kämpfte um deren rechtliche Anerkennung. Gleichzeitig erstellte die CIOAC einen arbeitsrechtlichen Forderungskatalog, der die Zahlung vorenthaltener Löhne und Sozialleistungen ebenso einforderte wie den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn.

In dieser Zeit dehnte sie außerdem ihr Einflußgebiet in die Gegend von Comitán und zum Grenzgebiet hin aus, vor allem auf Tojolabales-Gemeinden, und ins Hochland nach Teopisca und Las Rosas. 1980 war sie in 90 Gemeinden tätig, und der gewerkschaftliche Ansatz wurde allmählich auf die gesamte Landproblematik erweitert. Durch die Arbeit dieser beiden Organisationen begann die Bauernbewegung in Chiapas ihre Isolation zu überwinden und sich in Organisationsstrukturen einzubringen, die es ermöglichten, die Spontaneität der Aktionen, die Zersplitterung und das Improvisieren der ersten Jahre zu überwinden.

Die Widerstandskraft der Gruppen entwickelte sich unterschiedlich. In einigen Regionen war die Bewegung rückläufig oder wurde von Regierungsinstanzen kooptiert, in anderen hielt sie ihre Forderungen und Aktionen aufrecht. Gleichzeitig brachen in neuen Regionen Konflikte aus, wie im Soconusco, den Erdölfördergebieten und im Hochland. Im Soconusco kämpften die Campesinos gegen das Landmonopol deutschstämmiger Kaffeebarone, die sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in der Region niedergelassen hatten. Die Presse berichtete über 27 Fälle von Landbesetzungen durch die "Revolutionäre Campesino-Allianz" (ACR), einer auf nationaler Ebene arbeitenden Organisation. All diese Aktionen wurden sowohl mit staatlicher als auch privater Gewalt beantwortet. Beispielsweise am 5. März 1980 wurden sieben Campesinos des ejido "15.September" (Suchiate) von der Polizei und aufgebrachten Finqueros bei dem Versuch ermordet, sie von dem von ihnen besetzten Land zu vertreiben.

Trotz aller staatlichen Versuche, die Campesino-Bewegung zu kriminalisieren und sie durch Bestechung ihrer Führer, mit offener, selektiver oder massiver Repression zu zersetzen, war sie nicht nur fähig, zu überleben, sie entwickelte sich auch weiter. In der dritten Phase zwischen 1980 und 1984 begannen die verschiedenen Kämpfe und Erfahrungen sich zu verschränken, zu verbinden und Organisationen hervorzubringen, die sich nach Taktik und Methoden unterschieden, aber denselben Ursprung und dasselbe Ziel teilten: die Suche nach einer Lösung der Landfrage, politische Partizipation und eine Verbesserung der Lebensverhältnisse.

 

Die Campesino-Bewegung weitet ihre Forderungen aus

1985 beginnt eine neue Phase der Bauernbewegung. Zehn Jahre Repression haben die Organisationen und die ganze Volksbewegung ausgelaugt. Die Krise in Wirtschaft und Landwirtschaft trägt ein übriges dazu bei. Die Organisationen spalten sich, und es entstehen andere. Auch die Forderungen ändern sich. In den Kampf um Land mischen sich immer mehr Aspekte der Produktionsbedingungen, vor allem die Forderung nach höheren Garantiepreisen. Auch die politischen Aspekte des Kampfes werden stärker. Mit dem Amtsantritt von Patrocinio González Garrido in der Regierung von Chiapas wird die Gewalt zur festen Institution. Die politischen Spielräume verschwinden, und die Politik orientiert sich in zunehmendem Maße an Unternehmerinteressen. Die Positionen innerhalb der Campesino-Bewegung ändern sich. Ihre Situation ähnelt sich von Region zu Region mehr denn je. Die neoliberale Regierungspolitik hat ihnen dasselbe Erkennungsmerkmal aufgedrückt: die Armut.

Im Dezember 1985 begannen die Maisbauern der Frailesca einen hartnäckigen Kampf um die Erhöhung der Garantiepreise für Mais, besseren Zugang zu Krediten und technische Unterstützung. Sie führten Kundgebungen durch und besetzten mehrere Lager der staatlichen Aufkaufgesellschaft CONASUPO. Anfang 1986 gründeten sie die "Regionale Union der Maisproduzenten". Im Mai desselben Jahres blockierten sie die Hauptverkehrsader Richtung Mexiko-Stadt, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Die chiapanekische Regierung lehnte Verhandlungen mit ihnen ab und ließ Militärs und Polizeikräfte gewaltsam die Straße räumen.

Zur gleichen Zeit entstanden auf Gemeindeebene neue Initiativen wie das "Komitee zur Verteidigung der Freiheit der Indígenas von Amatán und Palenque" (CDLI). Im Juli 1991 konstituierte sich ANCIEZ, die "Unabhängige Nationale Campesino-Allianz Emiliano Zapata", die in erster Linie den Kampf um Land weiterführte. Ihre Basis hatte sie in den Gemeinden der Selva Lacandona, des Grenzgebietes, im Norden und im Hochland von Chiapas. ANCIEZ brachte frischen Wind in die chiapanekische Bauernbewegung in einem Moment der Schwäche der nationalen Campesino-Bewegung gegenüber der Reform des Verfassungsartikels 27 und der Regierungsentscheidung zum Eintritt in das Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada.

 

Die Campesino-Bewegung entdeckt ihr indianisches Gesicht

Im März 1992 gründeten drei Organisationen aus dem Norden und der Selva die "Koordination der Indígena-Organisationen Xi'Nich". Begleitet von starkem Presseecho marschierten sie von Palenque nach Mexiko-Stadt und forderten politische Partizipation, Respektierung der Menschenrechte und ihrer Würde als Indígenas.

Der Kampf der Campesinos, seine Formen und Inhalte hatten nun ein neues Gesicht: Die verbindende Achse zwischen den Aktivitäten bildeten nicht mehr nur landwirtschaftliche Themen im engeren Sinne, sondern jetzt ging es auch um politische Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung. Die Würde der Indígenas und die Respektierung ihrer Kultur wurden zu neuen Katalysatoren der Bewegung und brachten neue Organisationen hervor. Der Kampf um Land tritt in ein Labyrinth ohne Ausgang ein, als die Regierung im Rahmen ihrer "Modernisierungspolitik" das Ende der Landverteilung verkündet. Die Änderungen des Verfassungsartikels 27 liefern das ejido-Land der Gnade des Kapitals aus und legalisieren die Verbindung von genossenschaftlichem und privatem Besitz durch die Bildung von Handelsgesellschaften.

Trotz dieser Offensive gegen die Bauernbewegung ließen die Organisationen in ihrem Kampf gegen die Politik der Salinas-Regierung nicht nach. Am 12. Oktober 1992, dem 500. Jahrestag der Conquista, kam es erneut zu Massenkundgebungen. Indígena-Bauern füllten die Straßen und Plätze von San Cristóbal de las Casas, das die Spanier 1528 gegründet hatten. Bei der Kundgebung verurteilten sie die Conquista und den erneuten Ausverkauf des Landes durch die neoliberale Politik des regierenden Präsidenten. Sie forderten die Lösung der Landproblematik, Demokratie und Freiheit.

Damit war die Übergangsphase der Campesino-Bewegung beendet und schuf die Voraussetzungen für einen neuen Prozeß, der jetzt im Zeichen der bewaffneten Präsenz einer politisch-militärischen Organisation den Raum für neue politische Überlegungen und andere Lösungsformen der großen sozialen Probleme geöffnet hat.

(Übersetzung: Stefan Efferth, Danuta Sacher)


Das Land denen, die es bearbeiten!

 

Kurz nach Beginn des Aufstands, förderte die Regierung Salinas den Campesino- und Indígena-Zusammenschluß CEOIC, um ein Gegengewicht zu den Zapatistas aufzubauen. Doch schon bald entwickelte CEOIC eine Eigendynamik, die den Plänen der Regierung konträr zuwiderlief. Francisco Jímenez, Vertreter des CEOIC, erklärt Ziele und Entstehung dieses Zusammenschlusses.

 

Wie ist CEOIC, der "Regionalrat der Indígena- und Bauernorganisationen", entstanden?

CEOIC gründete sich zu Beginn des Krieges in Chiapas, bald nach dem Aufstand der Zapatistischen Befreiungsarmee EZLN. Alle unterschiedlichen Campesino-Organisationen kamen in regionalen Treffen zusammen, um gemeinsam ein Forum zu bilden, das als Vermittlungsinstanz zwischen der Regierung und der EZLN fungieren sollte. Zu diesem Zeitpunkt war klar, daß die Regierung ein ganz bestimmtes Ziel verfolgte und uns als politisches Gegengewicht zu den Zapatistas benutzen wollte. Aber wir haben das nicht zugelassen, denn wir sind uns über unsere Rolle in diesem Konflikt im klaren und sehen ganz eindeutige Übereinstimmungen mit den Forderungen der EZLN. Selbst die offiziellen regierungsnahen Campesino-Organisationen sind dieser Meinung. Wir alle kämpfen für Frieden, aber für einen Frieden mit Würde, Gerechtigkeit und Entwicklung für alle.

Obwohl wir nicht mit den Methoden der EZLN übereinstimmen, wissen wir, daß sie unsere Brüder und Schwestern sind, daß sie keine andere Wahl hatten und sich für diesen Weg entscheiden mußten. Ihre Forderungen sind die gleichen, für die wir seit vielen Jahren kämpfen.

Könntest du die Forderungen beschreiben, für die CEOIC eintritt?

Die Forderungen von CEOIC liegen im politischen, sozialen und kulturellen Bereich. Da gibt es zum Beispiel das Problem der Indígena-Völker, die unter ständiger Diskriminierung leiden. Ihre Kultur, ihre Sprachen, ihre Traditionen und ureigenen Regierungsformen werden nicht respektiert. Stattdessen wird den 56 verschiedenen Ethnien Mexikos die spanische Sprache aufgezwungen, und sie müssen sich Gesetzen unterordnen, die nie ihre Zustimmung bekommen haben.

Ein Problem, das sehr eng mit dem der Indígenas verknüpft ist, ist der Landkonflikt. Nach der Revolution von 1910 wurde eine sehr gute Verfassung ausgearbeitet, zumindest die Worte auf dem Papier hören sich sehr gut an. Dort steht geschrieben, daß alle Völker und Gemeinden Recht auf Land haben. Für die Campesinos und Indígenas sind das aber nur leere Worte. Unserer Meinung nach ist die Revolution von 1910 nie in Chiapas angekommen.

Unsere Vorfahren wurden in die unfruchtbarsten Gegenden, ins Hochland von Chiapas vertrieben, in die Berge. Die besten Böden haben die Großgrundbesitzer an sich gerissen, die Kaziken und Viehzüchter. Es hat deswegen schon häufig Widerstand der Campesinos gegeben. Eine der größten Campesino-Bewegungen begann in den 60er Jahren. Damals wurde der Kampf um Land wieder aufgenommen. Allein 1979 während der Amtszeit von López Portillo gab es über 2.000 Landbesetzungen in Mexiko.

Seit dem 1. Januar hat die Campesino-Bewegung erneut an Stärke gewonnen. Zur Zeit gibt es 342 Landbesetzungen allein in Chiapas. Die Regierung behauptet, wir seien Invasoren und Landräuber. Wir sagen aber, daß wir uns nur die Ländereien zurückholen, die aus historischer Sicht die Besitztümer unserer Vorfahren sind.

Am 14. April dieses Jahres schloß CEOIC ein Abkommen mit der Regierung von Chiapas, in dem sich die Campesino-Organisationen verpflichteten, zwei Monate lang keine Ländereien mehr zu besetzen. Und wozu dieses Abkommen? Weil die Regierung behauptete, wir wären gegen den Frieden und wollten das Land unregierbar machen. Um zu beweisen, daß wir sehr wohl Frieden wollen, gaben wir ihnen zwei Monate Zeit, uns Lösungen für den Landkonflikt anzubieten. Das Landproblem hat sich in letzter Zeit durch die Änderung des Agrargesetzes noch verschärft. Laut Salinas gibt es keine Ländereien mehr, die unter den Campesinos verteilt werden könnten. Per Gesetz ist für uns kein Land mehr vorgesehen.

Nach Ablauf der Zweimonatsfrist, also am 14. Juni, waren von den 342 Landbesetzungen erst 40 Fälle analysiert und nur ein Fall gelöst worden, bei dem es um 60 Hektar Land ging. Daran sieht man, wie wenig die Regierung unsere Forderungen ernst nimmt. Und genau deswegen haben wir zu Demonstrationen und der Platzbesetzung vor dem Regierungspalast in Tuxtla aufgerufen.

Das Problem ist, daß in Mexiko absoluter Respekt vor dem Privatbesitz herrscht, in einem Land, in dem wenige viel und viele nichts besitzen. Die einzige Reaktion auf unsere Forderungen ist, daß die Regierung versuchen will, den Großgrundbesitzern und Viehzüchtern Land abzukaufen. Wir meinen, daß das keine Lösung ist, zumal die meisten nie freiwillig verkaufen würden. Es gibt viele Ländereien, die beschlagnahmt werden könnten, weil die gesetzlichen Begrenzungen von Landbesitz überschritten sind. Es gibt Familien, die bis zu 10.000 Hektar besitzen, offiziell in Einzelteile zerstückelt und eingetragen auf den Namen des Sohnes, seiner Frau, des Vaters, des Onkels, des Neffens usw.

Das Agrargesetz besagt, daß privater Landbesitz zugunsten von öffentlichen und sozialen Interessen aufgeteilt werden kann. Wir glauben, daß dies ein Ausweg sein könnte, zumindest in den Fällen, in denen Landbesitzer nicht verkaufen wollen. Wir trugen diesen Vorschlag der Regierung vor, doch sie sagte nein. Das heißt, daß wir nach zwei Monaten Wartezeit keinen Schritt weitergekommen sind. Zusätzlich zu den 342 aktuellen Streitfällen gibt es viele Campesinos, die schon seit 40, 50 oder 60 Jahren darauf warten, daß ihre Landprobleme gelöst werden. Daher erscheint uns als einzige Möglichkeit, mit den Landbesetzungen fortzufahren.

CEOIC stellt noch eine Reihe anderer Forderungen auf. So denken wir zum Beispiel, daß die Bundesregierung sich gegenüber Chiapas hoch verschuldet hat. Chiapas ist der Bundesstaat, der allein rund ein Drittel der gesamten nationalen Energieversorgung bestreitet. Trotzdem haben ungefähr 60% der EinwohnerInnen von Chiapas kein elektrisches Licht.

Außerdem fordern wir, daß für Chiapas ein Modell zur wirtschaftlichen Entwicklung erarbeitet wird. Das neoliberale Wirtschaftssystem entspricht nicht unseren Interessen. Wir schlagen ein Modell vor, bei dem die landwirtschaftliche Produktivität gefördert wird. Die Regierung behauptet, das niedrige Produktionsniveau in Chiapas läge daran, daß wir Campesinos faul wären und nicht genug arbeiten. In Wirklichkeit liegt es daran, daß uns die Politiker Möglichkeiten zum effektiven Anbau bewußt vorenthalten.

Allerdings geht es bei den Forderungen von CEOIC nicht nur um unsere unmittelbaren Notwendigkeiten. Wir haben auch ein politisches Programm erarbeitet. Ein wichtiger Punkt ist der Kampf für einen neuen Artikel 27 der Verfassung, bei dem es um die Landverteilung geht. Nach unseren Vorstellungen muß der Gedanke des Zapatismus wieder aufgenommen werden, wonach dem das Land gehört, der es bearbeitet. Außerdem muß der Schutz des Gemeinschaftsbesitzes festgeschrieben werden, eines Gemeinschaftsbesitzes, der in der Tradition des Zapatismus steht. Wir sind gegen die Privatisierung unseres Landes, die mit der geänderten Fassung des Artikels 27 vorangetrieben wird. Unser Land wird jetzt denen verkauft, die am meisten dafür bieten, und zwar dem aus- und inländischen Kapital. Die geänderte Fassung des Artikel 27 wurde letztes Jahr von Salinas in diesem Sinne vorgeschlagen und von einem Kongreß verabschiedet, der nicht den Willen des Volkes repräsentiert. Dieses Gesetz muß von Grund auf erneuert werden.

Wir schlagen ein Gesetz vor, in dem das Land nicht als Ware sondern als Gemeinschaftsbesitz aller Indígenas und Campesinos betrachtet wird, ein Gesetz, das verbietet, Land zu verkaufen, zu übertragen oder zu überschreiben. Wir wehren uns gegen jeden Versuch der Privatisierung, der von diesem neoliberalen Wirtschaftssystem vorangetrieben wird.

Was denkst du in diesem Zusammenhang über NAFTA?

Wir sind davon überzeugt, daß das Freihandelsabkommen nicht den Interessen des mexikanischen Volkes entspricht, und fordern von der Regierung, sich aus diesem Vertrag zurückzuziehen. Wir wurden nie gefragt, ob wir für die Unterzeichnung dieses Vertrages sind.

Unabhängig von unseren Forderungen gibt es eine Vielzahl von Gruppierungen im Land, die sich auch für grundlegende Veränderungen in der mexikanischen Politik einsetzen. Schon bevor die EZLN in ihren Kommuniqués zu einem Demokratischen Nationalkonvent aufrief, waren CEOIC und viele andere Organisationen überzeugt, daß wir mit dieser Regierung nichts erreichen können. Seit einiger Zeit bereits schlagen wir eine Verfassungsgebende Versammlung vor, die praktisch die gleichen Ziele verfolgt wie der von der EZLN einberufene Konvent, nämlich die Formulierung neuer Gesetze, einer neuen Verfassung, die sich an den tatsächlichen Bedingungen der Menschen Mexikos orientiert. Wir sind uns darüber im klaren, daß es dabei nicht nur um unsere Forderungen als Campesinos gehen kann, sondern daß genauso die Arbeiter, die Studenten, die Lehrer, die Hausfrauen, daß die gesamte Bevölkerung daran beteiligt sein muß, denn die Probleme Mexikos gehen uns alle an.

Die Platzbesetzung vor einer Woche hat den Druck auf die Regierung erhöht. Welche Reaktionen gab es?

Bis jetzt hat die Regierung uns minimalste Zugeständnisse gemacht, tröpfchenweise ringt sie sich zu Versprechen durch, bei denen es um finanzielle Hilfsleistungen geht. Aber mit weitergehenden Forderungen nach Finanzierung von uns vorgeschlagener Entwicklungsprojekte oder Dienstleistungen haben wir keine Chance. Ganz aussichtslos sind unsere politischen Vorschläge, die sich zum Beispiel auf eine Neuerung des Artikels 27 beziehen. Die Regierung würde sich nur auf Forderungen einlassen, die sich im gesetzlich geregelten Rahmen bewegen, auf Forderungen, die keine Auswirkungen auf die neoliberale Politik und das Freihandelsabkommen haben.

Welche Pläne habt ihr für die Zukunft?

Wir werden unseren Kampf fortführen. Es kann sein, daß wir zu einem gegebenen Zeitpunkt die Platzbesetzung beenden müssen. Das heißt aber nicht, daß wir unsere politischen Forderungen aufgeben würden. Wir werden dann in unsere Gemeinden zurückkehren und uns weiter organisieren, nicht nur in Chiapas, sondern im ganzen Land.

Und in welcher Weise?

Wir als CEOIC konzentrieren uns auf den sozialen Kampf, organisieren Demonstrationen, Platz- und Gebäudebesetzungen, Straßensperren, Hungerstreiks und eine ganze Reihe anderer Aktionen. Wir glauben, daß wir die letzten Möglichkeiten nutzen müssen, eine politische Lösung für den Konflikt in Chiapas zu erreichen. Bisher sehen wir allerdings von Regierungsseite keine Bereitschaft dazu. Sie versucht, den Konflikt mit Geld zu lösen, versucht, die Würde unserer Brüder und Schwestern zu kaufen, unsere Würde als Campesinos und Indígenas. Aber der Frieden läßt sich nicht mit Geld erkaufen. Hier geht es um einen grundlegenden Konflikt, der mit der politischen und sozialen Situation zu tun hat, in der wir leben. Es geht um Fragen wie Gerechtigkeit und Demokratie. Wir meinen nicht die Demokratie im Verhältnis Partei-Politik-Regierung, nicht die Demokratie, die sich auf die Durchführung von Wahlen beschränkt. Wir glauben, daß Demokratie einen viel weiteren Sinn umfaßt, bei dem es um das tägliche Leben in unseren Gemeinden geht. Solange die Regierung sich weigert, unsere Lebenssituation tiefgreifend zu verändern, wird es keinen Frieden geben.

Könntest du die Situation der politischen Gefangenen und die Forderungen von CEOIC in diesem Zusammenhang beschreiben?

In Chiapas ist es üblich, daß die Regierung sich Straftaten für all diejenigen ausdenkt, die um Land kämpfen. Sie erfinden für jeden einzelnen irgendein Delikt und werfen ihn ins Gefängnis. Sie kaufen sich falsche Zeugen und versuchen so, Verhaftungen und Gerichtsverfahren zu rechtfertigen. Es soll verschleiert werden, daß es sich beim Landkonflikt um ein politisches Problem handelt, es wird einfach zu einem Fall gewöhnlicher Kriminalität gemacht. Der einzige Ausweg, der den politischen Gefangenen bleibt, ist der Hungerstreik, um ihre Haftentlassung zu erzwingen.

Zur Zeit gibt es 14 hungerstreikende Gefangene in Comitán. Anfänglich waren es 38, einer nach dem anderen wurde einzeln freigelassen. Die verbliebenen 14 Hungerstreikenden haben schon 34 Tage lang nichts gegessen. Einige von ihnen speien Blut und schweben bereits in Lebensgefahr. Abgesehen von ihrer körperlichen Schwäche leiden sie unter der unmenschlichen Behandlung im Gefängnis. Wir können beweisen, daß fast alle Gefangenen gefoltert worden sind, z.B. mit Chili in der Nase, Elektroschocks, Verbrennungen und vielem mehr. Sie wurden so gezwungen, ihre Schuld zu gestehen, was blieb ihnen anderes übrig. Obwohl sie im Prozeß ihre Geständnisse widerriefen, wurden sie vom Richter zu 17, 18 und 19 Jahren Gefängnis verurteilt.

Tatsächlich könnte der Gouverneur von Chiapas die Gefangenen begnadigen, diese Möglichkeit ist im Gesetz vorgesehen. Aber sie zu begnadigen würde bedeuten zuzugeben, daß es sich hier um ein politisches Problem handelt. Deshalb lehnt er es ab. Die Regierung behauptet, es gäbe in Mexiko keine politischen Gefangenen, deshalb müssen andere Straftaten erfunden werden. Allein das, was wir hier tun, diese Platzbesetzung, ist in den Augen der Regierung bereits eine schwere Straftat. Es gibt viele, die wegen Straßensperren im Gefängnis sitzen.

Diese Regierungsvertreter sind absolut kalt und gleichgültig. Sie ziehen es vor, die Campesinos sterben zu lassen, um nicht von ihrer politischen Linie abrücken zu müssen. Wenn es etwas gab, das gebaut wurde, dann waren es Gefängnisse. Gefängnisse ließen sie bauen, aber keine Häuser für uns Campesinos.

Das Wohnraumproblem ist entsprechend groß. Wir sprechen hier in Chiapas von 400 bis 500.000 Familien, die auf dem Land leben. Um dieses Problem zu lösen, wurden in diesem Jahr an 10.000 Familien 500 Pesos (ca. 150,- DM) Regierungsgelder vergeben. Sie sollten sich damit Häuser bauen. Aber mit 500 Pesos können die Familien überhaupt nichts anfangen.

Der Regierung geht es vor allem darum, gegenüber der internationalen Öffentlichkeit vorzugeben, sie könnte die Konflikte im Land mit Geld lösen. Wäre die Regierung klug, würde sie sich ernsthaft mit den dringendsten sozialen Forderungen der Campesinos und Indígenas beschäftigen. Sie behauptet zwar, sich für den Frieden im Land einzusetzen, die Realität zeigt uns aber, daß sie geradewegs auf eine militärische Lösung des Konfliktes zusteuert.

 

(Das Gespräch führten Dorothea Schütze und Herby Sachs im Juni 1994, Übersetzung: Dorothea Schütze)


Dörfer am Rande der Selva

Bauerngemeinden der Selva Lacandona berichten über ihren Weg zum Widerstand an der Seite der Zapatistas.

 

Marquez de Comilla ist einer der entlegensten Zipfel der Selva Lacandona und unmittelbares Grenzgebiet Mexikos zu Guatemala. Dort leben Bauernfamilien, die aus dem Hochland von Chiapas, aber auch aus Veracruz, Guerrero und Oaxaca zugewandert sind. Im Unterschied zu anderen Teilen der Selva Lacandona ist es eine ethnisch gemischte Bevölkerung. Die Männer und Frauen haben bewegte Biographien und unterschiedlichste politische Erfahrungen in die Selva mitgebracht. Als landlose Saisonarbeiter, vertriebene Kleinbauern oder Leibeigenen ähnliche mozos, haben viele von ihnen für gewerkschaftliche Rechte gestritten, Land besetzt, offene und klandestine Organisationserfahrungen gesammelt, Freunde und Verwandte durch die Repression verloren, bevor sie auf eigene Faust oder im Rahmen von staatlichen Siedlungsprogrammen in die Selva kamen. Ein wichtiger Impuls für die Mobilisierung der Gemeinden in Marquez de Comilla war 1991 der Erlaß der "Veda", des absoluten Holzfäll-Verbotes im Regenwaldgebiet von Chiapas. Was ökologische Europäer-Herzen vor Freude höher schlagen ließ, bedeutete für die Bauernfamilien eine ungeheure Schikane.

Aus dem Widerstand gegen dieses Gesetz ist "MOCRI" entstanden, die "Unabhängige Regionale Bauernbewegung" (Movimiento Campesino Regional Independiente), die rund 30 Gemeinden und 3.000 Familien vertritt. Die folgenden Zeugnisse von Vertretern dieser Bewegung verdeutlichen die Vorstellungen der Indígena-Gemeinden von Autonomie, wie sie die Zapatistas gegenüber der Regierung erheben.

 

Luciano: Jeder von uns könnte eine andere lange Geschichte darüber erzählen, wie er in die Selva Lacandona gekommen ist. Die Erschließung von Marquez de Comilla hat vor etwa 35 Jahren begonnen, die ersten Dörfer entstanden etwa vor 25 Jahren. Die Kolonisierung von Marquez de Comilla war Teil der damaligen Regierungspolitik, um lokale Macht- und Landkonflikte in verschiedenen Teilen von Chiapas zu befrieden. Viele der heutigen Selva-Bewohner haben damals im Hochland und Zentrum von Chiapas gegen die Kaziken und Großgrundbesitzer um Land gekämpft. Um deren Besitz zu schützen, hat die Regierung den landlosen Bauernfamilien Parzellen in der Selva angeboten. Teilweise sind die Leute damals mit Hubschraubern abgesetzt worden, andere mußten sich drei Tage lang mit Booten durchschlagen, denn es gab nichts dort, keinerlei Straßen. Ein anderer Besiedlungsschub war 1982 nach dem Ausbruch des Vulkans Chichonal. Viele Zoques wurden in die Selva umgesiedelt, deren Land unter dem Ascheregen verwüstet worden war. Die Regierung hat damals die Besiedlung auch in Hinsicht auf die Bürgerkriegssituation in Zentralamerika und vor allem in Guatemala vorangetrieben. Die guatemaltekische Armee verfolgte die Guerilla bis auf mexikanisches Gebiet und verletzte so wiederholt die territoriale Integrität. Durch die Besiedlung bekam die mexikanische Armee sozusagen gratis Soldaten in dieses abgelegene Gebiet geliefert. Es wurden also zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Entspannung der Landkonflikte und Sicherung der Grenze nach Guatemala hin. Damals gab es noch keine Berücksichtigung ökologischer Aspekte. Im Gegenteil vergab die Regierung großzügige Lizenzen an Holzfirmen, u.a. in der Absicht, eigenen Straßenbau zu sparen. Denn die Holzfirmen durften 50 Meter rechts und links der von ihnen angelegten Wege alles abholzen. Natürlich gingen die Holzfirmen beim Wegebau nicht von dem Interesse aus, die Dörfer untereinander zu verbinden, sondern führten die Straßen dorthin, wo sie besonders viele Edelhölzer vermuteten. Andere Straßen wurden von PEMEX, der staatlichen Erdölgesellschaft angelegt, die in dieser Gegend nach Öl bohrte und große ökologische Schäden anrichtete. Später setzte dann der Druck ökologischer Gruppen ein, und die Regierung begann ihre, wie wir es nennen, ökofaschistische Politik. Denn sie erließen ein absolutes Holzfällverbot, ohne den Bauern Alternativen anzubieten. Unsere Dorfgemeinschaften sollen nun den Preis für die Konsequenzen der rücksichtslosen Regierungspolitik der Vergangenheit zahlen. Es drohen uns harte Gefängnisstrafen, wenn wir einen Baum fällen, um ein Mais- und Bohnenfeld anzulegen, aber Alternativen hat man uns auch nicht aufgezeigt.

Don Guillermo: Ich bin in Comitán geboren, aber hier in La Concordia aufgewachsen. Später sind wir nach Tapachula gezogen, wo wir in der Genossenschaft Juan Miguel Gutiérrez lebten. Die Großgrundbesitzer begannen damit, Genossenschaftsland zu beanspruchen und Leute zu vertreiben. Auch unser Stückchen Land war betroffen. Wir organisierten uns zusammen mit den anderen Genossenschaftsbauern, um die Angelegenheit gütlich zu regeln. Wir wollten die Großgrundbesitzer darüber informieren, daß uns das Land rechtmäßig übertragen worden war und die Genossenschaft über alle entsprechenden Dokumente der Behörden verfügte, daß sie uns also nicht einfach verjagen könnten. Das war zur Zeit des Gouverneurs Absalón Castellanos Dominguez (der im Januar 94 Gefangener der EZLN war, d.Red.). Es gefiel ihm nicht, daß die arme Bevölkerung ihr Recht einforderte, und schickte er 500 Soldaten gegen uns. Wir wurden damals unterstützt von verschiedenen solidarischen Gruppen, die uns Rechtsbeistand leisteten und die Repression gegen uns denunzierten, und gewannen schließlich den Rechtsstreit. Aber unmittelbar danach haben sie fünf von uns festgenommen. Sie wollten den Namen der Person, die uns juristisch beraten und geholfen hatte, unser Land zu legalisieren. Zuerst boten sie uns dafür 5 Millionen Pesos an (ca.1.500 Dollar, d.Red.). Aber meine Compañeros und ich behaupteten, daß es da niemanden gebe. Daraufhin steckten sie uns ins Gefängnis. Ich wurde als erster erneut zum Verhör geholt. Ich sollte endlich den Namen sagen. Ich sagte erneut, daß es da niemanden gebe, auch als sie mir eine Person nannten, die ich kannte. Ich leugnete, diese Person zu kennen. Sie sagten mir, daß ich schon reden würde und ergriffen mein rechtes Ohr. Mit einem Taschenmesser schnitten sie mir das Ohrläppchen ab. Sie haben es dann vor meinen Augen in Scheibchen geschnitten. Die Soldaten sagten, ich solle nun endlich reden, aber ich blieb dabei, daß ich ihnen nichts zu sagen hätte. Wieso sollte ich schlecht über eine Person reden, die nichts damit zu tun hatte, zumal das, was wir getan hatten, unser gutes Recht war? Ich sagte ihnen, daß es nach mexikanischem Gesetz kein Vergehen sei, ein Stück Land zu besitzen, mit dem man seine Familie ernährt. Sie sind noch wütender geworden und haben mir mit der Messerspitze hier das Augenlid durchbohrt. Ich war sicher, daß ich mein Augenlicht verloren hatte, aber das war gottseidank doch nicht der Fall. Später ist es zwei Journalisten gelungen, ins Gefängnis hineinzukommen und mit uns zu sprechen. Ich habe ihnen alles erzählt, wie es sich abgespielt hat. Die Soldaten haben mich danach an Holzpfähle gebunden, ich konnte weder den Nacken, noch die Hände oder Füße bewegen. So mußte ich eine Nacht und einen Tag verbringen.

Sechs Monate lang hielten sie mich im Gefängnis fest, ohne etwas aus mir herausholen zu können. Schließlich haben sie uns mit Fußtritten entlassen.

Mich haben sie mitten in der Nacht an einer Wegkreuzung aus dem Auto geworfen, meine Compañeros an einer anderen Stelle. Danach kam dann das Angebot von Absalón, unsere Parzellen aufzugeben und auf neues Land in Marquez de Comilla zu ziehen. Es war ein schwieriger Anfang, denn nur ein Teil des uns übertragenen Landes taugte für die Landwirtschaft. Wir waren ziemlich wütend darüber, daß sie uns so weit geschickt hatten und uns Papiere für Land ausgestellt hatten, das kaum zu gebrauchen war.

Heberto: Heute ist das Recht auf Selbstbestimmung unserer Gemeinden eines der drängenden Anliegen. Der Regionale Rat der Indígena- und Bauernorganisationen CEOIC, dem wir auch angehören, hat die Forderung der Zapatistas nach Autonomie der Indígena-Gemeinden voll und ganz unterstützt. Damit meinen wir die Anerkennung und Respektierung spezifischer Traditionen und Werte der verschiedenen Indígena-Völker in ihrem Siedlungsbereich.

Einige Indígena-Organisationen haben vorgeschlagen, daß im Kongreß 40 zusätzliche Abgeordnetenplätze für Indígenas eingerichtet werden sollten, aber das hat weder im CEOIC noch beim letzten Nationalen Treffen der Indígena-Organisationen Zustimmung gefunden. Wir halten nichts davon, zum gegenwärtigen Zeitpunkt Indígena-Abgeordnete zu ernennen, die vom selben politischen System absorbiert werden würden, ohne etwas zur Lösung der eigentlichen Probleme beitragen zu können.

Autonomie und Selbstbestimmungsrecht hat für uns nichts mit exklusiven Parlamentssitzen zu tun. Sondern uns geht es um den Aufbau wirklich demokratischer Lokalstrukturen in unseren Gemeinden. Für uns wäre wichtig, daß unsere sozialen Organisationen anerkannt werden und deren eigene Vertretungsstrukturen. Darunter verstehen wir Organisationen wie MOCRI, von denen es viele verschiedene in den Dörfern gibt und denen allen gemeinsam ist, daß sie unabhängig von Parteistrukturen sind. Wir wollen, daß mögliche neue Gemeindestrukturen von diesen Organisationen entworfen und nicht wieder von oben dekretiert werden. Ein weiterer Beschluß von CEOIC und dem Nationalen Indígena-Treffen war, eine breitangelegte Befragung darüber in den Indígena-Gemeinden durchzuführen, um auf demokratische Weise Kriterien und Inhalte für ein Autonomie- und Selbstbestimmungskonzept zu gewinnen, das mit der Regierung verhandelt werden soll. Dadurch wollen wir auch mit der Unsitte brechen, solche Angelegenheiten von oben nach unten zu dekretieren. Wir meinen, daß solche Fragen von unten nach oben behandelt werden müssen. Entsprechend wird der Verfassungsartikel 4, der die Rechte der indigenen Völker betrifft, zu modifizieren sein. Nehmen wir das Beispiel der Erziehung. Die verschiedenen Indígena-Völker haben ihre Sitten, Traditionen, ihre Kultur und Sprache. Schulerziehung darf nicht darin bestehen, ihnen eine andere Kultur überzustülpen. Die eigene Kultur soll gepflegt werden können. Wobei wir völlig damit einverstanden sind, daß auch Spanisch unterrichtet wird, aber eben auch die Schriftsprache der eigenen Indígenasprache. Ein anderer Punkt ist, daß die meisten Indígena-Gemeinden von der Kommunikation ausgeschlossen sind. Es gibt so gut wie keine Kommunikationsmittel. Wir wollen Zugang zu Radios und anderen Informationsmedien in unseren Sprachen. Auch im Gesundheitsbereich müßten verschiedene Gesetze geändert werden, denn die Ausübung traditioneller Heilkunst ist nach verschiedenen Bestimmungen des Zivilrechts illegal und strafbar, auch wenn es inzwischen einige legale Zusammenschlüsse traditioneller Heiler gibt. Schließlich ist die Rechtsprechung selbst zu erwähnen. Die Indígena-Völker haben ihre eigenen Instrumente der Rechtsprechung und Konzepte von Recht und Gerechtigkeit, die teilweise abweichen von den draußen herrschenden Normen. Auch hier fordern wir, daß die eigenen Mechanismen der Rechtsprechung der Indígena-Völker respektiert werden.

Wir sind uns bewußt, daß es im Hochland von Chiapas einige traurige Fälle davon gibt, wie indianische Kaziken, die traditionelle Ämter und die staatliche Gemeindeautorität auf sich vereinen, die Bevölkerung ihrer Gemeinden ausbeuten und unter dem Vorwand der Bewahrung von Tradition und Autonomie die Rechte der Gemeindemitglieder unterdrücken. In vielen Fällen hat sich die Bevölkerung gegen von der PRI gestützte korrupte Genossenschafts- oder Gemeindevertreter empört, es kam zu wütenden Protesten und dazu, daß in Gemeindeversammlungen diese Leute für abgesetzt erklärt wurden. Aber regelmäßig ist es so, daß die staatlichen Behörden diese Entscheidungen nicht anerkennen. Die Regierung trägt also aktiv zur Entstehung und zum Erhalt solcher Kaziken-Strukturen bei.

Don Guillermo: In Flor de Cacao haben wir uns ein "internes Gesetz" gegeben, wie wir es nennen. Wir selbst haben es ausgearbeitet, um die Demokratie in unserem Dorf zu regeln. Aber in der Umsetzung stoßen wir immer wieder auf die Probleme, die der Compañero gerade erwähnt hat. Denn wenn die PRI mitbekommt, daß die Leute sich entlang ihrer eigenen Interessen organisieren, versucht sie, die Dorfautoriäten zu sich herüberzuziehen. Sie ruft sie zusammen, sie bietet ihnen kleine monatliche Honorare an, sie finanziert ihnen Fahrten in den Gemeindehauptort und bewirtet sie dort usw. Unser internes Gesetz schreitet ein, wenn die Amtsträger beginnen, sich auf die andere Seite zu schlagen.

Andere Dinge, die unser Gesetz regelt, sind zum Beispiel, daß die Dorfgemeinschaft zusammenkommt, um ein neues Feld anzulegen oder um eine Schule zu bauen. Auch das Anlegen oder Ausbessern von Wegen ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Wenn jemand ein Unrecht begeht, sieht unser Gesetz vor, daß er ausgehend vom Interesse der Gemeinschaft bestraft wird, also nicht nach persönlicher Willkür. Egal, ob es sich um den ärmsten Bauern handelt, einen Jungen oder die höchste Autorität - jeder soll die seinem Vergehen angemessene Strafe bezahlen und das Gesetz der Gemeinschaft respektieren.

Um unsere Repräsentanten zu wählen, führen wir eine Vollversammlung durch; eine Tafel wird aufgestellt, auf der die Namen der Kandidaten aufgeschrieben werden. In der Regel stehen zwei Personen zur Wahl oder drei, die Ansehen und Vertrauen in der Bevölkerung haben. Unsere wichtigsten Ämter sind der Genossenschaftssprecher, der Ortsbürgermeister und der Gemeindesekretär. Die Versammlung diskutiert und vergleicht die Eignung der verschiedenen Kandidaten, ihre Rolle in der Gemeinschaft, bevor sie ihre Entscheidung trifft.

Unsere höchste Autorität ist der Genossenschaftssprecher. Danach kommt der Überwachungsrat. Seine Aufgabe ist, die Landangelegenheiten zu regeln - daß es keine Konflikte bei der Zuteilung der Parzellen gibt, daß die Vermessungsgrenzen der Genossenschaft nicht verändert werden, eben daß in Ruhe das Land bestellt werden kann. Die Gewährleistung der sonstigen Ordnung im Dorf ist die Aufgabe des Ortsbürgermeisters.

Wir wissen, daß nicht alle Bestandteile unseres internen Gesetzes durch die Bundesgesetze gedeckt sind. Aber wir sind eine Indígena-Gemeinschaft, in der Tojolabales, Tzotziles und Tzeltales zusammenleben, und wollen nach Regeln leben, die unserer Kultur und Tradition entsprechen.

 

(Im April 1994 von Danuta Sacher in Chiapas aufgezeichnet und übersetzt.)


Nueva Alemania in Chiapas

Peter Stegemann

Bis zur Bezirkshauptstadt führt eine asphaltierte Straße. Sie endet auf dem Platz von Jaltenango de la Paz. In der Stadt geht es auf den ersten Blick so zu wie in allen ähnlich großen mexikanischen Städten: Aus den Restaurants klingt fröhliche Musik, rund um die Bushaltestelle wird geschwätzt und verkauft. An der einzigen Tankstelle wartet ein Junge im T-Shirt auf Kundschaft. Eins allerdings fällt auf: Der flache Bau der Bezirksregierung auf dem Zócalo, dem zentralen Platz, ist geschlossen. Auch gibt es in der ganzen Stadt weder Polizeiautos noch die übliche uniformierte und bewaffnete Präsenz.

Auf dem Markt erzählen zwei Bauern, daß die Unzufriedenheit mit dem Präsidenten der Bezirksregierung so groß gewesen sei, daß der Palast in diesem Jahr mehrmals gestürmt wurde. Das letzte Mal sei die Polizei dann abgezogen. Schon seit Monaten habe sich hier kein Polizist mehr blicken lassen. Um so größer die Überraschung, als gerade in diesem Moment zwei blau Uniformierte gemessenen Schrittes die Straße überqueren. "Ach, das sind doch nur die Verkehrspolizisten", lacht der Bauer und entblößt dabei die beiden Zähne, die ihm noch geblieben sind, "die sind doch harmlos."

Der Chef der beiden, Delegado Alberto Macías Castillo, sitzt in seinem grün gestrichenen Büro hinter einem einfachen Holztisch, vor sich eine mechanische Schreibmaschine, über die er ein Tuch gebreitet hat. "Ja, ich bin der einzige Gesetzeshüter des Bezirks, aber nur, was den Verkehr angeht", bestätigt er. Von dem himmelblauen Gebäude hätten sie die Aufschrift Polizei vorsichtshalber entfernt. Die drei Verkehrspolizisten repräsentieren allein die Staatsgewalt im gesamten Regierungsbezirk.

Seit er hierher versetzt wurde, erzählt Macías weiter, seit dem 5. April also, seien die "Männer mit den Tüchern" nur noch einmal gekommen. Dabei hätten sie drei von den zehn Bundes-Polizisten verprügelt, ihnen zwei R-15-Gewehre und einen Tränengaswerfer abgenommen. Danach sei die bewaffnete Polizei dann abgezogen, und jeder nehme das Recht in die eigene Hand. "Wenn es zu Schwierigkeiten kommt, dann ziehen wir sofort die Uniform aus, machen das Büro zu und verschwinden."

Im Gemeindebüro sitzt der Pfarrer über einem dicken Buch. "Ich habe das âde la Paz' hinter dem Namen Jaltenango gestrichen, denn dies ist kein Dorf des Friedens mehr", schüttelt Padre José Cruz Chavez resigniert den Kopf. In seiner Gemeinde sind fast alle Bauern und Tagelöhner. Aber so gehe es doch nicht. Als die Unzufriedenen das erste Mal den Regierungspalast besetzten, hätten die Leute ihm noch gehorcht und die schwarz-rote Fahne vom Dach des Regierungsgebäudes heruntergeholt. Doch seit die Finca Liquidámbar besetzt sei, "ist das hier eine Stadt ohne Gesetz", stellt er fest.

Vor einer Woche habe eine Gruppe von Männern, die von Finca-Besitzern angeheuert worden waren, den Lehrer auf offener Straße ermordet. Der Witwe kommen die Tränen, sie will die Geschichte nicht noch einmal erzählen. Der jüngere Bruder springt ein: "Er fuhr auf einem Fahrrad, da kamen sie aus dem Auto, sieben Mann, und haben ihn mit Stöcken erschlagen." Er sei politisch aktiv gewesen, in der Oppositionspartei PRD, habe sich für die Rechte der Bürger eingesetzt, doch mit der Fincabesetzung habe er nichts zu tun gehabt. Auf die Frage nach den möglichen Tätern schweigt auch er. Die Angst vor den Killerkommandos ist groß.

Der Weg nach Liquidámbar ist weit und holprig. Nach 30 Minuten taucht aus dem Grün das Dorf Nueva Palestina auf. Am Ortsausgang eine Straßensperre. Etwa 30 Frauen allen Alters halten hier unter einem gelben Plastiktuch Wache. Es sind die Mütter, Ehefrauen und Töchter der Besetzer. Ab und zu sucht ein Lastwagen den Weg hinauf in die Berge, doch das Seil über dem Weg fällt nur, wenn ihnen bekannte Gesichter in den Fahrzeugen sitzen. Zwei Lastwagen, die Landarbeiter befördern, müssen leer umkehren, die Männer laufen zu Fuß weiter in die Berge. Es sind Tagelöhner für eine noch nicht besetzte Finca. Den Alkohol, den sie dabei haben, müssen sie vor den Augen der Frauen in den Straßengraben schütten.

Von Kaffee-Reichtum ist in Nueva Palestina nicht viel zu spüren. Viele Kinder husten, ein Junge hat Ekzeme an den Beinen, Zeichen von Mangelernährung. Ein Bauer kommt vorbei, einen Sack voller Maiskolben über die Schulter geworfen. Zwei magere Hunde dösen in der Sonne, eine Frau hat ein Buch von Marx auf dem Schoß. Ein Ochsenkarren passiert die Schranke fast grußlos. Aus den Bergen hallt Donner, Gewitter zieht auf.

Die Gespräche drehen sich um die Finca und um deren Besitzer. Der angestaute Haß ist groß: "Jahrelang haben die Deutschen von unserem Land gelebt, haben sich bereichert, haben uns nicht gegrüßt, haben geglaubt, sie seien was Besseres", sagt Rosi, "jetzt sind sie endlich weg." Die meisten hier leben mehr schlecht als recht vom Maisanbau. Allein um die Saat-, Dünger- und Schädlingsbekämpfungsmittel zu bezahlen, müssen die Bauern zwei Hektar Boden bearbeiten. Da viele gar nicht mehr Land besitzen, reicht es hinten und vorne nicht.

Schließlich fällt das Seil. Der Weg zur Finca Liquidámbar schraubt sich in unzähligen Kurven höher und höher in die Sierra Madre del Sur. Ein Blick in die Karte läßt zweifeln, daß hier tiefste mexikanische Provinz ist: Hamburgo, Germania, Hannover oder Prusia heißen die Kaffeeplantagen in den umliegenden Tälern. Sogar Nueva Alemania, ein neues Deutschland, ist vertreten. Huldigungen der deutschen Kaffeebarone an ihre Heimat. Rechts und links des Weges leuchten im Schatten großer Bäume die dunkelgrünen Blätter der Kaffeepflanzen: Auf 900 Hektar, seit Anfang des Jahrhunderts im Besitz der Familie Schimpf, wächst hier der teuerste Kaffee der Welt, der Mys Liquidámbar. Rund 220 US$ bringt jeder Sack Rohkaffee ein, wenn er in Hamburg angelandet wird, insgesamt ein Wert von etwa 55 Millionen Dollar.

Auf der Finca Szenen wie aus einem Film über die mexikanische Revolution. Vor dem weißgestrichenen Verwaltungsgebäude rufen mehr als fünfzig Maskierte im Chor: "Wenn Zapata noch lebte, so kämpfte er mit uns" und immer wieder: "El pueblo unido, jamás será vencido!" Unter Berufung auf den zweiten großen Revolutionshelden Pancho Villa, nennt sich die Organisation "Unión Campesina Francisco Villa". Sie gehören keiner Partei an, sagen die Villistas und wollen keinem dazu dienen, sich politisch nach oben zu boxen. "Dafür haben wir zu lange gelitten, damit einer nach oben steigt und uns hinterher auf den Kopf spuckt", betont Juan. "Deshalb kämpfen wir alle zusammen und lösen unsere Probleme gemeinsam."

"Millionen und Abermillionen Pesos hat der hier rausgeholt und nach Deutschland geschafft", schimpft Juan auf den deutschstämmigen Besitzer. "Aber das Land ist unseres, und deshalb haben wir es uns jetzt genommen", klingt es unter der schwarzen Mützenmaske hervor, die nur seine braunen Augen sehen läßt. Seine Erscheinung erinnert stark an den berühmt gewordenen Subcomandante Marcos von der EZLN. Das Operationsgebiet der Aufständischen liegt nur 70 Kilometer von der Finca entfernt, doch Juan weist jeden Zusammenhang mit den Zapatistas zurück: "Wir sind keine Guerrilleros, sondern Bauern, die hier arbeiten wollen. Wir wollen keine Probleme haben, mit niemandem, denn wir sind friedliche Leute."

Seit 30 Jahren versuchten sie vergeblich, auf legalem Weg an das Land heranzukommen, fährt er fort. "Wenn wir als Arme und Analphabeten zum Amt gegangen sind, haben sie uns wieder zurückgeschickt". Die anderen nicken beifällig. "Wie herrenlose Hunde", wirft einer ein. "Wir haben dort auf den Gängen geschlafen, Hunger und Durst gelitten, und wenn wir das machen wollten, was alle machen, nämlich dem entscheidenden Menschen 20 Pesos in die Hand drücken, damit er unser Problem löst, dann kam der Reiche und hat ihm 20 Millionen in die Hand gedrückt, und damit war natürlich alles vorbei." Im mexikanischen System der institutionalisierten Korruption war kein Platz für sie. "Also mußten wir uns organisieren und den Deutschen unser Land abnehmen", lautet ihre Schlußfolgerung. "Da kann man es doch sehen!" Erregt zeigen die Villistas ein Foto, auf dem der ehemalige Gouverneur zusammen mit der Besitzerfamilie zu sehen ist. "Die Mächtigen stecken alle unter einer Decke."

Der Verwalter der Finca, Laurenz Hudler, und die Besitzerin, seine Ehefrau Marianne Schimpf, sind nach Mexiko-Stadt geflohen. "Alles legal", sagt Hudler, "die Finca ist gar kein Großgrundbesitz, sondern ein sogenannter agroindustrieller Komplex, bei dem sich verschiedene Eigentümer zusammentun und ihren Kaffee gemeinsam verarbeiten." Keiner von ihnen verstoße gegen geltendes mexikanisches Recht. "Mein Großvater ist 1913 aus Deutschland ausgewandert und hat das Land 1918 rechtmäßig von der Companía Nacional del Soconusco abgekauft", klagt Marianne Schimpf in leicht gebrochenem Deutsch. "Ich bin dort geboren und aufgewachsen; ich bin Chiapaneca." Laurenz habe sich um die Verwaltung gekümmert und um die Milchproduktion. Sie kümmerte sich um die kleine Privatschule, mit 20 bis 25 Kindern in verschiedenen Klassen.

Die beiden haben sich nichts vorzuwerfen. "Ich zahle meinen Arbeitern den gesetzlichen Lohn", versichert Hudler. "Wir hatten 500 Indianer, die Hälfte mexikanischer Herkunft, die anderen aus Guatemala." Der einfache Landarbeiter verdient den offiziellen Lohn von 15 Pesos am Tag, etwa 7,50 DM. Ein Fahrer muß mit 25 Pesos auskommen. "Das ist wenig Geld", weiß auch der gebürtige Hamburger, "aber man kann die Armut nicht bekämpfen, indem man die reichen Leute abschafft... Und außerdem legt der Staat ja die Mindestlöhne fest, nicht ich."

Die wirtschaftliche Situation für die Kaffeeproduzenten in den Erzeugerländern war in der vergangenen Zeit ungünstig, denn die Konsumländer hatten die Lagerbestände voll und konnten so die Preise diktieren und nach unten drücken. "Jahrelang haben wir auf jeden Sack Kaffee, den wir produzierten, noch die Hälfte draufgezahlt", sagt Hudler. "Dieses Jahr hatten wir die Hoffnung, endlich aus den roten Zahlen zu kommen." Das Vertrauen der beiden in die mexikanische Regierung ist erschüttert. Es sieht nicht so aus, als ob die Besitzungen bald zurückgegeben werden. Eine vom Gouverneur des Bundesstaates zu den Besetzern geschickte Verhandlungsdelegation wurde von diesen kurzerhand gefangengenommen. Die Beamten konnten erst gehen, als die Regierung ihrerseits zwei Gefangene freiließ.

Zwei Täler weiter Richtung Westen liegt die Cuxtepec-Finca - noch in deutscher Hand. Ein paar Dutzend weißer Häuser, umringt von wilden zerklüfteten Bergen. Wohin das Auge blickt, schmiegen sich Kaffeesträucher an die Hänge. Auf dem großen Platz lungern Hunde in der prallen Sonne herum. Zwei Polizisten mit großkalibrigen Gewehren blicken mißtrauisch herüber. Martin Pohlenz, oder Don Martin, wie ihn seine 600 Arbeiter nennen, steht oben am Berg vor seinem Haus. Der kräftige Mann blickt über das Tal, streift mit dem Blick über die riesige Anlage, die sein Vater nach einem Brand 1936 wieder aufgebaut hat. "Ich habe doch nicht jahrzehntelang geschuftet, damit ein paar Idioten kommen und alles zerstören", schimpft er auf die Landbesetzer.

Am 27. Dezemberg 1952 habe er hier angefangen, im Alter von 20 Jahren. "Ich ging zu Fuß, mein Pferd trug den Koffer", schildert er seine Pionierzeiten. Um sein Lebenswerk zu schützen, verläßt sich Pohlenz auf die zwanzig schwerbewaffneten Sicherheitskräfte, die ihm ein Freund aus der Hauptstadt geschickt hat. Die Pohlenz wissen, daß das Schicksal der Finca auf des Messers Schneide steht. Als sie kürzlich für zwei Wochen in die Landeshauptstadt Tuxtla gefahren waren, erwartete sie bei ihrer Rückkehr eine Überraschung: Die Finca war leer. Fast alle Arbeiter hatten das Weite gesucht, kurz nachdem Don Martin weggefahren war. Nun kommen sie langsam wieder, doch die Stimmung ist gedrückt. "Die persönlichen Dinge haben wir schon weggebracht", sagt Christiane Pohlenz. "Schön ist es nicht, mit der Angst zu leben", fügt sie leise hinzu.

 

(Oktober 1994, Mexiko-Stadt)

 

 

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