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Sun Dec 20 23:24:00 1998
 

Gender Killer end
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Quotierung für Migrantinnen
- eine ambivalente, aber notwendige Forderung

Natascha Apostolidou

     
 

Es war 1980. Ich saß als ausländische Studentin im Frauenplenum, ich und noch eine andere. Svetlana habe ich nicht als Ausländerin empfunden, sie sprach ja perfekt deutsch. Wir kämpften für die Frauenprofessur, für Quotierung. Quotierung hieß, jede zweite Stelle für eine Frau.

In der Bundesrepublik hat die Diskussion um Quotierung Ende der 70er Jahre begonnen, als Frauen aus dem Kontext der Frauenbewegung die Hälfte aller Stellen an den Universitäten für Frauen forderten. Eine Forderung, die mit langjährigen Kämpfen verbunden war, bis Quotierung zumindest im öffentlichen Dienst teilweise durchgesetzt werden konnte. Dieser Erfolg hatte allerdings zugleich eine weitgehende Integration in etablierte Strukturen zur Folge und bezieht sich ausschließlich auf deutsche Frauen, während Migrantinnen in unterschiedlicher Weise und mit unterschiedlicher Begründung außen vor bleiben.

Schon seit den 60er Jahren hatte sich die reale Lebenspraxis vieler Frauen entscheidend geändert. Erwerbstätigkeit war zu einem kontinuierlichen Bestandteil ihres Lebens geworden, sie war nicht mehr lediglich Zusatz zum Familienleben. Die Unabhängigkeit von Frauen breiter Schichten durch ihre Einbeziehung in die Erwerbstätigkeit, ihre zunehmende Qualifikation, ihr politisches Engagement machten die Unterrepräsentanz von Frauen in allen Entscheidungsstrukturen deutlich.

Die Diskussionen, die ersten Förderungsmaßnahmen und die kleinen Schritte in Richtung Quotierung waren auch eine Reaktion auf diese Ungleichheit. In der Bundesrepublik hat neben der Frauenbewegung vor allem die Partei der Grünen die Auseinandersetzung um Quotierung vorangetrieben; sie sieht eine Frauenquote für alle Ämter in ihren Statuten vor. Andere Parteien sind in unterschiedlicher Weise dem Vorbild der Grünen gefolgt, und heute fordern selbst die Frauen der CDU eine Quotenregelung innerhalb ihrer Partei. Seit den frühen 80er Jahren gibt es in zahlreichen Institutionen und Kommunen Frauenbeauftragte, und seit den späten 80er Jahren sind in einigen Ländern entsprechende Antidiskriminierungs- bzw. Frauenförderungsgesetze für den öffentlichen Dienst in Kraft.

Viel früher als in der Bundesrepublik hat die Auseinandersetzung um Quotierung in den USA angefangen. Ende der sechziger Jahre gab es dort die ersten Programme zur bevorzugten Berücksichtigung von Frauen und von Angehörigen diskriminierter ethnischer Minderheiten (affirmative action) etwa in den Colleges. In der Bundesrepublik dagegen wurde und wird die Quotenregelung bislang nur in bezug auf Frauen diskutiert. Eine Quotendiskussion bezüglich weiterer diskriminierter Gruppen, wie der der ethnischen Minderheiten, fand bisher nicht statt.

Zu der Zeit, als ich nach Deutschland kam, gab es wenige ausländische Studentinnen in Deutschland, die nach dem Examen hier bleiben wollten. Wir kamen nach dem Abitur zum Studieren, die meisten gingen zurück. Als Migrantinnen haben wir uns damals nicht verstanden, eher als Ausländerinnnen, als Frauen, die nicht dazugehören. Diese Situtation hat sich zwischen 1980 und heute geändert. Jetzt leben viele ausländische Frauen in Deutschland, die hier geboren sind oder als Kinder in die Bundesrepublik kamen, hier studiert und eine Qualifikation erreicht haben. Viele von ihnen sind arbeitslos, andere müssen auf Stellen arbeiten, die oft unter ihrem Qualifikationsniveau liegen. Dies hat nicht allein mit der existierenden hohen Arbeitslosigkeit zu tun, sondern auch mit der Tatsache, daß sie Migrantinnen sind, die zweite oder dritte Generation von ausländischen Frauen, die bei gleicher Qualifikation ausgegrenzt werden nach dem Prinzip: zuerst die Deutschen, dann die EU-Bürgerinnen, dann der Rest der Ausländerinnen. Als wir 1980 die Forderung nach Quotierung stellten, wollten wir die Hälfte aller freiwerdenen Stellen für Frauen. Migrantinnen wurden damals nicht in die Quotierungsüberlegungen einbezogen. Jetzt ist die Zeit gekommen, daß auch sie gleich behandelt werden, daß sie bei gleicher Qualifikation den Anspruch und das Recht auf einen qualifizierten Arbeitsplatz haben. Jetzt, wo es um eine neue Form des Teilens geht, begegnen uns Verlegenheit und Sprüche wie Meine Stelle könnt ihr nicht haben.

Die Forderung nach Quotierung für Migrantinnen ist verbunden mit dem Wissen, daß sie auch zur Integration in existierende Strukturen und zum Verlust von Radikalität führen kann. Quotierung heißt immer: zähe Verhandlungen und Kompromisse; sie birgt die Gefahr der Institutionalisierung, der Abkehr von gesellschaftlichen Veränderungen, des Hineingleitens in systemstabilisierende Funktionen in sich. Andererseits eröffnet sie Chancen, weil Migrantinnen ihre politischen Forderungen in verschiedene gesellschaftliche Bereiche einbringen und die etablierte Ordnung in Frage stellen können. Die Einmischung von Migrantinnen in die Institutionen der Politik und ihre Forderungen nach Gleichberechtigung sind begleitet von der Hoffnung, auch die Orte der Einmischung verändern zu können.

Quotierung für MigrantInnen kann jedoch ebenso bedeuten, daß ihre gesellschaftliche Definition als MigrantInnen fortgeschrieben wird und damit die Möglichkeit, sie je nach kapitalistischer Konjunkturphase hin und herzuschieben. Eine andere Ambivalenz der Quotierungsforderung hat sich am Beispiel der Frauenquote gezeigt. Mit der Forderung nach 50% der freiwerdenden Stellen für Frauen war keineswegs klar, welche Frauen die Quotenstellen bekommen würden, ob sie der Frauenbewegung nahe stehen, selbst feministische Inhalte vertreten, kurz, wie sie auf diesen Stellen agieren würden. Darauf hatten wir keinen Einfluß und mußten nicht selten erleben, wie Frauen Karriere machten, die ganz und gar nicht unseren Vorstellungen entsprachen.

Als ich an der Frankfurter Universität arbeitete, traf ich nach und nach ausländische Studentinnen im Seminar. Die zweite, die dritte Generation? Die Studentinnen sprachen mich an, ob ich Interesse hätte, in einer Antirassismusgruppe mitzuarbeiten. Ich machte mit.

Politisch hat sich zwischen 1980 und heute viel verändert. Neue konservative Regierungen, der Zerfall des Ostblocks, der Golfkrieg, die vielen Kriege jetzt auch in Europa und die zunehmenden rassistischen Angriffe und Morde. Rassismus und Nationalismus wurden zu Alltagsbegriffen. Nach über zwanzig Jahren in der Bundesrepublik realisiere ich, daß ich trotz meiner Integration eine Migrantin bin, eine, die jederzeit ausgegrenzt werden kann. Jetzt, wo wir nicht mehr nur Fälle für die Sozialarbeit sind wie die Generation unserer Eltern, wo wir Ansprüche auf qualifizierte Arbeitsplätze und politische Partizipation erheben, bemerken wir die verschiedenen Formen und Ebenen des Rassismus. Gut, solange wir die unterlegenen Ausländerinnen sind, denen geholfen werden soll. Schwierig, wenn wir über uns selbst bestimmen wollen. Auch in den politischen Gruppen und an den Orten, wo wir als Linke schon immer Politik gemacht haben, sind Rassismusnuancen anzutreffen. Etwa, wenn wir den aufklärerischen Charakter eines Films wie Beruf Neonazi einsehen sollen, den wir rassistisch fanden. Unsere Perspektive als Migrantinnen ist heute eine andere, weil es uns um die Selbstbestimmung unserer Interessen geht, die wir gegen die herrschenden Strukturen und auch gegen die deutschen linken und feministischen Zusammenhänge definieren. Wenn es stimmt, daß die Verhältnisse nicht nur Anpassung und Widerstand hervorbringen, sondern auch die Formen des Widerstands bestimmen und daß aus der genauen Kenntnis und Analyse der Verhältnisse brauchbare Strategien entwickelt werden können, so gilt es für Migrantinnen, zumindest im Ansatz zu wissen, wie die Verhältnisse heute aussehen, welche Widerstandsformen möglich sind, was sie versprechen und was sie einlösen können.

 
     

Literaturhinweis der Herausgeberinnen

 
 

Natascha Apostolidou: Entstehungsbedingungen der neuen Frauenbewegungen in der Bundesrepublik und in Griechenland. Frankfurt am Main 1994 (im Erscheinen)

 
     
Edition ID-Archiv Eichhorn/ Grimm (Hg.) Gender Killer Texte zu Feminismus und Politik
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