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Zurück in die Zukunft
§218, Nationalstaat und Bio-Politik

Juliane Rebentisch

   

Zur Neuregelung des Paragraphen 218

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Nach Herstellung der deutschen Einheit war dem nun gesamtdeutschen Gesetzgeber aufgegeben, bis Ende 1992 eine Regelung zu treffen, die den Schutz vorgeburtlichen Lebens und die verfassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituationen vor allem durch rechtlich gesicherte Ansprüche für Frauen ... besser gewährleistet, als dies in beiden Teilen Deutschlands derzeit der Fall ist (Brandt 1993, S. I). In den alten Bundesländern wurde der 1974 unternommene Versuch des Gesetzgebers, die ursprünglich generelle Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs durch eine Fristenlösung für die ersten zwölf Schwangerschaftswochen einzuschränken, durch das Bundesverfassungsgericht verworfen. Der Bundestag verabschiedete daraufhin 1976 das bis vor kurzem geltende 15. Strafänderungsgesetz mit Indikationsregelung. In den neuen Bundesländern dagegen galten zunächst die Vorschriften des alten DDR-Gesetzes über Schwangerschaftsabbruch von 1972 weiter, die eine Fristenregelung enthielten. Die Aufgabe, das Abtreibungsrecht in beiden Teilen Deutschlands zu vereinheitlichen, gab den 1975 in den alten Bundesländern gescheiterten Reformbestrebungen neuen Anstoß. Das daraufhin Mitte 1992 beschlossene Schwangeren- und Familienhilfegesetz sah vor, daß der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft nach einer Beratung der Schwangeren nicht rechtswidrig ist. Auf Antrag der Bayrischen Staatsregierung und von 249 Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts den Gesetzesbeschluß zur Novellierung des Paragraphen 218 samt den neuen Vorschriften zur Neuorganisation der Pflichtberatung einer abstrakten Normenkontrolle unterzogen und anschließend für nichtig erklärt: Abtreibung bleibt weiterhin für die gesamte Dauer einer Schwangerschaft und unabhängig von einer Pflichtberatung Unrecht (Vgl. Brandt 1993, S. I).

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Neuregelung des Paragraphen 218 von 1993 ist wie 1975 ein Wert-Urteil gegen den vom Parlament über die verschiedenen Parteien hinweg ausgehandelten Kompromiß. Einmalig in der Geschichte des BVerfG dürfte aber die Tatsache sein, daß der Senat bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung detaillierte Regelungen vorgegeben und damit die Rolle des Gesetzgebers gleich mitübernommen hat. In beiden Situationen 1975 wie 1993 wurde über die Konstruktion allgemeiner Pflichten des Staates, nämlich menschliches Leben auch das ungeborene zu schützen, über eine den Gesetzen vorgängige und allgemeine Staatsziele festlegende Werteordnung das Parlament delegitimiert (vgl. Müller 1994, S. 67). Diese Werteordnung definiert den weiblichen Körper vornehmlich als mütterlichen: Vor der Wertordnung des Grundgesetzes besteht ein grundsätzliches Verbot des Schwangerschaftsabbruchs und damit eine grundsätzliche Pflicht zur Mutterschaft. Schon im BVerfG-Urteil von 1975 wurde der Entwurf des Gesetzgebers mit der Begründung verworfen, daß er den Schwangerschaftsabbruch auch dann von der Strafbarkeit ausnimmt, wenn keine Gründe vorliegen, die vor der Wertordnung des Grundgesetzes Bestand haben. Der Schwangerschaftsabbruch ist gemäß der Neuregelung des Paragraphen 218 nur bei Vorliegen bestimmter Ausnahmetatbestände erlaubt, das heißt im Falle medizinischer, embryopathischer und kriminologischer Indikationen. Nur in diesen Fällen kommt das Kriterium der sogenannten Unzumutbarkeit für die Frau zum Tragen, ein Kriterium, das nicht aus Umständen herrühren kann, die im Rahmen der Normalsituation einer Schwangerschaft verbleiben. Vielmehr müssen Belastungen gegeben sein, die ein solches Maß an Aufopferung eigener Lebenswerte verlangen, daß dies nicht von der Frau erwartet werden kann (aus dem Urteil von Mahrenholz, Böckenförde, Klein, Graßhof, Kruis, Kirchhof, Winter, Sommer, Neue Justiz 1993, S. 14).

Zwar ist nach dem 1993er-Urteil die Abtreibung bis zur 12. Woche für die Schwangere von einer strafrechtlichen Sanktion ausgenommen, bleibt aber bei Nichtvorliegen einer der drei genannten Indikationen rechtswidrig. Darüber hinaus ergibt sich aus der Rechtswidrigkeit des Abbruchs eine finanzielle Strafe für Frauen, da sie die Kosten des Abbruchs tragen müssen, weil sich der Staat nicht an einer Unrechtshandlung/Tötung beteiligen will. Der neue Paragraph 218 ist somit auch ein neues Klassenrecht. Zudem bedeutet die Rücknahme strafrechtlicher Sanktionen keineswegs die Überordnung der Grundrechtsposition der Frau gegenüber der des ungeborenen Lebens. Die vorgegebenen Maßnahmen entsprechen in allen Punkten auch in dem der Straffreiheit der Maßgabe, nach der sich der Staat verfassungsgemäß schützend und fördernd vor das ungeborene Leben zu stellen hat. Der Fötus wird durch diese juristisch-staatliche Anrufung als Rechtssubjekt konstituiert, dessen Interessen auch gegen die der Schwangeren staatlich vertreten werden. Der Schutz des ungeborenen Lebens vollzieht sich in der Neuregelung des Paragraphen 218 aber nicht nur gegen die Schwangere, sondern vor allem auch mit ihr. Was im ersten Moment wie ein Widerspruch aussieht, erweist sich im zweiten als ein sich ergänzendes Konzept: In der Entkopplung von Fötus und Schwangerer, in ihrer Gegenüberstellung als zwei im Konflikt stehende Rechtsgüter ist die Pflicht zur Mutterschaft enthalten. Die normative Verbindung von Frau und Mutter wird indirekt durch die Entkopplung FötusSchwangere bestätigt: Der Fötus tritt der Frau als Teil und Bedingung ihres Subjektstatus entgegen. Gleichzeitig ist es gerade die Annahme einer qua Schwangerschaft gegebenen Mutter-Kind-Beziehung, die das BVerfG mit der Änderung des Schutzkonzeptes von der bisherigen Indikationsregelung hin auf eine Beratungsregelung stützt. Der Gesetzgeber hat nämlich die Einsicht gewonnen, daß während der frühen Schwangerschaft nur die Schwangere und von ihr selbst ins Vertrauen gezogene Personen von der Schwangerschaft wissen können, der Staat sich daher vor die Aufgabe gestellt sieht, Leben zu schützen, von dessen Vorhandensein er nichts wissen kann. Die Unentdecktheit des Ungeborenen und seine Abhängigkeit von der Schwangeren durch ihr Verhältnis der Zweiheit in Einheit lassen die Einschätzung des Gesetzgebers plausibel erscheinen, daß der Staat eine bessere Chance zum Schutz des ungeborenen Lebens hat, wenn er mit der Schwangeren zusammenwirkt.

Die Innovation der Novellierung des Paragraphen 218 sah man deshalb auch in einer gewandelten Einschätzung der Schwangeren, die nun nicht mehr die mögliche Täterin, sondern eine mögliche Mutter sei. Genau in dieser argumentativen Ersetzung der Androhung von Strafe durch die Verantwortung für das Leben verschafft sich die Staatsmacht nun Zugang zum Körper. Entsprechend heißt es im Urteil, daß die im Überlassen einer Letztverantwortung zum Ausdruck kommende Achtung vor dem Verantwortungsbewußtsein der Frauen Appellfunktion haben und geeignet sein (kann), allgemein die Verantwortung von Frauen gegenüber dem ungeborenen Leben zu stärken, sofern dies vor dem Hintergrund einer wachgehaltenen Orientierung über die verfassungsrechtlichen Grenzen von Recht und Unrecht geschehe (Urteil, Neue Justiz, S. 16). Das Zentrum der vom BVerfG verfügten Regelungen bildet gemäß dieser Appellfunktion die Neuorganisation der Pflichtberatung. Die Beratungsstellen unterliegen nun strenger staatlicher Kontrolle: sie sind meldepflichtig (staatliche Anerkennung), müssen sich diese Anerkennung nach einer noch festzulegenden Frist bestätigen lassen, Beratung und Schwangerschaftsabbruch vornehmende Stellen werden getrennt (um ein materielles Interesse der Beratenden am Abbruch auszuschließen), die Beratungsstellen sind auf einen Jahresbericht (Rechenschaftsberichte) in bezug auf die ihrer Beratungstätigkeit zugrundeliegenden Maßstäbe und die dabei gesammelten Erfahrungen und auf die Führung einer Bundesstatistik verpflichtet, das heißt in Protokollen der Beratungsgespräche sind Alter, Familienstand und Staatsangehörigkeit der Schwangeren festzuhalten sowie die Zahl ihrer Schwangerschaften, ihrer Kinder und früheren Schwangerschaftsabbrüche. Darüber hinaus hat das BVerfG mit seinem Urteil detaillierte und überaus restriktive Regelungen für den Verlauf der Pflichtberatung vorgegeben. Zielorientiert (auf den Schutz ungeborenen Lebens) und ergebnisoffen sollen die Beratungsgespräche geführt werden, das heißt praktisch: Es können ärztliche, psychologische und juristisch ausgebildete Fachkräfte zum Gespräch hinzugezogen werden, die der Schwangeren zur Konfliktlösung verhelfen sollen, sowie Personen aus dem näheren Umfeld der Schwangeren, vor deren negativen Einflüssen das ungeborene Leben geschützt werden soll. Außerdem kann die beratende Person darüber entscheiden, ob das Gespräch sofern dem Inhalt des Gesprächs dienlich fortgeführt werden soll.

Die Rücknahme strafrechtlicher Sanktionen bei gleichzeitiger Verschärfung der Beratungsregelung kann als ein Beispiel für die von Foucault beschriebene Entwicklung der Bio-Macht verstanden werden, deren Folge unter anderem die wachsende Bedeutung ist, die das Funktionieren der Norm auf Kosten des juridischen Systems des Gesetzes gewinnt. Nach Foucault geht es seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr darum, auf dem Feld der Souveränität den Tod auszuspielen, sondern das Lebende in einem Bereich von Wert und Nutzen zu organisieren (Foucault 1977, S. 171). Dazu bedarf es anderer Herrschaftsstrategien als der des (tötenden) Gesetzes: fortlaufende, regulierende und korrigierende Maßnahmen, die das Leben sicherstellen. Um diesen Eintritt des Lebens und seiner Mechanismen in den Bereich der bewußten Kalküle, in den Bereich des Politischen zu bezeichnen, spricht Foucault von Bio-Politik (Foucault 1977, S. 170). Bio-Politik beruht auf einer Vorstellung von Bevölkerung, nach der es gilt, diese als zugleich politisches, wissenschaftliches und biologisches Phänomen zu regulieren, um das Leben einer Population zu optimieren. Die seit Ende des 18. Jahrhunderts verstärkte Tendenz zur Verstaatlichung dieser als Biomasse gedachten Bevölkerung zeigt sich in den staatlichen Eingriffen zur Regulierung der generativen Reproduktion der Bevölkerung. Sie verbinden sich mit anderen, schon früher, im 17., Anfang des 18. Jahrhunderts herausgebildeten Machtformen, die durch Überwachung und Dressur auf die individuellen Körper zielen und an die Einrichtung von Institutionen wie der Schule, dem Hospital, der Kaserne gebunden sind. Aufgrund der vielfachen Verschränkungen dieser beiden biopolitischen Machtformen wurde Sexualität als Schnittstelle zwischen Körper und Bevölkerung im 19. Jahrhundert zu einem Feld von besonderer strategischer Bedeutung, war sie doch durch ihre Zeugungseffekte Schlüssel zur demographischen Entwicklung (vgl. Foucault 1977, S. 161 ff.; ders. 1992). Und sie ist es noch. Der Paragraph 218 ist ein strafrechtliches Instrument staatlicher Bevölkerungspolitik, das die Privatangelegenheit einer Schwangerschaft staatlich reguliert. Ergänzt ist es durch eine ganze Reihe staatlicher (Mutterpaß, Arbeitsschutz etc.) und substaatlicher Institutionen wie den medizinischen Einrichtungen (Pränataldiagnostik, Vorsorge, Schwangerschaftsgymnastik, die Inpflichtnahme der ÄrztInnen für die Schwangerschaftskonfliktberatung etc.), den Krankenkassen usw. Diese Institutionen wiederum wirken zusammen mit der vermeintlich privaten Institution der Familie. Entsprechend stark ist der Druck, der unter dem Motto Hilfe statt Strafe mit der Beratungsregelung des Paragraphen 218 auf das familiale Umfeld der Schwangeren ausgeübt wird. Offensichtlich richteten sich juristische Argumentation und ein Großteil der öffentlichen Debatten auf den Erhalt der familialen Ideologie angesichts der Auflösungstendenzen der bürgerlichen Kleinfamilie. Es stellt sich daher die Frage, wie die ideologische Konstruktion der Familie aktuell im politischen Raum präsent ist.

 

Nationalisierung der Familie

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Keine Nation, so Balibar, hat eine gegebene ethnische- Basis (Balibar 1990, S. 115). Sie muß sich daher permanent als nationale Gemeinschaft schaffen. Bei dieser Schöpfung und fortwährenden Neuschöpfung (Wallerstein 1990, S. 45) national gekennzeichneter Gemeinschaften nehmen die Institutionen Familie und Schule eine zentrale Funktion ein. Sie helfen, die einheitsstiftenden Wirkungen zu erzeugen, durch die das Volk als ein Volk erscheint. Die Schaffung einer fiktiven Ethnizität artikuliert sich nach Balibar sowohl über die Vorstellung einer Sprachgemeinschaft als auch über die einer rassischen Gemeinschaft. Dem allgemeinen Schulbesuch kommt für die Konstituierung von Ethnizität als Sprachgemeinschaft zentrale Bedeutung zu: Hier wird kompetenter Umgang mit der Muttersprache vermittelt; eine Vermittlung, die der Unterfütterung der gesamten Sozialisation der Individuen als Subjekte einer Sprachgemeinschaft mit dem Ideal eines gemeinsamen sprachlichen Ursprungs dient. Um die Grenzen einer Sprachgemeinschaft jedoch an den Grenzen eines Volkes-als-Nation festmachen zu können, bedarf es der Ergänzung durch ein Prinzip der Ausgrenzung und Abschließung. Dieses Prinzip, so Balibar, ist die rassische Gemeinschaft (Balibar 1990, S. 122). Mit dem Heraufkommen der Nation-Form entwickelt sich eine moderne Vorstellung von Rasse, als deren symbolischer Kern das Schema der Genealogie erscheint und die die Individuen der Fiktion eines gemeinsamen Ursprungs unterstellt. Die Vorstellung der Übermittlung einer biologischen und geistigen Substanz von Generation zu Generation wird dabei von den privaten Genealogien (traditionelle Systeme der Stammeszugehörigkeit etc.) in die Idee des Volkes als nationaler Verwandtschaftskreis übersetzt. Das Gegenstück dieser Identifikation der Individuen als Subjekte einer nationalen Gemeinschaft ist nach Balibar die Nationalisierung der Familie: Familiäres Privatleben und staatliche Familien- und Bio-Politik bilden sich gleichzeitig heraus, wobei letztere in ersterem ihren zentralen Einsatzort findet. So daß die Intimität der modernen Familie genau das Gegenteil einer autonomen Sphäre ist, vor der die staatlichen Strukturen Halt machen würden. Sie ist die Sphäre, in der die Beziehungen zwischen den Menschen unmittelbar mit einer staatsbürgerlichen- Funktion befrachtet und durch die ständige staatliche Unterstützung ermöglicht werden, angefangen bei den Geschlechterbeziehungen, die auf Fortpflanzung ausgerichtet sind. (Balibar 1990, S. 124)

Daß die alltägliche und die generative Reproduktion einer fiktiven Ethnizität untergeordnet ist, die jeder Bevölkerungspolitik immanent ist, markiert auch eine Schnittstelle, an der sich Sexismus und Rassismus unmittelbar verknüpfen. Wenn die Institution der Familie einer der zentralen Orte ist, an denen die juristischen, ökonomischen, pädagogischen und medizinischen Mechanismen zum Einsatz kommen, über die der Staat vermittelt ist, ist ihr Erhalt ein entscheidender Teil der Basis für die Hegemonie des Nationalismus. Die heterosexistische Konstruktion der Geschlechter ist für den Erhalt der Familie konstitutiv. Dies erklärt, warum Frauenunterdrückung und Nationalismus sich so gut vertragen, warum andere sexuelle Identitäten als abnorm gekennzeichnet und tendenziell ausgegrenzt werden.

Die nationalistische Konstruktion von Rasse basiert abstrakt auf einem Ein- und Ausschlußmechanismus, der ein imaginäres Selbst als mit einem imaginären Volk identifiziertes von einem imaginären Anderen abgrenzt und über diese Abgrenzung herstellt; ein Mechanismus, der sich in den unterschiedlichen rassistischen Praxen materialisiert und konkretisiert (vgl. Müller 1992, S. 30 ff.). Auch die patriarchale Konstruktion der Geschlechter ist auf abstrakter Ebene zunächst als ein Ein- und Ausschlußmechanismus zu bestimmen, der die sexistische Unterordnung der Frau sicherstellt. Die Trennung der Geschlechter hat jedoch die Form einer einschließenden Unterordnung (vgl. Eichhorn 1992, S. 102), eine Form also, die die Frau als Anderes innerhalb des nationalstaatlichen Rahmens unter das universelle Eine, den Mann, unterwirft. Die Unterordnung von Frauen vollzieht sich innerhalb der ethnisch-sprachlichen Gemeinschaft mit Männern, d.h. die Einschließung von Frauen in diese Gemeinschaft als Staatsbürgerinnen funktioniert parallel mit und ebenso effizient wie die weitgehende Ausgrenzung von Frauen aus Führungspositionen staatlicher Institutionen oder ihre Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt usw. Wie Sexismus und Rassismus zusammen ein sich verstärkendes System bilden, zeigt sich auch und besonders deutlich an der nationalstaatlichen Bevölkerungspolitik.

Der Paragraph 218 im Zusammenwirken mit der ideellen und materiellen Aufwertung des Mutterstatus und den steuerpolitischen Maßnahmen zur Abstützung der bürgerlichen Kleinfamilie ist Teil des Versuchs, die Steigerung der eigenen und das heißt der nationalen Geburtenrate zu erzielen. Dieser Versuch ist das Gegenstück einer rassistisch-nationalistischen Bevölkerungspolitik, die national unter Schlagwörtern wie Belastungsgrenze, Überfremdung etc. Abschiebungen vornimmt, die Möglichkeiten zum Nachzug der Angehörigen von MigrantInnen diskriminierenden Auflagen unterwirft und international versucht, die Katastrophe Überbevölkerung in der Dritten Welt über Verhütungsmittelprogramme in den Griff zu bekommen.


 

Kulturalismus und Rebiologisierung

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Die Konstitution einer fiktiven ethnischen Einheit durch eine nationale Ideologie, die die imaginäre Einteilung der Menschheit in unterschiedliche Ethnizitäten betreibt, bindet staatliche Bevölkerungspolitik immer schon in das Gefühl nationaler Zugehörigkeit ein. Diese Zugehörigkeit ist ein Produkt der Übersetzung von Familie in Nation und umgekehrt. Damit diese Übersetzung stattfinden konnte, mußte sich die Familie nationalisieren, was gleichzeitig auch die Abnahme der Bedeutung abstammungsmäßiger Verwandtschaft implizierte. Dennoch war die Reproduktion der Nation-Form bislang an das Schema der Genealogie gebunden, das in der (nationalisierten) Familie seine Basis hat. Bei den derzeit diagnostizierten Auflösungstendenzen der bürgerlichen Kleinfamilie stellt sich daher die Frage, ob die Nation-Form sich reproduzieren kann, wenn die Auflösung der traditionellen Kleinfamilie abgeschlossen ist, das heißt wenn die Beziehungen der Geschlechter und die Fortpflanzung gänzlich aus dem genealogischen Zusammenhang herausgelöst werden, kurz, die Frage ist, ob man hiermit die Grenze der materiellen Möglichkeiten erreicht hat, sich menschliche Rassen- vorzustellen und diese Vorstellung in die Produktion der Ethnizität einzubringen (Balibar 1990, S. 125). Im Horizont dieser Fragestellung sind verschiedene Erscheinungen zu beobachten, die auf eine Verschiebung in der Reproduktion der Konstruktionen des Volkes-als-Nation und der rassischen Gemeinschaft hinweisen.

Paragraph 218 kann als Effekt einer ideologischen Übergangsform begriffen werden, der einerseits die familiäre Ideologie gegenüber den oft als Wertezerfall beklagten Auflösungstendenzen der bürgerlichen Kleinfamilie abstützt, wie er andererseits nicht inkompatibel ist mit neuen medizinischen (Wissens-)Praktiken wie Gentechnologie, Gendiagnostik, In-Vitro-Fertilisation (Reagenzglasbefruchtung) und Leihmutterschaft, die zwar rechtlich noch weitgehend in das traditionelle Familienmodell eingebunden sind, aber eine Richtung anzeigen, die die Fortpflanzung aus dem genealogischen Zusammenhang herauslöst. Diese Entwicklung kann sich auch mit der festzustellenden Feminisierung der Genealogie, das heißt mit der verstärkten Rolle, die alleinerziehende Mütter für die generative Reproduktion spielen, verbinden. Nach der nicht zuletzt durch die feministische Bewegung im Namen sexueller Selbstverwirklichung forcierten Trennung von Sexualität und Fortpflanzung sind sowohl eine verhütende Sexualität als auch eine technologisch auf den neuesten Stand gebrachte Fortpflanzung integrierte Bestandteile bevölkerungspolitischer Maßnahmen, die sich nicht mehr allein an den genealogischen Zusammenhängen der Familie orientieren.

Gleichzeitig sind Tendenzen einer Transformation der Nation-Form im Spannungsfeld zwischen Nationalisierung der Gesellschaft im Ideologischen und der Tendenz zu supra-nationalen Staatsstrukturen (EG) zu beobachten. Diese Spannung drückt sich auch in der Notwendigkeit eigenständiger kapitalistischer Entwicklungs- und Wachstumsmodelle durch den Nationalstaat einerseits und der Internationalisierung der Produktion sowie der Dominanz der multinationalen Kapitalfraktionen andererseits aus (vgl. Müller 1992, S. 163 ff.). Flexibilisierung der Produktion, weltweite Mobilität der Arbeitskraft sind Begriffe, die Faktoren dieser Entwicklung in den kapitalistischen Zentren beschreiben. Wie sich die genannten Spannungsverhältnisse auflösen werden, ist nicht zu prognostizieren. Offen bleibt, ob und auf Grundlage welcher Institutionen sich die Reproduktion der Konstruktion Volk-als-Nation stabilisiert. Offen bleibt damit auch, ob Familie und Schule weiterhin die in diesem Zusammenhang wichtigsten ideologischen Staatsapparate sein werden oder ob eventuell andere Institutionen in Verbindung mit den neuen Gen- und Reproduktionstechnologien die Funktion vor allem der Familie übernehmen werden.

Allerdings deutet sich im Diskurs der Neuen Rechten exemplarisch in der Idee eines Rassismus ohne Rassen eine ideologische Formation an, in der sich die Konstruktion Volk-als-Nation in einer Weise reproduziert, in der das Schema der Genealogie an Bedeutung verliert. Der Gedanke eines Rassismus ohne Rassen, eines Rassismus, für den der biologistische Rassenbegriff kein wesentliches Argument ist, zeigt sich seit einiger Zeit an der kulturalistischen Argumentation der Neuen Rechten. Dieser differentielle Rassismus behauptet weniger die biologisch-rassische Überlegenheit als die tendenzielle Unvereinbarkeit der eigenen mit der fremden Kultur. Kulturelle Unterschiede werden ausgehend von der institutionell etablierten Kultur des Staates und der herrschenden Klassen als getrennte Einheiten begriffen, die es vor Vermischung zu schützen gilt. Damit verkehrt sich in den achtziger Jahren die Forderung nach einem Recht auf Differenz in eine rassistische Pflicht zur Differenz (vgl. Müller 1992, S. 39 f.), die auf einer statischen Vorstellung kultureller Identitäten beruht und diese fixiert. Hier deutet sich die Möglichkeit einer ideologischen Formation an, in der das Wesen der rassischen Gemeinschaft nicht mehr auf Vererbung und Verwandtschaft bezogen ist, sondern kulturell und geschichtlich definiert wird. Wenn aber, so Balibar, die kulturellen Unterschiede jeweils als getrennte Einheiten ... gedacht werden ..., verweist uns das auf die kulturelle Ungleichheit im europäischen- Raum selbst; oder, genauer, auf die Kultur- als Bildung ..., das heißt auf Strukturen der Ungleichheit, die sich in einer industrialisierten, verschulten und mehr und mehr internationalisierten, durch weltweite Einflüsse konstituierten Gesellschaft tendenziell reproduzieren (Balibar 1990, S. 34). Dabei werden die jeweils anderen Kulturen als Hindernisse für den Erwerb der über Schule und internationale Verständigung vermittelten staatlichen Kultur der herrschenden Klassen aufgebaut. Im Gegensatz zu dem offen antiegalitären Rassismus vorhergehender Epochen, der soziale Hierarchien über die Voraussetzung einer differentialistischen Anthropologie legitimierte, scheint sich heute ein neues Legitimationsmodell durchzusetzen: Als die implizit überlegenen Kulturen gelten diejenigen, die die individuelle- Initiative, den sozialen und politischen Individualismus, besonders hoch bewerten und fördern, im Gegensatz zu denjenigen Kulturen, die ihn hemmen und einengen. (ebd.) Die Übersetzung der privaten Genealogien in einen nationalen Verwandtschaftskreis, in eine erweiterte Familie wird durch diese Argumentation mit einem durch Individualismus gebildeten Gemeinschaftsgeist verstärkt und rebiologisiert.

Ausgehend von der Bedeutung, die die Abgeschlossenheit der Kulturen und Traditionen gegenüber dem biologistischen, auf Vererbung und Genealogie gerichteten Rassebegriff gewinnt, verliert auch die Fiktion eines gemeisamen Ursprungs als Projektion einer rassischen Gemeinschaft in die Vergangenheit gegenüber der Fiktion einer gemeinsamen Zukunft, in der sich die rassische Gemeinschaft (durch die Überwindung kultureller Hindernisse) erst vollendet, an Bedeutung. Hier trifft sich der Kulturalismus der Neuen Rechten mit einem individualistischen Modell des Biologismus, in dem Gen- und Reproduktionstechnologien ihren möglichen Einsatz finden. Vermittelt über diese neuen Biotechnologien wird eine avancierte Form der Bio-Politik ausgearbeitet, in der die Kultur als externe Regulierungsform des Lebendigen funktioniert (vgl. Foucault 1977, Balibar 1990, S. 35). Die Entwicklung von differenzierten Regulierungsformen der Reproduktion, Leistungen und Gesundheit des Lebendigen, richtet sich gerade auf der Ebene des Individuums auf Fragen der Disposition zu einem normalen oder eben abnormen Verhalten und auf Fragen der psychischen, gesundheitlichen oder eugenischen Voraussetzungen, um die optimale Reproduktion der kulturellen Gemeinschaft in alltäglicher wie generativer Hinsicht zu sichern. Neue Wissenspraktiken wie Gen- und Reproduktionstechnologien werden nicht nur in dem Maße, wie sie aktiv in die Bevölkerungsstruktur eingreifen, zu politischen Interventionstechniken; sie zeigen auch eine Entwicklung hin zu einer bio-techno-politischen Selektion der Individuen an. Aktuelles Stichwort dieser Entwicklung ist Prävention.

So liefern etwa die humangenetische Beratung und die Pränataldiagnostik die Methoden, die embryopathische Indikation des Paragraphen 218 die rechtlichen Mittel, die Idee der Eugenik, die schon in der wechselseitigen Beziehung zwischen bürgerlicher Familie und Nationalstaat latent vorhanden war, in eine Strategie gesellschaftlicher Prophylaxe einzuschreiben, die auf eine zunehmend individualisierte Ebene bezogen ist. Individuelles Glück ist dementsprechend auch ein zentrales Argument, um für Gen- und Reproduktionstechnologien kulturelle Akzeptanz herzustellen. Pränataldiagnostik bedeutet unter dieser Perspektive allerdings nur den Einstieg in eine auch auf das postnatale Leben zielende Ära des biotechnologischen Bevölkerungsmanagements. In Relation zu konjunkturell bedingten sozialen Normen und Werten werden statistisch lokalisierbare Orte des Abnormen und Pathologischen als Risikofaktoren identifiziert. Nachdem so die Risikofaktoren entworfen sind, können Individuen nach bestimmten, an ihnen gendiagnostisch festgestellten Eigenheiten eingeteilt und verwaltet werden. Rabinow spricht in diesem Zusammenhang in Anlehnung an Castel von einer technokratischen Administration von Differenzen (Rabinow 1992, S. 243, Übers. JR).

Obwohl sowohl der Begriff der Rasse als auch die Konstruktion Volk-als-Nation durch die genannten Tendenzen erheblich dynamisiert worden sind, kann man feststellen, daß in den Diskursen um Reproduktion noch die Ideologie der Familie überwiegt; ebenso wie noch Versuche dominieren, dem deutschen Nationalstaat ein Primat gegenüber der Schaffung supranationaler Strukturen einzuräumen. Die Angliederung der DDR an die BRD, die Dynamik der Annexion, die unter nationalstaatlichen Imperativen stattfand, ist ein offensichtliches Beispiel für diese Dominanz (vgl. Müller 1992, S. 163 ff.).

 

Nationalstaat und Frauenpolitik

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Während die von Teilen der bundesrepublikanischen Frauenbewegung der 70er Jahre im Namen der Selbstbestimmung vertretene Forderung nach Streichung des Paragraphen 218 (Aktion 218) sich gegen staatliche Regulierung richtete, steht der Begriff der Selbstbestimmung seit Ende der 80er Jahre eher für die Forderung nach einem Frauenrecht. Eine Forderung, die der zunehmenden Staatsfixierung der feministischen Politik entspricht. Mehr als zwanzig Jahre nach dem Beginn der neuen Frauenbewegung sind die damals artikulierten Ansprüche längst Gegenstand einer umfassenden administrativen Regulierung geworden. Neben staatlich geförderten Organisationen im Bildungs- und Kulturbereich, in der Gesundheits- und Sozialfürsorge wurde eine Reihe von staatlichen Institutionen geschaffen, die sich in Form von Frauenministerien, Frauenbeauftragten und Gleichstellungsstellen der Lösung der Frauenfrage widmen. Fraueninitiativen der 80er Jahre beschränkten sich auf die Ebene von Eingliederungsprogrammen, Anti-Diskriminierungsgesetzen, Quotierungsforderungen und Verfassungsdebatten. Und der über die Universitäten populär gewordene Differenz-Feminismus ist in der staatlichen Administration bereits unter dem Schlagwort an der Lebensrealität von Frauen anknüpfen verbucht, unter dem nun die Geschlechterungleichheit weiter fortgeknüpft wird. Auch bei dem Import der US-amerikanischen Gender Studies in die Bundesrepublik scheint einiges auf halber Strecke liegengeblieben zu sein. So wurde etwa Judith Butlers Konzept der Maskerade und der Parodie als Möglichkeit der Subversion von Geschlechtsidentitäten in einem nicht unerheblichen Teil der Rezeption kaum in Verbindung gebracht mit der von ihr und anderen TheoretikerInnen der Gender-Debatte entwickelten Analyse der regulierenden politischen Produktion des Subjekts. Statt dessen geht diese Rezeption in Richtung auf einen individualistischen und konsumistischen Umgang mit Geschlechtsidentitäten, der nicht nur in bezug auf die sexistische Konstruktion der Geschlechter die Dimension gesellschaftlicher Machtverhältnisse ausblendet. Eine Blindheit, die gender zu einem verselbständigten Modethema werden ließ. Die im akademischen Feminismus zu beobachtende Begeisterung für das (selbst-genügsame) Spiel mit der Geschlechtlichkeit läßt die Frage vergessen, welchen Frauen die sozialen, kulturellen, institutionellen und individuellen Freiräume zur Verfügung stehen, die ein solches Spiel erfordert.

In bezug auf das Ausbleiben eines relevanten Protestes nach dem Urteil zum Paragraphen 218 sind derlei Verbindungen zwischen feministischer Theoriebildung und -rezeption und der Institutionalisierung der Frauenpolitik aufschlußreich. Die Staatsfixiertheit derzeitiger Frauenpolitik liefert eine Erklärung dafür, daß die Streichungsforderung nach dem Anschluß der DDR in der Vereinigungs-Abtreibungsdebatte keine Rolle mehr gespielt hat. Statt dessen geht es der Frauenpolitik darum, dem Gesetzgeber ein sogenanntes Frauenrecht abzuringen. Mit der Rechtsargumentation befindet man sich jedoch in der falschen Diskussionsrunde: Der Universalismus der bürgerlichen Ideologie, ihr Humanismus und nicht zuletzt die Logik des individualistischen Rechts sind durchaus mit dem System der Hierarchisierungen und Ausgrenzungen vereinbar, die sich vor allem in Form von Sexismus und Rassismus artikulieren. Sie sind ein Teil von ihnen. So beruht die Forderung nach einem Selbstbestimmungsrecht für Frauen auf der unhinterfragten Annahme eines Subjekts vor dem Gesetz. Diese Vorstellung blendet aus, daß Subjekte, die den juridischen Machtregimen und ihren Regulierungen durch Verbot, Beschränkung, Kontrolle unterworfen sind, in Übereinstimmung mit der entsprechenden kontingenten politischen Struktur gebildet, definiert und reproduziert werden. Werden die Prozesse der Subjektkonstitution nicht in politische Überlegungen miteinbezogen, bleibt sowohl die imaginäre Konstruktion der Geschlechter unhinterfragt eine Konstruktion, die die Frau als mögliche Mutter bestimmt als auch die imaginäre Konstruktion Volk-als-Nation, die deutschen Frauen hier staatsbürgerliche Rechte sichert, während rassistisch motivierte Sexismen nationalstaatlicher Abschiebepolitik Migrantinnen diese Rechte verweigern. Anders formuliert: Eine Politik, die sich auf die Frage kapriziert, wie Frauen als Subjekte des Feminismus im gegebenen System besser repräsentiert werden können, klammert die Frage nach den Bedingungen aus, die erfüllt sein wollen, um überhaupt als Subjekt zu gelten. Die politische Konstruktion des Subjekts ist mit bestimmten Legitimations- und Ausschlußzielen verbunden; diese politischen Verfahrensweisen werden aber durch eine Analyse, die sie auf Rechtsstrukturen zurückführt, wirksam verdeckt und gleichsam naturalisiert, das heißt als natürlich- hingestellt. Unweigerlich produziert- die Rechtsgewalt, was sie (nur) zu repräsentieren vorgibt Es genügt also nicht zu untersuchen, wie Frauen in Sprache und Politik vollständiger repräsentiert werden können. Die feministische Kritik muß auch begreifen, wie die Kategorie Frau(en)-, das Subjekt des Feminismus, gerade durch jene Machtstrukturen hervorgebracht und eingeschränkt wird, mittels derer das Ziel der Emanzipation erreicht werden soll (Butler 1991, S. 17). Sobald die Ebene staatlich-juristischer Regulierung als (einzige) Ebene der politischen Auseinandersetzung anerkannt wird, werden die Ein- und Ausschlußverfahren nicht mehr mitreflektiert, über die sich das Sexismus-Rassismus-System ständig aktualisiert. Hier offenbaren sich geheime Korrespondenzen zwischen institutionalisierter Frauenpolitik und Nationalstaat. Werden diese Zusammenhänge aus der feministischen Diskussion ausgegrenzt, liefert die feministische Wahlverwandtschaft im Aufstand der Schwestern (vgl. Schwarzer 1983, S. 40 ff.) willentlich oder unwillentlich einen Beitrag zur Reproduktion der Nation als symbolische Verwandtschaft.

Nicht zuletzt der Rassismusvorwurf von Seiten der Migrantinnen hat deutlich gemacht, daß eine Revision des feministischen Projekts in bezug auf seine eurozentrischen Grenzen notwendig ist. Das gilt auch für die Theoretisierung eines feministischen Subjekts und seiner Selbstbestimmung, eines Subjekts, das die Ausschlußmechanismen leugnet, über die es konstituiert ist. Die theoretische Setzung von Geschlecht als identifikatorischen Ausgangspunkt politischer Mobilisierung ging auf Kosten der Analyse von rassistischen, nationalistischen und kapitalistischen Faktoren. Diesen Faktoren Rechnung zu tragen, heißt nicht einfach, das Subjekt als eine Pluralität von Identifikationen zu denken, denn diese Identifikationen sind miteinander verstrickt, Vehikel füreinander: Eine Geschlechtsidentifikation kann getroffen werden, um an einer Rassenidentifikation zu partizipieren oder sie abzuweisen; was als Ethnizität- zählt, rahmt und erotisiert Sexualität oder kann selbst eine sexuelle Markierung sein. Dies impliziert, daß es keine Sache des In-Bezug-Setzens von Geschlecht, Rasse und Sexualität ist, als wenn sie völlig voneinander getrennte Machtachsen wären; die pluralistische theoretische Trennung dieser Begriffe als Kategorien- oder als Positionen- ist selbst gegründet auf ausschließenden Operationen, die ihnen eine falsche Uniformität attribuiert und den regulatorischen Zielen des liberalen Staates dient. (Butler 1993, S. 116, Übers. JR) Aus dem Verständnis von Identitätskategorien als analytisch diskreten folgt eine Praxis der prinzipiell unabschließbaren Auflistung von immer spezifizierteren Kategorien, eine fortgesetzte Aufzählung, die effektiv das trennt, was sie zu verbinden vorgibt. Verbindungen lassen sich jedoch weder durch die abstrakte Behauptung einer vermeintlichen Gleichheit der Positionen, die auf der Einsicht in den partiellen Charakter der Konstitution sozialer Identitäten basiert (vgl. Butler 1993, S. 118f.), noch über bloße Sympathie herstellen. Sympathie läuft immer Gefahr, in einen vereinnahmenden Gestus zu kippen, einen Gestus, der im Anderen das Eigene sucht und der andere Formen der Beherrschung durch Analogiebildungen eher verdeckt als kenntlich macht (vgl. Haraway 1991, S. 160). Die Analyse müßte dagegen die Schnittstellen bestimmen, an denen die Kategorien konvergieren. Fragen danach, wie Rasse in der Modalität von Sexualität, wie Geschlecht in der Modalität von Rasse gelebt wird, wie Klassenverhältnisse in der Modalität ethnischer Zugehörigkeit erfahren werden (vgl. Hall, S. 508) oder wie Geschlechterbeziehungen im nationalstaatlichen Rahmen konstruiert sind, welche Rolle sie für die Konsolidierung der Staatsmacht spielen, solche Fragen zielen auf die Artikulationsbedingungen der einzelnen Kategorien füreinander. Eine theoretische Aufgabe bestünde darin, die Strukturen zu beschreiben, in denen Identifizierungen in das verwickelt sind, was sie ausschließen. Dies könnte ein Beitrag zu einer Verbindung von Antirassismus und Feminismus sein, die sich nicht zwischen Ethnozentrismus auf der einen und Kulturrelativismus auf der anderen Seite (vgl. Kalpaka/Räthzel 1989, S. 94 ff.) kurzschließt. Eine solche Verbindung herzustellen, könnte für eine anti-rassistische feministische Politik unter anderem den Versuch bedeuten, die Abwehr von Fremdbestimmung nicht primär als Selbstbestimmung zu denken und schon gar nicht als Recht auf Selbstbestimmung.

Die etatistische Ausrichtung der gegenwärtigen Frauenpolitik vermag den Nexus zwischen dem Paragraph 218 und nationalstaatlicher Bevölkerungspolitik nicht mehr anzugreifen, weil sie von der Position der Staatsbürgerinnen aus formuliert wird. Wenn die Kritik an der (patriarchalen) Gesellschaft nicht mehr die ihrer staatlichen Verfaßtheit mit einschließt, kann die 70er-Jahre-Parole der Selbstbestimmung in der Übertragung auf eine sehr andere gesellschaftspolitische Situation nur mehr an ein bewußt oder unbewußt national identifiziertes Subjekt mit staatlich anerkannten Rechten appellieren. Ein Appell, der leicht übersehen läßt, daß sich der vorausgesetzte frauenpolitische Konsens in dieser Sache unter anderem über die weitgehende thematische Ausgrenzung eines seit den 80er Jahren wieder erneut massiv auftretenden Rassismus im neuen Deutschland konstituiert.


Für Hinweise und Kritiken danke ich Cornelia Eichhorn, Sabine Grimm, Sabeth Buchmann, Renate Lorenz, M. Rinck.

 

 

   

Literatur

Balibar, Etienne 1990a: Gibt es einen Neo-Rassismus? In: Etienne Balibar/Immanuel Wallerstein, Rasse Klasse Nation, Ambivalente Identitäten, Hamburg/Berlin

Balibar, Etienne 1990b: Die Nation-Form: Geschichte und Ideologie. In: Etienne Balibar/Immanuel Wallerstein, Rasse Klasse Nation, a.a.O.

Brandt, Adelhaid 1993: Editorial. In: Neue Justiz, Sonderheft

Butler, Judith 1991: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main

Butler, Judith 1993: Bodies that Matter. New York/London

Eichhorn, Cornelia 1992: Frauen sind die Neger aller Völker. Überlegungen zu Feminismus, Sexismus und Rassismus. In: Redaktion diskus (Hg.), Die freundliche Zivilgesellschaft. Rassismus und Nationalismus in Deutschland, Berlin/Amsterdam

Foucault, Michel 1977: Sexualität und Wahrheit, Bd. 1. Der Wille zum Wissen. Frankfurt am Main

Foucault, Michel 1992: Leben machen und sterben lassen: Die Geburt des Rassismus. In: diskus, Nr.1

Hall, Stuart 1980: Rasse Klasse Ideologie. In: Das Argument 122

Haraway, Donna J. 1991: Simians, Cyborgs, and Women. The Reinvention of Nature. New York/London

Kalpaka, Annita/Räthzel, Nora 1989: Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein. In: Otger Autrata u.a. (Hg.), Theorien über Rassismus, Hamburg

Müller, Jost 1992: Rassismus und die Fallstricke des gewöhnlichen Antirassismus. In: Redaktion diskus (Hg.), Die freundliche Zivilgesellschaft, a.a.O.

Müller, Jost 1992: Agonie ohne Ende, in: Redaktion diskus (Hg.), Die freundliche Zivilgesellschaft, a.a.O.

Müller, Jost 1994: Faschismus und Demokratie. In: Die Beute, Nr.2

Rabinow, Paul 1992: Artificiality and Enlightenment: From Sociobiology to Biosociality. In: Jonathan Crary/Saynford Kwinter (Hg.), Incorporations, New York

Schwarzer, Alice 1983: So fing es an! Die neue Frauenbewegung, München

Wallerstein, Immanuel 1990: Ideologische Spannungsverhältnisse im Kapitalismus: Universalismus vs. Sexismus und Rassismus. In: Etienne Balibar/Immanuel Wallerstein: Rasse Klasse Nation, a.a.O.

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Edition ID-Archiv Eichhorn/ Grimm (Hg.) Gender Killer Texte zu Feminismus und Politik
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