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Abschiebehaft in Sachsen Broschüre

Leipziger Volkszeitung, 4.11.1997

"Wir tun was für die Menschenwürde"

Leipzigs Flüchtlingsrat kümmert sich um abgelehnte Asylbewerber, die in Abschiebehaft sitzen

"Ich bin nicht wegen des Geldes hier", beteuert Abdulah Güzelses aus Kurdistan. Das sagt fast jeder Asylbewerber und glaubt fast kein Deutscher. Auch Abdulahs Antrag wurde abgelehnt. Jetzt sitzt er in Abschiebehaft, ohne rosige Zukunft und ohne Besuch - mit einer Ausnahme: Eine Gruppe des Leipziger Flüchtlingsrates betreut ihn und die anderen Abschiebehäftlinge.

Montag, 13 Uhr, das übliche Ritual: Taschen wegschließen, Personalausweise abgeben, Besucherausweise anheften, Sicherheitstüren passieren. Ein halbes Dutzend Leipziger betritt die Justizvollzugsanstalt (JVA) - freiwillig. Auch heute besuchen die Ehrenamtlichen wieder Menschen, die sie nicht kennen und kaum verstehen: abgelehnte Asylbewerber aus aller Herren Länder. Auf ihr Engagement würden viele Mitmenschen oft mit Unverständnis reagieren, so die Leute vom Flüchtlingsrat. "Dabei tun wir doch was für die Menschenwürde", sagt Peter Rauschenberg. Viel sei es nicht, was sie machen können. Die Ausländer, die sie besuchen, werden nicht mehr lange in Deutschland sein. Nicht, daß sie wegen einer Straftat verhaftet wurden, aber ihrem Asylantrag wurde nicht entsprochen. Sie werden verdächtigt, sich der Abschiebung (siehe Stichwort) entziehen zu wollen.
Abdulah Güzelses darf sich fast gar keine Hoffnungen mehr machen. Dem Kurden, der von Verfolgung und Folter in der Türkei berichtet, wurde nicht einmal ein medizinisches Gutachten über die Folterspuren zugestanden. Jetzt sitzt der 28jährige mit Peter Rauschenberg zusammen, freut sich

Grundlage ist das Ausländergesetz

Im Ausländergesetz werden zwei Haftarten unterschieden, die Vorbereitungs- und die Sicherungshaft. Beide werden nicht wegen einer Straftat verhängt.
Zur Vorbereitungshaft heißt es in Paragraph 57: "Ein Ausländer ist zur Vorbereitung der Ausweisung ... in Haft zu nehmen, wenn über die Ausweisung nicht sofort entschieden werden kann und die Ausweisung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde."
Zur Sicherung der Ausweisung wird ein Ausländer inhaftiert, wenn er unerlaubt eingereist, untergetaucht ist, beim angekündigten Abschiebetermin nicht angetroffen wurde, sich der Abschiebung sonstwie entzogen hat oder "der begründete Verdacht besteht, daß er sich der Abschiebung entziehen will".
Die Dauer der Vorbereitungshaft soll sechs Wochen nicht überschreiten, die Sicherungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Sie kann aber um zwölf Monate verlängert werden.
In der Justizvollzugsanstalt Leipzig sitzen im Durchschnitt 13 Ausländer in Abschiebehaft.
sichtlich über die Abwechslung vom Anstaltsalltag, ist aber nach wenigen Minuten den Tränen nahe. "Ich würde den deutschen Staat doch keinen Pfennig kosten", versichert er auf türkisch. Seine Familie sei wohlhabend, seine Frau schicke ihm regelmäßig Geld. Warum man ihn zurück in die Türkei schicken wolle, versteht er nicht. "Überall würde ich hingehen, sogar nach Afrika, nur bitte nicht in die Türkei", sagt er ängstlich. Seine Worte werden von Christiane Ebert übersetzt. "Ich habe eine türkische Freundin und kann die Sprache daher einigermaßen", erzählt die Leipzigerin. Ohne eigene Übersetzer wäre der Flüchtlingsrat aufgeschmissen. "Denn Dolmetscher werden von der JVA aus Kostengründen nur einmal im Vierteljahr hinzugezogen", sagt Peter Rauschenberg. Die wichtigste Aufgabe für die Leipziger besteht daher auch darin, den Häftlingen beim Lesen von Gerichtsschreiben und beim Ausfüllen von Anträgen zu helfen. Die Amtssprache ist schließlich deutsch - da wird für Abschiebehäftlinge keine Ausnahme gemacht.
"Und um kompetent helfen zu können, haben wir sogar juristische Lehrgänge besucht", erzählt Marianne Kurek vom Flüchtlingsrat. Zugleich betont sie: "Wir dürfen nicht die gleichen Aufgaben wahrnehmen wie ein Rechtsanwalt." Also kümmern sie sich vor allem um den Alltag der Häftlinge. Wer im Besucherraum der JVA sitzt, ahnt, daß dieser Alltag nicht leicht sein dürfte. Der Raum ist dunkel, lediglich zwei alte Leuchtstoffröhren sorgen für etwas Licht, die Vorhänge waren einmal weiß, der karge Tisch ist es noch. Draußen im Gang klimpern Schlüssel und schlagen Türen. Vom Hof her dröhnt ein Preßlufthammer. Bedrückender dürfte es auch in der Zelle kaum sein.
Peter Rauschenberg erklärt, was es heißt, den Alltag zu erleichtern: " Wir holen persönliche Sachen der Häftlinge, stellen Kontakte zu Bekannten und Verwandten her und versuchen, die Anstaltsleitung zu einer Verbesserung der Haftbedingungen zu veranlassen." Diesmal kann Rauschenberg einem anderen Häftling konkret helfen: Er berät einen Mazedonier beim Ausfüllen eines ganz besonderen Antrags. Der junge Mann aus Ex-Jugoslawien möchte ein Aufgebot bestellen. Er wird seine deutsche Freundin heiraten - und das Gefängnis wohl wieder von außen sehen können.

Carsten Heckmann

Anhang II Seite 61
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