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 off limits, Nr. 13, April/Mai 1996 
Abschiebehaft in Sachsen
"Soziale Wärme" und mehr Haftplätze 
In Sachsen sitzen in den verschiedenen JVA's (Bautzen, Chemnitz,  Dresden, Görlitz, Leipzig, Plauen, Stollberg, Torgau, Waldheim,  Zeithain, Zwickau) sowie im Justizvollzugskrankenhaus Meusdorf  ca. 100 Abschiebehäftlinge ein. Es gibt keine Verordnung  des Landes Sachsens, die die Abschiebehaft regelt. Einzige Grundlage  für die Anordnung der Abschiebehaft sind der §57 AuslG  und die Willkür von Ausländerbehörde und Amtsgerichten;  der Vollzug der Abschiebehaft richtet sich nach Gutdünken  der Anstaltsleiter. 1993 wurden 1.036 Flüchtlinge aus der  Abschiebehaft heraus abgeschoben. Die durchschnittliche Haftdauer  liegt in Leipzig bei ca. 3 Monaten. In anderen sächsischen  Anstalten soll die durchschnittliche Haftdauer ähnlich hoch  sein.     
Kinder, die abgeschoben werden sollen, können in Sachsen  ab dem 14. Lebensjahr inhaftiert werden. Bei Familien gibt es  die Möglichkeit, alle Mitglieder getrennt zu inhaftieren:  Mutter - Frauenknast Stollberg, Vater - irgendwo, Kind unter 14  Jahre - Heim, über 14 Jahre - Jugendknast Zeithain. Jedoch  wird nach Angaben des sächsischen Innenministeriums meist  "nur" gegen den Familienvater Abschiebehaft angeordnet,  er wird sozusagen als Geisel für die gesamte Familie genommen.  Getrennte Abschiebungen von einzelnen Familienmitgliedern sind  - darauf weist das sächsische Innenminsiterium im Schreiben  vom 19.8.1993 ausdrücklich hin - auch möglich, falls  ein Familienmitglied, z.B. wegen Krankheit, nicht abgeschoben  werden kann. Knapp 10% der Abschiebehäftlinge sind Frauen  (1993).  
Anordnung der Haft   
Einerseits schaffen es die Ausländerbehörden gar nicht,  für alle abzuschiebenden AusländerInnen Haftanträge  zu stellen und zu begründen, auch wenn einer der Haftgründe  zutrifft. Andererseits sind die Haftanträge oft unhaltbar,  was die Amtsgerichte aber nicht daran hindert, trotzdem die Haft  zu verhängen. Zum Teil werden die Ausländerbehörden  von der Polizei entlastet: Mit einem Schreiben vom 19.8.1993 teilt  das sächsische Innenministerium mit, daß die Polizei  die Aufgaben der Ausländerbehörden übernehmen soll,  "wenn die örtliche Ausländerbehörde nicht  oder nicht rechtzeitig erreicht werden kann [...] insbesondere  außerhalb der regulären Dienstzeit und an arbeitsfreien  Tagen" und grundsätzlich, wenn es sich um eine Zurückschiebung  (bis zu 6 Monaten nach der "illegalen" Einreise) handelt  bzw. wenn ein/e AusländerIn abgeschoben werden soll, von  der/dem es keine Akte bei der Ausländerbehörde gibt.  Dies ist zwar nicht rechtmäßig oder zumindest umstritten,  aber trotzdem gängige Praxis in Sachsen. Besonders in den  Haftanstalten an der Grenze zu Polen und der Tschechischen Republik  sitzen viele Abschiebehäftlinge, mit denen die Ausländerbehörden  überhaupt nichts zu tun haben. Vom Aufgriff, über den  Haftantrag und der Vorbereitung der Abschiebung bis hin zur Abschiebung  selbst führt der BGS alles in Eigenregie durch.     
Das geht soweit, daß der BGS, wenn die JVA voll oder ein  Haftbeschluß nicht zu erwirken ist, Flüchtlinge auf  eigene Faust drei bis vier Tage ohne gesetzliche Grundlage gefangenhält,  um sie dann zurückzuschieben. Dies ist zwar vollends illegal,
 
Abschiebungen aus Sachsen - die Wachstumsbranche:
1990: 0
1991: 5
1992: 178
1993: 2019 
Durchschnittliche Anzahl der Abschiebehäftlinge in Sachsen:
1991: 15
1992: 35
1993: 89
1994: 98
 
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geschieht aber mit Rückendeckung des sächsischen Innenminsteriums,  welches angeordnet hat, daß die Polizei sich bei einer Freiheitsentziehung  von abzuschiebenden AusländerInnen nicht um eine richterliche  Entscheidung zu kümmern hat, wenn diese Maßnahme endet  "bevor eine richterliche Entscheidung voraussichtlich getroffen  werden könnte [...] Denn andernfalls würde der Gewahrsam  verlängert und der Zweck, die Abschiebung [...], in Frage  gestellt." (19.8.1993)    
Manchmal muß ein Abschiebehäftling, der einen beachtlichen  Asylerst- oder -folgeantrag stellt, vergeblich auf seine Entlassung  warten. Aber dann, Wochen nach der Ablehnung, kommt er plötzlich  frei. Des Rätsel Lösung ist, daß die Ausländerbehörden  eine Weile brauchen, bis sie kapieren, daß jemand einen  Asylantrag gestellt hat, daß es aber genauso lange dauert,  bis sie von der Ablehnung erfahren. In einigen Fällen ist  es allen Beteiligten, sogar den AnwältInnen unklar, warum  jemand entlassen (oder nicht entlassen) wird. Auch kommt es vor,  daß Abschiebehäftlinge ohne Papiere entlassen werden  und von der Ausländerbehörde gesagt bekommen, dies sei  in Ordnung. Nach der nächsten Polizeikontrolle wird dann  wieder Abschiebehaft angeordnet. Das kann sich sogar mehrmals  wiederholen. Eine andere, übliche Praxis der Ausländerbehörde  ist das handschriftliche Einklagen der Amtshilfe des Bundesamtes  per Fax : "Abschiebung für die nächste Woche  geplant, bitten deshalb um schnelle Behandlung des Asylfolgeantrages"  - was dann auch geschieht. Sowieso hört die Gemütlichkeit  bei Asylfolgeanträgen, der Weigerung, Paßantragsformulare  zu unterschreiben, oder Anzeigen gegen BeamtInnen auf. Da hilft  dann z.B. der Trick, so zu tun, als ob die Unterschrift unter  einem Paßantragsformular notwendig für die Durchführung  des Asylverfahrens sei. Selbst lassen sich die Behörden viel  Zeit, um entsprechende Papiere zu beschaffen. Auch bei ausländischen  U- oder Strafhäftlingen kümmert sich die Ausländerbehörde  oder der BGS erst um Ausreisepapiere, wenn sie in Abschiebehaft  sitzen. Diese wird in derartigen Fällen oft schon als Überhaft  angeordnet: pauschal für einige Monate, ohne daß das  Ende der Straf- oder U-Haft feststehen würde. Die Übergänge  von U-, Straf- und Abschiebehaft sind sowieso fließend.  Viele Häftlinge, die sowohl einen Abschiebehaftbefehl als  auch einen U- oder Strafhaftbefehl haben, wissen überhaupt  nicht, was sie gerade absitzen müssen. Außerdem ist  manchmal zu vermuten, daß U-Haft aus taktischen Gründen  angeordnet wird: Die Haftzeit ist abgelaufen, die Abschiebung  war nicht möglich und die Verlängerung der Abschiebehaft  ist ungesichert, also stellt die Ausländerbehörde oder  Polizei kurzerhand Strafanzeige wegen illegaler Einreise, Schwarzarbeit  u.ä. und plötzlich ist wieder Zeit gewonnen für  die Vorbereitung der Abschiebung. Sobald die Abschiebung möglich  ist, zieht die Behörde den Strafantrag zurück, nach  einigen Tagen Abschiebehaft folgt dann die Abschiebung.      
Im allgemeinen läßt sich sagen, daß im CDU-regierten  Sachsen die Gesetze immer etwas strenger ausgelegt werden als  anderswo und daß die lokalen Behörden geneigt sind,  selbst die offizielle Auslegung noch zu übertreffen. Die  Amtsgerichte verhängen deshalb meist umstandslos die Abschiebehaft  und Haftbeschwerden sind ziemlich aussichtslos. 
Haftbedingungen       
Was für alle Häftlinge in Sachsen gilt, trifft Abschiebehäftlinge  besonders hart: Bis Anfang 1995 hat Sachsen 15 Mio DM ausgegeben,  um die Sicherheit der Anstalten mit neuen Stacheldrahtzäunen,  Gittern und Mauern zu verbessern. Für mehr SozialarbeiterInnen  und eine bessere medizinische und psychologische Betreuung ist  jedoch kein Geld übrig. Die Freizeitmöglichkeiten sind  beschränkt, Arbeit für Abschiebehäftlinge gibt  es in den seltensten Fällen. In vielen Anstalten, z.B. in  Leipzig und Waldheim, sind die Abschiebehäftlinge in den  schlechtesten Trakten aus alten DDR-Zeiten untergebracht. Die  neu renovierten Zellen werden ihnen vorenthalten, da sie ja nur  kurze Zeit in Haft wären und nicht so pflegsam mit der Inneneinrichtung  umgehen würden - so das offizielle Argument.      
Abschiebehäftlinge werden in Sachsen vor allem in den strengen  U-Haftanstalten und weniger in den Strafhaftanstalten untergebracht.Das  bedeutet nur eine Stunde überwachter Besuch im Monat, keine  Telefonate, drei Pakete im Jahr, Kontrolle aller abgegebenen Gegenstände,  zwei Stunden Umschluß und eine Stunde Hofgang pro Tag usw.  Obwohl es bei ihnen keine Straftaten aufzuklären gibt, werden  Hafterleichterungen mit der Begründung der anstaltsinternen  Arbeitsökonomie und -gerechtigkeit sowie des Geldmangels  verweigert. Dabei wäre es ohne (rechtliche) Probleme möglich,  für Abschiebehäftlinge andere Haftbedingungen zu schaffen.  Dies liegt in der Entscheidungsgewalt der Anstaltsleiter und müßte  nur von den BeamtInnen umgesetzt werden.      
In Sachsen hatten sich die Sozialämter mehr als 2 Jahre lang  geweigert, für mittellose Abschiebehäftlinge ein Taschengeld  von 80 DM gemäß Asylbewerberleistungsgesetz zu zahlen.  Über ein Jahr nach Verabschiedung des AsylbLG bemüßigte  sich das sächsische Innenministerium, den Ausländerbehörden  mitzuteilen, daß Abschiebehäftlinge ein Anspruch auf  80 DM Taschengeld haben und daß die "Ausländerbehörden  im Zuständigkeitsbereich der Justizvollzugsanstalt"  für die Auszahlung zuständig sind (Schreiben vom 19.10.1994).  Die Ausländerbehörden leugneten weiterhin wahlweise  den Anspruch oder ihre Zuständigkeit - und als das nichts  mehr half, stritten sie sich ein Jahr lang mit dem Sozialamt und  der JVA über die Zahlungsmodalitäten. Für ausländische  U-Häftlinge gilt weiterhin, daß sie - zumindest in  Leipzig - keinen Pfennig vom Sozialamt erhalten. Das Sozialamt  Leipzig argumentierte damals, daß alle Abschiebehäftlinge  ja StraftäterInnen seien und im Knast doch für "Unterbringung,  Verpflegung und Hygiene" gesorgt sei. Inzwischen sagen sie,  daß 80 DM nach AsylVfG für ausländische U-Häftlinge  ungerecht wären, da deutsche Gefangene nur 49 DM erhalten.  Also zahlen sie lieber gar nichts.      
Da Abschiebehäftlinge oft von der Straße weg verhaftet  werden oder ihnen bei der Verhaftung zu Hause keine Zeit bleibt,  ihre Sachen mitzunehmen, kommen sie meist mit nichts als ihren  Kleidern am Leib in das Gefängnis. Selbst wenn sie in Besitz  von Geld sein sollten, wird dies (bis zu einer Pfändungsgrenze  von 300 DM) beschlagnahmt, um damit ihre Abschiebung zu finanzieren;  Flüchtlingen, die zurückgeschoben werden sollen, wird  sogar alles bis zu 50 DM abgenommen, auch Wertgegenstände  wie Schmuck.      
  Mittlerweile hat das sächsische Justizministerium den Rahmen  der Amtshilfe quantitativ beschränkt. Aufgrund der Überbelegung  der JVA's dürfen (schätzungsweise) maximal 100 Abschiebehäftlingen  untergebracht werden. Deshalb befindet sich zur Zeit eine Abschiebehaftanstalt  im Bau oder in der Planung. Genauere Informationen dazu sind nicht  bekannt, es gibt jedoch die Vermutung, daß der sich auf  dem Gelände des Justizvollzugskrankenhaus Meusdorf (bei Leipzig)  im Bau befindliche Knast (400 Plätze) als Abschiebeknast  genutzt werden soll. Der Justizminister Steffen Heitmann begründet  den steigenden Bedarf folgendermaßen: "Im Hinblick  auf [...] die Grenzlage zu Mittelosteuropa ist davon auszugehen,  daß mittelfristig 4.200 Haftplätze zur Verfügung  stehen müssen."  
Widerstand und Sozialarbeit        
Es gibt in Sachsen kaum Gruppen, die entweder auf der politischen  Ebene, durch Aktionen, Demonstrationen, Anfragen oder Öffentlichkeitsarbeit,  oder auf der individuellen, wie Beratung und Betreuung von Abschiebehäftlingen  oder durch vorbeugende Hilfe gegen drohende Abschiebehaft (Verstecken,  Kirchenasyl u.ä.) aktiv gegen Abschiebehaft arbeiten. Während  die etablierten Flüchtlingsberatungsprojekte aufgrund von  AB-Maßnahmen und dem Glauben, mit allen Behörden reden  und verhandeln zu können, und der fehlenden Erfahrung oft  lieber multikulturelle Feste veranstalten oder nur Flüchtlinge  mit legalem Aufenthaltstatus beraten (mal ganz abgesehen von denen,  die eigene Heime betreiben), hat sich die linke Szene bisher fast  gar nicht mit diesem Thema auseinandergesetzt und dazu Stellung  bezogen. Zwar gibt es in einigen Städten Gruppen, die Abschiebehäftlinge  besuchen dürfen, so z.B. in Leipzig die Abschiebehaftgruppe  des Flüchtlingsrates (seit Ende 1995), in Zwickau eine Straffälligenhilfe  und in Görlitz eine kirchliche Einrichtung. Eine Vernetzung  und Zusammenarbeit dieser Gruppen gibt es bislang nicht. Die Besuche  werden in der Regel nicht überwacht und gehen nicht von der  Besuchszeit ab. Die ehrenamtlichen BetreuerInnen müssen sich  einer Kontrolle durch das Justizministeriums unterziehen. In Leipzig  hat die Zulassung über ein halbes Jahr gedauert. Prinzipiell  sind die meisten Haftanstalten jedoch an den unbezahlten BetreuerInnen interessiert, da sie die  vorgeschriebene, aber nicht stattfindende Beratung der Ausländerbehörde  ersetzen, durch kleine Geschenke und "soziale Wärme"  die Abschiebehäftlinge bei Laune halten, für Ruhe im  Knast sorgen, die festangestellten SozialarbeiterInnen entlasten  und somit der Kritik an den Abschiebeknästen die Spitze nehmen,  sofern es überhaupt eine Kritik gibt. In Sachsen passiert  in dieser Hinsicht wenig. Immerhin ermöglichen die Besuche,  daß ein paar Information nach außen dringen und die  Gesetze (bezüglich Abschiebung und Haftbedingungen) einigermaßen  eingehalten werden. Zwar ist es für eine Flüchtlingsgruppe  keine ehrenwerte Tätigkeit, die rassistischen Gesetze durchzusetzen,  aber die Willkür der Behörden kann in einigen Fällen  eingeschränkt werden.     
Die Anstaltsleitungen und zuständigen Behörden sitzen  jedoch am längeren Hebel und können jede Form der Betreuungsarbeit,  die nicht genehm ist, verhindern. Der Abschiebehaftgruppe Leipzig  wird z.B. Schritt für Schritt die Arbeitsmöglichkeiten  verschlechtert, durch Einschränkung der Besuchszeiten, der  DolmetscherInnenmitnahme, der Übergabe von Gegenständen  u.ä.. Oder den MitarbeiterInnen wird seitens der Zentralen  Ausländerbehörde Chemnitz mit Strafverfahren wegen §92a  AuslG (Einschleusen von Ausländern), §84 AsylVfg (Verleitung zur mißbräuchlichen Asylantragstellung) und  dem Rechtsberatungsgesetz gedroht. Der Leiter der Zentralen Ausländerbehörde  geht sogar so weit, Leute unter ihrer Privatnummer anzurufen,  um sie über Rechtsfragen zu belehren und zur Zusammenarbeit  (!) zu überreden. Ein Ausschlußverfahren für einen  Bevollmächtigten vor Gericht ist inzwischen beim Verwaltungsgericht  Leipzig anhängig.     
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß es kaum  zu größeren Protesten von Abschiebegefangenen kommt.  Und selbst wenn, erfährt es niemand. Ereignisse, wie Mitte  Oktober 1994, als 55 Abschiebe- und ausländische U-Häftlinge  in der JVA Leipzig "randalierten" oder wie im Mai 1994,  als ein Algerier seine Zelle in Brand setzte und später an  den Folgen starb, erreichen mit Mühe und Not die Lokalpresse,  von den sicherlich häufigen (und meist nur individuellen)  Hungerstreiks, Zerstörungen der Zelleneinrichtung, "unkooperativen  Verhaltensweisen", Selbstverletzungen und Selbstmordversuchen  könnten nur die Betroffenen berichten, die abgeschoben werden,  und die BeamtInnen, die beharrlich schweigen.     
Gekürzte Fassung des Artikels der antirassistischen Gruppe  (Leipzig) mit Dank an die Abschiebehaftgruppe Leipzig (c/o Flüchtlingsrat,  Karl-Heine-Str. 110, 04229 Leipzig, Tel & Fax: 0341-4797522)
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