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Abschiebehaft in Sachsen Broschüre

Flucht & Asyl, Nr. 4, Mai 1996

Vorauseilender Gehorsam?

Flüchtlinge trotz erstem Asylantrag weiter in Abschiebehaft
Vier irakische Kurden beinahe abgeschoben

Zahlreiche Flüchtlinge, die in sächsischen Gefängnissen in Abschiebehaft sitzen, werden auch dann nicht entlassen, wenn sie ihren ersten Asylantrag stellen - ohwohl die Behörden dem Gesetz nach dazu verpflichtet wären. Der Abschiebehaftgruppe des Flüchtlingsrates Leipzig sind 12 Fälle namentlich bekannt, in denen so verfahren wurde, Vor allem Kurden aus dem Irak, aber auch ein türkischer Kurde und ein Algerier blieben Wochen oder gar Monate inhaftiert, in einem Fall wurde der Betroffene bis zur Ablehnung seines Asylantrags nicht entlassen. Vier irakische Kurden wurden erst nach Intervention des Flüchtlingsrates und des Sächsischen Ausländerbeauftragten bei den zuständigen Behörden freigelassen.
Es scheint, als ob die Behörden eine Gesetzesvorlage, die im Dezember 1995 in den Bundestag eingebracht wurde, in vorauseilendem Gehorsam schon jetzt umsetzen würden. Sie sieht vor, Abschiebehäftlinge erst vier Wochen nach der ersten AsylantragsteIIung zu entlassen. wenn ihr Antrag bis dahin nicht abgelehnt wurde. Die Entrechtung, die dieses Gesetz mit sich brächte (u.a. indem es den Zugang zu Beratung und Anwälten erschwert), scheint für zahlreiche Flüchtlinge schon Realität zu sein.
Die Voraussetzung für die Inhaftierung ist die Drittstaatenregelung, aufgrund derer Flüchtlinge, die in Grenznähe vom Bundesgrenzschutz (BGS) aufgegriffen werden, umgehend in den sogenannten sicheren Drittstaat zurückgeschoben werden können. Dies bedarf jedoch der Zustimmung des jeweiligen Staates. Kann aber beispielsweise Polen oder Tschechien nicht ausreichend nachgewiesen werden, daß Flüchtlinge über ihr Territorium nach Deutschland kamen, können sie die Rücknahme verweigem. In diesen Fällen muß der Flüchtling, wenn er einen Asylantrag stellt, dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) zugeführt werden. Statt dessen beantragt der BGS nach Aussagen von Flüchtlingen manchmal bei einem Amtsgericht die Anordnung der Abschiebehaft - offenbar mit dem Ziel, die Flüchtlinge dazu zu bewegen, ihren Reiseweg mitzuteilen. In der Regel gibt das Amtsgericht diesen Anträgen statt; der Flüchtling wird inhaftiert. Stellt er nun einen neuen Asylantrag, muß dieser von Polizei, Ausländerbehörden oder anderen Behörden unverzüglich an die Zentrale des BAFI in Nürnberg weitergeleitet werden. Dies geschieht in Sachsen bei den uns bekannten Fällen nur sehr zögerlich, und in einem Fall war der Asylantrag nicht mehr auffindbar. Das Bundesamt muß vom Eingang des Antrags dann unverzüglich die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) in Chemnitz unterrichten, die ihrerseits beim Amtsgericht die Aufhebung des Haftbeschlusses beantragen muß. Dieser Dienstweg scheint aber vielfach nicht zu funktionieren.

Zusammengefaßt bedeutet das:

  • Der BGS ignoriert manchmal die mündlich gestellten Asylanträge.
  • Gegen die FIüchtlinge wird Abschiebehaft verhängt.
  • Die Registrierung von in Haft gestellten Asylanträgen verzögert sich unnötig.
  • Die Bearbeitung des Asylantrags führt nicht immer zur Haftentlassung.
  • In Einzelfällen dauert die Haft sogar bis zur Entscheidung über den Antrag.
Besonders skandalös ist diese Praxis auch vor dem Hintergrund, daß die angeblich sicheren Drittstaaten Polen und Tschechien es den Flüchtlingen vielfach nicht erlauben, ein Asylverfahren zu betreiben, und sie in Nachbar- bzw. die Herkunftsländer abschieben. Erst im März 1996 hat das Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder die Zurückschiebungung eines libanesischen Asylbewerbers in die Tschechische Republik ausgesetzt, weil es eine "Kettenabschiebung" nicht ausschließen konnte. Noch empörender ist, daß gerade irakische Kurden, die in den meisten Fällen als politisch Verfolgte anerkannt werden, in Abschiebehaft genommen werden, obwohl keine Abschiebung möglich ist.
Nachdem der Flüchtlingsrat Leipzig diese Praxis in einer Pressemitteihng veröffentlicht hatte, wurde er vom BGS gebeten, Einzelheiten zu den Fällen zu veröffentlichen. Wir haben mit einem Brief geantwortet und hoffen, daß es zu einer Änderung dieser Vorgehensweise kommt.
Anhang I Seite 33
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