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Abschiebehaft in Sachsen Ausstellung und Broschüre

Einzelne Fälle

Abschiebehaft nach schwerem Baustellenunfall:
Warum Sascha die Folgen einer eventuellen Invalidität allein tragen muß

Sascha kommt aus der Ukraine. Er ist verheiratet und lebt ca. 500 km entfernt von Kiew in einem Dorf. Er ist früher Musiker bei der sowjetischen Armee gewesen. Nach der Perestrojka wurde er arbeitslos und hatte keine Chance auf einen neuen Job. Er hörte, daß man in Deutschland durch Arbeit Geld verdienen kann und fand Leute, die ihm halfen, nach Deutschland zu kommen. Hier fing er dann an, auf einer Baustelle für einen minimalen Lohn ohne Arbeitserlaubnis zu arbeiten.
Er verunglückte auf der Baustelle und brach sich sein Becken und ein Bein. Er wurde bewußtlos in die Uniklinik gebracht und dort operiert. Bald kam er aufgrund eines Abschiebehaftantrages der Ausländerbehörde in das Justizvollzugskrankenhaus, wo er mehrfach von uns besucht werden konnte.
Nach einigen Wochen wurde er abgeschoben. Die langfristigen gesundheitlichen Folgen des Unfalls wird er allein zu tragen haben.

Eine Gesetzesverschärfung und ihre rechtswidrige Handhabung:
4 Wochen können auch mehr als 4 Wochen sein

Seit 01.11.97 kann Abschiebehaft auch verhängt oder aufrechterhalten werden, wenn jemand einen Asylerstantrag stellt.

"[...]anwaltlichen Beistands versichert. Die Abschiebungshaft endet mit der Zustellung der Entscheidung des Bundesamts, spätestens jedoch vier Wochen nech Eingang des Asylantrages beim Bundesamt, es sei denn, der Asysantrag wurde als unbeachtlich oder offensichtilich unbegründet abgelehnt."
Auszug aus dem neuen § 14 (4) AyslVfG

Iwan stellte seinen Antrag im November 97. Auch vier Wochen später hatte er noch keine Antwort bekommen. Die Ausländerbehörde nahm trotzdem den Haftbeschluß nicht zurück. Begründung: das Bundesamt wolle den Antrag als „offensichtlich unbegründet“ ablehnen. Daher würde die 4-Wochen-Frist nicht gelten.
§ 14 (4) AsylVfG legt fest, daß bei einem Asylerstantrag jemand nur dann in Haft bleiben darf, wenn innerhalb von vier Wochen der Antrag als „unbeachtlich“ oder „offensichtlich unbegründet“ beschieden wird.
Nach einer Beschwerde beim zuständigen Richter, telefonierte dieser mit der Ausländerbehörde: Sie hob daraufhin „freiwillig“ ihren Abschiebehaftantrag am gleichen Tag auf.

Die schlagkräftigen Argumente des BGS

„Gegen 12.00 Uhr wurde ich von 3 oder 4 BGS-Beamten aus der Zelle geholt, um zum Flugzeug gebracht zu werden. Ich sagte Ihnen, daß ich nicht nach Algerien will. Ich sollte ins Flugzeug steigen. Ich hatte Angst und sagte ihnen eindringlicher, daß ich unter keinen Umständen nach Algerien zurückkehren will. Nun kamen 4 Beamte. Einer nahm mich in den Würgegriff. Ich bekam keine Luft mehr und wurde ohnmächtig. Im Auto kam ich wieder zu mir. An Händen und Füßen gefesselt brachte man mich wieder in meine Zelle. Ein Beamter kam und sagte: ’Fliegst Du nicht nach Algerien, fliegst Du nach Bulgarien.’ Aus Angst habe ich mir mit einem Rasiermesser Verletzungen am Bauch zugefügt. Ich wurde medizinisch behandelt, bekam auch zwei Beruhigungsspritzen. Anschließend brachte man mich, noch immer gefesselt, wieder in die Zelle. Gegen 18.00 oder auch 19.00 Uhr, ich habe keine Uhr, kamen 2 Beamte in meine Zelle. Keiner hat etwas gesagt. Ich habe gefesselt auf der Bank gesessen. Sie finden einen Brief meiner Freundin und lesen ihn auch. Einer sagt: ‘Willst Du heiraten hier? Heirate in Algerien, aber nicht hier in Deutschland!’ Dann hat er mir mit der Faust gegen den Kopf geschlagen und mit den Füßen gegen das Brustbein getreten. Anschließend sind sie gegangen. Ich habe nicht verstanden, warum ich geschlagen wurde. Ich habe nur geweint. Noch heute habe ich Schmerzen, aber der Arzt in der JVA sagt, es sei nicht sein Problem.”
Die Abschiebung ist gescheitert. Gegen Aziz wurde der Abschiebehaftantrag verlängert. Er wurde wieder zurück in die JVA gebracht. Gegen die Vorgehensweise bei dieser Abschiebung wurde bei der Staatsanwaltschaft Leipzig Strafanzeige gegen die BGS-Beamten ertstattet. Das Ergebnis der Ermittlungen ist uns nicht bekannt. Erst Ende vergangenen Jahres kritisierte der UN-Menschenrechtsausschuß das Fehlen „eines wirklich unabhängigen Mechanismus zur Untersuchung derartiger Beschwerden“. Doch die Bundesregierung wies die UN-Empfehlung, unabhängige Gremien zur Untersuchung von Mißhandlungsbeschwerden einzurichten, zurück. Zahlreiche Verfahren gegen BGS-Beamte wurden eingeleitet, fast alle wegen Körperverletzung im Amt. Die meisten wurden allerdings eingestellt.

Dringende ärztliche Hilfe muß erst beantragt werden

“Samstag nacht klingelte ich nach einem Beamten, da ich starke Bauchschmerzen hatte. Ich brauchte ärztliche Hilfe. Er sagte zu mir, ich solle bis zum nächsten Morgen warten. Jetzt könne er auch nichts tun. Ich quälte mich bis zum nächsten Morgen mit den Schmerzen. Ich bekam zu hören, daß heute Sonntag sei und erst am nächsten Tag wieder ein Arzt im Hause sei. Meine Schmerzen ließen nach wie vor nicht nach. Ich wartete auf Montag. Am Montag hieß es schließlich, ich müsse erst einen Antrag stellen und im übrigen käme ich heute sowieso nicht dran, da zu viele Leute zum Arzt wollten.”
Am Dienstag schließlich wurde Adem behandelt. Ihm wurde ärztlich attestiert, daß er an Nierensteinen leidet.
Tafel 10 Seite 20,21
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