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Sat Dec 25 20:03:31 1999
 

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Platzhirsche, Plena, Plattitüden

aus Interim Nr. 483 - 9.9.99 (Abschrift):

Es war tatsächlich eigentlich gar nicht mal so schlimm. Selbst die Plena liefen vergleichsweise zivil ab, wenn auch wieder die üblichen Platzhirsche jenes dominante Redeverhalten zur Schau trugen, welches seit eben jenen zehn bis fuffzehn Jahren zurecht kritisiert wird, in denen genau dieselben Platzhirsche ihre Ratschlüsse herrlich verkünden. Denn seit der "Bewegungszeit", wie eine Resümierende aus Berlin sich nicht entblödet die "autonomen" 80er Jahre zu bezeichnen, reden sie immer denselben krausen Kram, der schon zu Beginn dieser "Epoche" wenig Anregendes hatte. Inzwischen fehlt dem Geschwafel aber die Bewegung und das ganze klingt nochmal hohler als damals. Egal, es ist eine Handvoll Leute, beileibe nicht nur Männer, die die etwas ausufernden Gesprächsrunden mit um die 300 Leuten mit ihren Suaden, ihrer Lautstärke und ihrer Impertinenz bestimmten. Namen müssen wohl nicht genannt werden, wer da war - und sei's auch nur einen Abend -, weiß, wer gemeint ist, Kenner der Berliner Szene könnten es auch raten, ohne dort gewesen zu sein.
Ja, die BerlinerInnen, die vom Zeltplatzkomitee: Alle reiten auf ihrem Slogan "Keine Grenze ist für immer" herum, das ist auch sicher notwendig, aber die ein bißchen kommt es schon auch auf die Form an, damit die Kritik solidarisch genannt werden kann. Dieser Gestus des ertappenden Kontrolleurs der herrschenden Gesinnung, wie ihn Tjark Kunstreich in der Konkret zelebriert, ist ekelhaft und nichts weniger als denunziatorisch. Klar, ist der Slogan Scheiße, darüber waren sich alle einig, selbst diejenigen, die ihn auf Plakate drucken ließen. Es gab auf einem Plenum einen ziemlich schönen kritischen Beitrag zu dem Slogan, der hoffentlich auch im Campreader nochmal zu lesen sein wird.
Einer der (oder DER) "Wortführer" (gute Umschreibung für den Betreffenden) der BerlinerInnen gestand ein, daß der Zeitdruck ein konzentriertes Nachdenken über den Slogan verhindert habe, kann passieren. Schade nur, daß er dann noch gleich anschließend zu einem völlig blindwütigen Gegenangriff ausfiel, der die KritikerInnen des Slogans des Wunsches zieh, sie wollten endlich mit ihrer pingeligen Quengelei "den guten, sauberen Linken" entwickeln und finden. Darum war es nicht gegangen, und wieder bügelte der Redner rhetorisch alles nieder, verbrauchte Zeit und Atemluft der Anwesenden, und provozierte um des Provozierens Willen, was irgendwann ganz gewaltig auf den Zeiger derjenigen geht, die den verquasten Mist schon tausend mal gehört haben und auf Kosten derer, die sich vielleicht nicht so ohne weiteres trauen, vor einem derart großen Plenum und seinen eloquenten EinpeitscherInnen zu sprechen. Dies ist kein Plädoyer für einen Maulkorberlaß wider Altautonome mit oraler Schließmuskelschwäche, sondern ein Aufruf zur Rücksichtnahme und Redezeitbegrenzung.
In einem Papier heißt es, es habe sich gezeigt, daß es lohnend war, wieder gemeinsam und als gemischter großer Zusammenhang eine Aktion wie das Grenzcamp zu veranstalten: Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, wenn es dann auch nicht mehr diese völlig holzhammermäßig formulierten, in ihrem Duktus super autoritären und in ihrer Konsequenz totalitären Redebeiträge des FrauenLesben-Plenums mit eingebauter Selbstimmunisierung gäbe. Auch hier wären Formen solidarischen Umgangs auch zwischen Frauen/Lesben und Männern denkbar. Andererseits hatte sich im vergangenen Jahr auch das zeitlich und räumlich getrennte Vorgehen durchaus bewährt: niemand jedenfalls ist gezwungen mit jemandem zu zelten, den er/sie richtig und unrettbar Scheiße findet.

Das Ende der Geduld mit den Einheimischen

Es ist viel und auch konstruktiv über den Umgang mit den BewohnerInnen der Grenzregion gesprochen und gestritten worden. Beim ersten Camp war es vor allem der Wunsch der Gruppen vor Ort, die am "Tatort" würden weiterleben müssen, auch wenn das Camp schon fort ist, daß ein ziemlich großer Aufwand getrieben wurde, die Aktionen, das Camp und die Kampagne "Kein Mensch ist illegal" vermittelbar und für die Bevölkerung transparent zu machen. Ob "Bekennerschreiben" oder Diskussionsgrundlage, das Konzept der Massenzeitung zur Verteilung an die Leute vor Ort ist in jedem Falle gelungen. Aber wo ist die Grenze der Vermittelbarkeit und vor allem die Grenze der Geduld mit den in ihren Wahngebilden erstarrten Bevölkerung. Man muß wahrhaftig kein Antideutscher oder Antinationaler sein, um ab einem bestimmten Punkt zu sagen: "Das ist. mir scheißegal, wie das hier finden, diese Deppen."
Das tägliche fiebrige Warten auf die Lokalzeitung und wie sie "uns" darstellt oder dastehen läßt, war teilweise schon fast peinlich, zumal diese Medien auch für die rassistische Zurichtung der Köpfe der GrenzbewohnerInnen zuständig sind, oder besser gesagt, die die rassistische Gedankenwelt der meisten Leute dort im Sinne der Erfinder der "Inneren Sicherheit" bei Laune halten sollen. Was erwartet man von den SchreiberInnen dieser Zeitungen, den Reportern dieser Radios? Im vergangenen Jahr wurde - zum Teil zurecht - kritisiert, daß allzu "staatsmännisch" auftretende Joschka-Verschnitte seitens der CampvorbereiterInnen sich bei den Behörden "eingeschleimnt" hätten, um gute Stimmung zu machen. Man war sich einig, daß in diesem Jahr andere Saiten aufgezogen werden sollten, doch nichts dergleichen. Der Blödmann von der Sächsischen Zeitung (SZ) hatte den Hetzartikel gegen das Camp noch nicht ganz fertig, da entschuldigte sich schon eine namentlich bekannte Person bei der SZ, eine Person übrigens, die bislang nicht als Kenner der zimperlichen Befindlichkeit des bürgerlichen Spektrums bekannt war.
Es ist richtig, unkluge oder saublöde Aktionen zu kritisieren, wie die, mit der Grobschablone eines Antifaschismus des dummen Kerls rumzulaufen und blindling(k)s nach Kurzhaarköpfen, augenscheinlichen Polizeispitzeln oder vermeintlichen Polizeipfarrern zu treten. Aber dabei geht es um das eigene Selbstverständnis, und nicht um ein Image, das gefährdet werden könnte. Sich einerseits um die Betitelung der CamperInnen als "MenschenrechtlerInnen" zu amüsieren, sich aber nach außen hin als eben diese Menschenrechts-Fuzzys zu gerieren, ist auch eine Art "humanitäre Katastrophe".
Camperseits waren sich immer alle einig, daß die RassistInnen nicht dort abgeholt werden sollen, wo sie ihr trübes reaktionäres Süppchen kochen (Aufschlußreich ist hierzu die Lektüre der Leserbriefe in der SZ zum Camp, und daß die SZ sie abgedruckt hat). Wenn sie sich nicht bewegen wollen, was man - zumal nach all den unermüdlich vorgebrachten Gesprächs- und Diskussionsangeboten - zumindest von einzelnen hätte erwarten können, dann sollen sie "uns" am Arsch lecken! Das gilt im übrigen auch für "unsere" Bezugsgruppen vor Ort.

Links ist weites Feld

Eine Einschätzerin des Camps schrieb, die Vorbereitungen vor Ort seien dilettantisch gelaufen, weshalb man kaum Bezugsgruppen dort mobilisieren konnte. Dem muß einmal entschieden widersprochen werden: die Gruppen, die unermüdlich als potentielle Kooperationspartner in Zittau gehandelt wurden und werden, sind nicht das wofür man sie hält. Zwar ist es richtig, das sie in dieser Gegend die einzigen Leute zu Mitgliedern haben, die überhaupt irgendetwas im Sinne nicht-rechter Jugendarbeit und "Ausländerarbeit" machen. Das heißt aber nicht, daß sie wirklich gut drauf wären. Sie stehen in ihrem Umfeld zwar am weitesten links, das ist aber verdammt weit rechts, weil es links der Mitte so gut wie nichts (mehr) gibt. Hätte man von einem Jugendtreff wie dem "Emil", welches zwei Wochen vor dem Camp Ziel eines Neonazi-Angriffs war, nicht erwarten können, daß sie von sich aus mal in die Gänge kommen, wenn es gegen Nazis geht. Die "Emil"-Leute sind im übrigen schon zur Teilnahme am ersten Camp mehrfach eingeladen worden und es waren sogar zwei Leute aus Berlin extra nach Zittau gefahren, um dort für das Camp zu mobilisieren - sie wurden von einer Mitarbeiterin des Treffs mehr oder minder abgewimmelt. Auch auf nachfolgende Faxe, Briefe und Anrufe haben sich die Emils niemals zurückgemeldet. Der größte Klopper aber ist das MUK: auf einem Plenum wurde diese Institution über den grünen Klee gelobt, hatte doch im vergangenen Jahr eine MUK-Mitarbeiterin bei der öffentlichen Veranstaltung des Camps mit auf dem Podium gesessen und ziemlich gute Sachen gesagt. Nachdem diese Person das MUK und Zittau verlassen hat, gibt es keinen Grund mehr, mit diesen Leuten zusammen zu arbeiten. Der jetzige Vorsitzende des Vereins - ein FDP-kompatibler reaktionärer Warmduscher - sagte im Vorfeld des letztjährigen Camps, ihm seien die Rechten oft sogar lieber, da sie wenigstens nicht die Linken brauchten, um sich selbst zu definieren, wie die Linken die Rechten. Außerdem gibt es personelle und ideologische Verbindungen zwischen dem MUK und dem
ntelle Gesellschaftsgestaltung" aus Belzig/Brandenburg. Der frühere Geschäftsführer Thomas "Pille" Pilz (oder so ähnlich) ist nicht nur ZEGG-Mitglied, sondern hat eine Art Ableger dieser an Otto Muehls Wiener Vergewaltigungskommune orientierten Eso-Sex-Sekte in der Nähe Zittaus, die sog. Fabrik, gegründet. Diese Gruppe steht noch heute in engem Kontakt mit dem ZEGG und dem MUK, in dessen Periodikum, dem "Südost", noch heute Veranstaltungshinweise der Belziger Psychosekte abgedruckt werden. Es wird gemunkelt, daß Pilz' Gruppe auch das Café "Platane" im MUK übernehmen soll.
In der Vorbereitung des 98er Camps hat das MUK die CamperInnen nach Strich und Faden verarscht, schuldet der Kampagne bis heute über 700 Mark Kopierkosten und hat angesichts des letztjährigen Aufrufes kurz vor einer aktiven Beteiligung am Camp den Arsch zusammengekniffen. Kurz und gut, das sind keine Leute, mit denen eine Zusammenarbeit möglich ist und denen eine Träne nach zu weinen wäre. Das hätten sie auch nicht dadurch unter Beweis stellen müssen, daß sie sich - ohne vorher ein klärendes Gespräch mit den CamperInnen gesucht zu haben - öffentlich vom Camp distanziert haben, diese kleingeistigen Hasenfüße und Denunzianten!
Trotzdem bleibt klar zu stellen, daß es einen Intentionskonflikt mit Gruppen vor Ort und den "Auswärtigen" gibt und daß man ihn ernst nehmen muß, um nicht über die Interessen lokaler Kooperationspartner hinwegzutrampeln. Doch dazu müßten es echte FreundInnen sein, die ein Interesse an den gewählten Schwerpunkten Antifa und AntiRa haben. Die Leute aus Görlitz, ohne die vergangenes und dieses Jahr die Camp-Vorbereitung überhaupt nicht möglich gewesen wäre, sind eine solche Gruppe. Und die Tatsache, daß in diesem Jahr haufenweise Gruppen aus den neuen Bundesländern da waren, zeigt, daß es hier auf der Kommunikationsebene auch kein Ost-West-Problem gibt, mit welchem viele die Mißverständnisse mit den Gruppen aus Zittau zu erklären versuchen.

Vorschlag zur Güte

Da Öffentlichkeitsarbeit und Vermittlung der Inhalte der Kampagne die aufgezeigten Grenzen haben und viele Aktionen die Ebene des Symbolischen nicht verlassen (was nicht negativ sein muß) und angesichts der Masse von Leuten das Inhaltliche doch auch immer wieder eher eine untergeordnete Rolle spielt, sollte überlegt werden, ob es nicht sinnvoller und nützlicher wäre, den Schwerpunkt des Camps auf die Vernetzung der in- und ausländischen (v.a. südost- und osteuropäischen) Gruppen und auf die breite Diskussion antirassistischer Themen im europäischen Zusammenhang zu legen. Das ganze könnte als eine Art "Grenzkongress" organisiert werden, mit interessanten ReferentInnen und spannenden Foren, Diskussionsrunden und Arbeitsgruppen. Die auch weiterhin gewünschten Aktionen, Kundgebungen, Kulturveranstaltungen und Demonstrationen würden nebst Vermittlungsversuchen deutlich in die zweite Reihe rücken, das ganze Camp von der Öffentlichkeitswirksamkeit unabhängiger machen und ein intensiveres Kennenlernen der Gruppen und Personen ermöglichen.

Hans Meister und Fred König

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