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== Nachbereitungsreader zum 4. Antirassistischen Grenzcamp im Rhein-Main-Gebiet ==
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27.07.-05.08.2001 FFM

Stichworte zur Abschlussdemo

Verzagte Selbstentmächtigung oder entschlossene Kampfeslust - das ist die Frage...

Kaum etwas Anderes ist während und nach dem Grenzcamp derart abgemeiert worden wie die samstägliche Abschlussdemo am Flughafen. Das ist bemerkenswert. Denn nur selten scheint mir Kritik derart kenntnislos, ja irreführend dahergekommen zu sein wie in diesem Fall. Sachdienliche Hinweise tun deshalb äusserst Not, droht doch andernfalls die gesamte Aktion zu einem einzigen, nicht zuletzt ressentimentgeladenen Alt-Her-rInnen-Gerücht zu verkommen. Und das wäre schade. Dafür hat viel zu viel geklappt, ist experimentell verlaufen, genauso wie andere Dinge daneben gegangen sind. All das gehört reflektiert (auf dass wir weiterkommen...), nicht aber vernebelt oder gar verhohnepiepelt. In diesem Sinne: Here we go...

Knapp formuliert funktioniert die von unterschiedlichster Seite artikulierte Kritik folgendermassen:
(1.) Die Demo sei chaotisch organisiert, ein schlüssiges Gesamtkonzept nicht erkennbar gewesen. Die Leute seien (deshalb?) planlos in der Gegend rumgestanden, hätten nicht gewusst, was Phase ist. Insbesondere die, die nur zur Demo gekommen seien, also keine GrenzcamperInnen gewesen sind, hätten dies als frustrierende Zumutung empfunden.
(2.) Das lahme Rumgestehe sei in erster Linie Ausdruck hasenfüssiger Unentschlossenheit gewesen.
Anstatt die zahlreichen Spielräume auszuloten und entschlossen Widerstand zu leisten, hätten sich die allermeisten DemoteilnehmerInnen von vornerherein der absoluten Übermacht der Bullen gebeugt - diesbezüglich machte sogar die Rede der ‚Selbstentmächtigung' die Runde. Dies habe sich nicht zuletzt in der Bereitschaft ausgedrückt, als gesamte Demo in den vor Tor 3 errichteten Bullenkessel einzurücken, anstatt dies ausdrücklich zu verweigern oder wenigstens, wenn das schon nicht sein sollte, aus dem Bullenkessel heraus kraftvoll Paroli zu bieten - mittels Farbeiern, Sand-Farb-Gemischen u.ä...
(3.) Hasenfüssigkeit, Unentschlossenheit und Fügsamkeit seien ihrerseits Früchte eines zum braven Menschenrechtsaktivismus mutierten Antirassismus. Revolutionäre Widerständigkeit, d.h. die Bereitschaft, immer wieder die Machtfrage zu stellen und ggf. würdig ‚unterzugehen' (z.B. im Bullenkessel vor Tor 3...) sei demgegenüber immer seltener anzutreffen, auch in antirassistischen Grenzcamp-Zusammenhängen. So weit die Kritik. Wie schon gesagt, gegen derart kritisches Kraut scheint mir nur noch die sachdienliche Erwiderung gewachsen zu sein.

a) Ja, es ist richtig: Die Demo ist chaotisch vorbereitet gewesen. Zum einen hatte dies damit zu tun, dass sich die ursprünglich für die Demovorbereitung Verantwortlichen in puncto Orgaaufwand schlicht verkalkuliert hatten. Hieraus kann nur gelernt werden: Jedes Grossevent (und die Samstagsdemo ist ja als bundesweite Demo ein solcher gewesen) bedarf einer eigenständigen Vorbereitungsstruktur, auch dann, wenn mensch ein Camp als Basis, also einen neuntägigen Planungsvorlauf hat. Denn letztlich wird unter solchen Dauer-Aktiv-Bedingungen die jeweils letzte Angelegenheit solange nach hinten geschoben, bis es nicht mehr geht. Sicherlich, mehr als ein Allgemeinplatz ist das nicht, und dennoch, aller Bekanntheit zum Trotz, ist es auch diesmal so gewesen, dass noch wenige Stunden vor der Demo zentrale Orga-Aufgaben nicht verteilt bzw. koordiniert waren.

b) Doch stop: Es wäre falsch, alle Schuld der schon so oft problematisierten Kurzatmigkeit linksradikaler Politik in die Schuhe zu schieben. Nicht minder verantwortlich für das Demo-Orga-Chaos sind nämlich ausserdem einige der Entwicklungen gewesen, die sich erst im Zuge des Camps ergeben hatten: Ursprünglich ist ja eine Demo durch die Terminals und von dort zu dem in unmittelbarer Nähe des Internierungslagers gelegenen Tor 3 geplant gewesen. Unter Berufung auf ihr Hausrecht hatte jedoch die Fraport den Protest in den Terminals untersagt, worauf seinerseits wiederum das Camp mit einem Ultimatum reagiert hat; in diesem hiess es, dass die Fraport entweder bis Donnerstag 12 Uhr nachzugeben habe, oder wir unsere eigenen Wege gehen würden... Nicht gelungen ist es indessen, gemeinsam, gemeinsam als Camp, die politischen und praktischen Konsequenzen eines solchen Ultimatums zu diskutieren. Das aber gilt es, als fatale Schwäche festzuhalten, schliesslich sind hierdurch nicht nur praktische, sondern auch politische Fragen unter den Tisch gefallen. Und zwar nicht zuletzt die durch das Terminal-Demo-Verbot überhaupt erst brisant gewordene Frage danach, welche Ziel- und Schwerpunktsetzungen wir mit der Demo vor allem verfolgen würden: Geht es uns insbesondere darum, vor das etwas abseits gelegene Tor 3 zu gelangen und dort unsere praktische Solidarität mit den eingesperrten Flüchtlingen zu bekunden oder zielen wir darauf ab, den gesamten Flughafenbetrieb möglichst nachhaltig zu stören, und das mit der Absicht, den staatlichen und gesellschaftlichen Rassismen ein direkt fühlbares ‚Nein' entgegenzuschleudern, oder ist es gar so, dass wir uns erst zufriedengeben, sobald wir beide Zielsetzungen erreicht haben, sobald es uns mit anderen Worten geglückt ist, sogenannten Menschenrechtsaktivismus und sogenannte radikale Widerständigkeit zu einer völlig eigenständigen Grösse zusammenzuschweissen? Wie gesagt, Fragen über Fragen. Allein: Diskutiert wurde dies nicht etwa von einer einschlägig interessierten Campöffentlichkeit, sondern vielmehr von einem eher klüngelhaft zustandegekommenen 30-40-Personenzusammenhang. Wie grotesk all das gewesen ist, (und anti-emanzipatorisch sowieso...), hat sich vollends in der Nacht von Freitag auf Samstag erwiesen: nach stundenlangen Diskussionen hatte besagter Zusammenhang neben so allerlei Anderem (dazu gleich noch mehr) ein durchaus properes Demo-Gesamtkonzept entworfen. Nur: Es war zu spät, ja zu spät! Es gab keine Möglichkeit mehr, das Gros der CamperInnen in die gerade erfolgten Sandkastenspiele einzuweihen - und somit auch nicht in die ebenfalls gefällte Entscheidung, wonach es der Demo in politischer Hinsicht um beide der gerade genannten Zielsetzungen zu gehen habe.

Spätestens vor diesem Hintergrund dürfte auch die eigentliche Problemstellung deutlich werden: Wie kann es gelingen, dass tausend und mehr Menschen sowohl inhaltlich kommunizieren als auch planvoll-koordiniert handeln? Auf diese Frage hat das Camp bislang keine Antwort gefunden. Auf den Grossplena klappt's (aus den einschlägig bekannten Gründen) kaum, und das Deli-Plenum ist diesmal von Anfang an reiner Info-Umschlagplatz gewesen. Nun denn, es wird klar, hier gibt's noch viel zu entwickeln, und das auch deshalb, weil in der Nicht-Bereitschaft vieler Gruppen, sich aktiv in's Plenageschehen einzubringen und über diese Schiene aktiv Verantwortung zu übernehmen, eine ziemliche Portion Konsumismus a la ‚Hey-organisiert-uns-mal-die-Infrastruktur' mitgeschwungen ist.

c) Ich komme zur Hasenfüssigkeit, d.h. zu jenem Anwurf, wonach sich die Demo in grossen Teilen als verzagtes Häuflein friedliebender MenschenrechtsaktivistInnen geoutet hätte.
Während die Chaos-Kritik noch so manches für sich hatte (jedenfalls auf der Ebene unmittelbarer Erscheinungen - denn tiefer ging's auch hier nicht...), ist das Hasenfuss-Verdikt endgültig absurd. Es dokumentiert lediglich, dass die einschlägigen KritikerInnen schon lange Anschluss wie Überblick eingebüsst haben, also nicht mehr fähig und willens sind, überhaupt noch wahrzunehmen, wo die Musik spielt, wo welche Menschen mit welchen Konfrontationskonzepten experimentieren, und wo und auf welche Weise dies bereits in Frankfurt Spuren hinterlassen hat. Deshalb lasst es Euch unmissverständlich gesagt sein: Auf der Abschlussdemo gab es einen von ca. 250 Menschen gemeinsam ausgeheckten Plan, die von Fraport und Bullen gezogenen Grenzen nicht zu akzeptieren, ja, sie ggf. aufzulösen. In Vorbereitung darauf gab es eine Vielzahl konstruktiver Planungs- und Trainingseinheiten, es wurden mehrere Grenzen-Auflösungs-Varianten detailliert eingeübt, Anordnungen und Reihenaufstellungen vorabbestimmt, unterschiedlichste Orga-Aufgaben verteilt etc. etc.. Ja, und all das war atmosphärisch von einer in dieser Form schon lange nicht mehr dagewesenen Kampfeslust getragen, wohl auch dank Göteborg und Genua!

Allein: Es hat nicht sein sollen, der Gegner stand einfach zu gut - bekanntlich gehören zum Spiel zwei: Die Bullen waren in zu grosser Stärke angetreten, die Platzverhältnisse zu ungünstig (Flughafen-Betonkessel!) und auch war der Gegner äusserst brutal. Letzteres zeichnete sich gleich schon zu Beginn ab, als Pink-und-Silver-AktivistInnen es fast geschafft hätten, die Bullen zu übertölpeln und via Fernbahnhof in den Lufthansa-Terminal einzutanzen; jedenfalls wussten sich die Bullen in dieser Situation nicht anders als durch einen überaus harten Pfefferspray- und Knüppeleinsatz zu helfen.

Es folgt: Dass spektakuläre Konfrontationen weitgehend ausgeblieben sind (hey Ihr MaulheldInnen - warum habt Ihr denn die von Euch so vehement geforderten Farbeier nicht selbst geworfen?) hat im Falle der Abschlussdemo nichts, überhaupt nichts mit etwaiger Unentschlossenheit zu tun, sehr wohl jedoch mit einer relativen Oberhoheit der Bullen. Wohlgemerkt, die Oberhoheit war relativ, nicht mehr! Denn die Bullen sind ja nicht einfach so, aus Zufall oder Spass dagewesen. Nein, sie sind dagewesen, weil sie es besser wussten, besser als unsere grantelnde Pro-Untergangs-Liga: So nämlich wie in Castor-Zeiten ein 24-stündiger Rückzug aus dem Wendland die weitgehende Demontage des Gleiskörpers zwischen Lüneburg und Dannenberg zur Folge hätte, so wäre auch am Frankfurter Flughafen - unser Auflösungspersonal stand bereit - jede Laxheit bzw. Lücke sofort bestraft worden und das mit weitaus unangenehmeren Konsequenzen für den Flughafenbetrieb, als das sowieso bereits der Fall gewesen ist. Denn auch das sollte nicht aus dem Blickfeld geraten: Gerade weil die Bullen dazu verdonnert waren, weder Blösse noch Nerven zu zeigen, haben sie zusammen mit uns - Rumgestehe hin oder her - einen bedeutsamen Beitrag zur bislang grössten antirassistischen Widerstandsaktion am Frankfurter Flughafen geleistet. Tausenden BesucherInnen bleib gar nichts anderes übrig, als unsere Proteste zur Kenntnis zu nehmen, genauso wie zehntausende Radio-VerkehrsfunkhörerInnen halbstündlich von den Geschehnissen am Flughafen unterrichtet wurden. Ja, und auch hat unser Protest seinen Weg nicht nur in sämtliche Lautsprecher aller ankommenden Flugzeuge gefunden, sondern auch in zahlreiche Zeitungen, sei es in Deutschland oder anderswo, ja selbst in den USA! Sicherlich, der ultimative Durchbruch ist das nicht, und auch kann ein gelungener Blockadetag nicht über die Vielzahl kommunikativer und politischer Schwächen im Vorfeld der Demo hinwegtäuschen. Allein, das hat ja auch niemand behauptet, und behauptete es jemand, dann wäre das komisch! Worum es geht, ist vielmehr die Forderung, Kritik und Analyse passgenau zu formulieren. Das aber ist im Falle der Abschlussdemo nicht einmal in Ansätzen erfolgt, und das mit der Konsequenz, dass eine in vielerlei Hinsicht bemerkenswerte Aktion in's schiefe Licht des Gerüchts geraten ist.

d) Lediglich eins sei noch angemerkt: Wären die 250 AuflöserInnen im eigentlich beabsichtigen Sinne erfolgreich gewesen, dann hätte dies mit grosser Wahrscheinlichkeit heftigere Scharmützel mit den Bullen nach sich gezogen. Das aber hätte nicht zuletzt viele der Flüchtlinge unter den DemoteilnehmerInnen in Bredouille bringen können. Insofern ist es ein absoluter Fehler der hierfür Verantwortlichen gewesen, die Flüchtlinge nicht im Vorherein über das in's Auge gefasste Konfrontationslevel informiert zu haben. Ja, und mit anderen Vorzeichen gilt das natürlich auch für sämtliche der übrigen DemoteilnehmerInnen.

Herr Tisch Bein

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