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== Nachbereitungsreader zum 4. Antirassistischen Grenzcamp im Rhein-Main-Gebiet ==
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27.07.-05.08.2001 FFM

Antirassistische Grenzcamps 2002

- von Thüringen bis Strasbourg

19. Juli 2002: Mehrere hundert Camp-AktivistInnen, etwa zur Hälfte Flüchtlinge, fahren in einer bunten, transparentgeschmückten Auto- und Buskarawane via Erfurt Richtung Strasbourg. Eine erste Zeltwoche haben sie hinter sich und mit Demonstrationen und Aktionen zivilen Ungehorsams quer durch Thüringen bereits einigen Staub aufgewirbelt. Schon mit der Platzierung dieses 5ten kein mensch ist illegal-camps in der Nähe eines Flüchtlingslagers gewannen die Aktionen reichlich mediale Aufmerksamkeit. Die dortige Normalität der Isolation war für diese Woche komplett durchbrochen, die üblichen rassistischen Kontrollen und die diskriminierende Residenzpflicht waren quasi außer Kraft gesetzt. Jetzt zieht ein Großteil der CamperInnen weiter, in Strasbourg wollen sie mit AktivistInnen aus verschiedensten Ländern zusammentreffen. Für zehn weitere Tage zielt auch das erste international organisierte nobordercamp gegen ein Grenzregime, das sich schließlich zunehmend europaweit vereinheitlicht. Deshalb soll u.a. am SIS- Bunker, dem Schengen Informations System, protestiert werden, der ersten supranationalen Fahndungsdatei, die sich vor allem gegen illegalisierte MigrantInnen richtet. Doch an der Mobilisierung nach Strasbourg sind gleichermaßen Initiativen beteiligt, die in der sog. Antiglobalisierungsbewegung aktiv sind, Gruppen, die reclaim-the-streets-Aktionen veranstalten wollen, sowie zahlreiche Internet- und Indymedia-AktivistInnen. Ein Laboratorium kreativen Widerstands ist für die kommende Woche angekündigt, eine temporäre autonome Zone, die jenseits des Gipfelhoppings, aber doch im internationalen Rahmen eigene und themenübergreifende Akzente setzen will...

Solcherart könnte ein Szenario für den kommenden Sommer aussehen, eine Doppelcampmobilisierung hat bereits begonnen (1). Nach dem letztjährigen Grenzcamp "in der westlichen Metropole", in der Nähe des Frankfurter Flughafens, kehren die Zelte für dieses Jahr zunächst "in die östliche Provinz" zurück. "Die inneren Grenzen im Visier", dieser für Frankfurt kreierte Slogan, behält allerdings seine Aktualität. Denn im Mittelpunkt der Aktivitäten in Thüringen soll die alltägliche Isolation und Ausgrenzung von Flüchtlingen stehen, deren Lebenssituation in den elenden Lagern und nicht zuletzt die ständigen rassistischen Kontrollen, zumeist auf Grundlage der sog. Residenzpflicht, die in Thüringen besonders repressiv angewendet wird. Den Vorschlag für ein Grenzcamp in Thüringen hatte die Flüchtlingsselbstorganisation The Voice in die Debatte gebracht. AktivistInnen dieser Gruppe wie auch der Brandenburger Flüchtlingsinitiative waren zwar auch im Frankfurter Camp schon zahlreicher als zuvor vertreten. Doch beide Gruppen kritisierten ihre mangelnde Einbeziehung und das oberflächliche bis abgrenzende Verhältnis der "Nonrefugees". Das neue Camp wird voraussichtlich nicht nur eine völlig andere Zusammensetzung der TeilnehmerInnen (zugunsten der Refugees) mit sich bringen sondern will insbesondere eine intensivere Auseinandersetzung zwischen Flüchtlingen und AntirassistInnen (mit Schengen-Paß) vorantreiben. Daneben sollte - anknüpfend an die ersten drei Camps an der Ostgrenze - wieder die provokativ bis vermittelnde Aktionspalette aufgegriffen werden, um auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Formen den erwähnten Staub bestmöglichst aufzuwirbeln.

Möglicherweise in der Nachbarschaft eines Banlieu, eines Vorortes, in dem viele MigrantInnen und Sans Papiers leben, könnte das Camp in Strasbourg stattfinden. An den Vorbereitungen beteiligt ist jedenfalls eine lokale Gruppe (2) die sich im Zusammenhang mit den MIB (3), der Bewegung der ImmigrantInnen in den Vorstädten, begreift und Kampagnen gegen rassistische Polizeieinsätze sowie die Doppelbestrafung (4) von MigrantInnen unterstützt. Das SIS war als Bezugs- und "Anlauf"punkt oben bereits erwähnt und dieses elektronische Instrument der Kontrolle, Abschiebung und Ausgrenzung charakterisiert die europäische Vereinheitlichung sicher treffender als die kosmetischen Institutionen des Europaparlaments oder des Menschengerichtshofes.

Das Strasbourg-nobordercamp zeichnet sich darüberhinaus als praktisches "cross-over-event" ab. Mit "d.sec" (5) ist ein unlängst veröffentlichter Aufruf überschrieben, der gleichermaßen unkonventionell wie charmant Internetfreaks, MedienaktivistInnen als auch "streetcarnival"-Gruppen zur Mitarbeit auffordert. Mit "noborder meets PGA" (6) sollen Veranstaltungen betitelt werden, die aus eher praktischen Blickwinkeln die Zusammenhänge zwischen Migration und Globalisierung ausleuchten. Und ein Forum zu "Arbeit und Migration" will Diskussionsfäden auf europaweiter Ebene weiterspinnen, die im Oktober in der BRD in einer Veranstaltungsreihe über multiethnische ArbeiterInnenorganisierung in den USA aufgegriffen wurden.

Ob diese ersten ambitionierten Programmplanungen umgesetzt werden können, ob sich, nicht zuletzt angesichts der Sprachbarrieren, wirklich europaweite, themenübergreifende Debatten in einer Weise anzetteln lassen, daß sie über das Camp hinaus Bedeutung erhalten... darüber läßt sich im jetzigen Stadium nur spekulieren. Ein Anfang dazu wurde jedenfalls gemacht, übrigens schon im Dezember letzten Jahres, als sich in München bei einem noborder-Treffen AktivistInnen aus 15(!) europäischen Ländern auf Strasbourg als ein gemeinsames Projekt verständigten.

d. auercamper

(1) Wie in einem darauffolgenden kurzen Beitrag erläutert, planen AktivistInnen aus dem Campvorbereitungskreis sog. Schill-Y-out-days, ev. ebenfalls in Form eines Camps, in Hamburg. Und erste Ankündigungen für ein antisexistisch-antirassistisches summercamp deuten daraufhin, daß gleich vier Camp-Events für diesen Sommer anstehen...
(2) Festival Permanente contre lauxes racistes
(3) Mouvement Immigrantes des Banlieus
(4) meint das Gesetz, mit dem MigrantInnen, die wegen strafrechtlicher Delikte in Haft genommen wurden, danach zusätzlich abgeschoben werden.
(5) http://www.dsec.info
(6) pga - peoples global action

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27.07.-05.08.2001 FFM