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== Nachbereitungsreader zum 4. Antirassistischen Grenzcamp im Rhein-Main-Gebiet ==
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27.07.-05.08.2001 FFM

No Border - No Nation

In Polen, Slowenien und Spanien fanden Camps gegen EU-Außengrenzen statt

Gute Ideen verbreiten sich schnell. Als 1998 in Rothenburg an der Neisse an der deutschpolnischen Grenze das erste Grenzcamp stattfand, konnte sich wohl kaum eine/r der TeilnehmerInnen vorstellen, dass es nicht lange dauern würde, bis die Grenzcamps zum festen Bestandteil der Sommergestaltung der antirassistischen Bewegung in ganz Europa würden. Dieses Jahr fanden insgesamt vier Camps statt. Neben dem Camp an der "inneren Grenze" am Frankfurter Großflughafen trafen sich insgesamt mehrere hundert AktivistInnen auch im südspanischen Tarifa, in Lendava im slowenisch-ungarisch-kroatischen Grenzdreieck sowie in Krynki an der Grenze zwischen Polen und Weißrussland.

Die Idee der Grenzcamps ist denkbar einfach: Während der Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital durch die Politik neoliberaler Globalisierung erleichtert wird, gilt die Bewegungsfreiheit nicht für Menschen, die zu unerwünschten Personen erklärt werden: Politische Flüchtlinge, ArbeitsmigrantInnen und Menschen, die sich durch einen Grenzübertritt ein besseres Leben erhoffen. Ihr Versuch, Grenzen zu überwinden, endet nicht selten mit dem Tod. Die Grenzcamps sollen auf diesen grundlegenden Widerspruch im herrschenden Globalisierungsdiskurs über die angeblich zusammenwachsende Welt aufmerksam machen. Durch politische Debatten, öffentliche Aktionen und das Zusammentreffen von AktivistInnen aus unterschiedlichen Ländern soll ein Austausch über die Situation in verschiedenen Ländern ermöglicht und Protest artikuliert werden.

In Krynki in Ostpolen an der Grenze zu Weißrussland reagierten die Behörden auf das Grenzcamp mit besonderer Härte. Bereits im Vorfeld des Camps, das vom 5.7.-12.7.01 stattfand, wurden OrganisatorInnen eingeschüchtert. Die Auftaktkundgebung, das Camp selbst und alle mit ihm in Verbindung stehenden kulturellen und politischen Aktionen waren verboten worden. Ein massives Aufgebot an Polizei und Militär sollte die nach Angaben der OrganisatorInnen rund 300 TeilnehmerInnen einschüchtern. Im Verlauf des Camps, das von Gruppen aus Polen, Weißrussland, Ukraine, Russland und Deutschland vorbereitet worden war, wurden mehrere TeilnehmerInnen verhaftet.

BesucherInnen der Gruppe ARAB aus Bremen vermuten, "dass die Herstellung der neuen EU-Ostgrenze eine ebenso sensible wie prioritäre Angelegenheit ist und No-Border-Aktionen deshalb als massive Störung betrachtet werden. In der Tat lehnen auch die grenznahen Communities das neue Regime eher ab (und bilden damit einen ganz anderen Resonanzboden für Aktionen, als wir dies an der deutsch-polnischen Grenze erlebt haben), und einer Verbindung des Unbehagens mit dem politischen Protest sollte hier wohl vorgebeugt werden."

Für viele BewohnerInnen der Grenzregion bedeutet die Verschärfung der Grenzkontrollen, die unter anderem eine Voraussetzung für den geplanten EU-Beitritt Polens sind, in vielen Fällen eine Verschlechterung ihrer sozialen Situation. Kleinbauern haben Probleme, Märkte auf der anderen Seite der Grenze zu beliefern. Der Grenzübertritt ist seit der Verschärfung der Kontrollen zu Beginn diesen Jahres mit teilweise tagelangen Wartezeiten verbunden. Kleinere Übergänge wurden ganz geschlossen, und Visa kosten viel Geld.

Ganz ähnlich stellt sich die Situation in Lendava im slowenisch-ungarisch-kroatischen Grenzdreieck dar. Auch hier reagierte die lokale Bevölkerung positiv auf die Aktionen der knapp hundert GrenzcamperInnen (vgl. Interview) vom 4.7.-8.7.01. Während des Camps wurde die freundliche Atmosphäre nicht einmal durch Polizeipräsenz gestört. Um so heftiger traf die Repression einen Teil der CamperInnen nach den Protesten in Genua. Mitglieder der Volxtheater-Karawane aus Österreich, die das Camp mit vorbereitet hatten, wurden unter fadenscheinigen Begründungen wochenlang in Haft gehalten. Unter anderem behaupteten die italienischen Behörden, das Camp in Lendava hätte der Vorbereitung militanter Aktionen in Genua gedient, eine völlig absurde Behauptung. Mittlerweile wurden alle Mitglieder des Volxtheaters wieder freigelassen.

Das Camp in Tarifa in Andalusien fand an der für MigrantInnen wohl gefährlichsten EUAußengrenze statt. Beim Versuch, die Meerenge von Gibraltar zwischen Marokko und Spanien zu überqueren, ertrinken jedes Jahr über 1.500 Menschen. Etwa 1.000 Menschen werden jeden Monat von der spanischen Polizei verhaftet. Die OrganisatorInnen des Camps, an dem 300 AntiRassistInnen teilnahmen, schreiben: "Das 'Migrationsproblem' ist in Spanien auf eine bestimmte Weise neu und unterscheidet sich von anderen Ländern Europas, in denen ImmigrantInnen seit mehr als drei Jahrzehnten leben.

Der Prozess ist komplett unterschiedlich vor allem auf einer politischen Ebene. Die antirassistische Bewegung und die Erfahrungen der Selbstorganisation machen ihre ersten Schritte in einem Land, in dem die traditionelle Linke einen ihrer schlechtesten Momente erlebt. Die 'Festung Europa' übt größeren Druck als jemals zuvor auf die spanische Regierung aus, die Grenzkontrollen zu verstärken."

Boris Kanzleiter

Ausführliche Berichte, VideoStreams und weitere Links zu den Grenzcamps finden sich unter:
http://noborder.eu.org

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