nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Tue Dec 17 21:59:29 1996
 

Redebeitrag auf der Abschlußkundgebung

der antirassistischen Fahrrad- und Aktionstour "Auf zur Grenze - die Grenzen auf!" von Zittau nach Frankfurt/Oder, 15.-22.7.1995

Liebe Demoteilnehmer- und teilnehmerInnen,

der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Situation an der Oder-Neiße-Grenze, insbesondere mit der Rolle des BGS, des Bundesgrenzschutzes. Der BGS war früher ein Teil der Bundeswehr. In seiner jetzigen Funktion als Bundespolizei hat er seinen paramilitäischen Charakter beibehalten. Das zeigt sich z.B. an der Bewaffnung, zum anderen in der den Korpsgeist fördernden Kasernierung. Als Teil der Polizeikräfte besteht das Aufgabengebiet des BGS nicht mehr nur in der Grenzsicherung, sondern er wird zunehmend auch im Inneren eingesetzt, z.B. bei Demos oder als Bahnpolizei. Dabei zeigt sich die Tendenz, daß Sondereinsatzkräfte der Polizei, die dem Bund unterstehen, mit immer mehr Machtbefugnissen ausgestattet werden. Besonders bedenklich wird dieser Trend zum autoritären Staat vor dem Hintergrund, daß die Alliierten nach ihrem Sieg über den deutschen Faschismus bewußt föderale Polizeistrukturen aufbauten.

Durch die faktische Abschaffung des Asylrechts begann das alte Aufgabenfeld des BGS, die Grenzsicherung, wieder verstärkt an Bedeutung zu gewinnen. Laut §2 des Aufgabengesetzes des BGS soll der Bundesgrenzschutz die "Sicherheit der Grenze" schützen. Das bedeutet, möglichst jeden Grenzübertritt, der nicht an einem Grenzübergang erfolgt, zu verhindern. Immerhin könnten bei diesen illegalen Grenzübertritten sogenannte Kriminelle in Land gelangen. Kriminelle sind in den Augen der Grenzschutzbehörde automatisch alle Flüchtlinge, die ohne Visum aus einem sicheren Drittstaat in die BRD einreisen wollen. Sogenannte sichere Drittstaaten sind u.a. alle Nachbarländer der BRD. Flüchtlnge, die über einen solchen Drittstaat einreisen, können sofort zurückgeschoben werden, weil sie dort angeblich einen Asylantrag stellen können und vor politischer Verfolgung sicher sind. In der Praxis führt dies aber zu Kettenabschiebungen, in denen die Flüchtlinge zum Teil über mehrere Staaten in das Land zurückgeschoben werden, aus dem sie geflohen sind. Treten dabei Probleme auf, so behält die BRD ihre saubere, rechtsstaatliche Weste, obwohl in den angeblich sicheren Drittstaaten, wie z.B. Rumänien, für die Flüchtlinge häufig keinerlei Rechtsstandards existieren.

Die Drittstaatenregelung ist ein prominentes Beispiel, wie eine immer höhere Mauer um europa gezogen wird. Diese Mauer kann die Migrationsbewegungen nicht stoppen, ist aber hoch genug, um fast ausschließlich junge, arbeitsfähige und männliche Flüchtlinge in den europäischen Wirtschaftsraum zu lassen,

Seit der Abschaffung des Asylrechts ist an der deutschen Ostgrenze technisch und personell stark aufgerüstet worden. Diese Tatsache zwingt Flüchtlinge dazu, die Oder oder die Neiße an immer gefährlicheren Stellen zu passieren oder sich skrupellosen SchlepperInnen anzuvertrauen. Deshalb trägt der BGS die Verantwortung dafür, daß Flüchtlinge in den Grenzflüssen elendig ertrinken.

Aber nicht nur diesseits der Grenze wird aufgerüstet. Die Gelder, die die BRD für die Rücknahme von Flüchtlongen an Polen und an die Tschechische Republik zahlt, werden zur Hälfte zur Verschärfung der Kontrollen auf der anderen seite von Oder und Neiße verwendet. während der BGs vor 2 Jahren täglich ca. 60 Flüchtlinge aufgriff, sind es mittlerweile, dank der guten Vorarbeit von polnischen und tschechischen GrenzschützerInnen, nur noch 3. Die, die es trotzdem schaffen, werden hier innerhalb der 30 Kilometer-Zone vom BGS mit modernster Technik, wie z.B. Nachtsichtgeräten der Bundeswehr, Hubschraubern, Spezialbooten, aber auch Hunden gejagt.

Vom BGS aufgegriffen werden die Flüchtlinge nach einem standardisierten Verfahren befragt. Der Fragebogen, der der Befragung zugrunde leigt, enthält keine Frage nach Asylwünschen und -gründen. Um nicht sofort abgeschoben zu werden, müssen die Flüchtlinge aber innerhalb von 48 Stunden um politisches Asyl bitten. Kein Wunder also, daß fast alle Flüchtlinge nach einer kurzen Inhaftierung in einer BGS-Kaserne abgeschoben werden.

Ist schon der Dienst nach Vorschrift schlimm genug und bedeutet das Todesurteil für einige Flüchtlinge, so wird dies noch von der rassistischen, alltäglichen Praxis des BGS übertroffen. Die BeamtInnen nutzen ihre ermessensspielräume immer zumNachteil der Flüchtlinge.

In diesem Klima scheuen sich die BeamtInnen selbst nicht, gegen ihre dienstvorschriften und geltende Gesetze zu verstoßen. So wurde in Eisenhüttenstadt ein hier lebender Algerier vom BGS geschlagen, weil er nach der x-ten routinemäßigen Personalienkontrolle nach dem Namen des Beamten fragte. einer indischen Familie, die tagelang auf ihrer Flucht nichts gegessen und getrunken hatte, wurde von BGS-Beamen, die die Failie aufgegriffen hatten, Wasser verwehrt. In Frankfurt/Oder hat der BGS im Juni diesen Jahres in Zusammenarbeit mit Polizei, Zoll und Arbeitsamt ca. 300 angeworbene polnische JoberInnen festgenommen, mißhandelt und abgeschoben. das für sie festgelegte 3-jährige Einreiseverbot wurde erst nach massiven öffentlichen Protesten rückgängig gemacht. Vom Zittauer Krankenhaus wird berichtet, daß dort häufig Flüchtlinge eingeliefert werden, die von BGS-Hunden zerfleisch wurden. Am schockierendsten aber war, daß der BGS Flüchtlinge zurück in den Fluß treibt. In Oder und Neiße ertranken 1994 allein nach Angaben des BGS schon 24 Menschen. Die tatsächliche Zahl der Ertrunkenen dürfte aber um einiges höher liegen. So versuchte der BGS die 12 Flüchtlinge, die 1994 unter den Augen der polnischen GrenzschützerInnen bei Forst ertranken, zu verheimlichen.

Im Gegensatz zur brutalen Abschottung nach außen, ist die Grenze für deutsche Schäppchenjäger aus dem gesamten Bundesgebiet problemlos zu passieren.

Offensichtlich sind die Vorgänge an der Ostgrenze ein so heikles Thema, daß keine Beobachtungen erwünscht sind. So wurde unsere Radtour mit hohem personellen Aufwand von BGS, Polizei und Staatsschutz überwacht. Wir protestieren gegen die massive Kriminalisierung unserer Radtour.

Tagesbefehl: Auflösen

In der jetzigen Situation ist folgendes unbedingt erforderlich:

Unserer Einschätzung zufolge werden die Probleme aber realistischerweise nur zu lösen sein, wenn der BGS aufgelöst wird: Grenzen auf für alle!


weiter