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Tue Dec 17 21:59:27 1996
 

Bericht über die antirassistische Fahrrad- und Aktionstour

aus dem Aufruf zur Radtour:

Auf zur Grenze

Das vereinte Deutschland hat wieder eine Grenze, an der getötet wird. Diese ist ein weiterer Baustein in dem belasteten Verhältnis zwischen Deutschland und Polen. Sie ist ein Steuerungsinstrument des hierarchischen Arbeitsmarktes, die "Ostflanke" der "Festung Europa" und Mittel zur Abwälzung deutscher Probleme auf Polen. Die Absicherung ist anders als die der früheren deutsch-deutschen Grenze, aber auch wirksam und menschenverachtend:

  • Nachtsichtgeräte statt Stacheldraht;
  • der paramilitärische Bundesgrenzschutz (BGS), ausgerüstet mit weitreichenden Sondervollmachten (z.B. Hausdurchsuchungen ohne richterliche Anordnung, 48-stündige Festnahme ohne Begründung im Umkreis von 30 km der Grenze);
  • ein ausgeklügeltes Gesetzeswerk, das bestimmt, wer leben darf, wo er/sie will, und wer nicht.
Die Grenze drückt den Rassismus aus, der von der BRD und den übrigen Staaten der EU gefördert und in Gesetzen festgeschrieben wird. In der BRD sind diese Gesetze u.a das Staatsangehörigkeitsrecht (es zählt nicht, wo mensch geboren wird, sondern die Staatsangehörigkeit der Eltern), das Ausländergesetz mit seinen Aufenthaltsbeschränkungen und -verboten (z.B. auch Einschränkung der politischen Tätigkeit), das Asylverfahrensgesetz und das Asylbewerberleistungsgesetz.

Voneinander gespalten und gegeneinander ausgespielt werden durch diese Gesetze Menschen mit und ohne deutschen Paß:

  • die Errichtung von großen Flüchtlingslagern in kleinen Dörfern anstelle dezentraler und privater Unterbringung;
  • die Ausgabe von Lebensmittelgutscheinen anstelle von Geld an Flüchtlinge, wodurch staatliche Stellen das Mißtrauen gegenüber Flüchtlingen schüren und sie zu Menschen zweiter Klasse machen;
  • der Sozialhilfesatz für Flüchtlinge liegt 20% unter dem für deutsche SozialhilfeempfängerInnen, somit müssen Flüchtlinge mit weniger auskommen, was offiziell als Existenzminimum definiert wird;
  • der Arbeitsmark wird entsprechend dem Aufenthaltsstatus hierarchisch gegliedert, womit auch die verschiedenen Gruppen von Menschen ohne deutschen Paß nochmals gegeneinander ausgespielt werden;
  • selbst beim Menschenrecht auf Leben und Gesundheit besteht ein Zweiklassen-Recht: Flüchtlinge haben nur ein stark eingeschränktes Recht auf medizinische Versorgung.
"Offene Grenzen"

gibt es auf der Ebene der europäischen Union nur für EU-BürgerInnen. Für alle anderen die totale Überwachung und Kriminalisierung, z.B. mit der computergerechten Erfassung von Fingerabdrücken aller Flüchtlinge. Abschiebeknäste schaffen neue Mauern im Innern der Republik. Deutschland ist - wie die anderen reichen Industrienationen - maßgeblich an der Entstehung und Aufrechterhaltung der Bedingungen beteiligt, die jährlich weltweit Millionen Menschen zur Flucht zwingen: Spätfolgen der Kolonialpolitik, die ungerechte Weltwirtschafts"ordnung", die Schuldenfalle, bundesdeutsche Rüstungsexporte...

Die Abschottung der Staaten, die von der "herrschenden Weltordnung" profitieren, gegenüber den Opfern dieser Politik ist für diese Staaten notwendig, um die derzeitige "Ordnung" aufrechtzuerhalten. Die deutsch-polnische Grenze hat eine zentrale Rolle in diesem Machtgefüge.

Wir wollen uns diese Grenze genauer anschauen, dabei wollen wir:

  • die Öffentlichkeit mit dem Unrecht der Asyl- und Ausländergesetze, der zunehmenden Illegalisierung von Flüchtlingen, die Abschiebepraxis der Bundesregierung, der Schließung der Grenzen konfrontieren;
  • drch verschiedene gewaltfreie Aktionen - bis hin zu zivilem Ungehorsam - gegen die ausführenden Organe (Zentrale Aufnahmestelle für sylbewerber, BGS, etc) protestieren;
  • durch Aktionen gegen das Asylbewerberleistungsgesetz direkte Solidarität it Flüchtlingen üben;
  • Informationen und Ortskenntnisse sammeln;
  • den Opfern der Asylpolitik gedenken;
  • Menschen vor Ort kennenlernen und Kontakte knüpfen für eine angfristige Arbeit am Thema
Macht mit bei der Radtour! Macht Aktionen zu Hause! Beteiligt euch langfristig an der Kampagne gegen staatlichen Rassismus!

Route & Aktionen

Zittau - Görlitz - Bad Muskau - Forst - Guben - Eisenhüttenstadt - Frankfurt/Oder. In allen Orten soll es Straßentheater, kleinere Aktionen und Informationsveranstaltungen, etc geben. Vor Ort wird mit lokalen Gruppen besprochen, welche Aktionen sinnvoll und gewünscht sind. Wir wollen einige gut vorbereitete Aktionen durchführen, es wird aber auch viel Raum für Spontanes geben.

die Grenzen auf!

GraswurzelaktivistInnen und antirassistische Gruppen aus Frankfurt/Oder, Köln, Berlin und Kiel hatten zur Fahrrad- und Aktionstour entlang der deutsch-polnischen Grenze aufgerufen. Vom 15. bis zum 22. Juli 1995 haben 40 Leute diese Idee umgesetzt und sind in 6 Etappen von Zittau bis Frankfurt/Oder geradelt. An jedem Ort wurden wir von MitarbeiterInnen einer (sub)kulturellen/politischen Einrichtung empfangen, es fanden Veranstaltungen und Gespräche statt. Menschen vor Ort kennenzulernen und Kontakte für eine längerfristige Zusammenarbeit zu knüpfen, war ein Ziel der Fahrt. Es ging aber zunächst auch darum, uns über die Situation an der Grenze, speziell für Flüchtlinge, zu informieren. Und wir hatten vor, unser Wissen über den neuen Charakter der deutsch-polnischen Grenze durch Aktionen bekannt zu machen und die deutsche Abschottungspolitik in ihren verschiedenen Gestalten zu behindern.

Zittau

Die Grenzerkundungstour per Fahrrad begann in Zittau. Dort versammelten sich die TeilnehmerInnen aus antirassistischen Gruppen aus Berlin, Göttingen und Leipzig und interessierte Einzelpersonen aus verschiedenen Städten des Bundesgebietes. Das örtliche Jugendzentrum Cafe Emil beherbergte uns. Nachdem wir auf einem ersten Plenum Erwartungen an die Radtour zusammengetragen hatten, berichtete Ulla vom Multikulturellen Zentrum in Zittau über die Situation vor Ort.

Bild: Das Heim in Zittau: Stacheldraht un Rolling Stones-Fahne von VW

Zittau im polnisch-tschechisch-deutschen Dreiländereck, das vor der Wende ein Zentrum der Textilindustrie war, hat von seinen damals ca. 60.000 EinwohnerInnen heute noch rund 29.000. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 17%, aber weitere 20% sind nur durch wackelige ABM-Stellen und andere perspektivlose Maßnahmen kaschiert. Besonders hart war die Lage der ehemaligen DDR-VertragsarbeiterInnen vietnamesischer Herkunft. Praktisch zum Straßenverkauf gezwungen, da sie auf dem hoffnungslos leergefegten Arbeitsmarkt wegen ihres "Nicht-Deutschseins" keine Chance hatten und bei Entlassungen aus dem selben Grund zuerst betroffen waren, verließen viele die Region.

Die hauptsächliche Arbeit des Multikulturellen Zentrums besteht in der Betreuung der am Stadtrand von Zittau in umzäunten Baracken untergebrachten Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien. Ungefähr 150 leben in dem sogenannten Heim, das vom Landratsamt betrieben wird. Für die Kultur sorgt eine von VW gesponserte Rolling Stones Fahne auf dem Heimgelände. Da der Aufenthaltsstatus der Flüchtlinge bisher relativ sicher war, versucht das Multikulturelle Zentrum in Zusammenarbeit mit der Zittauer Gemeinde und "Frauen helfen Frauen" die Lebensbedingungen hier durch kulturelle Veranstaltungen und Treffen zu verbessern. So kann mit der "Aktion 55", einem staatlichen Projekt, das die gemeinnützige Arbeit von FrührentnerInnen für 200,-DM Aufwandsentschädigung im Monat ermöglicht, Deutschunterricht angeboten werden. Auch wurde muttersprachlicher Unterricht für die schulpflichtigen Kinder durchgesetzt, was mit der Begründung, daß die Kinder nach Kriegsende wieder in "ihre Heimat" zurück müssen, akzeptiert wurde. Außer den Bürgerkriegsflüchtlingen leben in dem Heim noch zwanzig bis dreißig AsylbewerberInnen, die hauptsächlich aus Vietnam und Kurdistan kommen.

Die Bedeutung der ostdeutschen Grenze für Flüchtlinge und die Rolle des Bundesgrenzschutzes

Die östlichen Grenzen der BRD sind Außengrenzen der EU. Trotzdem ist eine legale Einreise für Asylsuchende nicht möglich. Mit der 1992 beschlossenen Grundgesetzänderung trat auch eine Regelung in Kraft, die Flüchtlingen, wenn sie aus einem von der Bundesregierung als "sicher" kategorisierten Staat einreisen, das Recht auf Asyl abspricht. Dabei istrheblich, aus welchem Land der Flüchtling ursprünglich geflohen ist. Deshalb wird auch von der "Sichere-Drittstaaten-Regelung" gesprochen. Wie es der Zufall so will, sind natürlich alle Nachbarländer der BRD "sicher". Um die Drittstaatenregelung auch auf illegal eingereiste Flüchtlinge anwenden zu können, hat die BRD Abkommen mit den Nachbarstaaten geschlossen, die diese verpflichten, die Flüchtlinge wieder auf ihr Staatsgebiet einreisen zu lassen. Seit dem 7.11.1995 muß die Drittstaatenregelung laut Bundesverwaltungsgericht so ausgelegt werden, daß Flüchtlinge nachweisen müssen, daß sie nicht aus einem sicheren Drittstaat gekommen sind.

Die im Zuge der Rücknahmeabkommen mit Polen und Tschechien von der BRD gezahlten Summen mußten zur Hälfte für die Aufrüstung der Grenze auf polnischer bzw. tschechischer Seite genutzt werden. Aus diesem Grund hat sich die Zahl der beim illegalen Grenzübertritt aufgegriffenen Menschen von ca. 60 vor zwei Jahren auf zwei bis drei pro Tag heute verringert.

Bild:BGS-Kaserne in Zittau

Dennoch hält es die BRD für notwendig, die Ostgrenzen mit immer größer werdendem Aufwand zu überwachen. Diese Aufgabe ist dem Bundesgrenzschutz (BGS) zugewiesen. Viele Flüchtlinge werden nicht direkt an der Grenze aufgegriffen, obwohl dort Beamte zu zweit Streife laufen bzw. mit Autos Waldstücke, Furten und die neuen Wildzäune überwachen.

Viel effektiver ist die 30km-Regel, die es erlaubt, Flüchtlinge, die innerhalb der 30km breiten "grenznahen" Region aufgegriffen werden, so zu behandeln, als seien sie direkt beim illegalen Grenzübertritt gefaßt worden. In der Umgebung von Zittau, werden sie in das BGS-Auffanglager in Ebersbach gebracht. Dort findet ein Verhör statt, in dessen Verlauf nach dem Fluchtweg und Fluchtursachen gefragt wird. Nicht vorgesehen ist die Frage, ob der Flüchtling Asyl in der BRD erhalten will. Ein solches Begehren müssen die Flüchtlinge aber ausdrücklich äußern, um überhaupt erstmal eine Chance zu haben, ins Asylverfahren zu kommen. Ebenfalls gegen die Flüchtlinge wirkt, daß in dem der Befragung zugrunde liegenden, standardisierten Fragebogen zwar die Antworten, nicht aber die Fragen festgehalten werden. Die verhörenden BGS-Beamten stellen häufig unzulässige Suggestivfragen, die die wirtschaftlichen Fluchtursachen auch bei im engeren Sinne politischen Flüchtlingen dominant erscheinen lassen. Ein Umstand der die Anerkennungschancen der Flüchtlinge, die es schaffen, ins Asylverfahren zu kommen, erheblich schmälert. Flüchtlinge, von denen der BGS glaubt, sie hätten illegal die Grenze übertreten oder die nicht ausdrücklich ihre Forderung nach Asyl bekunden, werden innerhalb von 48 Stunden nach Polen abgeschoben. Asyl beantragen darf nur, von wem nicht bekannt ist, daß er oder sie aus einem “sicheren Drittstaat” kommt.

Unterstützung bei seiner Jagd auf Flüchtlinge erfährt der BGS auch von Teilen der Bevölkerung. So bildet in ländlichen Gegenden die rechtsorientierte Dorfjugend bürgerwehrähnliche Vereinigungen, die sich aktiv an der Hatz beteiligen. Trotz des damit verbundenen Angriffs auf das Gewaltmonopol des Staates stehen die Verantwortlichen des BGS diesem Treiben nicht ablehnend gegenüber. Im Gegenteil. In Häusern in Flußnähe hängen die Büttel Plakate auf, in denen sie dazu aufrufen, Verdächtiges sofort zu melden.

Wer Flüchtlingen hilft, muß dagegen mit Bestrafung durch den Staat rechnen. So wurde ein Taxifahrer angeklagt, weil er Flüchtlinge aus der 30km-Zone brachte.

Der Terror des BGS richtet sich aber nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern gegen alle, die durch das rassistische Raster nicht als "Deutsche" zu erkennen sind. In Zittau werden geduldete Bürgerkriegsflüchtlinge beim Einkaufen oder Spazierengehen vom BGS angehalten und zur Überprüfung auf die BGS-Station verschleppt. Zu dem Punkt, an dem sie angehalten wurden, bringt sie natürlich niemand zurück.
Auch von Mißhandlungen wird immer wieder berichtet. Im Zittauer Krankenhaus werden häufig Flüchtlinge mit Bißwunden von den BGS-Hunden eingeliefert. Einer indischen Familie, die nach tagelanger Flucht völlig erschöpft vom BGS aufgegriffen wurde, verwehrten die Beamten Wasser.
In einem Fall kam es sogar zu einer Anzeige. Trotz der offensichtlichen Mißhandlung liefen sich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft aber tot, weil BGS und Zoll sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe zu schieben versuchten und jeweils behaupteten, von ihren Beamten sei niemand vor Ort gewesen.

Görlitz

Das nächste Etappenziel war Görlitz. Entlang des Neißeufers ist äußerlich nicht viel davon zu merken, daß hier mit aller Macht Menschen daran gehindert werden, die Grenze ohne den richtigen Paß zu überschreiten. Keine Mauern, kein Stacheldraht verraten, daß hier die Mauer um Europa hochgezogen wurde. Aber 30km sind weit zu Fuß, und auf den Wegen und Straßen patrouillieren Häscher.

Während einer Pause wurden die Satteltaschen mit kleinen Transparenten zum Thema offene Grenzen und Bleiberecht geschmückt. Auch ganze Bettlaken wurden bemalt, die künftig an jeder Station auf unsere Anliegen aufmerksam machten.

Bild: Basta

Trotz Regens erreichten wir das Kulturzentrum BASTA an der Görlitzer Uferstraße. Nachdem die durchnäßte Kleidung gegen trockene getauscht und das reichliche Abendessen verzehrt war, erzählte Karen, die den Posten der Ausländerbeauftragten inne hat und zeitweilig zugleich Leiterin der Görlitzer Ausländerbehörde war, von ihrem Job. Ihren Angaben zufolge gibt es in Görlitz keine Beratung außer ihrer eigenen. Ihr Aufgabengebiet als Ausländerbeauftragte ist nicht festgeschrieben. Sie muß also die Existenz ihres Postens immer wieder rechtfertigen, ohne sich auf etablierte Standards berufen zu können.

Noch 1992 war die Bevölkerung in Görlitz Flüchtlingen gegenüber eher hilfsbereit. Damals kamen sehr viele Flüchtlinge in und bei Görlitz über die Neiße. Auf dem Bahnhof von Zgorcelec, der Zwillingsstadt von Görlitz auf der polnischen Seite, warteten in diesem Sommer bis zu 500 Flüchtlinge, vorwiegend Roma, darauf, daß der Wasserstand der Neiße niedrig genug sein würde. Viele, die vom BGS aufgegriffen wurden, versuchten ihr Glück schon bald aufs neue. Da sie immer wieder neu gezählt wurden, ist zu vermuten, daß die Statistiken jener Zeit, die auch immer wieder zur Stimmungsmache genutzt wurden, falsche Zahlen enthalten. Beendet wurde diese Situation durch Polizeiaktionen auf polnischer Seite. Regelmäßig wurden auf dem Bahnhof von Zgorcelec Razzien durchgeführt und Roma von dort nach Warschau transportiert. An einer politischen Lösung bestand kein Interesse.
Mit der Aufrüstung und der Medienhetze hat sich auch die Sympathie der Bevölkerung für die Flüchtlinge immer mehr abgekühlt. Beklagt werden die KleinhändlerInnen aus der Nachbarstadt, die Blaubeeren, Pilze und steuerfreie Zigaretten anbieten, was aber die GörlitzerInnen nicht daran hindert, die billigen Waren zu kaufen.

Karens Arbeit als Ausländerbeauftragte wird in der Stadt, die sich als in Mitteldeutschland liegend betrachtet, immer schwerer. Zwar gibt es viele grenzüberschreitende Prestigeprojekte, aber die Realität sieht anders aus. Im deutsch-polnischen Kindergarten kommen ganze vier Kinder aus Polen, und die Namengebung ist der Kindergärtnerin unangenehm, weil sie befürchtet, die deutschen Kinder könnten von ihren Eltern nicht mehr gebracht werden. Das von Karen initiierte multikulturelle SchülerInnentreffen wurde zwar von den SchülerInnen gut angenommen, seine Wiederholung wurde aber vom Schulleiter mit der Bemerkung abgelehnt, er wolle nie wieder so viele dreckige und schlampige Ausländer in seiner Schule sehen.

Daß MigrantInnen in Görlitz nicht ruhig durch die Stadt gehen können, wenn sie wie Nicht-Deutsche aussehen, erfuhr ein Mitglied der Tour am eigenen Leib. Nur wenige Meter vom BASTA entfernt wurde er auf offener Straße angehalten. Offensichtlich war sein Teint zu dunkel und sein Haar zu kraus. Nur seine exzellenten Sprachkenntnisse ersparten ihm den Weg zur Wache.

Görlitzer Verhältnisse...

Mit dem Scheitern des vermeintlichen Sozialismus in Osteuropa begann 1990 europaweit eine Neudefinierung der politischen Systeme. Seitdem macht West-Europa die Schotten dicht und nutzt seine ökonomische Überlegenheit zum politischen und wirtschaftlichen Diktat über den Rest des Kontinents.
Damit die Funktionalität dieser Strategie erhalten bleibt, müssen verschiedene unterstützende Regelungen greifen. So zum Beispiel auch die Frage der Grenzen. Die Verabschiedung des neuen deutschen Asylgesetzes und des (erneuerten) Schengener Abkommens verschärfte die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen aller Nicht-EU-BürgerInnen.

Görlitz, geteilte Grenzstadt mit deutscher und polnischer Seite (Zgorzelec), verbreitet offiziell das Bild des freundschaftlich-nachbarlichen Verhältnisses.
Jedoch hält das einzelne BGS-Beamte und schon gar nicht Faschisten davon ab, ihren Rassismus latent oder unverhohlen auszuleben:

  • Am 12.4.1991 überfiel ein Dutzend Neonazis ein am Grenzübergang wartendes Auto einer polnischen Familie. Die Scheiben des Wagens wurden zertrümmert sowie dessen Insassen zusammengeschlagen.
  • Im Herbst 1994 eskalierte eine Routine-Kontrolle des BGS in der Innenstadt. Die Beamten spertten den Marktplatz weiträumig ab und durchsuchten alle greifbaren PolInnen (einschließlich Kinder!) nach Zigarettenstangen. Obwohl (oder gerade weil) mit geringen Erfolg wurden etliche Personen vorübergehend festgenommen und teilweise unter Schlägen auf dem Revier festgehalten.
    Dieser Vorfall wurde nur durch eine Veröffentlichung in der polnischen Presse bekannt.
Diese beiden konkreten Beispiele finden bis heute ihre Fortfühung. Der Mittelnachweise (50,- DM pro Tag - zum Vergleich: durchschnittliches Monatseinkommen in Polen liegt bei 200 bis 400 DM) wird willkürlich von BGS-Beamten bei Personenkontrollen im Rahmen des kleinen Grenzverkehrs (innerhalb der 15 km-Grenzzone, von dieser Regelung ausgenommen) abverlangt. Ein Zgorzelecer DJ, der öfter im Jugendkulturzentrum BASTA auflegt, wurde regelmäßig mit bürokratischen Schikanen, wie detaillierte Auflistung aller eingeführten Geräte etc. belastet. Der Blick auf die Zukunft kann nur vom Wunsch nach Abänderung dieser Situation, durch engagierten Handeln vor allem unsererseits, bestimmt sein.

Möglichkeiten gibt es viele.

aus dem BASTA

Abschiebeknast

Bild rechts: Der Knastchef erklärt, warum wir nicht rein dürfen

Im Görlitzer Gefängnis, gleich hinter dem Landratsamt in der City, werden auch von Abschiebung bedrohte Flüchtlinge inhaftiert. Trotz ihres besonderen rechtlichen Status werden sie wie Strafgefangene behandelt. Dazu zählt unter anderem, daß sie nur eine Stunde pro Monat Besuch empfangen dürfen, der dazu auch noch eine Erlaubnis braucht. Das machte der Anstaltsleiter noch einmal klar, als am nächsten Morgen einige von uns während einer Protestaktion vor dem Knast Einlaß verlangten. Ohne Besuchserlaubnis geht nichts. Und Auskünfte über die Situation der elf bis zwölf in Abschiebehaft Gehaltenen (hauptsächlich aus Pakistan, Türkei, Ukraine, Rumänien und Algerien) bzw. der 120 ausländischen U-Häftlinge wollte er auch keine geben. Von uns auf einen Hungerstreik von 1994 angesprochen, war er sehr überrascht, daß wir darüber überhaupt etwas wußten. Da wären damals Verfahrensfragen der Anlaß gewesen, die Ausländerbehörde habe das geregelt. Ansonsten großes Schweigen. Fakt ist, daß aus Görlitz durch die Ausländerbehörde häufig schon abgeschoben wird, bevor die Bundesbehörde endgültig über die Anträge entschieden hat.


Das Interesse der Görlitzer Bevölkerung an unserer Aktion vor dem Knast war, obwohl am Eingang zur Einkaufsmeile durchaus genug potentielles Publikum anwesend war, gleich Null, abgesehen von einem Sparkassenmitarbeiter, der auf dem Weg zur Mittagspause die Wegesicherheit seiner Kundschaft gefährdet sah.

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