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Online seit:
Tue Oct 15 20:20:24 1996
 

Inhalt | Chronik

Chronik. Vorbemerkungen.

Wurzen-Broschüre.

WAS
WANN
WO

  1. Als Anfang 1995 die massiven Übergriffe der Faschos in Wurzen bekannt wurden und sich immer mehr die Dimension des faschistischen Potentials abzeichnete, wurde erstmals die kontinuierliche Sammlung von Presseveröffentlichungen zu den Themen Faschos/faschistische Übergriffe in Wurzen und Reaktionen von kommunaler und staatlicher Seite begonnen. Die Veröffentlichungen seit diesem Zeitpunkt sind deshalb fast vollständig vorhanden. Schwieriger wird es sowohl für die Zeit vor 1995 als auch bei faschistischen Aktivitäten außerhalb Wurzens. Letzteres vor allem deshalb, weil das Hauptaugenmerk antifaschistischer Gegenwehr im Muldentalkreis auf Wurzen lag. So erklärt es sich auch, daß die Herstellung einer Öffentlichkeit zu rechtsradikalen Aktivitäten in Wurzen konzentriert ist, während in anderen Städten und Gemeinden des Muldentalkreises, wie Colditz, die dramatische Situation, wenn überhaupt, nur in den Randnotizen der Lokalpresse zu erahnen ist. Aber selbst aus der Chronik der Ereignisse in Wurzen von 1994 bis heute läßt sich die Dimension des alltäglichen Terrors nicht ablesen. Kleinere Übergriffe finden in ihr genauso wenig Niederschlag, wie die gemeinsamen Schützen- und Stadtfeste, auf denen sich die Bevölkerung im nationalistischen Rausch mit ihrer Jugend vereint.

  2. Die Faschoszene im Muldentalkreis stellt kein einheitliches Ganzes dar. So lassen sich auch in Wurzen verschiedene Strukturen unterscheiden. Zum einen gibt es den sogenannten »Jungsturm«, für den auch Zwölfjährige rekrutiert werden. Diese Gruppe fand sich auch hauptsächlich in der BB-Baracke. Zum anderen gibt es den Kreis um Markus »Boxer« Müller, der für das besetzte Haus in der Käthe-Kollwitz-Straße verantwortlich ist und dessen Mitglieder zum Teil schon vor 1989 zur Faschoszene der DDR gehörten.
    Diese beiden Strukturen arbeiten häufig eng zusammen. So war Markus Müller an den Gesprächen mit der Stadt beteiligt, in deren Ergebnis die Baracke den Faschos zur Verfügung gestellt wurde. Andererseits lassen sich auch Unterschiede feststellen. So achten die Faschos des »Müller
    -Clans« sehr auf ihr Saubermann-Image, was sie aber nicht davon abhält, sich trotzdem an Überfällen zu beteiligen.
    Dies wird ihnen durch „freundliche“ Behandlung seitens des staatlichen Repressionsapparates erleichtert. Problematisch sind für sie eher die Profilierungsversuche anderer Kameradschaften
    , die in unregelmäßigen Abständen eigene Aktionen machen. Besonders interessant wird diese Einschätzung für die Bewertung der Razzien. Diese richten sich, abgesehen von der zuvor angekündigten Razzia in der Käthe-Kollwitz-Straße, nicht gegen den harten Kern der Szene, sondern gegen die militanten Mitläufer.

  3. Gelegentlich finden sich in der Chronologie auch Daten im Zusammenhang mit der Villa »Kuntabunt«. Diese war der einzige alternative Ansatz selbstverwalteter Jugendarbeit in Wurzen. Die systematische Zerstörung dieses Projektes und die parallele Etablierung geduldeter und geförderter Faschotreffpunkte spielen eine wesentliche Rolle bei der Charakterisierung des status quo in Wurzen. Immer wieder Drohungen und Angriffen von Faschisten ausgesetzt, bildete die Villa ein Zentrum antifaschistischen Selbstschutzes. Was den Faschos trotz regelmäßiger Angriffe nicht gelang, die Zerstörung der Villa, erledigte die Stadtverwaltung entgegen zuvor getroffener politischer Entscheidungen. Mehr noch, im Rahmen einer akzeptierenden Jugendarbeit wurde der Boden für eine breite Rekrutierung der faschistischen Szene bereitet. Diese Rekrutierung erfaßt heute alle, die angefangen, die nach Alternativen zum leben ihrer Eltern umsehen.
    Die Liste der gescheiterten Projekte mit integrierendem Ansatz umfaßt dabei alle Projekte, die begonnen wurden. Zuerst auf privater Basis, wie die Rumänienfahrten und das Goldene Tälchen, später auf kommunale Initiative hin, wie die BB-Baracke
    und das Kolpinghaus. Aber nicht einmal die völlig unzureichenden und nie erfolgreichen Grundsätze einer »Jugendarbeit mit Rechten« werden in Wurzen beachtet. Statt dessen dient das sozialarbeiterische Personal als Kellnerinnen und Putzkolonne.

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