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Tue Oct 15 20:20:24 1996
 

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Situation in der BRD. [2]

Wurzen-Broschüre.

Faschistische Ideologeme in staatlichen Kampagnen.

Die Zunahme faschistischer Ideologeme in den alltäglichen politischen Diskussionen ist eines der entscheidenden Probleme, mit denen sich AntifaschistInnen in der BRD derzeit konfrontiert sehen. Der von rechtsradikalen Kreisen seit dem Ende des zweiten Weltkrieges propagierte Geschichtsrevisionismus gewinnt dabei immer stärkeren Einfluß. Die Ursachen dafür liegen in der für neuerliches Machtstreben notwendigen »Bewältigung der Geschichte«. Die Verbrechen der NS-Zeit, die - neben dem entscheidenden Druck der internationalen Öffentlichkeit - in offiziellen Stellungnahmen, aber auch im Bewußtsein weiter Teile der Bevölkerung gegen eine offensichtliche Neuauflage des faschistischen Systems sprechen, stellen rechtsradikale Kreise vor das Problem, sich entweder vom historischen Nationalsozialismus zu distanzieren oder ihn einer radikalen Umdeutung zu unterziehen, wie sie zum Beispiel in der Legende vom »Friedensflug« Rudolf Heß’ ihren Ausdruck findet. In beängstigender Nähe zu dieser zweiten revisionistischen Variante befindet sich das offizielle Geschichtsbild eines »vom wahnsinnigen Führer mißbrauchten Deutschland«, die ideologisierte Überhöhung und Ausblendung der Mitschuld der »Männer des 20. Juli« als »Aufstand des Gewissens« und eines Krieges, in dem, »wie in jedem Krieg, sich beide Seiten die Hände schmutzig gemacht haben«. Mit taktischer Großzügigkeit wird von den Seiten bundesdeutscher Repräsentanten darauf verzichtet, »die Opfer des Krieges gegeneinander aufzurechnen«. Womit sich auch gleich die Frage erledigt, wieviele der ums Leben gekommenen oder »vertriebenen« Deutschen denn wirklich Opfer und nicht vielmehr geschlagene Täter waren. Welche Interessen machen es aber notwendig, diesen kaum noch gemäßigten Revisionismus zur Staatsdoktrin zu erheben? Sicher, die BRD könnte auch im Eingeständnis der historischen Schuld aller Deutschen weiterexistieren. Und auch die geforderten Entschädigungszahlungen für die Opfer sind in den letzten 50 Jahren so lange zurückgehalten worden, daß es sich bei ihnen um eine rein politische Geste handeln würde. Aber eine uneingeschränkte Analyse des NS-Systems, seines Funktionierens als Gesellschaftsmodell, das nur mit Beteiligung des überwiegenden Teils der Bevölkerung funktionieren konnte, ohne daß dieser permanent zum »Mitmachen« gezwungen war, hätte in Verbindung mit dem Imperativ, ähnliches nicht wieder möglich werden zu lassen, zerstörerische Folgen für einige Grundprinzipien des bundesrepublikanischen Gemeinwesens und aktuelle politische Tendenzen. Ausschließende Gemeinschaftsmodelle (deutsche Nation), Hierarchien, die zwar von Rechenschaftspflicht gegen übergeordnete Ebenen, nicht aber nach unten oder gar ihren »Objekten« gegenüber gekennzeichnet sind (Obrigkeitsallmacht), technisierte Verwaltungsabläufe, die persönliche Verantwortung im Apparat eleminieren, wären dann nicht mehr legitimierbar, Tendenzen des in der Mitte der bundesrepublikanischen Gesellschaft verankerten militärischen Engagements weltweit (»out of area«-Einsätze der Bundeswehr), der Schaffung einer Bundespolizei (BGS), geheimdienstlicher Befugnisse der Polizei bzw. exekutive Befugnisse der Geheimdienste mit der Option der Durchleuchtung weiter Teile der Bevölkerung (Programme gegen »Organisierte Kriminalität«, großer Lauschangriff, Rasterfahndung,...), von Internierungstrategien gegen Minderheiten (Abschiebehaft, AsylbewerberInnenheime) und Wirtschaftlichkeitsüberlegungen in Bezug auf das Lebensrecht von Menschen (Euthanasiedebatte, Kürzung der Leistungen aus Sozialversicherungen) sowie zu Arbeitsdienstmaßnahmen (Arbeit statt Sozialhilfe) sind gerade auch unter dem Gesichtspunkt paralleler Lösungsansätze im Nationalsozialismus kritisierbar. Es handelt sich dabei keineswegs um allgemeine politische Strategien, sondern um Modelle die im engen Zusammenhang mit dem faschistischen Menschen- und Weltbild stehen. Dabei ist nicht nur das Menschen- bzw. Weltbild des Faschismus geeignet diese Ansätze durchzusetzen, auch bei anderen Begründungen und Etablierungsstrategien werden die entsprechenden Ideologiemuster in die Gesellschaft getragen. Historisch hat sich der Faschismus entsprechend nicht aus dem Nichts, sondern aus deutsch-nationalen Theorien entwickelt.


Aus der Muldentalzeitung vom 18.7.1996

Aktuelle Beispiele für die Einführung faschistischer Ideologeme in die Gesellschaft, die scheinbar unabhängig vom Geschichtsrevisionismus funktionieren, sind das »Bündnis für Arbeit« / die »Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland«, die sich im Gegensatz zu früheren sozialpartnerschaftlichen Modellen nun wieder als Ausdruck eines gemeinschaftlichen Schicksals (Schicksalsgemeinschaft) äußern (siehe oben) und die Abschaffung des Asylrechts, bei der in einer für die BRD neuen Qualität die Kooperation zwischen offen faschistischen Kreisen und den verantwortlichen PolitikerInnen zum Ausdruck kam. Die propagandistische Offensive zur Neuregelung des Asylrechts begann aufbauend auf den rechtskonservativen und rechtsextremen Diskursen, die schon in den 70er Jahren die Frage stellten, wieviele »Kulturfremde« kann eine Volksgemeinschaft verkraften / assimilieren. Der Grad der Rechtsradikalität ließ sich dann an der Festlegung im Bereich zwischen »wenige« und »gar keine« ablesen. Anfang der 90er Jahre korrespondierten dann den populistischen Ausflüssen dieser Diskurse (»Das Boot ist voll!«) Bilder von »Asylantenströmen«, von bedrohlichen »Fluten« derer, die vor unseren Grenzen stehen. Es ist kein Zufall, daß die ins öffentliche Bewußtsein projezierten »Naturkatastrophen« genau jenen Bedrohungsszenarien entsprechen, die Klaus Theweleit in seiner Faschismusanalyse »Männerphantasien« bei der soldatischen Elite des Dritten Reiches nachwies. Gleichzeitig wurde durch die Einrichtung zentraler Heime die Voraussetzung geschaffen, Asylsuchende auch dann wahrzunehmen, wenn sie gemessen an der Gesamtbevölkerung einen so marginalen Prozentsatz bildeten, daß sie für die Bevölkerung bei dezentraler Unterbringung unsichtbar geblieben wären. Als, wie zum Beweis der Nicht-Aufnahmefähigkeit, die Faschisten zusammen mit dem deutschen Durchschnittsmob ihren Terror gegen die »kulturlosen Scheinasylanten« und alle, die für sie so aussahen, begannen, dienten die vorher konstruierten Bedrohungen als Entlastung. Staatlich geförderter Rassismus hieß plötzlich Xenophobie und wurde entweder als normal oder bedauerlicher Defekt nach vierzig Jahren Stasi im Neubaublock bzw. der Beliebigkeit der 68er dargestellt. Damit wurden Täter zu Opfern.
Natürlich mußte der Staat bzw. seine politische Vertretung auf diese mißliche Lage reagieren und das »Asylantenproblem« lösen. Das Recht auf Asyl wurde mit einer Grundgesetzänderung faktisch abgeschafft, und in der Verwaltung gilt der ungeschriebene Grundsatz: Asyl ist nur im Ausnahmefall zu gewähren. Zivilisation und Menschenrechte gelten auf dem Territorium der Nation eben erstmal nur für Mitglieder der nationalen Gemeinschaft. Allerdings gibt es für jedEn AusgeschlossenEn die Möglichkeit, den Status eines »Verdienstjuden« zu erringen, sich Privilegien zu erarbeiten. So trafen die Anschläge gegen »GastarbeiterInnen« in Mölln und Solingen auf eine ganz andere Qualität des öffentlichen Entsetzens als die gegen Flüchtlinge in Hoyerswerda oder Rostock. Mit der staatlichen Übernahme des Auftrags, Deutschland von Ausländern frei zu halten, wurde auch der Mob wieder dem staatlichen Gewaltmonopol unterworfen. Letzeres allerdings nur soweit die deutsche Öffentlichkeit Interesse zeigte oder internationaler Druck das Handeln notwendig machte. Anschläge sind seitdem auch bei eindeutigen Indizien nicht mehr rassistische Taten, sondern das Werk »verfeindeter Ausländer« bzw. der »Unfähigkeit der Kulturfremden« geschuldet, dem technischen Standard unserer Alltagsgeräte angemessen zu handeln. Ein ausländerfeindlicher Hintergrund ist für die ermittelnden Beamten im Normalfall nicht zu erkennen. Wie gefährlich Ausländer aus ärmeren Gemeinwesen sind, verdeutlicht der Staat nicht zuletzt durch die Einrichtung einer eigenen Inhaftierungsmöglichkeit, dem Abschiebeknast. Abschiebehaft setzt dabei de facto nicht mehr voraus als den Aufenthalt ohne Duldung in der BRD. Insgesamt ist das Ergebnis der Asyldebatte also viel tiefgreifender als die Änderung des Grundgesetzartikels 16. Wie stark die gesellschaftliche Trennung »Deutsche« / »Ausländer« funktioniert, zeigt sich in der gegenwärtigen Kampagne gegen »Schwarzarbeit«, die sich fast ausschließlich gegen »Ausländer« richtet und von den Gewerkschaften, die sich als Vertretung der deutschen Arbeiter begreifen, propagandistisch und praktisch unterstützt wird. Der Slogan »Deutsche zuerst!« hat in der heutigen Bundesrepublik nichts anrüchiges mehr.

Nazi: Just An Other Way Of Punk?

Fast zeitgleich mit der rassistischen Mobilisierung Anfang der 90er wurde ein Phänomen sichtbar, das damals unter dem Label »Nazirock« diskutiert wurde. »Nazirock« ist dabei eine eher verharmlosende Beschreibung einer Jugend(sub)kultur, die sich in den ersten Jahren an das Skinheadmovement anlehnend vor allem in der ehemaligen DDR etablierte und heute - zwar immer noch eng mit bestimmten Skinszenen verknüpft - ein Eigenleben entwickelt hat. Die Systemopposition ist ein wesentliches Merkmal dieser Jugendkultur, so daß die Versuchung nahe liegt, Analogien zur Punkbewegung der 80er Jahre zu ziehen. Slogans, die aus dem Repertoire der bundesdeutschen, radikalen Linken der 70er und 80er fast unverändert übernommen wurden, bilden in der letzten Zeit einen wesentlichen Bestandteil propagandistischer Bestrebungen »nationalrevolutionärer« Nazis, die darüber versuchen, den Anschluß an diese Subkultur zu vollziehen.
Aber stimmt es wirklich, daß diese zusammenkopierte, faschistische Jugendkultur wie Punk funktioniert? Was ist die Systemopposition des »Nazirock«? Systemopposition bedeutet hier aggresiv gegen Marginalisierte aufzutreten. Nicht gegen gesellschaftliche Strömungen, sondern über sie hinausgehend. Das einzig system-destruktive Element ist dabei das Ignorieren des staatlichen Gewaltmonopols. Im Gegensatz zu Punk ist »Nazirock« damit potentiell in der Lage, sich unvermittelt ins Zentrum der Gesellschaft zurückzuziehen. Die Radikalität rechter Jugendkultur besteht in der Konsequenz mit der sie die Ressentiments ihrer Eltern umzusetzen versuchen. In einer Zeit, in der sich quer durch alle Subkulturen der Trend einer weitgehenden Entpolitisierung zieht, könnte »Nazirock« zur richtungsweisenden Alternative werden, die ein gefährliches Szenario heraufbeschwört.

Staatlicher Antifaschismus?

Unter den oben beschriebenen Umständen scheint es sinnlos, sich auf den Staat als Hilfe im antifaschistischen Widerstand zu verlassen. Andererseits sprechen die Verbote rechtsradikaler Parteien und Vereinigungen sowie die Neuregelungen der Polizeigesetze der Länder, zumindest oberflächlich betrachtet, eine andere Sprache. Keine allgemeine Gesetzesverschärfung, keine Unterminierung demokratischer Grundrechte, die nicht unter dem Hinweis erfolgt, es gelte, rechtsradikale Gewalt im Keim zu ersticken. In der Praxis gilt aber, das vorgeschützte Rechsstaatlichkeitsprinzip münzt Nazi-Aktivitäten zu Kavaliersdelikten um: solange dem internationalen Ansehen des demokratischen Deutschland nicht geschadet wird, solange gibt es keine »rechtsextremistische« Gefahr für die Freiheitlich-Demokratische Grundordnung. Was nicht eindeutig als organisierter Aufmarsch zu erkennen ist, was nicht durch eine von staatlichen Aktivitäten unabhängige Antifabewegung öffentlich gemacht oder angegriffen wird, fällt durch das Raster der staatlichen Repression. Einer Repression, die - häufig sogar mit denselben Beamten - unter dem Leitspruch »Links- gegen Rechtsextremismus« offensive Antifaarbeit nicht nur nicht unterstützt, sondern mit großem Aufwand bekämpft.
Selbst das staatliche Vorgehen gegen organisierte Strukturen der Faschisten in der BRD ist halbherzig. Verbote werden immer soweit im Voraus angedroht, daß es den betroffenen Organisationen möglich ist, für den Tag des Verbotes Vorsorge zu treffen, indem sie Nachfolgestrukturen schaffen, Parteivermögen sichern und sich auf die den Verboten folgenden Razzien vorbereiten. Wie wenig Interesse der Staat an einer effektiven Zerschlagung faschistischer Strukturen hat, läßt sich erst ermessen, wenn als Vergleich die Handlungsspielräume herangezogen werden, die sich derselbe Staat gegenüber KurdInnen geschaffen hat. Es geht also um reine PR-Effekte gegenüber internationaler Öffentlichkeit.

Wer ist die Antifa-Bewegung?

Von einer Bewegung zu sprechen, setzt nicht unbedingt gleiche Ziele und Wege aller Beteiligten voraus. Im Gegenteil. Antifaschismus auf allen gesellschaftlichen Ebenen braucht die Vielgestaltigkeit, um lebendig zu sein. Ein einseitiges Verständnis von Antifaschismus wäre bei der komplexen Rolle, die faschistische Ideen in der Gesellschaft spielen, zum Scheitern verurteilt. So ist Militanz gerade angesichts der strukturellen Ursachen, die den Staat hindern, Schutz vor faschistischen Angriffen zu gewährleisten, unabdingbar. Militanz stößt aber schnell an ihre Grenzen, wenn grundlegend gegen Faschisten gearbeitet werden soll, wenn Freiräume eröffnet wurden, die es auszufüllen gilt. In einem Klima, in dem die derzeit dominanten Jugendkulturen und -bewegungen entpolitisiert scheinen, stellt sich die Frage, wieweit die individuelle Schuld von 12 bis 16jährigen Faschokids geht, die nicht selten besonders brutal bei Überfällen agieren. Die üblichen jugendsoziologischen Deutungsmuster halten gerade bei diesen Faschokids einer Überprüfung nicht stand, und so laufen auch die offiziellen Programme »Gegen Gewalt« ins Leere. Und nicht nur das. Die Eigendynamik solcher Programme für »rechte Jugendliche« verfestigen häufig die entstandenen Strukturen. Ernsthafter Antifaschismus muß also auch auf solchen, auf den ersten Blick abwegigen Feldern Alternativen entwickeln.
Der nach 1989 mit der Re-Nationalisierung einhergehende Schwund linksliberaler Öffentlichkeit reduzierte auch die Dimension einer antifaschistischen Bewegung. Bis auf einzelne JournalistInnen, PolitikerInnen, GewerkschafterInnen, KirchenvertreterInnen und wenige andere bleibt aktiver Antifaschismus auf die überlebenden Opfer und WiderstandskämpferInnen sowie die aus der autonomen Bewegung hervorgegangenen Antifa- und Antira-Gruppen beschränkt. Die ausgeprägte Ignoranz in weiten Teilen der vormals (vor 89) sensibilisierten liberalen Öffentlichkeit gegenüber faschistischen Strategien und Aktivitäten (einschließlich die der sogenannten Neuen Rechten) birgt für die bestehende Antifa-Bewegung die Gefahr in sich, den Nazis nicht mehr auf allen Ebenen und Feldern offensiv entgegentreten zu können, um sie in ihre Schranken zu verweisen.

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