nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Sat Oct 27 23:35:36 2001
 

Stiftung Unruhe-Info No. 2
Einleitung


Einleitung

Überlegungen zur
politischen Ökonomie
des Polizeigroßeinsatzes
in Gorleben

Chronologie

Geraume Zeit nach dem Castor-Transport ins Wendland melden wir uns von der Stiftung Unruhe wieder zu Wort. Wir hatten uns im Vorfeld zusammengefunden, um die Sichtbarkeit autonomer Politik beim Castor-Transport zu fördern. In diesem Sinne hatten wir nicht nur andere Spektren der Protestbewegung kritisiert, sondern auch dazu aufgerufen sich an den Schienencamps zu beteiligen. Mit den nachfolgenden Überlegungen legen wir eine kleine Bilanz unserer Überlegungen zu der praktischen wie politischen Bedeutung der Proteste gegen den Castor-Transport vor. Wir stehen schließlich in direkten Vorbereitungen gegen den vermutlich im Oktober geplanten nächsten Castor-Transport ins Wendland. Allemal ist das für uns ein Grund, uns zu überlegen, was wir bei unseren nächsten Aktionen berücksichtigen sollten, um sie noch besser werden und politisch wirken zu lassen.

In dieser Auswertung stellen wir ein paar fragmentarische Überlegungen zu dem Problem der Un-Sichtbarkeit autonomer Politik vor, äußern uns zur politischen Ökonomie des Polizeigroßeinsatzes in Gorleben und geben ein paar Einschätzungen zu einigen anderen Protestspektren zum besten. Wir schließen unsere Dokumentation mit einem chronologischen Überblick gelaufener Protestaktionen gegen den Castor-Transport ins Wendland. Die vielen Protest- und Widerstandsaktionen können nicht nur als Gegeninformation zum herrschenden medialen rauschen gelesen werden. Die vielen auch räumlich weit gestreuten Aktionen haben uns gerade im Hinblick auf den nächsten Castor-Transport ins Wendland optimistisch gestimmt.

Un-Sichtbarkeit autonomer Politik.

Die erwünschte Sichtbarkeit autonomer Politikformen und Inhalte hat aus unserer Sicht während des Castor-Transportes nicht so recht funktioniert. Dabei ist es ja nicht so, als ob es keine Berichterstattung über "die Autonomen" im Zuge des Castor-Transportes gegeben hätte. Als Projektionsfläche für zugewiesene Attribute wie "gewaltbereit", "Auswärtige", "Vermummte" usw. erfüllten sie ihre Funktion in der Gut-Böse Inszenierung und ihrer Nachfrage. Da die schönen Aktionen in den Wäldern so gar nicht vermittelt und dargestellt werden konnten, stellte sich der Untertunnelungs-Sympathieträgereffekt der früheren Jahre nicht ein. In der Tat fehlten diesmal Feldschlachtbilder mit brennenden Strohballen und Schwachholzbarrikaden. Aber das wird nicht von allen von uns bedauert.

Das Scheitern der Idee von Sichtbarkeit und Vermittlung war in einigen Bereichen schon vorher absehbar. Ohne eine den Maßstäben der Medien genügende und zumindest teilweise auf deren Funktionsweise abgestellte Arbeit in Form von Begleitung und Vermittlung bleiben "die Autonomen" in ihrer Darstellung weitgehend abhängig von kaum zu beeinflussenden Faktoren. Und das heißt konkret: Jeder und jede, die sich als "Autonome/r" vor die Pressekameras und die Mikrophone stellt, kann an schönen Inhalten fast alles erzählen was sie oder er will; es wird aktuell in diesem Zusammenhang nur `rüber kommen, das es sich dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen "Straftäter" handelt. Denn die Aufgabe der bürgerlichen Medien besteht zunächst einmal nicht darin, das "ganz andere" möglichst sympathisch darzustellen. Das "ganz andere" kann in der Berichterstattung der bürgerlichen Medien immer nur "kriminell" oder "exotisch" sein. Insofern ist eine gelungene Kommunikation zwischen Autonomen und der bürgerlichen Presse zumindest hinsichtlich eines Castor-Transportes eine strukturelle Unmöglichkeit. Allerdings, und das sollten wir nicht völlig gering achten, entfällt hier - d.h. konkret: im Zusammenhang einer 25-jährigen Anti-AKW-Geschichte- und das ganz im Unterschied zu antirassistischen Grenzcamps, die Stigmatisierung als "exotisch".

Diese Überlegungen münden zwingend in die Frage, wie für unsere zukünftigen Proteste bzw. gegen subtile Counterinsurgency-Strategien der Bullen und der herrschenden Öffentlichkeit eine angemessene Form der tatsächlichen Gegenöffentlichkeit organisiert werden kann. Das Projekt Indymedia scheint uns da einige Möglichkeiten aufzuweisen. Falls das Konzept weiter geht, (und eventuell im Sinne von mehr Redaktion und weniger Free Speech weiter entwickelt wird) kann es bei den nächsten Ereignissen bedeutsamer werden.

Zu dem im Herbst anstehenden Castor-Transport werden wir erneut einen Beitrag zu den Protesten und Widerständen vorbereiten. Dabei rechtfertigt sich unsere Existenz in einer strukturell zu verschiedenen Spielarten des Lobbyismus und zur Religion tendierenden Ein-Punkt-Bewegung aus folgenden Überlegungen:

Nach wie halten wir daran fest, dass es möglich ist und sein soll, die Grenze des symbolischen Protestes hin zum materiellen Eingriff (nicht nur) im Wendland zu überschreiten. Zweitens nehmen wir durch unsere Existenz die nicht unbedingt idyllische Funktion der Feind-Erklärung im potentiell totalitären Straftäterdiskurs ein. Anders herum formuliert: Auch wenn klar ist, dass von der Seite der Bullen eine Feinderklärung erst mal an alle geht, die überhaupt als Teil der unabhängigen Anti — AKW — Bewegung demonstrieren, so zielt doch das politische Ausgrenzungsbemühen weitgehend auf die Autonomen. Alle anderen Gruppen des Protestes und Widerstandes, wie z.B. die BI Lüchow-Dannenberg und Bäuerliche Notgemeinschaft können "Autonomen" wenigstens klammheimlich dankbar dafür sein, das gerade wir und noch nicht sie die zentrale Zielscheibe dieses gesellschaftlichen Ausgrenzungsbemühens sind. Dem steht nicht entgegen, dass sich der Vorstand der BI oft im Visier von Staats- und Verfassungsschutz befindet. Und drittens, das sollten wir niemals vergessen: Die ökologisch desaströsen Konsequenzen der sogenannten zivilen Atomenergienutzung bedrohen nun einmal nicht nur Bürgerliche, Körnerfesser, Tschernobyl-Mütter und Kinder, Bi-Pressesprecher, Polizeibeamte, sondern auch uns. Es gibt deshalb auch nicht den aller geringsten Grund dafür, sich damit - wie es von der Regierung und den Energiekonzernen vorgesehen ist - zu arrangieren.

Allerdings treffen wir mit diesen Überlegungen keine Aussage darüber, wie aussichtsreich unsere politischen Bemühungen im Sinne eines Kampfes für das "ganz andere" im Rahmen der Anti-AKW-Bewegung sind und sein werden. Wir vermuten, das es in einem politischen Sinne keine "realistische Strategie" für Autonome innerhalb der Anti-AKW-Bewegung gibt. Dafür ist zum einen die außenpolitische Dominierung dieser Thematik zu groß: Ob nun wegen Genen, den Elbtalauen oder dem Kapitalismus; die konkreten Gründe und Motive von Anti-AKW-AktivistInnen müssen sich weder logisch noch systematisch aufeinander beziehen, um dennoch aus den genannten separaten Gründen eine punktuelle Protestgemeinschaft zu bilden. Andererseits verträgt sich ein von uns sehr favorisierter Gedanke der Subversion aller gesellschaftlichen Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse nur schlecht mit einem Zustand, in dem sich in diesem Fall die Anti-AKW-Bewegung als Ausdruck einer Bevölkerungsmehrheit versteht und auch verstehen kann. Denn das sich fühlen als eine "Mehrheit" bezeichnet für viele ProtestaktivistInnen nur zu oft einen Zustand, der das genaue Gegenteil von Glück und Befreiung darstellt: Selbstzufriedenheit, Bornierung und Dummheit. Doch statt uns davon vorhersehbar enttäuschen zu lassen, legen wir auch weiterhin in diesem Zusammenhang großen Wert darauf, in den Augen vieler Außenstehender "die Verrückten" zu bleiben, die einfach weiter an dem inspirierenden Gedanken des "ganz anderen" festhalten.