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Bremer Anti-Atom-Forum (BAAF)
19.6.1998

Zu den Auseinandersetzungen um die verstrahlten CASTOR-Behälter

Atomtechnologie - ob Bau, Test und Einsatz von Atombomben oder auch die sog. friedliche Nutzung - beruht seit Anbeginn ihrer Geschichte auf Lügen, Vertuschungen, Verschweigen und Verharmlosen. Sie hat bisher vielen Millionen Menschen Gesundheit und Leben gekostet. Ein Gemenge aus nationaler Überheblichkeit, Streben nach politischer und ökonomischer Vorherrschaft und nach Profit, technokratischen und wissenschaftlichen Allmachtsphantasien, willfähigen Behörden und Schlamperei bilden die Grundlage für das unbeirrbare Festhalten an dieser Technologie.

Im allgemeinen reichen Vorfälle, wie jetzt die erhöhte Verstrahlung von CASTOR-Behältern - die ja eigentlich zum nuklearen Alltag gehören -, gerade mal für eine Tagesmeldung oder erscheinen gar nicht in der Öffentlichkeit. Doch dieses mal ist alles anders: Schlagzeilen, Verantwortliche werden gesucht, Rücktritte gefordert, täglich werden empörende Neuigkeiten enthüllt. Warum gerade jetzt die Aufregung so groß ist, macht mißtrauisch und legt den Verdacht nahe, daß es sich u.a. um vorübergehendes Wahlkampfgeplänkel handelt. Das scheint auch ein Grund dafür zu sein, daß Umweltministerin Merkel so unverhofft und unvorbereitet, hilflos der Situation ausgeliefert gegenüber steht, wo sich doch sonst immer, die an der politischen Macht Beteiligten weitgehend so einig waren, besonders auch, was die deutsch-französische Zusammenarbeit in diesen Fragen betraf. Oder haben wir es hier mit einer Inszenierung zu tun, um endlich den Konsens für die Genehmigung der "Zwischenlager" im Umfeld der AKW s zu schaffen?

Wie es aber weitergehen wird, ist ungefähr absehbar, nämlich so wie es z. B. kürzlich im Fernsehen demonstriert wurde. Da machte ein Mann - er wurde als Polizist vorgestellt, der den CASTOR-Transport nach Ahaus (19./20. März 98) begleitet hatte - seinen Oberkörper frei und legte sich sodann in eine große, weiße Apparatur, ein Ganzkörperdosimeter. Nach einer Messung verkündete der Strahlenschutzexperte das Ergebnis: Keine Strahlung gemessen. Abgesehen davon, daß von vornherein zu erwarten war, daß zu dieser Zeit mit dieser Meßeinrichtung sowieso nichts Aussagekräftiges zu messen war, heißt, "nichts gemessen" grundsätzlich noch lange nicht "es ist/war nichts vorhanden" und "es besteht keine Gefahr". Und erleichtert schlüpft der Mann wieder in seine Garderobe und wird voraussichtlich - vielleicht auch ein wenig verunsichert- den nächten CASTOR-Transport begleiten. Das ganze also nur ein Täuschungmanöver, um die Menschen zu beruhigen und um zu suggerieren: Mit mehr Messungen und mehr Überwachung werden die ExpertInnen in Zukunft die Sicherheit noch besser gewährleisten und auch für die jetzt anstehenden Probleme eine sachgerechte Lösung finden.

Die Entrüstung wird jetzt festgemacht an der Überschreitung der zugelassenen Grenzwerte bei speziellen CASTOR-Transporten (die anderen Atomtransporte laufen sowieso ungehindert und nichthinterfragt täglich weiter), an der Geheimhaltung und Verfälschung der Meßprotokolle und es wird eine strengere Einhaltung der Vorschriften, bessere Kontrolle und Veröffentlichung der Daten eingefordert. Es läuft jetzt nach dem gleichen Skandaldrehbuch wie vor etwa 10 Jahren (Dez. 87), um die Transnuklear-Affäre in den Griff zu bekommen. Auch damals wurde davon gesprochen, daß das Vertrauen der Politik in die Fähigkeit und in die Bereitschaft der Atomindustrie, die Technologie sicher zu handhaben, tief erschüttert sei, und daß der Staat sich nicht mehr auf die Selbstkontrolle der Atomindustrie verlassen würde. Aber wie sich jetzt zeigt, es hat sich nichts verändert.

Daß es keinen Grenzwert für die Verträglichkeit radioaktiver Strahlung gibt, d.h. selbst auch die gesetzlich zugelassenen Grenzwerte - nach äußerst fragwürdigen z.B. wirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmt - keinen Schutz vor Gefährdung von Leben und Gesundheit garantieren, wird hier schon gar nicht mehr problematisiert.

Wilfried Steuer, der Präsident des Deutschen Atomforums, entschuldigte sich in seiner Eröffnungsrede vor dem Deutschen Atomforum in München am 26. Mai 98 bei der Ministerin Merkel: "Es tut ihm 'persönlich ganz außerordentlich leid'. Doch anschließend ging er auf Distanz: Er könne sich nicht 'jeden Tag' bei Merkel entschuldigen. Wo Menschen seien, passieren eben Fehler - 'nur leider werden sie bei der Kernenergie immer hochgespielt.'" (Taz, 27.05.98) Sicher, dort wo Menschen und Maschinen arbeiten, passieren auch immer wieder Fehler. Nur daß diese vermeidlichen und unvermeidlichen "Fehler" zu katastrophalen Unfällen, wie z.B. die von Harrisburg (USA, 27.März 79) oder die von Tschernobyl (UdSSR, 26. April 86), führen können; abgesehen von der Gefährdung, die von diesen Anlagen schon bei "Normalbetrieb" ausgehen. Deshalb kämpfen wir gegen den Einsatz der Atomtechnologie. Sie ist eine grundsätzlich unbeherrschbare Technologie - eine Technologie, die niemals versagen darf - und wir sind nicht bereit das sog. "Restrisiko" zu tragen.

Und wenn wir uns den nächsten CASTOR-Transporten wieder in den Weg stellen, meinen wir: Es ist vordringlich nicht unser Problem, die Atomanlagen oder Atomtransporte sicherer zu machen, oder ob ein Transport nötig oder unnötig ist oder ob alle Vorschriften eingehalten werden, und wir lassen uns nicht einbinden in eine Diskussion um die Verbesserung der Transportbedingungen oder um ein dezentrales Konzept für die "Zwischenlagerung". Uns geht es um, die Abschaltung aller Atomkraftwerke ohne wenn und aber, um den völligen Ausstieg aus der Atomenergienutzung - und zwar sofort!

Mit dem Bekanntwerden der verstrahlten CASTOR-Behälter haben die GRÜNEN sich wieder daran erinnert, daß sie ehemals als Anti-AKW-Partei angetreten sind. Jetzt sehen sie sich im Aufwind und hoffen indem sie sich erneut als die Ausstiegspartei medienwirksam darstellen, die 5%-Hürde bei den Bundestagswahlen zu schaffen. Sie diskutieren gerade ein Ausstiegszenario über 8 oder mehr Jahre ab 1999 - das bedeutet mindestens zwei Legislaturperioden, an denen die GRÜNEN beteiligt sein müßten! (s. Rainer Baake - GRÜNER Staatssekretär im Hessischen Umweltministerium -, "Gedankenskizze für eine Strategie zum Ausstieg aus der Atomkraft", Wiesbaden, 20.01.98) -, die SPD hat diesen Ausstieg schon 1986 unter dem Schock von Tschemobyl nach einem Regierungswechsel für innerhalb 10 Jahre beschlossen. Das paßt dann gut zusammen, für eine Koalition zwischen den GRÜNEN und der SPD.

Aber die Erfahrungen bisher haben gezeigt, daß überall da, wo die SPD und die GRÜNEN Regierungsverantwortung tragen, sie auch die Verwirklichung des Atomprogramms mitgetragen haben, das geht auch bei den GRÜNEN selbst bis zur polizeilichen Durchsetzung der letzten Transporte nach Ahaus durch den GRÜNEN Polizeipräsidenten von Münster, Wimber. Ihr ursprüngliches Anliegen, der Ausstieg aus der Atomtechnologie, ist schon längst zum Kalkül der Macht verkommen. Mit der Teilhabe an Macht haben sie nicht beigetragen, die Gesellschaft zu verändern, sondern sie haben sich verändertl

Wir wollen noch einmal ausdrücklich betonen:

Es geht uns hier nicht um eine Auseinandersetzung mit den GRÜNEN, sondern es geht uns darum, deutlich zu machen, daß niemand, auch wenn er/sie sich mit den herrschenden Verhältnissen arrangiert, stellvertretend für uns den Ausstieg herbeiführen wird. An den Erfahrungen der Anti-AKW-Bewegung läßt sich aufzeigen, daß Gerichte oder Parlamente und oft auch die herrschende Wissenschaft immer erst dann unsere Anliegen wahrnehmen, wenn sie durch den Widerstand der Straße dazu gezwungen werden. Aufpassen müssen wir, daß es ihnen dann nicht gelingt, die Rolle eines Ventils wahrzunehmen, um die Beunruhigung in der Bevölkerung und die aufgestaute Wut des Widerstandes abzulassen.

Aber gerade die aktuelle Diskussion um die verstrahlten CASTOR-Behälter zeigt auf, wie sehr sich unser langjähriger Widerstand darin wiederspiegelt und in welch starker Position wir uns zur Zeit befinden oder befinden könnten. Das sollten wir nutzen: Nicht locker lassen und uns verstärkt auf unsere eigene Kraft besinnen!