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Mythen, unausrottbar.
Zwei Monate nach der Auflösungserklärung der RAF veröffentlichte die taz am 27.Juni ein Interview mit Karl-Heinz Dellwo. Im Aufmacher auf Seite 1 wird angekündigt, daß unter anderem die Legenden von Stammheim infragegestellt werden würden. Damit ist unter anderem die Einschätzung gemeint, daß Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe durch staatlich verantworteten Mord im Hochsicherheitstrakt von Stammheim ums Leben gekommen sind. Im Editorial zum Interview schreibt dann die taz-Redakteurin Klaudia Brunst in diesem Zusammenhang sogar von Mythen, die sich "als unausrottbar (!) erwiesen" hätten.
Der forsche Ton der taz mutet seltsam an; zwar könnten die Äußerungen Dellwos Anlaß geben, einige Statements z.B. von Irmgard Möller zu Vorgängen in Stammheim neu zu befragen. Dellwos Andeutungen, die Gefangenen von Stammheim hätten tatsächlich über von außen eingeschleuste Waffen verfügt und einige Erklärungen der "DDR"-Kronzeugen zur internen Diskussion über die Todesumstände in Stammheim könnten nicht vom Tisch gewischt werden, lassen aufhorchen. Jedoch außer diesen (noch?) kryptischen Andeutungen gibt es nichts in dem taz-Interview, das rechtfertigen würde, die Morde von Stammheim als Legende oder gar jetzt widerlegten Mythos ad acta zu legen.
Wenn Dellwo auf die Frage "Bis heute bestehen Zweifel an der offiziellen Darstellung. Jahr für Jahr wird gesprüht: Stammheim, das war Mord. Ist für dich alles geklärt?" antwortet: "Nein noch lange nicht. Ich bin sicher, daß es noch geheimes Material gibt.", ist dem einfach nur zuzustimmen. Bereits vor fünf Jahren stand es in diesem Heft: "Grundsätzlich dies: niemand kann von außen und mit der zeitlichen Distanz behaupten, 1976 und 1977 sind mit 100%-Sicherheit in Stammheim Morde geschehen; doch aus dem politischen Klima des Deutschen Herbst’, der Liquidationsphilosophie der Sicherheitsbehörden ( Todesschußfahndung ) und den bestehenden faktischen Widersprüchen gegen die Version vom Selbstmord in Stammheim muß von Morden ausgegangen werden. Und dies eben erst recht, wenn staatliche Stellen nicht aufklären, sondern verschleiern - nur: mit Mythen läßt es sich zwar bequem leben, doch sie dürfen nicht zur Ersatzreligion verkommen... ." (Zeck Nr. 17, August 93).
Es ist zu begrüßen, wenn am "Projekt RAF" Beteiligte in der (linken) Öffentlichkeit sich zu Widersprüchen, Fehlern und bisher zu wenig geführten Auseinandersetzungen zu Wort melden. Ob nun Dellwos Interview in der taz besonders gut aufgehoben ist, muß allerdings bezweifelt werden. Denn allzu offensichtlich möchte sich die taz an der Abwicklung radikalen linken Widerstands beteiligen. Der Horizont der taz z.B. in der Auseinandersetzung um die Todesumstände von Stammheim bewegt sich nur noch im staatlich vorgegebenen Raster des Distanzierungsrituals. Denn die Frage nach Mord oder Selbstmord von Ensslin, Baader und Raspe muß auch immer die Frage nach den Todesumständen all der anderen Toten beinhalten: denen der Todesschußfahndung und derjenigen, die in Gefängnissen durch ärztliche Nichtversorgung getötet wurden; den Todesumständen bei Ulrike Meinhof und Ingrid Schubert; denen von Ian MacLeod und Günter Jendrian, die in den 70er Jahren nur deswegen erschossen wurden, weil man die Unbewaffneten mit gesuchten RAF-Mitgliedern verwechselte. Schließlich die öffentliche Exekution von Grams in Bad Kleinen (von der wir demnächst in der taz wohl lesen werden, daß es vielleicht doch Selbstmord war...?) - so viele Tote und nie waren die Todesumstände frei von Widersprüchen, nie haben es die staatlichen Stellen zur Eröffnung von Verfahren vor ordentlichen Gerichten kommen lassen, sondern immer bereits im Vorfeld die Ermittlungen eingestellt.. Und daher muß es dabei bleiben: nicht diejenigen, die die Tode von Stammheim für Mord halten, müssen sich rechtfertigen, sondern die staatlichen Stellen sollen endlich einmal eine widerspruchsfreie Version für ihre Behauptungen der Selbstmorde liefern.
Und in der Zwischenzeit packen die Gefangenen/Ex-Gefangenen der RAF mal auf den Tisch, was denn nun eigentlich los war: wenn Waffen nach Stammheim geschmuggelt wurden, wer war es denn? All die, die in den vergangenen Jahren bei verschiedenen Einlassungen vor Gerichten das für sich reklamiert haben, können’s gar nicht gewesen sein. Was hat denn nun Brigitte Mohnhaupt und ein von Dellwo neu eingeführter Anonymus zu den Vorgängen in Stammheim im internen Kreis gesagt? Warum hat sich die RAF (und das fällt in der Tat auf) seit 1977 zu Stammheim sehr bedeckt gehalten, warum war in der Auflösungserklärung dazu nichts mehr zu lesen? Fragen, die genauerer Antworten harren, als sie Dellwo in dem taz-Interview angedeutet hat!
Und am Ende jetzt noch ein Wunsch an die Ex-RAF: überlaßt nicht der taz die Abwicklung der Geschichte der RAF, denn das hat weder die RAF, noch die taz verdient.
kba.



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